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Einfuhr von Betäubungsmitteln – Voraussetzung

LG Düsseldorf, Az.: 12 KLs 34/16, Urteil vom 14.12.2016

Der Angeklagte wird wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit versuchter Durchfuhr von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen.

Angewandte Strafvorschriften: §§ 29 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, 21, 22, 27 Abs. 1, 49, 52 StGB.

Gründe

( abgekürzt gemäß § 267 IV StPO )

I.

Einfuhr von Betäubungsmitteln - Voraussetzung
Symbolfoto: AlexLMX/Bigstock

Der zum Zeitpunkt der Tat 46 Jahre alte Angeklagte wurde in der südspanischen Stadt K geboren. Gemeinsam mit seinen vier jüngeren Geschwistern wuchs er in einfachen aber finanziell stabilen Verhältnissen auf. Sein Vater war stets in der Lage, die Familie mit seinem Einkommen als Arbeiter in einer Brandweinfabrik zu ernähren, sodass seine (inzwischen verstorbene) Mutter als Hausfrau die Kinderbetreuung übernehmen konnte.

Als der Angeklagte 13 Jahre alt war, starb sein Vater und die wirtschaftliche Lage der Familie verschlechterte sich rapide. Zudem begann der Angeklagte, Marihuana und Alkohol zu konsumieren, worunter seine schulischen Leistungen erheblich litten. Mit Mühe gelang es ihm, einen Abschluss zu erwerben und anschließend eine Malerlehre zu absolvieren. Zwar arbeitete er einige Zeit in diesem Beruf und verdiente auch genug, um sich selbst zu finanzieren. In den folgenden Jahren gewann der Drogenkonsum jedoch zunehmend Kontrolle über den Angeklagten, sodass sein Leben immer weiter aus den Fugen geriet. Schon im Alter von 17 Jahren griff er neben Marihuana und Alkohol auch zu Heroin und Kokain und wurde schließlich stark abhängig von diesen Substanzen. Seinen Pflichtdienst in den spanischen Streitkräften musste er wegen des Rauschgiftkonsums bereits nach vier Monaten beenden und fand letztlich nie wieder in ein geregeltes Erwerbsleben. Allenfalls kam er noch an schlecht bezahlte Gelegenheitsarbeiten, mit denen er sich notdürftig über Wasser halten konnte. Seine monatlichen Einkünfte betrugen selten mehr als 400 bis 500 EUR.

Mehrere Versuche, seinen Drogenkonsum einzustellen, schlugen fehl. Der Angeklagte absolvierte insgesamt vier Entwöhnungstherapien, wurde jedoch immer spätestens nach einem Jahr rückfällig und verfiel in sein altes Konsummuster. Grundsätzlich benötigte er täglich jeweils ein halbes Gramm Kokain und Heroin, wenn es seine finanzielle Situation zuließ, nahm er auch mehr zu sich. Lediglich wenn er keinerlei Geldmittel auftun konnte, konsumierte er keine Drogen.

Der Angeklagte ist nicht verheiratet, hat aber einen inzwischen zwölfjährigen Sohn aus einer früheren Beziehung. Wegen Zweifeln an seiner Vaterschaft hat der Angeklagte das Kind allerdings nie als sein eigenes angenommen.

Der Angeklagte ist geistig gesund. Er leidet unter einer Hepatitis-C-Infektion, welche derzeit unbehandelt ist, den Angeklagten aber auch nicht weiter in seiner Lebensführung beeinträchtigt. Er ist seit Jahrzehnten abhängig von Heroin und Kokain, worauf noch weiter einzugehen sein wird.

Der Angeklagte ist in Deutschland nicht vorbestraft, jedoch in Spanien bereits wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:

1. Am 11. August 2006 verurteilte ein Gericht in K / Spanien den Angeklagten wegen Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten.

2. Am 12. September 2006 verurteilte ein Gericht in K / Spanien den Angeklagten wegen einfacher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten.

3. Am 9. Mai 2007 verurteilte ein Gericht in K / Spanien den Angeklagten wegen „Formen von schwerem Diebstahl ohne Anwendung von Gewalt oder Einsatz von Waffen oder ohne Gewaltandrohung oder Androhung des Einsatzes von Waffen gegen Personen“ zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten.

4. Am 10. Juli 2007 verurteilte ein Gericht in K / Spanien den Angeklagten wegen „Formen von schwerem Diebstahl ohne Anwendung von Gewalt oder Einsatz von Waffen oder ohne Gewaltandrohung oder Androhung des Einsatzes von Waffen gegen Personen“ zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten.

5. Am 29. Mai 2008 verurteilte ein Gericht in K / Spanien den Angeklagten wegen „Diebstahls unter Gewaltanwendung oder unter Einsatz von Waffen oder unter Gewaltandrohung oder Androhung des Einsatzes von Waffen gegen Personen“ zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat.

6. Am 2. Juni 2011 verurteilte ein Gericht in K / Spanien den Angeklagten wegen „Diebstahls unter Gewaltanwendung oder unter Einsatz von Waffen oder unter Gewaltandrohung oder Androhung des Einsatzes von Waffen gegen Personen“ zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten.

II.

Im Sommer 2016 hielt sich der Angeklagte für längere Zeit in T auf, wo sein Leben einen absoluten Tiefpunkt erreichte. Seine Familie hatte bereits seit längerer Zeit mit ihm gebrochen und so beschränkten sich seine persönlichen Kontakte auf die örtliche Drogenszene. Er verfügte nicht mehr über eine eigene Wohnung und lebte anfangs noch in einem Obdachlosenheim, später dann in einem Park, der in T als bekannte Anlaufstelle für Drogenabhängige und Dealer gilt.

Dort sprach ihn eines Tages ein Mann an, ob sich der Angeklagte 3.000 EUR verdienen wolle. Er müsse dafür ein Kilogramm Kokain von C in Kolumbien über D und E nach N transportieren. Der Lohn werde gegen Übergabe des Rauschgifts in Spanien ausgezahlt. Da 3.000 EUR für den Angeklagten eine immense Summe waren, die er angesichts seiner verzweifelten Lebenssituation und seiner Drogensucht nur allzu gut brauchen konnte, ging er auf das Angebot ein. In der Folgezeit besorgte der Kontaktmann die notwendigen Flugtickets. Details des Reiseverlaufs wurden bei mehreren persönlichen Treffen in dem Park abgesprochen, wo der Angeklagte praktisch ständig anzutreffen war.

Am 21. Juni 2016 reiste der Angeklagte von N kommend in Kolumbien ein. Am Flughafen von C identifizierten ihn örtliche Hinterleute anhand eines zuvor übermittelten Fotos und brachten ihn in einem Hotel unter. Einige Tage lang erkundete der Angeklagte die Stadt und konsumierte regelmäßig Kokain. Kurz vor dem geplanten Rückflug nach Europa wurde er in seinem Hotelzimmer durch eine Kontaktperson der örtlichen Initiatoren des Rauschgiftschmuggels aufgesucht. Diese Person ließ sich den Reisekoffer des Angeklagten mit allen darin befindlichen persönlichen Dingen aushändigen. In Abwesenheit des Angeklagten wurde eine neu beschaffte Reisetasche mit einem doppelten Boden versehen, in dem sich insgesamt beinahe drei Kilogramm Kokain verborgen befanden. Die Habseligkeiten des Angeklagten wurden sodann in diese Tasche gelegt, um sie wie ein gewöhnliches Gepäckstück wirken zu lassen.

Am 4. Juli 2016, dem Tag der Rückreise, händigte man dem Angeklagten die präparierte Tasche wieder aus. Der Angeklagte nahm das Gepäckstück an sich und stellte das große Gewicht der Tasche fest. Es war ihm aufgrund der vorangegangenen Vereinbarung völlig klar, dass sich nunmehr eine ganz erhebliche Menge Kokain in der Reisetasche befand. Zwar rechnete er mit einem Kilogramm der Droge, machte sich aber keine vertieften Gedanken über die verborgene Kokainmenge. Ihm kam es primär darauf an, den Transport reibungslos durchzuführen, um am Reiseziel in Spanien den vereinbarten Kurierlohn zu erhalten. Dementsprechend untersuchte er die Tasche auch nicht weiter.

Die örtliche Kontaktperson brachte den Angeklagten mit einem Taxi zum Flughafen von C. Dort ging der Angeklagte an Bord einer Maschine nach D. Die präparierte Tasche hatte er zuvor am Schalter der Fluglinie „B1“ aufgegeben und bis zum Reiseziel N „durchgecheckt“, d.h. es war nicht erforderlich, sie bei den Zwischenlandungen auf D und in E am Gepäckband aufzunehmen und sodann für den Weiterflug erneut aufzugeben.

Auf D bestieg der Angeklagte am 5. Juli 2016 den Weiterflug der B2 nach E (… …), wo er am 6. Juli 2016 um 06:45 Uhr eintraf. Zügig verließ er das Flugzeug, da der Anschlussflug nach N bereits für 08:00 Uhr vorgesehen war. Dort wäre er von seinem Kontaktmann aus dem Park in T persönlich abgeholt worden. Unterdessen wurde die manipulierte Reisetasche aus dem Flugzeug der B2 entladen und in die Transitgepäckhalle des E Flughafens verbracht, wo sie auf den Anschlussflug nach N verteilt werden sollte.

Dem Angeklagten war während der gesamten Tatausführung bewusst, dass sich in der Reisetasche eine erhebliche Menge Kokain befand und dass er durch den Transport dieses Gepäckstücks den gewinnbringenden Betäubungsmittelhandel der Hinterleute in Kolumbien sowie der Abnehmer in Spanien unterstützte, und er wollte dies auch. Während der Tatausführung handelte er im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit.

Dem Angeklagten war bei Antritt der Reise und während seines Aufenthalts in E außerdem bewusst, dass seine Tasche zur automatischen Weiterleitung von C nach N bestimmt war und dementsprechend während des Transits in E nicht am dortigen Gepäckband angelangen würde. Zwar besteht am E Flughafen die Möglichkeit, auch als Transitpassagier an das in der Sortierhalle befindliche Gepäck zu kommen. Hierzu muss man sich an den „Handlingpartner“ der jeweiligen Fluglinie wenden. Der entsprechende Schalter ist im Transitbereich mit „lost and found“ überschrieben, trägt jedoch keinen Hinweis auf die befördernde Fluglinie. Von dieser Möglichkeit hatte der Angeklagte, der zum ersten Mal in seinem Leben mit dem Flugzeug reiste, indes keine Kenntnis und hätte hiervon auch keinen Gebrauch gemacht. Ihm kam es darauf an, den Anschlussflug nach N pünktlich zu erreichen, weshalb er Verzögerungen, wie sie mit dem Hervorholen der Tasche aus der Transitgepäckhalle zwangsläufig verbunden gewesen wären, in jedem Fall vermieden hätte.

Der flugunerfahrene Angeklagte machte sich nach Verlassen des Flugzeugs daran, das Gate für seinen Weiterflug zu suchen. Verwirrt von der Vielzahl der Hinweisschilder am E Großflughafen, wendete er sich an einen Zollbeamten, um nach dem richtigen Weg zu fragen. Der Zöllner kontrollierte den fahrig wirkenden Angeklagten und führte einen Drogenwischtest durch, welcher positiv auf Kokain reagierte. Etwa zur gleichen Zeit schlug der polizeiliche Rauschgiftspürhund „Kees“ bei der Kontrolle der Reisetasche des Angeklagten in der Transitgepäckhalle an. Der Angeklagte wurde in die Räume der Zoll-Überwachungsgruppe geführt, wohin auch die Reisetasche verbracht wurde. Als die Zollbeamten den doppelten Boden des Gepäckstücks entdeckten, stachen sie ihn mit einer Probennadel an, woraufhin weißes Pulver hervortrat, das mit Hilfe eines Schnelltests einstweilen als Kokain klassifiziert werden konnte. Insgesamt befand sich Kokainmasse mit einem Gesamtgewicht von 2.974 Gramm in dem Boden der Reisetasche. Bei einem Wirkstoffgehalt von 62,2 % ± 3,5 % betrug die Gesamtwirkstoffmenge 1.849 Gramm ± 104 Gramm Kokainhydrochlorid. Neben den Betäubungsmitteln wurde noch ein Mobiltelefon der Marke Alcatel, diverse Reiseunterlagen sowie die Reisetasche sichergestellt.

Der Angeklagte reagierte auf den Kokainfund zunächst mit Schweigen und ließ sich auch bei seiner Haftrichtervorführung nicht weiter zur Sache in. In der Hauptverhandlung hat er sich dann umfassend geständig eingelassen. Dabei hat er keine Angaben gemacht, durch welche die Tat über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus (zum Beispiel hinsichtlich der Hinterleute und Abnehmer) aufgedeckt werden konnte.

III.

Dieser Sachverhalt steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der Einlassung des Angeklagten, sowie aufgrund der ausweislich des Sitzungsprotokolls in die Hauptverhandlung eingeführten Beweismittel.

Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten beruhen auf seinen eigenen Angaben. Die Feststellung, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist, beruht auf der Verlesung des Bundeszentralregisterauszuges vom 13. Oktober 2016 sowie des Auszugs aus dem entsprechenden Register der spanischen Behörden vom 12. Juli 2016.

Der Angeklagte hat den ihm zur Last gelegten Sachverhalt in der Hauptverhandlung glaubhaft so gestanden, wie er festgestellt worden ist. Seine geständige Einlassung wird durch das übrige Ermittlungsergebnis bestätigt und ergänzt. So hat der Zeuge ZAI T1 als Hauptsachbearbeiter anschaulich wiedergegeben, welche Maßnahmen er am Tag der Festnahme und im weiteren Verfahrensverlauf eingeleitet hat, wie die Verbringung des Transitgepäcks in die Sortierhalle des E Flughafens generell von Statten geht und welche Möglichkeiten für Transitpassagiere bestehen, an ihr bereits „durchgechecktes“ Gepäck zu gelangen.

Bezüglich der Kokainverstecke wurden die Angaben des Zeugen ergänzt durch die Inaugenscheinnahme der Lichtbilder auf Bl. 11 ff. der Gerichtsakte, welche das präparierte Gepäckstück und das Drogenversteck zeigen und auf die wegen der Einzelheiten nach § 267 Abs. 1, S. 3 StPO Bezug genommen wird.

Die Ausführungen zur Menge und zum Wirkstoffgehalt der sichergestellten Betäubungsmittel ergeben sich aus dem Wirkstoffgutachten des Bildungs- und Wissenschaftszentrums der Bundesfinanzverwaltung vom 17. August 2016.

Zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten hat die Kammer den Sachverständigen Dr. med. C (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie) angehört. Dieser hat in seinem ausführlichen und wissenschaftlich begründeten nervenärztlichen Gutachten, dem sich die Kammer nach eigener Überprüfung in vollem Umfang angeschlossen hat, ausgeführt, dass eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten i.S.d. § 21 StGB im Tatzeitraum anzunehmen sei. Der Angeklagte weise eine über Jahrzehnte hinweg ausgeprägte Abhängigkeit von Kokain und Heroin auf. Zwar seien die Konsummengen über die Zeit hinweg nicht nennenswert angestiegen. Dies sei jedoch in erster Linie den stets fehlenden Geldmitteln des Angeklagten zuzuschreiben. Unzweifelhaft liege eine verfestigte Suchterkrankung vor, was sich insbesondere daran zeige, dass der Angeklagte trotz mehrfacher Therapiebemühungen nicht in der Lage gewesen sei, seinen Konsum für längere Zeit einzustellen. Der Lebensweg des Angeklagten sei dauerhaft durch Beschaffungs- und Konsumzwang bestimmt. Auch im Tatzeitraum habe der Angeklagte Kokain und Heroin zu sich genommen, wobei der starke Beschaffungszwang sich letztlich handlungsleitend ausgewirkt habe, wie sich auch an der naiven Risikoeinschätzung bezüglich der Gefahren des Drogenschmuggels zeige. Daher sei anzunehmen, dass der Angeklagte bei der Tatbegehung aufgrund seiner Suchterkrankung eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB aufgewiesen habe. Gleichwohl habe er sich nicht in einem derartigen Rausch- oder Zwangszustand befunden, dass er nicht mehr über die Vor- und Nachteile des Kokainschmuggels hätte nachdenken können. Demnach habe er zwar im Zustand erheblich beeinträchtigter Steuerungsfähigkeit gehandelt, obschon Unrechtseinsicht vorhanden und das Steuerungsvermögen nicht vollständig beseitigt gewesen sei.

IV.

Nach dem festgestellten Sachverhalt hat sich der Angeklagte gemäß §§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, 27 Abs. 1 StGB wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit versuchter Durchfuhr von Betäubungsmitteln gem. §§ 29 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 BtMG, 22, 23, 52 StGB strafbar gemacht.

Eine tatbestandsmäßige Einfuhr der Betäubungsmittel i.S.d. § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG liegt indes nicht vor. Voraussetzung dieser Strafbarkeit ist die Verfügungsmacht des Kuriers über die Betäubungsmittel, bzw. über das Behältnis, in dem sie verborgen sind, auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, sowie die entsprechende Kenntnis (siehe etwa BGH, Beschluss vom 25. Juli 2002 – 2 StR 259/02, Rn. 4, zit. nach juris). Vorliegend wusste der Angeklagte nicht um die tatsächlich bestehende Möglichkeit, während des Transits an sein bereits „durchgechecktes“ Gepäck zu gelangen und hatte daher jedenfalls keine Kenntnis von einer Verfügungsmacht über das in der Tasche verborgene Kokain auf deutschem Boden.

V.

Bei der Strafzumessung war die Strafe gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB nach dem Gesetz zu bestimmen, welches die schwerste Strafe androht. Danach war zunächst vom Strafrahmen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG auszugehen, welcher Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünfzehn Jahren vorsieht.

Einen minder schweren Fall gemäß § 29a Abs. 2 BtMG, der einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vorsieht, vermochte die Kammer nicht anzunehmen. Ein solcher liegt nur dann vor, wenn das gesamte Tatbild – einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit – vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in so erheblichem Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens gerechtfertigt erscheint. Bei dieser Beurteilung ist eine Gesamtbetrachtung aller wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände erforderlich, unabhängig davon, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen. Nur nach dem auf diese Weise gewonnenen Gesamteindruck kann entschieden werden, ob der ordentliche Strafrahmen den Besonderheiten des Falles gerecht wird oder zu hart wäre.

Diese Grundsätze führten vorliegend zur Anwendung des Normalstrafrahmens:

Zwar hat sich der in Deutschland nicht vorbestrafte Angeklagte in der Hauptverhandlung umfassend geständig eingelassen. Außerdem war zu berücksichtigen, dass der Angeklagte den Rauschgifthandel nur als Gehilfe unterstützt hat und – im Vergleich zu den voraussichtlichen Gewinnmargen der Hinterleute – auch nur einen geringen finanziellen Vorteil aus seiner risikoreichen Kuriertätigkeit hätte ziehen sollen. Strafmildernd wirkte sich weiter aus, dass die Betäubungsmittel infolge der Sicherstellung ihre sozialschädliche Wirkung nicht zu entfalten vermochten, wenngleich dies nicht das Verdienst des Angeklagten war. Überdies war zu berücksichtigen, dass seine Hemmschwelle zur Begehung der Tat aufgrund seiner aussichtslosen Lebenssituation herabgesetzt war.

Diesen mildernden Umständen stand jedoch zu Lasten des Angeklagten insbesondere das Eigengewicht der Tat gegenüber: Diese bezog sich auf eine sehr große Menge der harten und besonders gefährlichen Droge Kokain in guter Qualität, konkret auf das 349-fache der nach der Rechtsprechung bei 5 Gramm Kokainhydrochlorid anzusetzenden nicht geringen Menge, wobei der Angeklagte hinsichtlich der konkreten Menge und Qualität des transportierten Rauschgifts lediglich mit bedingtem Vorsatz handelte. Zudem ist der Angeklagte mehrfach – wenn auch nicht einschlägig – vorbestraft und hat bereits Haftzeiten in Spanien verbüßt. Überdies hat er tateinheitlich zu der gewichtigen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge noch einen weiteren Straftatbestand verwirklicht, nämlich jenen der versuchten Durchfuhr von Betäubungsmitteln, wobei die Kammer nicht verkennt, dass der Unrechtsgehalt dieser Tat hinter demjenigen der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge deutlich zurückbleibt.

Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung aller Umstände und unter Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit ließ sich daher im Ergebnis eine Abweichung vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle, die eine Anwendung des Ausnahmestrafrahmens des § 29a Abs. 2 BtMG geboten erscheinen ließe, nicht feststellen. Dabei hat die Kammer nicht verkannt, dass bereits das Vorliegen des § 27 StGB alleine oder gemeinsam mit anderen Strafmilderungsgesichtspunkten die Annahme eines minder schweren Falles begründen kann, gelangte aber aus den bereits erörterten Erwägungen dennoch nicht zur Annahme eines solchen.

Da somit der vertypte Strafmilderungsgrund des § 27 StGB noch nicht verbraucht war, hatte die Kammer nach § 27 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 49 Abs. 1 StGB eine Strafrahmenverschiebung vorzunehmen und von einem Strafrahmen von drei Monaten bis elf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe auszugehen. Dieser Strafrahmen war anschließend erneut gem. § 21 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB zu mildern, da der Angeklagte im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit handelte, sodass die Kammer letztlich einen Strafrahmen von einem Monat bis acht Jahre und fünf Monate zu Grunde zu legen hatte.

Bei der konkreten Strafzumessung hat die Kammer Vorleben und Persönlichkeit des Angeklagten, die von ihm begangene Tat sowie nochmals die Strafzumessungstatsachen, die bereits im Rahmen der Prüfung der Frage, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, erörtert worden sind, berücksichtigt und abgewogen. Die Kammer hat ferner berücksichtigt, dass der Angeklagte die Strafhaft als der deutschen Sprache nicht mächtiger Ausländer aller Voraussicht nach als besonders hart empfinden wird. Unter nochmaliger Abwägung auch dieser Tatsachen hat die Kammer die Verhängung einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten für tat- und schuldangemessen erachtet, die einerseits ausreichend, andererseits aber auch erforderlich ist, um dem begangenen Unrecht gerecht zu werden, dieses dem Angeklagten vor Augen zu führen und auf ihn einzuwirken.

VI.

Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB war nicht anzuordnen.

Auch zu dieser Frage hat die Kammer den Sachverständigen Dr. med. C gehört. Dies führte nicht zu der Feststellung, dass alle Voraussetzungen des § 64 StGB in der Person des Angeklagten erfüllt waren. Denn der Sachverständige hat in seinem auch insoweit ausführlichen und wissenschaftlich begründeten Gutachten, dem sich die Kammer wiederum in vollem Umfang angeschlossen hat, ausgeführt, bei dem Angeklagten liege zwar eine langjährige Kokain- und Heroinabhängigkeit vor, die ihn dazu bewege, diese Drogen im Übermaß zu konsumieren. Ohne eine spezifische Therapie sei zudem ein dauerhaftes Abstinenzverhalten schwer zu erzielen, und es bestehe damit die konkrete Gefahr weiterer hangbedingter Betäubungsmittelstraftaten fort. Es fehle jedoch an der erforderlichen Erfolgsaussicht einer Therapie im Maßregelvollzug. Zwar zeige der Angeklagte Problemeinsicht und Therapiebereitschaft. Aufgrund sprachlicher Barrieren sei eine erfolgreiche Therapieteilnahme jedoch nicht zu erwarten. Dementsprechend hat der Angeklagte in der Hauptverhandlung die Erklärung abgegeben, an einer Therapiemaßnahme im Wege des deutschen Maßregelvollzugs definitiv nicht mitzuwirken, da er dieser keine Erfolgsaussichten beimesse. Er beabsichtige vielmehr, eine Entwöhnungstherapie nach der Rückkehr in seine spanische Heimat zu absolvieren. Die Kammer verkennt nicht, dass fehlende sprachliche Fähigkeiten allein die Ablehnung der Maßregel des § 64 StGB nicht rechtfertigen können. Angesichts der endgültigen Weigerung des Angeklagten, an einer Therapie in Deutschland mitzuwirken, misst sie einer Unterbringung gem. § 64 StGB indes keine Erfolgsaussichten bei und sieht daher von einer entsprechenden Anordnung ab.

VII.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 464, 465 Abs. 1 StPO.

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