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Wohnungsdurchsuchung ohne richterliche Anordnung – Verkennung des Richtervorbehalts

AG Tiergarten, Az.: (284b Cs) 274 Js 5378/13 (16/14), Beschluss vom 22.01.2015

In der Strafsache wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz wird der Antrag der Staatsanwaltschaft Berlin vom 14.05.2014 auf Erlass eines Strafbefehls abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

Gründe

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat mit Verfügung vom 14.05.2014 beantragt, gegen den Angeschuldigten einen Strafbefehl zu erlassen. Sie wirft ihm Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und unerlaubten Anbau von Betäubungsmitteln (§§ 1Abs. 1 i.V.m. Anlage I, 3 Abs. 1,29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, 113 Abs. 1, 53 StGB) vor. Dem bisher unbestraften Angeschuldigten wird Folgendes zur Last gelegt:

„Fall 1:

Sie widersetzten sich am 22. Oktober 2013 gegen 20.40 Uhr vor Ihrer Wohnung in … Berlin, …, der Aufforderung der Polizeibeamten POK … und POM …, die Wohnungstür ganz zu öffnen, nachdem aus Ihrer Wohnung ein intensiver Geruch nach Cannabis drang und der Verdacht des unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln entstand, indem Sie die beiden genannten Zeugen mit der linken Hand wegstießen, um Ihre Wohnungstür zu verschließen.

Fall 2:

Sie betrieben am 22. Oktober 2013 gegen 20.40 Uhr in Ihrer Wohnung in …, eine von Ihnen angelegte Aufzuchtanlage mit 4 Cannabispflanzen mit einer Wuchshöhe von 25 bis 45 cm, wobei in insgesamt 46,99 g geerntetem Blattmaterial der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol feststellbar war, ohne hierzu berechtigt zu sein.“

Die Durchsuchung der Wohnung des Angeschuldigten, bei der die Cannabispflanzen sichergestellt wurden, erfolgte ohne Rechtsgrundlage und war daher rechtswidrig. Die Akte enthält bereits keinerlei Angaben der eingesetzten Polizeibeamten dazu, weshalb hier ohne richterliche Anordnung die Wohnung des Angeschuldigten betreten und durchsucht wurde. Denn nach § 105 Abs. 1 StPO darf eine Wohnung grundsätzlich nur aufgrund richterlicher Anordnung durchsucht werden, wozu auch schon das Betreten der Wohnung zu diesem Zweck gehört. Eine richterliche Anordnung lag hier nicht vor. Soweit auf Bl. 14 der Akte im Protokoll (Teil A) unter „Eingriffsermächtigung“ ein Kreuz bei „wegen Gefahr im Verzuge“ gesetzt ist, ist der Akte nicht zu entnehmen, weshalb hier Gefahr im Verzug im Sinne von § 105 Abs. 1 StPO vorgelegen haben soll. Weder haben hierzu die eingesetzten Polizeibeamten im Ermittlungsvorgang irgendwelche Angaben gemacht noch liegt dies auf der Hand. Insbesondere erlaubte der Umstand, dass es beim spaltweiten Öffnen der Wohnungstür durch den Angeschuldigten aus der Wohnung nach Cannabis gerochen haben soll und der Angeschuldigte sofort die Tür wieder zu schließen versucht haben soll, nicht ohne Weiteres das sofortige gewaltsame Eindringen in die Wohnung, ohne zumindest versucht zu haben, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen.

Unabhängig von der Frage, ob das offensichtlich recht massive Vorgehen der Polizeibeamten im angemessenen Verhältnis zu der damaligen Verdachtslage stand, ergibt sich nicht aus der Akte, weshalb es nicht möglich gewesen sein soll, zunächst Rücksprache mit dem zuständigen Bereitschaftsstaatsanwalt bzw. Bereitschaftsrichter zu nehmen, um die weitere Vorgehensweise abzuklären. Dies gilt hier auch im Hinblick auf die recht geringe Aussagekraft der Wahrnehmung des Geruchs von Cannabis, die laut OLG Hamburg (StV 2008, 12; so auch LG Hamburg StRR 2009, 402 – nach juris -) eine richterliche Anordnung der Wohnungsdurchsuchung ohne konkrete – hier fehlende – Hinweise auf das Vorliegen einer größeren Drogenmenge nicht ohne Weiteres erlauben würde. Zudem sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Angeschuldigte im Begriff war, das Cannabis aus der Wohnung fortzuschaffen oder zu beseitigen. Auch fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass an einem Wochentag um 20.40 Uhr kein Richter zu erreichen gewesen wäre. Das Gegenteil ist erfahrungsgemäß der Fall. Da mithin weder ein Beweismittelverlust drohte, noch ein Richter nicht erreichbar war, durften die Beamten ohne eine richterliche Anordnung die Wohnung des Angeschuldigten nicht durchsuchen.

Die im Zuge der rechtswidrigen Durchsuchung sichergestellten Beweismittel sind nicht verwertbar. Nach aktueller Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann eine bewusste Missachtung oder gleichgewichtig grobe Verkennung des für Wohnungsdurchsuchungen bestehenden Richtervorbehalts die Annahme eines Verbots der Verwertung bei der Durchsuchung gewonnener Beweismittel rechtfertigen (BGH StV 2007, 337). Nach dem oben Gesagten liegt hier mindestens eine grobe Verkennung des Richtervorbehaltes vor. Es ist nicht erkennbar, dass die Polizeibeamten wenigstens ansatzweise versucht hätten, vor der Durchsuchung fernmündlich einen Staatsanwalt oder einen Richter zu erreichen. Die Annahme der (mindestens) groben Verkennung des Richtervorbehaltes führt bei der im Einzelfall vorzunehmenden Güteabwägung zu der Annahme eines Beweisverwertungsverbotes. Das durch das BtMG geschützte Rechtsgut der Volksgesundheit wird durch die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes nicht vernachlässigt. Denn das sichergestellte Rauschgift unterliegt gemäß § 33 Abs. 2 BtMG in Verbindung mit § 76a StGB der Einziehung. Demgegenüber würde durch die Duldung grober Missachtungen des Richtervorbehaltes ein Ansporn entstehen, die Ermittlungen ohne Ermittlungsrichter einfacher und möglicherweise erfolgversprechender zu gestalten. Damit würde der Richtervorbehalt letztlich sinnlos werden (vgl. auch Beschluss des AG Tiergarten vom 19.09.2007 – [267] 1 Op Js 432/07 [38/07] –).

Aufgrund der Rechtswidrigkeit des Betretens und der Durchsuchung der Wohnung hat sich der Angeschuldigte gemäß § 113 Abs. 3 StGB auch nicht wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte strafbar gemacht.

Der Erlass des beantragten Strafbefehls war mithin insgesamt aus rechtlichen Gründen abzulehnen.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.

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