Ein Fahrgast nutzte die U-Bahn, hatte aber seinen bezahlten Zeitfahrschein vergessen und wurde der Leistungserschleichung bezichtigt. Das Bayerische Oberste Landesgericht musste klären, ob der bloße Verlust der physischen Karte einen tatsächlichen Vermögensschaden darstellt.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Fahrkarte vergessen: Ist das strafbares Schwarzfahren?
- Warum wurde ein Mann trotz gültiger Zeitkarte verurteilt?
- Was ist eine Leistungserschleichung nach § 265a StGB?
- Warum ist eine vergessene Fahrkarte kein Vermögensschaden?
- Was bedeutet der Freispruch für Fahrgäste?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Ist das Vergessen einer bereits bezahlten Monatskarte strafbares Schwarzfahren?
- Warum liegt beim vergessenen Ticket kein strafrechtlicher Vermögensschaden vor?
- Muss ich ein erhöhtes Beförderungsentgelt zahlen, wenn ich meine Zeitkarte vergessen habe?
- Reicht die abstrakte Gefahr der Parallelnutzung für eine Verurteilung wegen Schwarzfahrens aus?
- Wer zahlt die Anwalts- und Gerichtskosten nach einem Freispruch wegen vergessener Fahrkarte?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 205 StRR 2332/19 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
- Datum: 27.05.2020
- Aktenzeichen: 205 StRR 2332/19
- Verfahren: Revisionsverfahren (Beschluss)
- Rechtsbereiche: Strafrecht, Beförderungsrecht, Vermögensdelikte
- Das Problem: Ein Fahrgast wurde in Vorinstanzen verurteilt, weil er bei der Fahrt seine bereits bezahlte, übertragbare Zeitkarte nicht dabei hatte. Er hatte auch keinen zusätzlichen Fahrschein gelöst.
- Die Rechtsfrage: Ist das Fahren ohne physisch mitgeführten Fahrschein eine strafbare Leistungserschleichung, wenn die Fahrt bereits bezahlt war? Entsteht ein Schaden, weil die vergessene, übertragbare Karte theoretisch von Dritten genutzt werden könnte?
- Die Antwort: Nein. Die Fahrt war durch den Kauf der Zeitkarte bereits bezahlt. Ein Vermögensschaden des Verkehrsunternehmens lag daher nicht vor. Die bloße Möglichkeit der Parallelnutzung durch Dritte genügt für eine Verurteilung nicht.
- Die Bedeutung: Der Verstoß gegen die vertragliche Pflicht, den Fahrschein mitzuführen, ist kein Strafdelikt. Eine Verurteilung wegen Leistungserschleichung setzt den Nachweis eines tatsächlichen, nicht bezahlten Vermögensschadens voraus.
Fahrkarte vergessen: Ist das strafbares Schwarzfahren?
Wer kennt es nicht? Die U-Bahn fährt ein, man greift in die Tasche – und der Geldbeutel mit der Monatskarte liegt zu Hause auf dem Küchentisch.

Ein ärgerlicher, aber alltäglicher Moment. Doch kann aus diesem Vergessen ein Strafverfahren wegen Erschleichens von Leistungen werden? Genau diese Frage musste das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) in einem Beschluss vom 27. Mai 2020 klären (Az. 205 StRR 2332/19). Der Fall eines Mannes, der trotz einer gültigen, aber nicht mitgeführten Zeitkarte zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, landete in letzter Instanz bei den höchsten Richtern Bayerns und führte zu einer grundlegenden Klärung, die für Tausende von Pendlern von Bedeutung ist.
Warum wurde ein Mann trotz gültiger Zeitkarte verurteilt?
Die Antwort auf diese Frage liegt in der Kette der Ereignisse, die einen Fahrgast durch zwei Gerichtsinstanzen führten, bevor er schließlich freigesprochen wurde. Der Mann nutzte in drei dokumentierten Fällen die Verkehrsmittel der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), ohne bei den Kontrollen einen Fahrschein vorzeigen zu können. Das Besondere an seinem Fall war jedoch, dass er zu jedem dieser Zeitpunkte im Besitz einer gültigen, nicht personalisierten und somit übertragbaren Zeitkarte war. Er hatte sie nur nicht bei sich.
Die Beförderungsbedingungen der MVG sehen für einen solchen Fall eine klare Regelung vor: Wer seine Zeitkarte nicht mitführt, ist verpflichtet, für die jeweilige Fahrt einen neuen Einzelfahrschein zu lösen. Da der Mann dies nicht tat, sah das Amtsgericht München den Tatbestand des Erschleichens von Leistungen als erfüllt an. Es verurteilte ihn wegen drei solcher Taten zu einer Gesamtgeldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 30 Euro, also insgesamt 600 Euro. Der Mann legte Berufung ein, doch auch das Landgericht München I verwarf diese und bestätigte das Urteil der Vorinstanz.
Die Argumentation der Staatsanwaltschaft und der Gerichte stützte sich auf einen entscheidenden Punkt: die Übertragbarkeit der Zeitkarte. Weil die Karte nicht an eine Person gebunden war, argumentierten sie, hätte rein theoretisch eine andere Person die Karte zur selben Zeit an einem anderen Ort nutzen können. Durch das Fahren ohne die Karte habe der Mann dem Verkehrsunternehmen die Kontrollmöglichkeit genommen und die Gefahr eines Vermögensschadens geschaffen. Diese abstrakte Möglichkeit einer Parallelnutzung reichte den ersten beiden Instanzen aus, um von einer strafbaren Handlung auszugehen. Der Fall landete schließlich durch die Revision des Angeklagten vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht, das die Angelegenheit aus einem grundlegend anderen Blickwinkel betrachtete.
Was ist eine Leistungserschleichung nach § 265a StGB?
Eine Leistungserschleichung nach § 265a Strafgesetzbuch (StGB) liegt vor, wenn jemand die Leistung eines Automaten oder eines öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationsnetzes oder die Beförderung durch ein Verkehrsmittel oder den Zutritt zu einer Veranstaltung oder einer Einrichtung in der Absicht erschleicht, das Entgelt dafür nicht zu entrichten. Entscheidend ist, dass es sich hierbei um ein sogenanntes Vermögensdelikt handelt. Das Gesetz schützt nicht die Einhaltung von Vertragsbedingungen oder die Hausordnung eines Verkehrsbetriebs, sondern ausschließlich dessen Vermögen.
Für eine Verurteilung wegen „Schwarzfahrens“ im strafrechtlichen Sinne müssen daher zwei zentrale Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens muss der Täter die Absicht haben, für die Fahrt nicht zu bezahlen. Er muss also vorsätzlich handeln, um die Leistung gratis zu erhalten. Zweitens – und das war im vorliegenden Fall der Knackpunkt – muss dem Unternehmen ein tatsächlicher Vermögensschaden entstanden sein. Das bedeutet, die erbrachte Leistung, also die Beförderung, darf nicht bezahlt worden sein. Wenn die Fahrt bereits durch einen im Voraus bezahlten Fahrschein abgedeckt ist, fehlt es an einem solchen Schaden. Der Verstoß gegen eine vertragliche Pflicht, wie das Mitführen des Tickets, ist für sich genommen noch kein strafrechtlich relevanter Schaden.
Warum ist eine vergessene Fahrkarte kein Vermögensschaden?
Das Bayerische Oberste Landesgericht hob das Urteil des Landgerichts auf und sprach den Angeklagten frei. Die Richter kamen zu dem Schluss, dass die Feststellungen der Vorinstanzen nicht ausreichten, um einen strafrechtlich relevanten Vermögensschaden zu begründen. Die Analyse des Gerichts folgte einer klaren juristischen Logik, die den Unterschied zwischen einem Vertragsbruch und einer Straftat herausarbeitete.
War die Fahrt wirklich unbezahlt?
Der Senat stellte zunächst die grundlegendste Frage: Hatte der Angeklagte für die Fahrten bezahlt oder nicht? Die Antwort war eindeutig. Durch den Erwerb der übertragbaren Zeitkarte hatte er sich das Recht erkauft, die Verkehrsmittel der MVG für einen bestimmten Zeitraum zu nutzen. Seine Fahrten waren also durch eine bereits erbrachte Zahlung vollständig abgedeckt. Das Gericht sah die vertragliche Pflicht, die Karte bei sich zu führen, primär als eine Obliegenheit zur Beweiserleichterung für das Verkehrsunternehmen. Ein Verstoß gegen diese Regelung mag zivilrechtliche Konsequenzen haben, etwa ein erhöhtes Beförderungsentgelt, aber er verwandelt eine bezahlte Fahrt nicht rückwirkend in eine unbezahlte und somit strafbare Leistung.
Die Theorie der Parallelnutzung
Das Kernargument der Staatsanwaltschaft und der Vorinstanzen war die theoretische Möglichkeit, dass eine andere Person die übertragbare Karte zur selben Zeit hätte nutzen können. Hätte der Angeklagte die Karte beispielsweise einem Freund gegeben und wäre selbst ohne Ticket gefahren, wäre der MVG tatsächlich ein Schaden entstanden, da zwei Personen zum Preis von einer gefahren wären. Die Vorinstanzen meinten, allein die abstrakte Gefahr dieser Parallelnutzung reiche für eine Verurteilung aus.
Warum eine bloße Gefahr nicht reicht
Genau hier setzte das BayObLG den entscheidenden juristischen Hebel an. Die Richter machten deutlich, dass im deutschen Strafrecht eine bloße, Abstrakte Vermögensgefährdung nicht ausreicht, um den Tatbestand eines Vermögensdelikts wie § 265a StGB zu erfüllen. Unter Berufung auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Az. 2 BvR 2500/09) und des Bundesgerichtshofs (Az. 5 StR 181/06) stellten sie klar, dass ein Vermögensschaden konkret und mit hoher Wahrscheinlichkeit eingetreten oder zu erwarten sein muss. Eine rein theoretische und spekulative Möglichkeit, wie die unterstellte Parallelnutzung, genügt diesen Anforderungen nicht. Der Senat erklärte, dass eine solche Annahme einer Umkehr der Beweislast gleichkäme.
Unschuldsvermutung gegen Vertragsbruch
Das Gericht wog die Argumente ab und kam zu einem klaren Ergebnis: Der fundamentalen Unschuldsvermutung im Strafrecht kommt ein höheres Gewicht zu als der Einhaltung einer vertraglichen Nebenpflicht. Es kann nicht die Aufgabe des Angeklagten sein zu beweisen, dass niemand anderes seine Karte zur Tatzeit benutzt hat. Stattdessen hätte die Staatsanwaltschaft den positiven Nachweis führen müssen, dass eine solche Parallelnutzung tatsächlich stattgefunden hat. Da es keinerlei Anhaltspunkte oder gar Feststellungen zu einer solchen doppelten Nutzung gab, fehlte es an der Grundlage für einen Vermögensschaden. Ohne einen realen Schaden gibt es keine Straftat nach § 265a StGB. Das Gericht befand, dass auch eine erneute Verhandlung keine neuen Erkenntnisse zu diesem Punkt erbringen würde und entschied sich daher für einen direkten Freispruch.
Was bedeutet der Freispruch für Fahrgäste?
Mit dem Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts ist die Rechtslage für einen häufigen Alltagsfall präzisiert worden. Es steht fest, dass das bloße Vergessen einer bereits bezahlten, auch einer übertragbaren Zeitkarte, für sich allein noch keine strafbare Leistungserschleichung darstellt. Ein Verstoß gegen die vertragliche Mitführpflicht ist eine zivilrechtliche Angelegenheit zwischen Fahrgast und Verkehrsunternehmen, die in der Regel zur Zahlung eines erhöhten Beförderungsentgelts führt, aber nicht automatisch eine Strafanzeige rechtfertigt.
Die Entscheidung hat zur Folge, dass das Urteil des Landgerichts München I aufgehoben und der Angeklagte freigesprochen wurde. Gemäß § 467 Abs. 1 der Strafprozessordnung hat die Staatskasse die gesamten Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen. Für Fahrgäste bedeutet dies Rechtssicherheit: Solange nicht konkret nachgewiesen wird, dass eine übertragbare Karte missbräuchlich zur selben Zeit von einer zweiten Person genutzt wurde, kann das Vergessen des Tickets nicht als Straftat gewertet werden.
Die Urteilslogik
Die juristische Qualifikation des „Schwarzfahrens“ setzt stets einen konkreten Vermögensschaden voraus, weshalb die bloße Verletzung der vertraglichen Mitführpflicht einer bezahlten Zeitkarte keine Straftat darstellt.
- Bezahlte Leistung schließt strafbaren Schaden aus: Wer eine Beförderungsleistung durch den vorherigen Kauf einer Zeitkarte bereits bezahlt hat, begründet selbst bei deren Vergessen keinen Vermögensschaden im Sinne der Leistungserschleichung (§ 265a StGB).
- Die bloße Gefahr erfüllt den Straftatbestand nicht: Die abstrakte oder spekulative Möglichkeit einer Parallelnutzung einer übertragbaren Fahrkarte genügt nicht, um den erforderlichen konkreten Nachweis eines Vermögensschadens zu führen.
- Vertragsbruch ist keine Straftat: Ein Verstoß gegen die vertragliche Obliegenheit, einen Fahrschein vorzuzeigen, löst maximal zivilrechtliche Konsequenzen, wie die Forderung eines erhöhten Beförderungsentgelts, aus, führt jedoch nicht zur automatischen Strafbarkeit.
Das Strafrecht schützt ausschließlich das Vermögen des Unternehmens und verlangt für eine Verurteilung den positiven Nachweis, dass der Täter die Leistung tatsächlich unentgeltlich in Anspruch nehmen wollte.
Benötigen Sie Hilfe?
Wurde Ihnen Leistungserschleichung vorgeworfen, obwohl die Fahrt bereits bezahlt war? Lassen Sie uns Ihren Fall prüfen und erhalten Sie eine professionelle Ersteinschätzung Ihrer Verteidigungsmöglichkeiten.
Experten Kommentar
Wer seine bereits bezahlte Zeitkarte vergisst, begeht einen Verstoß gegen die Beförderungsbedingungen, aber er klaut die Leistung nicht – das ist der Kerngedanke dieses Urteils. Die Entscheidung zieht eine klare rote Linie zwischen einem zivilrechtlichen Vertragsbruch und einer Straftat, die unser Vermögensstrafrecht schützen soll. Selbst bei übertragbaren Tickets reicht die bloße theoretische Gefahr einer doppelten Nutzung nicht aus, um einen strafrechtlich relevanten Schaden zu belegen. Die Richter haben klargestellt: Für eine Verurteilung wegen Leistungserschleichung muss die Staatsanwaltschaft einen echten, bewiesenen Vermögensverlust nachweisen. Damit werden tausende Pendler vor einer unnötigen Kriminalisierung wegen eines simplen Alltagsfehlers geschützt.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Ist das Vergessen einer bereits bezahlten Monatskarte strafbares Schwarzfahren?
Nein, das bloße Vergessen einer bezahlten Zeitkarte stellt keine strafbare Leistungserschleichung nach § 265a StGB dar. Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) hat diese Rechtslage 2020 klar bestätigt. Sie müssen keine Angst vor einer strafrechtlichen Verfolgung haben, denn für eine Straftat fehlen sowohl der entscheidende Vermögensschaden als auch der notwendige Vorsatz.
Für eine Verurteilung wegen Leistungserschleichung müssen Sie die Absicht gehabt haben, die Leistung gratis zu erhalten. Bei einem vergessenen Ticket liegt aber nur ein Flüchtigkeitsfehler vor, nicht jedoch die Absicht, die Beförderung nicht bezahlen zu wollen. Die Fahrt war durch den Erwerb der Zeitkarte bereits vollständig abgedeckt. Da die Zahlung erbracht wurde, ist dem Verkehrsunternehmen kein relevanter Vermögensschaden entstanden.
Ihr Verstoß betrifft lediglich die vertragliche Pflicht, den Fahrschein bei sich zu führen. Dies ist eine rein zivilrechtliche Angelegenheit, die zur Zahlung eines erhöhten Beförderungsentgelts führen kann. Akzeptieren Sie niemals vorschnell einen Strafbefehl, der auf der Annahme basiert, Sie hätten die Leistung nicht bezahlen wollen, nur weil die Karte fehlte.
Suchen Sie umgehend die vergessene Fahrkarte und bewahren Sie den Kaufbeleg als Beweis für die bereits geleistete Zahlung auf, um dies im Falle einer Anzeige vorzulegen.
Warum liegt beim vergessenen Ticket kein strafrechtlicher Vermögensschaden vor?
Der entscheidende Unterschied liegt in der Natur des Delikts. Die Leistungserschleichung (§ 265a StGB) ist ein reines Vermögensdelikt. Ein strafrechtlicher Schaden setzt voraus, dass die Beförderungsleistung tatsächlich unbezahlt blieb und das Unternehmen einen wirtschaftlichen Verlust erlitt. Da Sie Ihre Zeitkarte im Voraus erworben haben, war die Fahrt durch die bereits geleistete Zahlung vollständig beglichen. Das Verkehrsunternehmen hat somit sein Geld für die Nutzung erhalten.
Das Gesetz schützt das Vermögen des Unternehmens und nicht die vertragliche Einhaltung von Nebenpflichten. Die Pflicht, das Ticket während der Fahrt mitzuführen, dient den Verkehrsbetrieben primär zur Beweiserleichterung bei Kontrollen. Ein Verstoß gegen diese Obliegenheit löst zwar zivilrechtliche Folgen aus, wie das erhöhte Beförderungsentgelt, begründet aber keinen strafrechtlich relevanten Schaden. Gerichte müssen prüfen, ob das Vermögen des Unternehmens objektiv gemindert wurde, was bei einem bereits bezahlten Ticket nicht der Fall ist.
Nur wenn Sie von Anfang an die Absicht hatten, die Leistung gratis zu nutzen, liegt der nötige strafrechtliche Vorsatz vor. Bei einem reinen Vergessensfall scheitert die Strafbarkeit am fehlenden Vermögensschaden. Selbst bei übertragbaren Zeitkarten genügt die bloße abstrakte Gefahr einer möglichen Parallelnutzung nicht. Das Bayerische Oberste Landesgericht stellte klar: Im Strafrecht muss ein Schaden konkret nachgewiesen werden; eine spekulative Vermutung reicht dafür nicht aus.
Unterscheiden Sie daher klar zwischen der zivilrechtlichen Forderung der Verkehrsbetriebe und einer strafrechtlichen Anzeige und fordern Sie bei einer Strafverfolgung den Nachweis des tatsächlich eingetretenen Schadens.
Muss ich ein erhöhtes Beförderungsentgelt zahlen, wenn ich meine Zeitkarte vergessen habe?
Ja, der Freispruch in einem Strafverfahren wegen Leistungserschleichung ändert nichts an Ihren zivilrechtlichen Pflichten. Obwohl das bloße Vergessen des Tickets keine Straftat ist, haben Sie damit gegen die geltenden Beförderungsbedingungen verstoßen. Die Verkehrsunternehmen dürfen deshalb die Zahlung eines erhöhten Beförderungsentgelts (EBE) fordern. Dies stellt lediglich eine vertraglich vereinbarte Vertragsstrafe dar, die keine strafrechtliche Relevanz besitzt.
Der Kauf Ihrer Zeitkarte begründet einen Beförderungsvertrag mit dem Verkehrsbetrieb, in dem Sie die Mitführpflicht akzeptieren. Wenn Fahrgäste das Ticket bei einer Kontrolle nicht vorzeigen können, verstoßen sie gegen diese vertragliche Obliegenheit. Das EBE dient dazu, den zusätzlichen Verwaltungsaufwand des Unternehmens und die Kosten für die Beweissicherung abzudecken. Im Gegensatz zur strafrechtlichen Leistungserschleichung (§ 265a StGB) fehlt hier der Vorsatz, die Leistung gratis zu erhalten.
Konkret beläuft sich das erhöhte Beförderungsentgelt meist auf 60 Euro. Viele Verkehrsverbünde bieten eine Reduzierung dieses Betrages an, wenn Sie die Gültigkeit Ihres Fahrscheins nachträglich belegen. Wichtig ist, dass diese Zahlung keine gerichtliche Geldstrafe ist und somit keine Auswirkungen auf Ihr polizeiliches Führungszeugnis hat. Sie begleichen lediglich eine private Forderung aus dem geschlossenen Beförderungsvertrag.
Überprüfen Sie die Fristen Ihres Verkehrsverbundes, oft 7 bis 14 Tage, um die reduzierte Bearbeitungsgebühr nutzen zu können.
Reicht die abstrakte Gefahr der Parallelnutzung für eine Verurteilung wegen Schwarzfahrens aus?
Nein, die bloße Möglichkeit der doppelten Nutzung einer übertragbaren Fahrkarte reicht nicht für eine strafrechtliche Verurteilung aus. Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) stellte klar, dass im deutschen Strafrecht eine abstrakte Vermögensgefährdung keinen Vermögensschaden im Sinne der Leistungserschleichung darstellt. Für eine Straftat nach § 265a StGB muss ein konkreter Schaden nachgewiesen werden. Die Annahme einer theoretischen Parallelnutzung genügt hierfür nicht.
Der Grund für diese strenge Anforderung liegt in der Natur der Vermögensdelikte. Das Gesetz schützt ausschließlich das tatsächliche Vermögen des Verkehrsunternehmens, nicht die Einhaltung vertraglicher Nebenpflichten. Frühere Instanzen argumentierten im sogenannten Münchner Fall fälschlicherweise, die theoretische Gefahr der doppelten Nutzung genüge als strafbares Element. Das BayObLG wies diese Argumentation zurück. Ein Vermögensschaden muss konkret feststehen oder zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, was bei einer bloßen Möglichkeit nicht der Fall ist.
Für die strafrechtliche Verfolgung bedeutet das eine klare Regelung der Beweislast: Die Anklage muss den positiven Nachweis erbringen, dass tatsächlich eine zweite Person die Karte zur Tatzeit nutzte. Es ist eine unzulässige Umkehr der Beweislast, wenn der Angeklagte beweisen müsste, dass niemand anders seine Karte verwendet hat. Die reine Spekulation über einen möglichen Missbrauch erfüllt den Tatbestand der Leistungserschleichung nicht.
Sollten Sie wegen theoretischer Parallelnutzung angeklagt werden, fordern Sie unter Berufung auf das BayObLG-Urteil (Az. 205 StRR 2332/19) konkrete Beweise für die tatsächliche Doppelnutzung.
Wer zahlt die Anwalts- und Gerichtskosten nach einem Freispruch wegen vergessener Fahrkarte?
Wenn ein Strafverfahren wegen vergessener Fahrkarte mit einem Freispruch endet, stellt sich sofort die Frage der finanziellen Entlastung. Fahrgäste, die fälschlicherweise wegen Leistungserschleichung angeklagt wurden, müssen sich keine Sorgen um die Prozesskosten machen. Nach einem erfolgreichen Abschluss trägt die Staatskasse alle Kosten. Dies ist in der Strafprozessordnung (StPO) klar geregelt und lindert die finanzielle Belastung nach dem oft nervenaufreibenden Verfahren.
Der Gesetzgeber folgt dem Grundsatz, dass Unschuldige nicht für die Kosten eines staatlichen Verfahrens aufkommen sollen. Gemäß § 467 Abs. 1 StPO übernimmt die Staatskasse nach einem Freispruch die gesamten Kosten des Verfahrens. Diese Regelung umfasst nicht nur die reinen Gerichtskosten, sondern auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten. Dazu zählen insbesondere die Gebühren für den eigenen Anwalt, völlig unabhängig davon, ob es sich um einen Pflicht- oder Wahlverteidiger handelte. Die Staatskasse muss zudem die Kosten für vorangegangene Instanzen erstatten, die erst zum Freispruch in der höheren Instanz geführt haben.
Vermeiden Sie es dringend, einen Deal wie eine Einstellung gegen eine Auflage, beispielsweise eine Geldzahlung, anzunehmen, um das Verfahren abzukürzen. Bei einer Einstellung ohne Freispruch müssten Sie Ihre Anwaltskosten häufig selbst tragen. Nur der vollständige Freispruch wegen der fehlenden Straftat bewirkt die volle Übernahme der finanziellen Last. Der wegweisende Münchner Fall zeigte diese Konsequenz: Nachdem der Angeklagte in letzter Instanz den Freispruch erhielt, musste die Staatskasse sämtliche Kosten der drei Instanzen begleichen.
Bewahren Sie alle Rechnungen und Quittungen Ihres Rechtsanwalts sowie für Fahrtkosten auf, um diese nach Rechtskraft des Freispruchs bei der zuständigen Justizverwaltung zur Erstattung einzureichen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Abstrakte Vermögensgefährdung
Als Abstrakte Vermögensgefährdung bezeichnen Juristen die theoretische Möglichkeit, dass einem Unternehmen oder einer Person irgendwann ein Schaden entstehen könnte, ohne dass dieser Verlust bereits konkret feststeht.
Dieses Prinzip beschreibt lediglich eine entfernte Gefahr und reicht im deutschen Strafrecht in der Regel nicht aus, um den Tatbestand eines Vermögensdelikts zu erfüllen. Das Gesetz verlangt stattdessen einen konkreten, tatsächlich eingetretenen oder hochwahrscheinlichen Schaden.
Beispiel: Das Bayerische Oberste Landesgericht wies die Argumentation zurück, dass die bloße Abstrakte Vermögensgefährdung durch die theoretische Möglichkeit der Parallelnutzung für eine Verurteilung wegen Leistungserschleichung ausreichen würde.
Erhöhtes Beförderungsentgelt (EBE)
Das Erhöhte Beförderungsentgelt ist eine im Beförderungsvertrag vereinbarte vertragliche Strafe, die Verkehrsunternehmen verlangen dürfen, wenn Reisende ohne ein gültiges Ticket oder einen Nachweis gegen die Beförderungsbedingungen verstoßen.
Dieses Entgelt stellt eine zivilrechtliche Forderung dar, die den zusätzlichen Verwaltungsaufwand der Kontrolle und späteren Ticketüberprüfung abdecken soll, und ist explizit keine gerichtliche Geldstrafe.
Beispiel: Obwohl der Angeklagte im Strafverfahren freigesprochen wurde, hätte er dennoch das Erhöhte Beförderungsentgelt zahlen müssen, weil er gegen die vertragliche Obliegenheit zum Mitführen der Zeitkarte verstoßen hatte.
Leistungserschleichung (§ 265a StGB)
Leistungserschleichung beschreibt eine Straftat, bei der jemand die Beförderungsleistung eines Verkehrsunternehmens nutzt in der bewussten Absicht, das fällige Entgelt dafür nicht zu zahlen.
Dieser Straftatbestand schützt ausschließlich das Vermögen von Dienstleistern vor Tätern, die vorsätzlich versuchen, Leistungen gratis zu nutzen, weshalb zwingend ein Vorsatz und ein tatsächlicher Vermögensschaden vorliegen müssen.
Beispiel: Im Münchner Fall scheiterte die Verurteilung an der Leistungserschleichung, da die Fahrt durch den bereits bezahlten Erwerb der Zeitkarte vollständig abgedeckt war.
Obliegenheit
Eine Obliegenheit ist eine vertragliche Pflicht, die keine aktive Leistung darstellt, aber deren Einhaltung für den eigenen Vorteil oder die Beweiserleichterung des Vertragspartners wichtig ist.
Wer eine Obliegenheit verletzt, wird nicht schadensersatzpflichtig, riskiert aber Nachteile, weil die Erfüllung des Vertrages für den Geschäftspartner schwieriger wird.
Beispiel: Die Pflicht des Fahrgastes, die Zeitkarte bei sich zu führen, ist eine vertragliche Obliegenheit zur Beweiserleichterung der MVG, deren Verstoß zivilrechtliche, aber keine strafrechtliche Folgen nach sich zieht.
Staatskasse (§ 467 Abs. 1 StPO)
Die Staatskasse ist die öffentliche Kasse, die nach klaren Regeln der Strafprozessordnung (§ 467 Abs. 1 StPO) die gesamten Verfahrenskosten tragen muss, wenn ein Angeklagter in einem Strafprozess vollständig freigesprochen wird.
Diese Regelung stellt sicher, dass unschuldige Bürger nicht für die finanziellen Folgen einer staatlichen Strafverfolgung aufkommen müssen; die Kasse übernimmt sowohl die Gerichtskosten als auch die notwendigen Anwaltsauslagen des Freigesprochenen.
Beispiel: Nach dem Freispruch des Angeklagten durch das Bayerische Oberste Landesgericht musste die Staatskasse sämtliche Anwalts- und Gerichtskosten des gesamten dreistufigen Verfahrens begleichen.
Vermögensschaden
Ein Vermögensschaden liegt immer dann vor, wenn das tatsächliche Vermögen einer Person oder eines Unternehmens durch eine rechtswidrige Handlung objektiv gemindert wurde.
Im Strafrecht muss dieser Schaden konkret und beweisbar sein, da das Gesetz ausschließlich den wirtschaftlichen Verlust schützt und nicht die Missachtung vertraglicher Nebenpflichten.
Beispiel: Das Gericht kam zu dem Schluss, dass bei einer bereits im Voraus bezahlten Zeitkarte dem Verkehrsunternehmen kein konkreter Vermögensschaden entstanden war, selbst wenn die Karte vergessen wurde.
Das vorliegende Urteil
BayObLG – Az.: 205 StRR 2332/19 – Beschluss vom 27.05.2020
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