Wann macht man sich durch Unterlassen strafbar?
Die meisten Menschen gehen davon aus, dass sie für eine Straftat eine aktive Handlung begehen müssen. Dies ist jedoch ein sehr weit verbreiteter Irrtum, denn das Strafrecht kennt auch die Strafbarkeit des Unterlassens. Dies bedeutet, dass auch passive Menschen sich strafbar machen können, allerdings ist den wenigsten Menschen der genaue Hintergrund der Strafbarkeit des Unterlassens bekannt.
Ein hervorragendes Beispiel für eine Straftat durch Unterlassen ist die unterlassene Hilfeleistung. Befindet sich eine Person in einer akut lebensgefährlichen Notsituation und eine andere Person unterlässt die Rettungshandlung, obwohl sie dazu in der Lage gewesen wäre, so ist die Strafbarkeit des Unterlassens gegeben.
Die rechtliche Grundlage
Die Strafbarkeit eines Handelns oder einer Unterlassung findet ihre rechtliche Grundlage in dem Strafgesetzbuch (StGB). In den meisten Paragrafen dieses Gesetzbuches wird eine aktive Handlung eines Täters für eine Straftat vorausgesetzt. Es gibt jedoch auch Fallkonstellationen, in denen eine pflichtwidrige Unterlassung einen Straftatbestand darstellen kann. Rechtlich betrachtet kann eine passive Person dann zu einem aktiven Täter werden, wenn die passive Person es unterlässt, einen tatbestandlichen Erfolg von dem Opfer abzuwenden. Unterschieden werden muss in diesem Zusammenhang jedoch zwischen dem sogenannten echten und dem unechten Unterlassungsdelikt.
Als echte Unterlassungsdelikte werden diejenigen Fallsituationen definiert, bei denen eine Person kraft Gesetzes zu einer ganz bestimmten Handlung verpflichtet gewesen wäre. Der § 323c Absatz 1 StGB kommt in der gängigen Praxis hierfür am häufigsten in Betracht, da in diesem Paragrafen die unterlassene Hilfeleistung als Straftatbestand definiert wird. Hierbei gilt jedoch die Einschränkung, dass die Hilfeleistung sowohl möglich als auch zumutbar gewesen sein muss.
Als unechte Unterlassungsdelikte werden diejenigen Fallsituationen definiert, in denen aus einem Begehungsdelikt gem. § 13 StGB ein unechtes Unterlassungsdelikt wird. Ein sehr gutes Beispiel hierfür ist eine Person, die eine hilfsbedürftige bzw. pflegebedürftige Person verhungern lässt.
Gerade bei den unechten Unterlassungsdelikten muss jedoch nochmals zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit unterschieden werden. Für ein vorsätzliches unechtes Unterlassungsdelikt ist es zwingend erforderlich, dass die Voraussetzungen des § 13 Absatz 1 StGB vorliegen.
Die wichtigste Voraussetzung des § 13 Absatz 1 StGB ist, dass diejenige Person, die eine Tat unterlassen hat, dafür auch rechtlich einzustehen hat. Überdies muss auch zwingend ein tatbestandlicher Erfolg eingetreten sein. Eine weitere wichtige Voraussetzung für die Strafbarkeit des Unterlassens ist der Umstand, dass die passiv gebliebene Person sowohl Rettungshandlungen als auch Verhinderungshandlungen gegenüber einer Person in einer akuten Notlage unterlassen hat. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die für die Abwendung des tatbestandlichen Erfolges erforderlichen Handlungen von der passiv gebliebenen Person auch hätten physisch sowie auch psychisch durchgeführt werden können.
Wird einer passiv gebliebenen Person aufgrund einer räumlichen Entfernung oder aufgrund von fehlenden Fähigkeiten die Rettungs- oder Verhinderungshandlung unmöglich, so liegt keine Strafbarkeit des Unterlassens vor.
Rechtlich betrachtet ist ebenfalls die sogenannte Quasi-Kausalität sowie die objektive Zurechnung zu berücksichtigen. Für unechte Unterlassungsdelikte ist es für die Strafbarkeit des Unterlassung eine wichtige Voraussetzung, dass der Täter den tatbestandlichen Erfolg konkret durch die Unterlassung verursacht. Die Fahrerflucht mit Todesfolge ist hierfür ein regelrechtes Paradebeispiel. Ein Autofahrer, der einen anderen Straßenverkehrsteilnehmer anfährt und dabei lebensgefährlich verletzt und die Fahrerflucht trotz Kenntnis der lebensbedrohlichen Lage des Unfallopfers antritt. Die Quasi-Kausalität wird dann zur Anwendung gebracht, wenn das Unfallopfer aufgrund der Fahrerflucht verstirbt und überlebt hätte, wenn der Autofahrer einen medizinischen Notruf abgesetzt oder erste Hilfe geleistet hätte. Diese Handlungsweise wäre die gesetzlich vorgeschriebene Handlung gewesen und durch die Unterlassung des Autofahrers ist ein kausaler Zusammenhang zu dem Tod des Unfallopfers gegeben.
Problematisch bei dieser Angelegenheit ist der Umstand, dass die Quasi-Kausalität stets von einer „mit an Sicherheit“ angrenzenden Wahrscheinlichkeit ausgeht. Im Fall eines verstorbenen Unfallopfers „erdenkt“ der Gesetzgeber somit einen alternativen Verlauf des Ereignisses. Das Unfallopfer hätte überlebt, wenn der Autofahrer nicht die Unterlassung begangen hätte.
Die Quasi-Kausalität kann in der juristischen Praxis in einer entsprechenden Strafverhandlung durchaus auch mit dem rechtlichen Grundsatz „in dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten) kollidieren. Der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ besagt, dass für den Täter der günstigere Kausalverlauf bei berechtigten Zweifeln unterstellt werden muss und dass dementsprechend eine hypothetische Kausalität zu verneinen ist.
Im Zusammenhang mit der objektiven Zurechnung des Täters wird rechtlich betrachtet eine Grundformel zur Anwendung gebracht. Diese Formel besagt, dass sich im Erfolg auch stets die von dem Täter durch eine pflichtwidrige Unterlassung aller rechtlich gebotenen Rettungshandlungen geschaffene Gefahr zwingend realisieren muss.
Die Stellung einer Person zu dem Opfer ist ein wichtiger Aspekt für die Strafbarkeit des Unterlassens. Der § 13 Absatz 1 StGB sieht für die Unterlassung einer Person nur dann eine Strafbarkeit vor, wenn die sogenannte Garantenstellung gegeben ist.
Eine Garantenposition entsteht auf der Grundlage der sogenannten Funktionenlehre. Mit der Garantenposition gehen auch verschiedene soziale Funktionen einher, wobei zunächst erst einmal eine Unterscheidung bei der Garantenposition vorgenommen werden muss. Unterschieden wird hierbei grundsätzlich zwischen den Beschützergaranten sowie den Überwachungsgaranten. Beschützergaranten haben gegenüber anderen Personen oder Rechtsgütern sogenannte Obhutspflichten, sodass sie die anderen Personen oder auch Rechtsgüter grundsätzlich gegen sämtliche drohenden Gefahren zu schützen haben. Eltern von Kindern sind hierfür ein regelrechtes Paradebeispiel.
Eine familiäre Bindung zwischen den Personen ist für die Beschützergarantenposition nicht zwingend erforderlich. Auch ein Babysitter kann für einen bestimmten Zeitraum im Auftrag der Eltern zu einem Beschützergaranten werden.
Überwachungsgaranten haben eine Sonderstellung inne, denn ihnen obliegt die Sicherung von bestimmten Gefahrenquellen. Überwachungsgaranten stehen somit in der Pflicht dafür Sorge zu tragen, dass von diesen Gefahrenquellen kein Schaden für eine andere Person ausgehen kann. Der Gesetzgeber sagt, dass diejenige Person, die durch eine vorherige Handlung eine Gefahrenquelle für andere Person geschaffen hat, auch die Gefahr von anderen Personen abhalten muss. Die Garantenstellung kann sich automatisch auch aus den Verkehrssicherungspflichten heraus ergeben. Ein gutes Beispiel hierfür sind private Bauherren, die auf einem nicht abgesicherten Grundstück mit schweren Maschinen hantieren und diese auf dem Grundstück belassen.
Im Zusammenhang mit der Strafbarkeit des Unterlassens muss überdies auch die Entsprechungsklausel zur Anwendung gebracht werden. Der § 13 Absatz 1 StGB besagt, dass die Unterlassungshandlung bei der Realisierung eines gesetzlichen Tatbestandes der aktiven Handlung gleichgestellt ist. Überdies wird auch die subjektive Tatbestandsebene beleuchtet, welche für die Strafbarkeit den Vorsatz voraussetzt. Es ist jedoch auch denkbar, dass eine sogenannte rechtfertigende Pflichtenkollision vorliegt und dass aus diesem Grund das Unterlassen nicht strafbar ist. Hierfür werden die allgemeinen Rechtfertigungsgründe sowie auch etwaige rechtfertigende Handlungspflichten genauer beleuchtet. Rechtfertigende Handlungspflichten liegen dann vor, wenn eine Person in der Ausübung ihrer Pflicht mehrere Handlungspflichten gleichzeitig zu verrichten hat und nur eine Pflicht ausüben kann, dabei jedoch die andere Pflicht verletzt. Für die Strafbarkeit des Unterlassens wird in einer derartigen Fallkonstellation genau betrachtet, ob es sich um gleichwertige oder ungleichwertige Pflichten handelt und ob diese Pflichten zwangsläufig miteinander konkurrieren. Sollte die Gleichwertigkeit der Pflichten nicht gegeben sein, so hat die pflichtausübende Person stets die als höherwertig anzusehende Pflicht auszuüben.
Das Strafrecht ist in Deutschland überaus komplex gestaltet und gerade im Bereich der Strafbarkeit des Unterlassens gibt es unzählige denkbare Fallkonstellationen. Auch wenn ein Mensch sich in bestimmten Situationen auf das viel berühmte „Bauchgefühl“ verlässt und keinen bösen Gedanken hebt bedeutet dies noch nicht, dass auch rechtlich betrachtet die richtige Handlung durch das Unterlassen ausgeführt wurde. Viele Menschen sind sich dabei ihrer besonderen Stellung in einer Situation überhaupt nicht bewusst, sodass ein späteres Strafverfahren zu einem regelrechten Schock führen kann. Der Gesetzgeber sagt jedoch ebenfalls sehr eindeutig im Grundsatz, dass Unwissenheit nun einmal nicht vor Strafe schützt. Mit der Unwissenheit allein wird eine Strafbarkeit des Unterlassens mit Sicherheit vor Gericht nicht zu einem Freispruch oder zu einer Strafmilderung führen. Glücklicherweise sieht der Gesetzgeber in Strafverfahren eindeutig vor, dass jeder Angeklagte das Recht auf einen Rechtsbeistand hat und kein Verfahren ohne die entsprechende rechtsanwaltliche Verteidigung durchgeführt wird.
Wenn Sie sich mit einer solchen Situation konfrontiert sehen sollten Sie auf jeden Fall von dem Recht auf einen Rechtsanwalt Gebrauch machen und sich in die helfenden Hände eines erfahrenen Rechtsanwalts für Strafrecht begeben. Wir als erfahrene Rechtsanwaltskanzlei stehen hierbei für Sie sehr gern zur Verfügung.