Drohte einer Frau wegen BtMG-Verstoß und Gewalt eine Haftstrafe, weil das Zeugnisverweigerungsrecht für unverheiratete Eltern formal nicht griff. Die ungewöhnliche Gesetzesinterpretation sicherte den innerfamiliären Schutz, bewahrte die Mutter aber nur vor einem Teil der Anklagepunkte.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Dürfen unverheiratete Eltern die Aussage verweigern? Ein Urteil über Gesetzeslücken und den Schutz der Familie
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Muss ich als unverheirateter Partner gegen den Vater meines Kindes vor Gericht aussagen?
- Welche Voraussetzungen brauche ich, um mein Zeugnisverweigerungsrecht als Lebenspartner nutzen zu können?
- Wie wird geprüft, ob unsere unverheiratete Partnerschaft einer Ehe gleichgestellt ist?
- Was mache ich, wenn das Gericht mein Zeugnisverweigerungsrecht als unverheirateter Partner ablehnt?
- Führt die Verweigerung der Aussage durch den Partner automatisch zu einem Freispruch?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 843 Ds 28/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Amtsgericht Hamburg-Barmbek
- Datum: 17.01.2025
- Aktenzeichen: 843 Ds 28/23
- Verfahren: Strafverfahren
- Rechtsbereiche: Betäubungsmittelrecht, Strafprozessrecht, Strafrecht
- Das Problem: Eine Frau wurde wegen des illegalen Kaufs von Amphetamin und wegen Bedrohung und Körperverletzung ihres Partners angeklagt. Das Gericht musste klären, welche Vorwürfe nachweisbar waren.
- Die Rechtsfrage: Dürfen unverheiratete Eltern eines gemeinsamen Kindes, die zusammenleben, die Aussage gegen den anderen Elternteil vor Gericht verweigern?
- Die Antwort: Ja, der Partner durfte die Aussage verweigern. Das Gericht wandte das Aussageverweigerungsrecht analog auf unverheiratete, zusammenlebende Eltern an. Die Angeklagte wurde daher nur wegen des unerlaubten Drogenkaufs zu einer Geldstrafe verurteilt.
- Die Bedeutung: Die Entscheidung erweitert den Schutz des innerfamiliären Friedens auf unverheiratete Eltern, die mit ihrem gemeinsamen Kind zusammenleben. Richter können damit eine Gesetzeslücke im Verfahrensrecht schließen.
Dürfen unverheiratete Eltern die Aussage verweigern? Ein Urteil über Gesetzeslücken und den Schutz der Familie
Ein Strafprozess ist oft mehr als nur die Klärung von Schuld und Unschuld. Manchmal wird er zur Bühne, auf der veraltete Gesetze mit der gelebten Realität des 21. Jahrhunderts kollidieren. Genau dies geschah in einem bemerkenswerten Fall vor dem Amtsgericht Hamburg-Barmbek. In seiner Entscheidung vom 17. Januar 2025 (Az.: 843 Ds 28/23) musste das Gericht nicht nur über einen Drogenkauf und einen Gewaltvorwurf urteilen, sondern auch eine grundlegende Frage beantworten: Gilt das Recht, die Aussage zum Schutz naher Angehöriger zu verweigern, auch für unverheiratete Eltern, die mit ihrem gemeinsamen Kind als Familie zusammenleben? Die Antwort des Gerichts ist eine Meisterleistung juristischer Rechtsfortbildung und zeigt, wie Richter eine Lücke im Gesetz schließen, um dem Geist der Verfassung gerecht zu werden.
Was genau war der Angeklagten vorgeworfen worden?
Die Geschichte beginnt mit zwei völlig unterschiedlichen Vorwürfen gegen eine junge, alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern. Die Anklage der Staatsanwaltschaft umfasste zwei separate Ereignisse, die das Leben der Frau aus verschiedenen Richtungen beleuchteten.

Der erste Vorwurf betraf einen Vorfall im April 2022. Die Anklage legte der Frau zur Last, an einer Hamburger Tankstelle fünf Gramm Amphetamin für 30 Euro erworben zu haben. Ein Teil der Droge sei für ihren eigenen Konsum bestimmt gewesen, ein anderer Teil für eine gewinnlose Weitergabe. Dieser Teil der Anklage stützte sich auf klassische polizeiliche Ermittlungsarbeit, inklusive Laborberichten und der Auswertung ihres Smartphones.
Der zweite Vorwurf war von gänzlich anderer Natur und wog emotional schwerer. Er bezog sich auf einen Abend im Dezember 2022. In der gemeinsamen Wohnung soll es zu einer heftigen Auseinandersetzung mit ihrem Lebenspartner gekommen sein, dem Zeugen J. und Vater ihrer jüngeren, knapp einjährigen Tochter. Laut Anklageschrift soll die Frau ihn wüst beschimpft, mit dem Tod bedroht und schließlich mit einem Küchenmesser angegriffen haben, wobei der Mann eine leichte Verletzung am Finger erlitt. Der einzige direkte Augenzeuge dieses Geschehens war der Lebenspartner selbst.
In der Gerichtsverhandlung legte die Angeklagte bezüglich des Drogenvorwurfs ein vollständiges Geständnis ab. Zu den Gewaltvorwürfen jedoch schwieg sie. Als der Zeuge J. in den Zeugenstand gerufen wurde, geschah das prozessual Entscheidende: Er erklärte, von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen und verweigerte jede Aussage zu den Geschehnissen jenes Abends.
Welche Gesetze spielten hier die entscheidende Rolle?
Um die Entscheidung des Gerichts nachzuvollziehen, müssen wir zwei zentrale Vorschriften der deutschen Rechtsordnung betrachten.
Für den Drogenkauf ist die Sache klar: Der § 29 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) stellt den unerlaubten Erwerb von Drogen wie Amphetamin unter Strafe. Da die Angeklagte die Tat zugab und die Beweise erdrückend waren, war eine Verurteilung in diesem Punkt wenig überraschend.
Weitaus komplizierter war die Rechtslage beim zweiten Vorwurf. Hier stand der § 52 der Strafprozessordnung (StPO) im Mittelpunkt. Dieses Gesetz gewährt bestimmten Personen ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht. Das bedeutet, sie müssen vor Gericht nicht gegen einen nahen Angeklagten aussagen. Der Zweck dieser Regelung ist es, Menschen vor einem unlösbaren Gewissenskonflikt zu schützen: Sollen sie die Wahrheit sagen und damit einen geliebten Menschen belasten, oder sollen sie lügen und sich damit selbst strafbar machen? Das Gesetz will diesen „innerfamiliären Frieden“ schützen.
Der Haken liegt im Wortlaut des Gesetzes. § 52 Abs. 1 StPO zählt genau auf, wer als „naher Angehöriger“ gilt: Verlobte, Ehegatten und Lebenspartner nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz. Auch wer mit dem Angeklagten in gerader Linie verwandt oder verschwägert ist, darf schweigen. Von unverheirateten Partnern, selbst wenn sie ein gemeinsames Kind haben und zusammenleben, steht im Gesetz jedoch kein Wort. Genau an dieser Stelle begann die eigentliche juristische Arbeit des Gerichts.
Warum entschied das Gericht so – und nicht anders?
Das Urteil des Amtsgerichts ist ein Lehrstück in juristischer Logik und Abwägung. Es zerfällt in zwei klar getrennte Teile, die den beiden Anklagepunkten folgen.
Warum war die Verurteilung wegen des Drogenkaufs unstrittig?
Im Fall des Amphetamin-Erwerbs war die Sache schnell geklärt. Die Angeklagte hatte ein umfassendes Geständnis abgelegt. Dieses Geständnis wurde durch eine Kette von Beweismitteln untermauert: den Bericht der Polizei, das Ergebnis der Laboruntersuchung der Drogen und die Auswertung ihres Mobiltelefons. Die Beweislage war lückenlos. Das Gericht verurteilte sie daher wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 BtMG zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen. Bei der Höhe des Tagessatzes berücksichtigte das Gericht ihre finanzielle Situation als Bürgergeld-Empfängerin und setzte ihn auf 10 Euro fest, was zu einer Gesamtstrafe von 600 Euro führte.
Wieso durfte der Lebenspartner die Aussage verweigern?
Die entscheidende Weichenstellung erfolgte bei der Beurteilung des Gewaltvorwurfs. Das Gericht stand vor der Frage: Durfte der Zeuge J. schweigen, obwohl er nach dem reinen Wortlaut des § 52 StPO kein Zeugnisverweigerungsrecht hatte? Das Gericht bejahte dies und wandte das Gesetz analog an. Eine Analoge Anwendung bedeutet, dass ein Gericht eine Regelung auf einen Sachverhalt anwendet, den der Gesetzgeber nicht ausdrücklich geregelt hat, der aber in seiner Interessenlage dem geregelten Fall so stark ähnelt, dass eine unterschiedliche Behandlung ungerecht wäre.
Die Richter argumentierten, dass im Gesetz eine „Planwidrige Regelungslücke“ vorliege. Damit ist gemeint, dass der Gesetzgeber bei der Formulierung des Gesetzes die heute weit verbreitete Lebensform der nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit gemeinsamen Kindern schlicht nicht im Blick hatte. Diese Lücke sei aber nicht beabsichtigt (also „planwidrig“). Die Schutzwürdigkeit der familiären Beziehung zwischen den Eltern eines gemeinsamen Kindes, die in einem Haushalt leben, sei mit der einer Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft absolut vergleichbar. Auch hier würde eine Aussagepflicht den Partner in denselben unauflösbaren Loyalitätskonflikt stürzen, den das Gesetz eigentlich verhindern will. Die Anwendung des Zeugnisverweigerungsrechts diente hier also dem Schutz der Familie, wie er auch in Artikel 6 des Grundgesetzes (GG) verankert ist.
Welche Gegenargumente prüfte das Gericht – und warum folgten die Richter ihnen nicht?
Das Gericht machte es sich nicht leicht und setzte sich akribisch mit den Argumenten auseinander, die gegen eine solche Ausweitung des Gesetzes sprechen.
Das stärkste Gegenargument ist der klare Wortlaut des Gesetzes. Kritiker wenden ein, dass Gerichte nicht einfach über den Willen des Gesetzgebers hinweggehen dürfen. Das Gericht entgegnete jedoch, dass es hier nicht darum gehe, den Willen des Gesetzgebers zu missachten, sondern eine offensichtliche, unbeabsichtigte Lücke im Sinne der Verfassung zu schließen.
Ein weiteres Argument lautet, dass nur der Gesetzgeber selbst das Recht habe, Gesetze zu ändern. Dem hielt das Gericht entgegen, dass die Rechtsprechung die Pflicht habe, Gesetze verfassungskonform auszulegen. Auf eine Gesetzesänderung zu warten, die möglicherweise Jahre dauert, würde den verfassungsrechtlichen Schutz der Familie in der Zwischenzeit aushöhlen. Interessanterweise verwies das Gericht sogar auf einen aktuellen Gesetzesentwurf im Bundestag, der genau eine solche Erweiterung des Zeugnisverweigerungsrechts vorsieht – ein starkes Indiz dafür, dass der Regelungsbedarf tatsächlich besteht.
Auch die Sorge, eine solche Ausweitung könnte die Strafverfolgung erschweren, wies das Gericht zurück. Der Schutz des innerfamiliären Friedens sei ein seit jeher anerkannter Wert, der in bestimmten Fällen Vorrang vor dem staatlichen Aufklärungsinteresse habe. Um Missbrauch vorzubeugen, knüpfte das Gericht die analoge Anwendung an klare Kriterien: Es muss ein gemeinsames, anerkanntes Kind geben und die Partner müssen tatsächlich zusammenleben.
Warum war der Freispruch vom Gewaltvorwurf die logische Konsequenz?
Nachdem das Gericht das Schweigen des Lebenspartners als rechtmäßig anerkannt hatte, brach das zentrale Beweismittel der Anklage weg. Der Zeuge J. war der Einzige, der die Tat unmittelbar beobachtet hatte. Ohne seine Aussage gab es keine andere Möglichkeit, den Tathergang zweifelsfrei zu rekonstruieren. Es fehlten weitere Zeugen, und andere Spuren oder ärztliche Befunde reichten nicht aus, um der Angeklagten die Tat nach dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ nachzuweisen. Der Freispruch in diesem Anklagepunkt war daher die einzig mögliche und juristisch zwingende Folge.
Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil ziehen?
Dieses Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Barmbek liefert über den konkreten Fall hinaus zwei zentrale Erkenntnisse, die das Verhältnis von Gesetz, Rechtsprechung und gesellschaftlicher Realität beleuchten.
Die erste Lehre ist, dass das Recht kein starres, unveränderliches Gebilde ist. Es muss atmen und sich an die Lebenswirklichkeit der Menschen anpassen. Dieses Urteil zeigt eindrucksvoll, wie Gerichte durch eine mutige und gut begründete Rechtsfortbildung veraltete Gesetze im Lichte der Verfassung modernisieren können. Es macht deutlich, dass der Schutz der Familie nicht am Trauschein endet. Eine Lebensgemeinschaft, in der Partner füreinander und für ein gemeinsames Kind Verantwortung übernehmen, genießt einen ähnlichen Schutz vor staatlichen Eingriffen wie eine Ehe.
Die zweite Lehre betrifft die immense Bedeutung von Verfahrensrechten im Strafprozess. Der Fall illustriert perfekt, wie ein einziges Recht – hier das Zeugnisverweigerungsrecht – den Ausgang eines Verfahrens vollständig verändern kann. Auch wenn die materielle Wahrheit über den Vorfall im Dezember 2022 im Dunkeln bleibt, hat das Recht gesiegt. Der Freispruch erfolgte nicht, weil die Unschuld der Angeklagten bewiesen wurde, sondern weil der Staat ihre Schuld nicht rechtmäßig beweisen konnte. Dies ist kein Makel, sondern ein zentrales Merkmal eines funktionierenden Rechtsstaats, der die Rechte des Einzelnen auch dann schützt, wenn es die Wahrheitsfindung erschwert.
Die Urteilslogik
Die Rechtsprechung modernisiert veraltete Gesetzestexte aktiv, um den verfassungsrechtlichen Schutz der nichtehelichen familiären Lebensformen in vollem Umfang zu gewährleisten.
- RECHTSFORTBILDUNG SCHÜTZT DIE FAMILIE: Gerichte müssen eine Gesetzeslücke schließen, indem sie das Zeugnisverweigerungsrecht analog auf unverheiratete Lebensgemeinschaften mit gemeinsamen Kindern ausweiten, um den Schutz des innerfamiliären Friedens verfassungskonform zu garantieren.
- VERFAHRENSRECHTE PRIORISIEREN DEN FREISPRUCH: Der Rechtsstaat verlangt einen Freispruch, wenn das zentrale Beweismittel durch die legitime Ausübung eines Verfahrensrechts entfällt, da die staatliche Pflicht zur Wahrheitsfindung hinter dem Schutz der Bürgerrechte zurücktritt.
- JEDE ILLEGALE TRANSAKTION IST STRAFBAR: Wer unerlaubt Betäubungsmittel erwirbt, begeht eine Straftat, deren Verfolgung unabhängig von der geringen Menge oder der finanziellen Situation des Täters erfolgt.
Dieser Fall betont die Pflicht der Justiz, gesetzliche Standards dynamisch an die soziale Realität anzupassen und dabei die fundamentalen Verfahrensgarantien des Strafprozesses zu achten.
Benötigen Sie Hilfe?
Sind Ihre prozessualen Rechte als unverheirateter Partner in einem Strafverfahren in Gefahr? Kontaktieren Sie uns, um eine unverbindliche erste rechtliche Einschätzung Ihres Sachverhalts zu erhalten.
Experten Kommentar
Die Realität ist längst weiter als viele unserer Gesetze. Wer heute mit einem gemeinsamen Kind zusammenlebt, bildet eine Familie, ob mit oder ohne Trauschein. Dieses Urteil zieht eine klare rote Linie: Der Schutz des innerfamiliären Friedens im Strafprozess endet nicht beim formellen Eheschein. Das Gericht hat mutig eine planwidrige Gesetzeslücke geschlossen und bestätigt damit das Zeugnisverweigerungsrecht für unverheiratete Lebenspartner mit gemeinsamen Kindern. Das ist strategisch wichtig, denn es schützt die Loyalität tausender Lebensgemeinschaften vor dem Zwang, gegen den eigenen Partner auszusagen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Muss ich als unverheirateter Partner gegen den Vater meines Kindes vor Gericht aussagen?
Die Regelung im Gesetzestext (§ 52 StPO) berücksichtigt unverheiratete Partner formal nicht. Moderne Gerichtsentscheidungen wie die des Amtsgerichts Hamburg-Barmbek ermöglichen es Ihnen jedoch, das Zeugnisverweigerungsrecht trotzdem in Anspruch zu nehmen. Das Gericht schließt die Gesetzeslücke, wenn Sie mit dem Angeklagten ein gemeinsames Kind haben und als Familie zusammenleben. Diese Rechtsfortbildung schützt den verfassungsmäßig garantierten innerfamiliären Frieden (Art. 6 GG).
Der reine Wortlaut der Strafprozessordnung nennt nur Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner als schutzwürdig. Richter erkennen jedoch an, dass dies eine sogenannte planwidrige Regelungslücke darstellt. Die Verantwortung und die Bindung durch ein gemeinsames Kind erzeugen den gleichen unlösbaren Gewissenskonflikt wie in einer Ehe. Der Staat will vermeiden, dass Sie zwischen der Pflicht zur Wahrheit und der Zerstörung der Existenzgrundlage Ihres Kindes wählen müssen. Gerichte wenden § 52 StPO deshalb analog an, um den Schutz der Familie zu gewährleisten.
Wichtig ist die korrekte formelle Geltendmachung dieses Rechts vor Gericht. Sie dürfen nicht einfach ohne Begründung die Aussage verweigern oder unwahre Angaben machen. Erklären Sie dem Richter explizit, dass Sie von Ihrem Zeugnisverweigerungsrecht analog § 52 StPO Gebrauch machen. Begründen Sie dies damit, dass Sie Eltern eines gemeinsamen Kindes sind und eine faktische Lebensgemeinschaft führen. Nur wenn Sie die entsprechende Rechtsprechung anführen, kann das Gericht die Schutzwürdigkeit prüfen.
Informieren Sie unverzüglich den Verteidiger Ihres Partners über Ihre Ladung, damit die Inanspruchnahme dieses Rechts proaktiv angemeldet und begründet wird.
Welche Voraussetzungen brauche ich, um mein Zeugnisverweigerungsrecht als Lebenspartner nutzen zu können?
Um das Zeugnisverweigerungsrecht analog geltend zu machen, müssen Sie zwei zwingende Kriterien erfüllen, welche die Gerichte zur Abgrenzung vom reinen Bekanntenkreis nutzen. Zunächst muss ein gemeinsames, anerkanntes Kind existieren, das die besondere Schutzwürdigkeit der Familie begründet. Entscheidend ist außerdem, dass Sie mit dem Angeklagten tatsächlich in einem gemeinsamen Haushalt zusammenleben.
Gerichte wenden die Regelung analog § 52 StPO an, weil der Schutz vor einem unlösbaren Gewissenskonflikt genauso erforderlich ist wie in einer Ehe. Die Rechtsprechung argumentiert, dass Ihre Lebensform in ihrer Schutzbedürftigkeit der Interessenlage einer Ehe absolut vergleichbar sein muss. Liegt keine formelle Eheschließung vor, verlangt das Gericht einen eindeutigen Nachweis der faktischen und emotionalen Bindung, um die analoge Anwendung zu rechtfertigen.
Diese klaren Kriterien – gemeinsames Kind und gemeinsamer Haushalt – verhindern den Missbrauch des Rechts durch rein freundschaftliche oder lockere Bekanntschaften. Die analoge Anwendung knüpft zwingend an die faktische Lebensgemeinschaft und nicht nur an die gemeinsame Sorge an. Konkret bedeutet dies, dass Sie das Recht nicht in Anspruch nehmen dürfen, wenn Sie bereits getrennt leben oder einer der Partner aus der Wohnung ausgezogen ist.
Suchen Sie zur Vorbereitung die Geburtsurkunde oder Vaterschaftsanerkennungsurkunde Ihres Kindes sowie aktuelle Meldebescheinigungen heraus.
Wie wird geprüft, ob unsere unverheiratete Partnerschaft einer Ehe gleichgestellt ist?
Der Staat dringt nicht in Ihr Privatleben ein, um die emotionale Tiefe oder die Dauer Ihrer Partnerschaft zu messen. Die Gerichte beurteilen vielmehr, ob Ihre familiäre Konstellation dem Schutz des Artikels 6 des Grundgesetzes genügt. Entscheidend ist dabei die juristische Abwägung der Verfassungskonformität. Das Gericht bewertet, ob Ihre familiäre Beziehung aufgrund des gemeinsamen Kindes den gleichen Loyalitätskonflikt auslösen würde wie bei einem verheirateten Paar.
Die Prüfung konzentriert sich darauf, ob eine Aussagepflicht Sie in einen unlösbaren Gewissenskonflikt stürzen würde. Dieser Konflikt entsteht bei Eltern eines gemeinsamen Kindes, die zusammenleben, genauso stark wie bei Ehegatten. Das Gesetz will verhindern, dass Sie die Wahl treffen müssen, ob Sie lügen und sich damit strafbar machen oder den geliebten Partner belasten. Der Schutz des innerfamiliären Friedens gewinnt in solchen Situationen Vorrang vor dem staatlichen Aufklärungsinteresse.
Die Richter stellen fest, dass Ihre Lebensform in ihrer Schutzbedürftigkeit der Interessenlage einer Ehe absolut vergleichbar ist, wenn Sie gemeinsame wirtschaftliche und erzieherische Verantwortung tragen. Sie argumentieren, dass die formale Ausgrenzung unverheirateter Eltern eine unbeabsichtigte Gesetzeslücke darstellt. Die Gerichte schließen diese planwidrige Lücke durch eine analoge Anwendung des Zeugnisverweigerungsrechts, um der heutigen gesellschaftlichen Realität gerecht zu werden.
Bei einer Ablehnung sollten Sie aktiv auf die Pflicht des Gerichts zur verfassungskonformen Auslegung verweisen und sich auf Art. 6 des Grundgesetzes (GG) berufen.
Was mache ich, wenn das Gericht mein Zeugnisverweigerungsrecht als unverheirateter Partner ablehnt?
Wenn das Gericht Ihre Verweigerung ablehnt, geraten Sie in einen extremen Gewissenskonflikt. Sie stehen dann vor der direkten Wahl: Aussagen und den Partner belasten oder die Aussage verweigern und eine gerichtliche Sanktion riskieren. Der größte Fehler in dieser Panik wäre es, nun die Unwahrheit zu sagen. Eine Falschaussage ist eine schwere Straftat, die Ihre eigene strafrechtliche Verfolgung nach sich zieht. Sagen Sie im Zweifel immer die Wahrheit.
Reagieren Sie auf die Ablehnung Ihres Zeugnisverweigerungsrechts sofort formell und höflich. Legen Sie vor Ort formellen Widerspruch gegen die gerichtliche Entscheidung ein und bitten Sie darum, dass Ihre Rechtsauffassung protokolliert wird. Sie haben das Recht, um eine kurze Unterbrechung der Verhandlung zu bitten. Nutzen Sie diese Zeit, um dringend Ihren eigenen Anwalt zu konsultieren und die Konsequenzen der nächsten Schritte abzuwägen. Wenn das Gericht darauf besteht und die Aussage erzwingt, riskieren Sie bei anhaltender Verweigerung ein Ordnungsgeld oder sogar Ordnungshaft.
Die mit Abstand gravierendste Fehlentscheidung ist die Abgabe einer unwahren Aussage, selbst wenn Sie damit den Partner schützen wollen. Eine Falschaussage ist eine eigenständige Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet wird. Das Risiko, sich selbst durch eine Lüge strafbar zu machen, ist deutlich höher als die Belastung des Angeklagten durch die Wahrheit. Wenn Sie aussagen müssen, halten Sie sich strikt an die Wahrheitspflicht.
Um den Druck auf das Gericht zu erhöhen, bitten Sie den Richter höflich um die Protokollierung Ihrer Verweigerungsgründe und verweisen Sie auf die aktuelle Rechtsfortbildung (analog AG Hamburg-Barmbek).
Führt die Verweigerung der Aussage durch den Partner automatisch zu einem Freispruch?
Nein, die bloße Verweigerung der Aussage durch den Partner führt nicht automatisch zu einem Freispruch. Diese Annahme ist ein häufiger strategischer Fehler, der zu riskanten Entscheidungen führen kann. Ein Freispruch tritt nur dann zwingend ein, wenn der Partner das zentrale oder einzige Beweismittel der Anklage darstellt und keine weiteren verwertbaren Beweise vorhanden sind.
Staatsanwaltschaften stützen ihre Anklagen oft auf mehrere Beweismittel. Existieren neben der potenziellen Zeugenaussage noch weitere Indizien, wird das Verfahren mit diesen fortgesetzt. Solche Beweise können ärztliche Atteste, Spurenbeweise, andere Zeugenaussagen oder die forensische Auswertung digitaler Geräte sein. Die Gerichte prüfen jedes dieser verbleibenden Beweismittel auf seine Verwertbarkeit. Die erfolgreiche Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts beendet den Prozess daher nicht unmittelbar, sondern schafft lediglich eine zentrale Beweismittellücke.
Im Fall des Amtsgerichts Hamburg-Barmbek führte das Schweigen des Lebenspartners zum Freispruch vom Gewaltvorwurf, weil er der einzige direkte Augenzeuge war. Ohne seine Aussage konnte der Tathergang nicht zweifelsfrei rekonstruiert werden. War die Schuld nicht mit der notwendigen Sicherheit nachweisbar, greift der rechtsstaatliche Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ (In dubio pro reo). Der Freispruch erfolgt in solchen Situationen also nicht wegen erwiesener Unschuld, sondern weil der Staat die Schuld nicht rechtmäßig beweisen konnte.
Lassen Sie als Angeklagter Ihren Verteidiger nach der erfolgreichen Verweigerung der Zeugenaussage eine umfassende Würdigung der verbleibenden Beweislage beantragen, um einen Freispruch formell zu untermauern.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Analoge Anwendung
Die Analoge Anwendung ist eine juristische Methode der Rechtsfortbildung, bei der Juristen eine existierende gesetzliche Regel auf einen Fall übertragen, der dem geregelten Sachverhalt in seiner Interessenlage ähnlich ist, obwohl er im Gesetzestext nicht ausdrücklich genannt wird. Dieses juristische Werkzeug kommt immer dann zum Einsatz, wenn eine unbeabsichtigte Gesetzeslücke existiert und der Gesetzgeber ähnliche Sachverhalte nicht ungleich behandeln wollte.
Beispiel: Um den Schutz der Familie zu gewährleisten, wandte das Amtsgericht das Zeugnisverweigerungsrecht analog auf die unverheiratete Lebensgemeinschaft mit einem gemeinsamen Kind an.
In dubio pro reo
In dubio pro reo (lateinisch für „im Zweifel für den Angeklagten“) ist der wichtigste strafprozessuale Grundsatz, der besagt, dass ein Gericht die angeklagte Person freisprechen muss, wenn nach der gesamten Beweisaufnahme vernünftige Zweifel an ihrer Schuld bestehen bleiben. Dieses Prinzip sichert das Fundament des Rechtsstaats, indem es garantiert, dass niemand verurteilt wird, dessen Schuld nicht mit der erforderlichen Sicherheit bewiesen werden konnte.
Beispiel: Da ohne die Zeugenaussage des Partners die Täterschaft der Angeklagten nicht zweifelsfrei feststand, musste das Gericht gemäß dem Grundsatz in dubio pro reo einen Freispruch vom Gewaltvorwurf aussprechen.
Planwidrige Regelungslücke
Juristen sprechen von einer Planwidrigen Regelungslücke, wenn der Gesetzgeber bei der Formulierung einer Vorschrift einen konkreten, später relevant gewordenen Sachverhalt unbeabsichtigt nicht bedacht oder übersehen hat. Liegt eine solche Lücke vor, kann die Rechtsprechung durch Rechtsfortbildung, wie die analoge Anwendung, eingreifen, um das Gesetz im Sinne des Verfassungsgeistes an die aktuelle gesellschaftliche Realität anzupassen.
Beispiel: Das Amtsgericht Hamburg-Barmbek sah im fehlenden Schutz unverheirateter Lebensgemeinschaften eine planwidrige Regelungslücke, da diese Familienform zur Zeit der Gesetzeseinführung nicht die heutige gesellschaftliche Verbreitung hatte.
Tagessatz
Der Tagessatz ist die Berechnungsbasis für eine Geldstrafe im deutschen Strafrecht, die die Gesamtstrafe in individuelle Teileinheiten unterteilt, deren Höhe sich streng nach den persönlichen und finanziellen Verhältnissen des Verurteilten richtet. Dieses System stellt sicher, dass eine Geldstrafe Täter unabhängig von ihrem Einkommen gleich hart trifft, da wohlhabende Personen einen höheren Tagessatz zahlen als Personen mit geringem Einkommen.
Beispiel: Weil die Angeklagte Bürgergeld-Empfängerin war, setzte das Gericht die Höhe des Tagessatzes für die Verurteilung wegen Drogenbesitzes auf nur 10 Euro fest, was zu einer Gesamtstrafe von 600 Euro führte.
Zeugnisverweigerungsrecht
Als Zeugnisverweigerungsrecht wird ein elementares Verfahrensrecht im Strafprozess bezeichnet, das bestimmten, besonders nahestehenden Personen wie Ehepartnern oder Verwandten erlaubt, eine Aussage über den Angeklagten ohne jegliche Konsequenzen zu verweigern. Das Gesetz schützt damit den innerfamiliären Frieden und die notwendige Loyalität innerhalb engster Beziehungen, indem es Angehörige vor einem unlösbaren Gewissenskonflikt bewahrt.
Beispiel: Der Lebenspartner der Angeklagten berief sich erfolgreich auf das Zeugnisverweigerungsrecht, da er als Vater des gemeinsamen Kindes der Ehe rechtlich gleichgestellt wurde und somit nicht gegen die Mutter aussagen musste.
Das vorliegende Urteil
AG Hamburg-Barmbek – Az.: 843 Ds 28/23 – Urteil vom 17.01.2025
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