Krypto-Chats, internationaler Drogenhandel und eine Gesetzesänderung – durften plötzlich wichtige Beweismittel nicht mehr vor Gericht verwendet werden? Der Bundesgerichtshof hat am 30. Januar 2025 in einem aufsehenerregenden Fall entschieden und damit eine Welle der Unsicherheit in der deutschen Justiz beendet.
Übersicht
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- EncroChat-Urteil: BGH bestätigt Daten-Verwertung bei Cannabis-Handel
- EncroChat-Daten: Bedeutung für Ermittlungen im Drogenhandel
- Die Cannabis-Teillegalisierung und das rechtliche Problem
- Das BGH-Urteil (5 StR 528/24): Die EncroChat-Daten bleiben verwertbar
- Praktische Auswirkungen und Bedeutung für Betroffene
- Weiterführende Überlegungen und Kontext
- Das Wichtigste zum BGH-Urteil zusammengefasst

Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Entscheidung: EncroChat-Daten bleiben trotz Cannabis-Teillegalisierung als Beweismittel verwendbar (BGH, 30. Januar 2025, Az. 5 StR 528/24).
- Worum geht es? Nach der Cannabis-Legalisierung waren viele Drogendelikte keine schweren Straftaten („Verbrechen“) mehr, sondern nur noch „Vergehen“.
- Rechtsproblem: Durften die zuvor rechtmäßig gewonnenen EncroChat-Beweise danach noch vor Gericht genutzt werden?
- BGH-Kernaussage: Entscheidend für die Verwertbarkeit ist die Rechtslage zum Zeitpunkt der Datenerhebung (hier: 2020), nicht das aktuelle mildere Gesetz (KCanG ab 2024).
- Konsequenzen:
- Rechtssicherheit für Tausende Strafverfahren
- EncroChat-Daten bleiben verwertbar, keine rückwirkenden Beweisverbote
- Gerichte müssen aber weiterhin die Verhältnismäßigkeit im Einzelfall prüfen
EncroChat-Urteil: BGH bestätigt Daten-Verwertung bei Cannabis-Handel
Stellen Sie sich vor: Die Polizei knackt ein verschlüsseltes Kommunikationsnetzwerk, das intensiv von Kriminellen genutzt wird. Tausende Chats über Drogengeschäfte werden sichergestellt. Doch dann tritt ein neues Gesetz in Kraft, das einige dieser Drogendelikte – speziell den Handel mit Cannabis – milder einstuft.
Plötzlich stellt sich eine brisante Frage: Sind die mühsam gewonnenen Chat-Daten für diese Cannabis-Fälle überhaupt noch als Beweismittel vor Gericht zulässig? Genau vor diesem Dilemma standen deutsche Gerichte nach der Teillegalisierung von Cannabis im April 2024 im Zusammenhang mit den sogenannten EncroChat-Daten.
Der Bundesgerichtshof (BGH), Deutschlands höchstes Gericht für Straf- und Zivilsachen, hat mit seinem Urteil vom 30. Januar 2025 (Az. 5 StR 528/24) nun eine klare Antwort gegeben: Ja, die Daten dürfen weiterhin verwendet werden. Diese Entscheidung hat weitreichende Folgen, schafft Rechtssicherheit in Tausenden von Strafverfahren und beendet eine Phase widersprüchlicher Urteile unterer Instanzen. Doch was genau steckt dahinter und was bedeutet das konkret für Betroffene?
EncroChat-Daten: Bedeutung für Ermittlungen im Drogenhandel
EncroChat war kein gewöhnlicher Messenger-Dienst wie WhatsApp oder Signal. Es handelte sich um ein spezialisiertes System, das auf modifizierten Android-Smartphones lief und besonders hohe Verschlüsselung und Anonymität versprach.
Die Geräte hatten oft keine normale Telefonfunktion, Kamera oder GPS, dafür aber einen „Panik-Button“, der alle Daten löschen konnte. Diese Eigenschaften machten EncroChat besonders attraktiv für Akteure der organisierten Kriminalität, insbesondere im Bereich des großangelegten Drogenhandels. Man wähnte sich sicher vor den Augen der Strafverfolgungsbehörden.
Der große Knall kam im Jahr 2020: Französischen und niederländischen Ermittlern gelang es, die Server von EncroChat zu infiltrieren und über Monate hinweg die Kommunikation von zehntausenden Nutzern weltweit live mitzulesen und zu speichern. Dieser massive Datensatz enthielt detaillierte Informationen über Drogenlieferungen, Waffengeschäfte, Geldwäsche und sogar Mordpläne.
Wie gelangten diese Daten nach Deutschland? Die französischen Behörden teilten die für Deutschland relevanten Datenpakete mit dem Bundeskriminalamt (BKA) und den deutschen Staatsanwaltschaften. Dies geschah auf Grundlage einer Europäischen Ermittlungsanordnung (EEA). Eine EEA ist ein wichtiges Instrument der justiziellen Zusammenarbeit innerhalb der EU.
Sie ermöglicht es einem EU-Staat (hier Deutschland), Ermittlungsmaßnahmen in einem anderen EU-Staat (hier Frankreich) zu beantragen, zum Beispiel die Übermittlung von Beweismitteln. Dies vereinfacht und beschleunigt grenzüberschreitende Ermittlungen erheblich. Die Rechtmäßigkeit dieser Datenübermittlung mittels EEA war ein zentraler Punkt in der späteren juristischen Debatte.
Die Cannabis-Teillegalisierung und das rechtliche Problem
Bis zum 1. April 2024 galt in Deutschland das Betäubungsmittelgesetz (BtMG). Nach diesem Gesetz war das Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge (die genaue Grenze legte die Rechtsprechung fest, oft ab 7,5 Gramm reinem THC) in § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG als Verbrechen eingestuft. Ein Verbrechen ist im deutschen Strafrecht eine Straftat, für die das Gesetz eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr vorsieht. Diese Einstufung hatte erhebliche Konsequenzen, auch für die zulässigen Ermittlungsmethoden.
Mit dem Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) am 1. April 2024 änderte sich die Rechtslage grundlegend. Zwar bleibt der Handel mit Cannabis außerhalb der legalen Strukturen weiterhin strafbar, doch die Strafandrohungen wurden in vielen Fällen deutlich reduziert. Der entsprechende Tatbestand findet sich nun in § 34 KCanG. Entscheidend ist: Viele Fälle, die früher als Verbrechen galten, werden nach neuem Recht nur noch als Vergehen eingestuft. Ein Vergehen ist eine Straftat, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe (unter einem Jahr) oder mit Geldstrafe bedroht ist.
Diese Herabstufung löste eine juristische Kettenreaktion aus. Ein wichtiger Grundsatz im deutschen Strafrecht, verankert in § 2 Abs. 3 Strafgesetzbuch (StGB), besagt: Ändert sich das Gesetz nach der Tat, aber vor der gerichtlichen Entscheidung, und ist das neue Gesetz milder, dann muss das mildere Gesetz angewendet werden. Das bedeutet: Auch für Cannabis-Handelsdelikte, die vor dem 1. April 2024 begangen wurden, gilt nun oft das mildere KCanG.
Hier kommt die Verbindung zu den Ermittlungsmethoden ins Spiel: Besonders eingriffsintensive Maßnahmen wie die sogenannte Online-Durchsuchung oder die Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ), bei der laufende Kommunikation auf einem Gerät direkt mitgelesen wird, sind nur bei Verdacht auf besonders schwere Straftaten erlaubt. Welche das sind, ist in einem Katalog in § 100b der Strafprozessordnung (StPO) genau aufgelistet. Die alten Cannabis-Verbrechen nach § 29a BtMG standen in diesem Katalog – die neuen Vergehen nach § 34 KCanG aber in vielen Konstellationen nicht mehr!
Das führte zu folgender Argumentation einiger Verteidiger und auch einiger Gerichte: Wenn die Straftat heute nur noch ein Vergehen ist, das eine solch intensive Ermittlungsmaßnahme wie die (mit der EncroChat-Auswertung vergleichbare) Online-Durchsuchung nach § 100b StPO nicht mehr rechtfertigen würde, dürften dann die damals (unter Geltung des alten Rechts) gewonnenen EncroChat-Daten überhaupt noch im Prozess verwendet werden?
Es entstand die Frage nach einem Beweisverwertungsverbot. Ein Beweisverwertungsverbot bedeutet, dass ein Beweismittel, selbst wenn es relevant ist, vom Gericht nicht zur Urteilsfindung herangezogen werden darf, meist weil es rechtswidrig erlangt wurde.
Die Folge war Rechtsunsicherheit. Mehrere Oberlandesgerichte (OLG) – hohe Gerichte auf Landesebene – kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Einige (wie das Hanseatische OLG Hamburg, das OLG Celle oder das OLG Stuttgart) bejahten die Verwertbarkeit weiterhin, andere (wie das OLG Köln, das OLG Karlsruhe und auch das Kammergericht Berlin in einer Entscheidung) verneinten sie oder äußerten erhebliche Bedenken. Diese widersprüchliche Rechtsprechung lähmte viele laufende Verfahren.
Das BGH-Urteil (5 StR 528/24): Die EncroChat-Daten bleiben verwertbar
Inmitten dieser Unsicherheit landete ein konkreter Fall vor dem Bundesgerichtshof. Das Landgericht (LG) Berlin I hatte am 3. Mai 2024 einen Angeklagten wegen Drogenhandels (Ecstasy, Kokain) zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Gleichzeitig sprach es ihn jedoch vom Vorwurf des Handels mit erheblichen Mengen Cannabis frei.
Die Begründung des LG Berlin: Die Beweise für den Cannabishandel stammten ausschließlich aus EncroChat-Daten, und diese seien wegen der Gesetzesänderung durch das KCanG nicht mehr verwertbar, da die Taten nun als Vergehen einzustufen seien und nicht mehr im Katalog des § 100b StPO stünden. Die Staatsanwaltschaft legte gegen diesen Freispruch Revision zum BGH ein.
Der 5. Strafsenat des BGH hob den Freispruch des LG Berlin nun mit seinem Urteil vom 30. Januar 2025 auf und stellte unmissverständlich klar: Die EncroChat-Daten sind auch in Fällen des Cannabishandels weiterhin als Beweismittel verwertbar, selbst wenn die Taten nach neuem Recht nur noch als Vergehen gelten. Die Begründung des BGH stützt sich auf mehrere Pfeiler:
Begründung 1: Der Zeitpunkt der Datenerhebung ist entscheidend
Das Kernargument des BGH lautet: Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ermittlungsmaßnahme und der daraus gewonnenen Beweismittel kommt es entscheidend auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Maßnahme an.
Im konkreten Fall wurden die Daten 2020 von Frankreich nach Deutschland übermittelt. Zu diesem Zeitpunkt galten die dem Angeklagten vorgeworfenen Taten des Cannabishandels in nicht geringer Menge unzweifelhaft als Verbrechen nach dem damals gültigen § 29a BtMG.
Die Übermittlung der Daten auf Grundlage der Europäischen Ermittlungsanordnung (EEA) war somit zum damaligen Zeitpunkt rechtmäßig. Die Voraussetzungen für die Anordnung und Übermittlung lagen vor. Dass sich die rechtliche Bewertung der Tat später durch eine Gesetzesänderung geändert hat, macht die ursprüngliche Datenerhebung und -übermittlung nicht rückwirkend rechtswidrig.
Man könnte es vergleichen mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung: Wird die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf einer Strecke später erhöht, macht das ein zuvor rechtmäßig ausgestelltes Bußgeld nicht ungültig.
Begründung 2: Keine nachträgliche Unverwertbarkeit durch Gesetzesänderung
Der BGH betont, dass die Verwertung von Beweismitteln in der Hauptverhandlung vor Gericht sich nach § 261 der Strafprozessordnung (StPO) richtet. Dieser Paragraph verankert den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung. Das bedeutet, das Gericht kann und muss grundsätzlich alle Beweise berücksichtigen, die im Verfahren auf rechtmäßige Weise eingeführt wurden.
Ein Beweisverwertungsverbot stellt eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar. Solche Verbote gibt es nur, wenn sie entweder ausdrücklich im Gesetz vorgesehen sind (was hier nicht der Fall ist) oder wenn sie sich aus übergeordneten Prinzipien ergeben, etwa weil der Beweis durch einen schweren Verstoß gegen Grundrechte oder wesentliche Verfahrensvorschriften ursprünglich rechtswidrig erlangt wurde.
Da die Datenübermittlung 2020 aber rechtmäßig war (siehe Begründung 1), liegt kein solcher Fall vor. Eine spätere Änderung der materiellen Rechtslage – also die mildere Einstufung der Tat durch das KCanG – begründet laut BGH kein nachträgliches Verwertungsverbot für rechtmäßig erlangte Beweise. Es gibt keine Regel im deutschen Recht, die besagt, dass Beweise nur verwertet werden dürfen, wenn die Ermittlungsmaßnahme auch nach der aktuellen Rechtslage noch zulässig wäre.
Begründung 3: Einordnung in die bisherige Rechtsprechung (EuGH & BVerfG)
Der BGH sieht seine Entscheidung im Einklang mit seiner eigenen bisherigen Rechtsprechung zu EncroChat sowie mit Entscheidungen europäischer und deutscher Verfassungsgerichte.
Bereits in seiner Grundsatzentscheidung vom 2. März 2022 (Az. 5 StR 457/21) hatte der BGH die Verwertbarkeit von EncroChat-Daten für erhebliche Drogendelikte grundsätzlich bejaht, dabei aber eine sorgfältige Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall gefordert.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte eine Verfassungsbeschwerde gegen diese Grundsatzentscheidung mit Beschluss vom 1. November 2024 (Az. 2 BvR 684/22) nicht zur Entscheidung angenommen, was als indirekte Bestätigung der BGH-Linie gewertet werden kann.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte in einem Urteil vom 30. April 2024 (Az. C-670/22) zur Europäischen Ermittlungsanordnung im Kontext von EncroChat klargestellt, dass die Prüfung der Verhältnismäßigkeit und der Rechte des Betroffenen bereits im Rahmen des Übermittlungsverfahrens (also bei der Genehmigung der EEA) zu erfolgen hat und nicht erst bei der späteren Beweisverwertung im Prozess im anderen Land.
Der BGH argumentiert nun, dass seine aktuelle Entscheidung den Vorgaben des EuGH entspreche, indem sie auf die Rechtmäßigkeit zum Zeitpunkt der Datenübermittlung abstellt. Soweit der Senat damit von früheren Nuancen seiner eigenen Rechtsprechung abweicht, sei dies durch die EuGH-Entscheidung geboten.
Praktische Auswirkungen und Bedeutung für Betroffene
Das Urteil des BGH vom 30. Januar 2025 hat erhebliche praktische Konsequenzen:
- Rechtssicherheit: Die wichtigste Folge ist die Wiederherstellung der Rechtssicherheit. Die monatelange Unsicherheit und die widersprüchlichen Entscheidungen der Oberlandesgerichte sind damit beendet. Staatsanwaltschaften und Gerichte haben nun eine klare höchstrichterliche Vorgabe.
- Fortführung von Verfahren: Zahlreiche Strafverfahren wegen Cannabishandels auf Basis von EncroChat-Daten, die möglicherweise wegen der unklaren Rechtslage ausgesetzt oder nur zögerlich geführt wurden, können nun fortgesetzt werden.
- Kein Freispruch „wegen KCanG“: Angeklagte können nicht mehr erfolgreich argumentieren, dass die EncroChat-Beweise allein wegen der milderen Einstufung durch das KCanG unverwertbar seien. Der konkrete Fall aus Berlin muss nun vom Landgericht neu verhandelt werden – diesmal unter Berücksichtigung der EncroChat-Daten auch für die Cannabis-Vorwürfe.
- Fokus auf andere Verteidigungsansätze: Die Verteidigung in solchen Fällen wird sich nun wieder stärker auf andere Aspekte konzentrieren müssen, z.B. auf die Frage, ob die Chats dem Angeklagten zweifelsfrei zugeordnet werden können, ob die übersetzten Chat-Inhalte korrekt interpretiert wurden oder ob die allgemeine Verhältnismäßigkeitsprüfung der Datennutzung im Einzelfall bestanden wird.
[themifybox]Wichtig: Das zentrale Ergebnis des BGH-Urteils ist: Rechtmäßig übermittelte EncroChat-Daten bleiben auch dann als Beweismittel im Strafverfahren wegen Cannabishandels verwertbar, wenn die Tat nach der Cannabis-Teillegalisierung im April 2024 nur noch als Vergehen (statt früher als Verbrechen) eingestuft wird. Entscheidend ist die Rechtslage zum Zeitpunkt der Datenanforderung und -übermittlung (im Jahr 2020).[/themifybox]
Typische Szenarien: Wer ist betroffen?
Von dieser Entscheidung sind vor allem Personen betroffen, gegen die vor dem 1. April 2024 wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Cannabis in nicht geringer Menge ermittelt wurde oder wird und bei denen EncroChat-Daten das wesentliche oder einzige Beweismittel darstellen.
Beispiel: Gegen Herrn Müller läuft seit 2021 ein Ermittlungsverfahren. Ihm wird vorgeworfen, über EncroChat den Verkauf von 10 Kilogramm Marihuana organisiert zu haben. Sein Anwalt hatte nach Inkrafttreten des KCanG argumentiert, die Chats dürften nicht mehr verwendet werden, da die Tat nun milder bestraft wird und § 100b StPO nicht mehr einschlägig sei. Nach dem BGH-Urteil ist dieses Argument hinfällig. Das Verfahren wird unter Verwendung der Chat-Protokolle weitergeführt werden.
Es ist wichtig zu betonen, dass dieses Urteil nicht bedeutet, dass EncroChat-Daten nun immer und uneingeschränkt verwertbar sind. Die Gerichte müssen weiterhin im Einzelfall prüfen, ob die Nutzung der Daten verhältnismäßig ist und ob die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze gewahrt bleiben. Die Entscheidung bezieht sich spezifisch auf das Argument der Unverwertbarkeit aufgrund der Gesetzesänderung durch das KCanG.
Ebenfalls wichtig ist die Abgrenzung zu den Amnestieregelungen, die mit dem KCanG eingeführt wurden. Diese betreffen vor allem bereits verhängte Strafen für Besitzmengen, die nach neuem Recht legal sind. Die aktuelle BGH-Entscheidung hingegen betrifft die Verwendbarkeit von Beweismitteln im laufenden Verfahren wegen Handelsdelikten, die auch nach neuem Recht strafbar bleiben, wenn auch teils milder.
Weiterführende Überlegungen und Kontext
Die EncroChat-Saga ist ein exemplarisches Beispiel für die Herausforderungen, die die Digitalisierung an das Strafrecht und die Strafverfolgung stellt. Die Fähigkeit von Kriminellen, hochverschlüsselt zu kommunizieren, stellt Ermittlungsbehörden vor enorme Schwierigkeiten. Gleichzeitig wirft das Knacken solcher Systeme und die internationale Weitergabe riesiger Datenmengen komplexe Fragen des Datenschutzes, der Grundrechte und der internationalen Rechtshilfe auf.
Die Entscheidung des BGH unterstreicht einen wichtigen Grundsatz des deutschen Rechts: die Stabilität von rechtmäßig erlangten Beweismitteln. Würden spätere Gesetzesänderungen routinemäßig zur Unverwertbarkeit führen, könnte dies die Rechtspflege erheblich erschweren und zu Rechtsunsicherheit führen. Das Gericht hat hier klar dem Prinzip der Rechtssicherheit und der Effektivität der Strafverfolgung (basierend auf zum Zeitpunkt der Maßnahme geltendem Recht) Vorrang gegeben vor einer rückwirkenden Anwendung der verfahrensrechtlichen Hürden des neuen materiellen Rechts.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung zu digitalen Beweismitteln weiterentwickelt. Fälle wie EncroChat, aber auch SkyECC und andere geknackte Krypto-Dienste, werden die Gerichte in Deutschland und Europa wohl noch lange beschäftigen.
Das Wichtigste zum BGH-Urteil zusammengefasst
Der Bundesgerichtshof hat mit seinem Urteil vom 30. Januar 2025 (Az. 5 StR 528/24) eine zentrale Frage im Umgang mit EncroChat-Daten geklärt, die durch die Teillegalisierung von Cannabis im April 2024 entstanden war. Die wichtigsten Punkte sind:
- Verwertbarkeit bestätigt: EncroChat-Daten dürfen auch weiterhin in Strafverfahren wegen Cannabishandels als Beweismittel verwendet werden, selbst wenn die Tat nach neuem Recht (KCanG) nur noch als Vergehen statt als Verbrechen gilt.
- Maßgeblicher Zeitpunkt: Entscheidend für die Rechtmäßigkeit der Datennutzung ist die Gesetzeslage zum Zeitpunkt der Anforderung und Übermittlung der Daten (hier: 2020), nicht die aktuelle Rechtslage.
- Keine rückwirkende Unverwertbarkeit: Eine spätere Änderung des materiellen Strafrechts (mildere Strafen im KCanG) führt nicht dazu, dass ursprünglich rechtmäßig erlangte Beweismittel unverwertbar werden. Es gibt kein entsprechendes gesetzliches Beweisverwertungsverbot.
- Rechtssicherheit geschaffen: Das Urteil beendet die widersprüchliche Rechtsprechung verschiedener Oberlandesgerichte und schafft Klarheit für laufende und zukünftige Verfahren.
Diese Entscheidung ist ein wichtiger Baustein in der komplexen juristischen Aufarbeitung der EncroChat-Fälle und hat unmittelbare Auswirkungen auf viele Betroffene, deren Verfahren nun unter klareren Vorzeichen weitergeführt werden können.