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StrEG – Einstellung nach § 170 Abs. 2 stopp – grobe Fahrlässigkeit

LG Magdeburg – Az.: 21 Qs 1/22 – Beschluss vom 25.01.2022

In dem Ermittlungsverfahren wegen Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln u.a. hat die 1. Strafkammer — Beschwerdekammer — des Landgerichts Magdeburg am 25. Januar 2022 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des ehemals Beschuldigten wird unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Halberstadt vom 15.12.2021 (Az. 3 Gs 667/21) festgestellt, dass die Landes-kasse zur Entschädigung des ehemals Beschuldigten wegen der ihm durch die Durchsuchung seiner Wohnung am 07.09.2021 entstandenen Schäden verpflichtet ist.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit dem ehemals Beschuldigten entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft Magdeburg — Zweigstelle Halberstadt — ermittelte gegen den ehemals Beschuldigten wegen des Verdachts der Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln sowie — der Sache nach — des unerlaubten Besitzes und Anbaus von sowie unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. Der Anfangsverdacht beruhte darauf, dass von dem Hauptzollamt Köln — Kontrolleinheit Verkehrswege — bei einer Zollkontrolle ein Brief mit niederländischem Absender sichergestellt wurde, der 20 Hanfsamen „Purple Bud Automatic“ beinhaltete und an den ehemals Beschuldigten adressiert war.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das Amtsgericht Magdeburg (Az. 3 Gs 281/21) am 28.05.2021 Durchsuchungsbeschluss gegen den ehemals Beschuldigten, um Beweismittel aufzufinden, die den gegen ihn bestehenden Verdacht erhärten könnten. Die angeordnete Wohnungsdurchsuchung wurde am 07.09.2021 von der Polizeiinspektion Magdeburg durch-geführt, ohne dass weitere Beweismittel aufgefunden wurden. Anlässlich der Durchsuchungsmaßnahme bestritt der ehemals Beschuldigte gegenüber den durchsuchenden Polizeibeamten, Betäubungsmittel in der Wohnung vorzuhalten oder Cannabissamen bestellt zu haben.

Mit Verfügung vom 28.10.2021 stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts und weiterer erfolgversprechender Ermittlungsansätze ein. Hierüber erteilte es dem ehemals Beschuldigten eine Einstellungs-nachricht verbunden mit dem Hinweis auf die Möglichkeit zur Beantragung der Feststellung der Entschädigungspflicht bei dem Amtsgericht Halberstadt innerhalb eines Monats nach Zu-stellung, welche ihm am 08.11.2021 mit Zustellungsurkunde zugestellt wurde.

Durch Schriftsatz des Verteidigers vom 29.11.2021, eingegangen bei Gericht per Fax am selben Tage, beantragte der ehemals Beschuldigte, die Entschädigungspflicht der Staatskasse für die durchgeführten Strafverfolgungsmaßnahmen am 07.09.2021 auszusprechen.

Mit Beschluss vom 15.12.2021 (Az. 3 Gs 667/21), dem Verteidiger gegen Empfangsbekenntnis am 20.12.2021 zugestellt, hat das Amtsgericht Halberstadt den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der ehemals Beschuldigte habe durch den Ankauf von Marihuanasamen grob fahrlässig die Strafverfolgungsmaßnahme veranlasst.

Hiergegen wendet sich der ehemals Beschuldigte mit seinem durch Schriftsatz des Verteidigers vom 21.12.2021, eingegangen bei Gericht per Fax am selben Tage, eingelegtem und als „Beschwerde“ bezeichneten Rechtsmittel. Zur Begründung hat der Verteidiger im Wesentlichen ausgeführt, das Amtsgericht habe nicht von einem strafbaren Ankauf von Marihuanasamen ausgehen dürfen. Es sei rechtsfehlerhaft, dass das Amtsgericht eine Tatbegehung zugrunde gelegt habe, vielmehr sei der ehemals Beschuldigte unschuldig.

Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer Verfügung vom 28.12.2021 dahin Stellung genommen, dass die zulässige Beschwerde unbegründet erscheine.

II.

Das als sofortige Beschwerde auszulegende Rechtsmittel ist gemäß §§ 9 Abs. 2 StrEG, 311 StPO zulässig, insbesondere ist es form- und fristgerecht eingelegt. Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Das Amtsgericht Halberstadt hat die Feststellung der Entschädigungspflicht der Landeskasse zu Unrecht abgelehnt. Die Entschädigungspflicht der Landeskasse folgt aus § 2 Abs. 1, 2 Nr. 4 StrEG. Danach wird aus der Staatskasse entschädigt, wer durch den Vollzug der Untersuchungshaft oder einer anderen Strafverfolgungsmaßnahme einen Schaden erlitten hat. Zu den anderen Strafverfolgungsmaßnahmen gehört gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 4 StrEG auch die Durchsuchung nach § 102 StPO. Entgegen der anscheinend von dem Amtsgericht vertretenen Rechtsauffassung liegt auch kein Fall des § 3 StrEG vor, in dem eine Entschädigung lediglich nach Ermessen im Umfang der Billigkeit nach den Umständen des Falles gewährt werden kann. Denn dies ist nur bei Verfahrenseinstellung nach einer Ermessensvorschrift der Fall, zu der der hier von der Staatsanwaltschaft angewendete § 170 Abs. 2 StPO nicht gehört.

Die Ersatzpflicht ist entgegen der Auffassung des Amtsgerichts auch nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG ausgeschlossen. Der Ausschluss nach dieser Norm setzt voraus, dass der ehemals Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat.

Es kann dahinstehen, ob die Anwendung dieser Vorschrift nach einer Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO überhaupt darauf gestützt werden kann, dass der ehemals Beschuldigte sich aufgrund einer eigenen Würdigung des Akteninhalts durch das entscheidende Gericht in Wahrheit im Sinne des ursprünglichen Tatvorwurfs strafbar verhalten habe. Denn jedenfalls vorliegend ist ein solches Verhalten dem Akteninhalt bereits nicht mit der erforderlichen Gewissheit zu entnehmen. Zwar mag einiges für die Annahme sprechen, der ehemals Beschuldigte habe sich Cannabissamen aus den Niederlanden bestellt. Anders wäre die solche enthaltende an ihn adressierte Briefsendung kaum erklärlich. Jedoch stellt der Erwerb und Besitz von Cannabissamen nicht ohne weiteres vorwerfbares Verhalten dar. Nach Anlage I zum BtMG — Spiegelstrich „Cannabis“, Spiegelstich „ausgenommen“, Buchstabe a) — ist der Samen des Cannabis von den Betäubungsmitteln ausgenommen, sofern er nicht zum unerlaubten Anbau bestimmt ist. Hieraus folgt, dass verschiedene erlaubte Formen der Verwendung von Cannabissamen denkbar sind, etwa als Tierfutter (vgl. Patzak, in: Körner/PatzakNolkmer, Betäubungsmittelgesetz, 9. Auflage 2019, § 29, Rn. 37 ). Da bei der Wohnungsdurchsuchung keine anderweitigen mit dem Anbau von Betäubungsmitteln in Verbindung stehenden Utensilien bei dem ehemals Beschuldigten gefunden wurden, kann eine Bestellung von Cannabissamen zu erlaubten Zwecken vorliegend auch nicht aus-geschlossen werden. Da der erlaubte Erwerb von Cannabissamen also in Betracht kommt, kann hierin auch keine grobe Fahrlässigkeit im Hinblick auf die Einleitung einer Strafverfolgungsmaßnahme liegen. Zwar ist das Entstehen eines Anfangsverdachts gegen den Adressaten durch das Auffinden von Cannabissamen in einer Briefsendung nachvollziehbar, weil nach kriminalistischer Erfahrung aus den Niederlanden bestellte Cannabissamen häufig zum unerlaubten Anbau von — und in der Folge Besitz von und Handel mit — Cannabis verwendet werden. Dies kann jedoch vor dem Hintergrund der ausdrücklichen gesetzlichen Einschränkung der Einordnung von Cannabissamen als Betäubungsmittel nicht dazu führen, dass jeder Umgang mit solchen ohne weiteres bereits als grob fahrlässig in Bezug auf entsprechende Straf-verfolgungsmaßnahmen anzusehen wäre.

Die Kammer war insoweit auch nicht gehindert, den Umstand eines möglicherweise erlaubten Bestellens von Cannabissamen zugrunde zu legen. Denn anders als § 8 Abs. 3 Satz 2 StrEG verweist § 9 Abs. 2 StrEG für das Verfahren nach Einstellung durch die Staatsanwaltschaft gerade nicht auf § 464 Abs. 3 Satz 2 StPO, der eine Bindung des Beschwerdegerichts an die tatsächlichen Feststellungen, auf der die Ausgangsentscheidung beruht, festlegt.

Die Entscheidung zu den Kosten folgt aus § 467 Abs. 1 StPO analog.

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