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Anklageschrift wegen übler Nachrede – Ablehnung Eröffnung Hauptverfahren

AG Frankfurt – Az.: 914 Ds 5170 Js 242739/18 – Beschluss vom 10.09.2019

Die Eröffnung des Hauptverfahrens auf der Grundlage der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 09.05.2019 wird abgelehnt.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main wirft dem Angeschuldigten in der Anklageschrift vom 09.05.2019 vor, am 16.08.2018 in Frankfurt am Main in Beziehung auf einen Anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet zu haben, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist (Vergehen, strafbar nach §§ 186, 194 Abs. 1 StGB).

Dem legt die Anklageschrift folgenden Sachverhalt zu Grunde:

Der Angeschuldigte ist Rechtsanwalt. Er war am Tattag für den gesondert Verfolgten D im Verfahren 5170 Js 225866/17 als Verteidiger vor dem Landgericht Frankfurt am Main, 11. Kleine Strafkammer, tätig. Im Rahmen dieser Hauptverhandlung wurde die für den gesondert Verfolgten D eingelegte Berufung gegen das bereits am 04.04.2018 ergangene Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main verworfen. Mit dem Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 04.04.2018 war der gesondert Verfolgte D wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Crack) zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt worden.

Der gesondert Verfolgte D bestritt in der Berufungshauptverhandlung am 16.08.2018 die Tat und ließ sich darüber hinaus nicht zur Sache ein. Im Rahmen der Berufungshauptverhandlung sagten die Zeugen POK E, PHK F, POK G und POK H als Zeugen aus. Am Ende der Berufungshauptverhandlung beantragte der Angeschuldigte, den gesondert Verfolgten D freizusprechen. Er führte aus, dass die Polizeibeamten, welche als Zeugen ausgesagt hatten, den gesondert Verfolgten „drankriegen“ wollten und daher „eine Story gestrickt“ und dem gesondert Verfolgten D etwas „untergeschoben“ hätten. Der Angeschuldigte behauptete, dass die polizeilichen Zeugen bewusst falsche Angaben in der Hauptverhandlung gemacht hätten. Hierbei war dem Angeschuldigten bewusst, dass diese Behauptungen geeignet waren, die Zeugen in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen. Das Landgericht kam nach Durchführung der Berufungshauptverhandlung ohne Zweifel zu der Überzeugung, dass der gesondert Verfolgte D die ihm vorgeworfene Tat begangen hatte und die Behauptung des Angeschuldigten völlig fernliegend und abwegig war. Der Zeuge POK E wohnte der Verhandlung nach seiner Vernehmung bis zum Ende bei.

II.

Die Eröffnung des Hauptverfahrens ist aus rechtlichen Gründen abzulehnen. Der Angeschuldigte handelte bei der ihm zur Last gelegten Tat in Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne des § 193 StGB.

Es kann dahinstehen, ob der Angeschuldigte die ihm zur Last gelegten Äußerungen als Tatsachen oder lediglich als Hypothese formulierte. Jedenfalls nämlich waren die ihm zur Last gelegten Äußerungen Ergebnis der von einem Verteidiger in einem Schlussvortrag üblicherweise vorzunehmenden Beweiswürdigung. Nach dem von der Anklage dargestellten Sachverhalt hatte der Mandant des Angeschuldigten die ihm zur Last gelegte Tat abgestritten. Dass ein Verteidiger den Einlassungen seines Mandanten Glauben schenkt, ist zulässig und im Rahmen der vertrauensvollen Ausübung seines Mandates nicht fernliegend. In dem von der Anklageschrift zugrunde gelegten Sachverhalt gibt es nur zwei mögliche Ergebnisse einer Beweisaufnahme: Der Mandant des Angeschuldigten hat die ihm zur Last gelegte Tat begangen, oder er hat sie nicht begangen. Für die erste Variante sprechen nach dem in der Anklageschrift zugrunde gelegten Sachverhalt übereinstimmende Angaben der genannten Polizeizeugen. Für die letzte Variante spricht das Bestreiten durch den Mandanten des Angeschuldigten. Es ist denknotwendig, dass entweder der Mandant des Angeschuldigten gelogen hatte oder aber dass die Polizeizeugen übereinstimmend gelogen hatten. Wenn nun der Angeschuldigte in Wahrnehmung seines Mandates bei der Beweiswürdigung zu dem Schluss gekommen war, dass er der Unschuldbeteuerung seines Mandanten Glauben schenken wolle, so ist es die zwangsläufige, denknotwendige Folge, dass die seinen Mandanten belastenden Zeugen die Unwahrheit sagen. Dass das Gericht der ersten Instanz ebenso wie das Landgericht Frankfurt am Main zu einer anderen Auffassung bei Würdigung der Beweise gelangt ist, macht für sich genommen die gegenteilige Beweiswürdigung des Angeschuldigten nicht zur strafbaren Handlung. Von Martin Luther ist der Ausspruch überliefert: „Konzile können irren und haben geirrt.“ Ebenso möchte man sagen: Gerichte können bei ihrer Beweiswürdigung irren und haben geirrt.

Der Angeschuldigte hat auch nicht die Grenzen der Wahrnehmung berechtigter Interessen etwa durch willkürliche, ins Blaue hinein abgegebene Äußerungen oder Schlussfolgerungen überschritten. Nach den in der Verfahrensakte dokumentierten Erklärungen des Anzeigenerstatters, E, wie auch des Vorsitzenden im Berufungsverfahren, I, hatte beispielsweise der Angeschuldigte in seinem Schlussvortrag insbesondere widersprüchliche Angaben des Zeugen F zum Ausgangspunkt seiner Schlussfolgerung gemacht, es würden Angaben durch Polizeibeamte so angepasst, dass sie den Tatverdacht gegen den Mandanten des Angeschuldigten erhärten. Auftauchende Widersprüche hätten zur nachträglichen Korrektur von zuvor als sicher dargestellten Behauptungen geführt. Das widersprüchliche Aussageverhalten insbesondere des Zeugen F ist aber keine Konstruktion des Angeschuldigten. Es ist vielmehr ausdrücklich vom Anzeigenerstatter und vom Vorsitzenden Richter im Ausgangsverfahren bestätigt worden.

Auch dass es sich bei den Belastungszeugen um Polizeibeamte handelt, gibt ihren Zeugenaussagen nicht per se eine erhöhte Glaubhaftigkeit und verleiht den Zeugen als solchen nicht per se eine erhöhte Glaubwürdigkeit.

Ein Erfahrungssatz „Polizisten lügen nie“ existiert nicht. Er ist viele Male falsifiziert worden. Das Gericht kann aus eigener Berufspraxis von einigen Fällen berichten, in denen erwiesenermaßen genau das vorgefallen ist: Mehrere Polizeibeamte hatten in gleichlautenden Vermerken zu Lasten eines Beschuldigten gelogen, mitunter dass sich die Balken bogen. Ihre Lügen, wegen deren gezielter und koordinierter Abgabe in den dem Gericht bekannten Fällen das Wort „Verschwörung“ keine Übertreibung war, konnten jeweils eher zufällig durch den Beamten unbekannte Videoaufzeichnungen oder ihnen unbemerkt gebliebene Zufallszeugen enttarnt werden.

Wenn nun der Angeschuldigte in dem ihm zur Last gelegten Sachverhalt bei Würdigung der unbestrittenermaßen keineswegs widerspruchsfreien Aussagen der Polizeizeugen unter Ausübung seines Mandates, mithin in Wahrnehmung eines berechtigten Interesses, zu der Auffassung gelangt ist, dass die seinen Mandanten übereinstimmend belastenden Polizeizeugen sich womöglich gegen seinen Mandanten verschworen haben, so liegt dies nicht außerhalb jeder Denkmöglichkeit. Das Landgericht mag eine solche Schlussfolgerung mit guten und nachvollziehbaren Gründen als „abwegig“ bewertet haben. Unzulässig ist die Präsentation einer solchen Denkmöglichkeit innerhalb eines Schlussvortrages jedoch nicht.

Wollte man die der Anklageschrift zugrunde liegende Auffassung zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz erheben, so würde dies die Möglichkeiten der Verteidigung in einem Strafprozess, jedoch in gleicher Weise auch die Möglichkeiten von Äußerungen der Staatsanwaltschaft in einem Strafprozess, erheblich einschränken. Immer wieder kommt es zu Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen, bei denen denklogisch notwendig die eine Seite die Unwahrheit sagt, schlicht lügt. Wenn sich nun Verteidiger – und auch Staatsanwälte – schon allein dadurch strafbar machen könnten, dass sie eine der beiden sich widersprechenden Seiten der Lüge bezichtigen, wäre die Präsentation des Ergebnisses einer Beweiswürdigung allenfalls noch in Konjunktiven möglich.

Der von der Staatsanwaltschaft zugrunde gelegte Sachverhalt enthält schließlich auch keine zusätzlichen schmähenden oder herabwürdigenden Aussagen des Angeschuldigten, welche über eine – womöglich pointiert vorgetragene – Beweiswürdigung hinausgehen. Ohnehin wäre dann nicht § 186 StGB, sondern § 185 StGB einschlägig.

 

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