Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Was passiert, wenn ein internationales Betrugsnetzwerk auch Opfer in Deutschland fordert?
- Worum ging es in dem Fall vor dem Oberlandesgericht Hamm genau?
- Warum legte die Frau Beschwerde gegen die Entscheidung ein?
- Wie entschied das Gericht, ob deutsches Recht überhaupt anwendbar ist?
- Warum wurden die 17.552 Betrugsfälle als eine einzige Tat gewertet?
- Wieso muss die Frau für eine Summe haften, die sie vielleicht nicht allein erhalten hat?
- Zu welchem Ergebnis kam das Gericht also bei der Beschwerde?
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wie kann deutsches Strafrecht bei internationalem Betrug angewendet werden?
- Warum können viele einzelne Betrugsfälle zu einer einzigen Straftat zusammengefasst werden?
- Wie kann der Staat bei Straftaten Geld einziehen, auch wenn die Täter nicht direkt verurteilt werden?
- Warum muss eine beteiligte Person die gesamte Schadenssumme zahlen, auch wenn sie nicht alles selbst erhalten hat?
- Was passiert, wenn eine Person bereits in einem anderen Land für dieselbe Straftat belangt wurde?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 1 Ws 90/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Hamm
- Datum: 14.05.2025
- Aktenzeichen: 1 Ws 90/25
- Verfahrensart: Sofortige Beschwerde (Einziehungsverfahren)
- Rechtsbereiche: Strafrecht, Strafprozessrecht, Einziehungsrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Die am Einziehungsverfahren beteiligte Person (Beschwerdeführerin), die sich gegen die gerichtliche Anordnung zur Einziehung von Taterträgen in Millionenhöhe wehrte.
- Beklagte: Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm (Beschwerdegegnerin), die die ursprüngliche Einziehungsanordnung der Vorinstanz verteidigte.
Worum ging es genau?
- Sachverhalt: Eine Person wurde in einem selbstständigen Einziehungsverfahren vom Landgericht Bielefeld dazu verpflichtet, über 2,5 Millionen Euro als Ertrag aus gewerbsmäßigem Betrug zu zahlen. Der Betrug erfolgte grenzüberschreitend durch den Vertrieb vermeintlicher „Schulungspakete“ oder Krypto-Währung und betraf auch deutsche Opfer. Die beteiligte Person legte gegen diese Entscheidung eine sofortige Beschwerde ein, um die Einziehung abzuwenden.
Welche Rechtsfrage war entscheidend?
- Kernfrage: Ist das deutsche Strafrecht auf ein grenzüberschreitendes, als Organisationsdelikt begangenes gewerbsmäßiges Betrugsgeschehen anwendbar, und ist eine Beteiligte in einem selbständigen Einziehungsverfahren für die gesamten Taterträge als Gesamtschuldnerin haftbar, wenn nur Teile des Taterfolgs in Deutschland eingetreten sind?
Wie hat das Gericht entschieden?
- Sofortige Beschwerde verworfen: Die Beschwerde der beteiligten Person wurde zurückgewiesen, womit die Entscheidung des Landgerichts Bielefeld zur Einziehung bestätigt wurde.
- Kernaussagen der Begründung:
- Einheitliche Tat als Organisationsdelikt bestätigt: Die Handlungen der beteiligten Person, die den Aufbau und die Aufrechterhaltung eines auf Straftaten ausgerichteten Betriebs umfassten, wurden als einheitliches Organisationsdelikt gewertet.
- Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts bejaht: Da auch deutsche Staatsangehörige in Deutschland geschädigt wurden und dort Vermögensverfügungen tätigten, ist das deutsche Strafrecht auf das gesamte als Einheit gesehene grenzüberschreitende Delikt anwendbar.
- Verbot der Doppelbestrafung nicht verletzt: Es gab keine Hinweise darauf, dass die beteiligte Person für dieselbe Tat bereits in einem anderen Land verurteilt wurde.
- Gesamtschuldnerische Haftung bestätigt: Die beteiligte Person hatte Mitverfügungsgewalt über die erzielten Taterträge, weshalb die gesamtschuldnerische Haftung in der festgesetzten Höhe gerechtfertigt ist.
- Folgen für die Klägerin/den Kläger:
- Die angeordnete Einziehung von Taterträgen in Höhe von 2.580.715,15 € bleibt bestehen und muss gezahlt werden.
- Die Kosten des Beschwerdeverfahrens muss sie tragen.
Der Fall vor Gericht
Was passiert, wenn ein internationales Betrugsnetzwerk auch Opfer in Deutschland fordert?
Stellen Sie sich vor, Sie stoßen im Internet auf eine verlockende Investitionsmöglichkeit. Eine Firma verspricht hohe Gewinne durch den Handel mit einer neuen, aufstrebenden Krypto-Währung. Sie investieren Geld, doch später stellt sich heraus: Die Währung existierte nie, die Firma war eine Fassade und Ihr Geld ist weg. Solche Betrugsmaschen agieren oft grenzüberschreitend. Die Täter sitzen in einem Land, die Server in einem anderen und die Opfer sind über die ganze Welt verteilt – auch in Deutschland.
Genau mit so einem Fall musste sich das Oberlandesgericht Hamm befassen. Die zentrale Frage war: Kann die deutsche Justiz eine Beteiligte an einem solchen weltweiten Betrugssystem zur Rechenschaft ziehen und von ihr das ergaunerte Geld zurückfordern, auch wenn nur ein Teil der Opfer in Deutschland lebt?
Worum ging es in dem Fall vor dem Oberlandesgericht Hamm genau?

Im Mittelpunkt stand eine Frau, nennen wir sie Frau W. Das Landgericht Bielefeld hatte zuvor in einem besonderen Verfahren entschieden, dass sie einen Betrag von 2.580.715,15 Euro an den Staat zahlen muss. Dieser Betrag soll aus Straftaten stammen. Konkret ging es um ein selbständiges Einziehungsverfahren. Das ist ein spezielles Gerichtsverfahren, das nur ein Ziel hat: Geld oder Vermögenswerte, die aus einer Straftat stammen, vom Staat einziehen zu lassen. Dies kann auch dann geschehen, wenn die betreffende Person nicht selbst als Täterin in einem Strafprozess verurteilt wird.
Der Vorwurf lautete, Frau W. sei an einem gewerbsmäßigen Betrug in gigantischem Ausmaß beteiligt gewesen. In insgesamt 17.552 Fällen sollen Menschen getäuscht worden sein. Das System basierte auf dem Verkauf von „Schulungspaketen“, die in Wahrheit nur dem verdeckten Handel mit einer angeblich existierenden Krypto-Währung dienten. Frau W. soll die Organisationsstrukturen für diesen Betrug mit aufgebaut, betreut und ausgenutzt haben. Sie schuf also die Rahmenbedingungen, die den Betrug erst ermöglichten. Die Opfer kamen aus vielen verschiedenen Ländern, aber unter ihnen waren auch deutsche Staatsbürger. Diese hatten ihr Geld von ihren Konten in Deutschland aus überwiesen. Der Gesamtschaden des Netzwerks wurde auf rund 20 Millionen Euro geschätzt.
Warum legte die Frau Beschwerde gegen die Entscheidung ein?
Frau W. war mit der Entscheidung des Landgerichts Bielefeld nicht einverstanden. Sie wollte nicht akzeptieren, dass sie fast 2,6 Millionen Euro zahlen sollte. Deshalb legte sie ein Rechtsmittel ein, die sogenannte sofortige Beschwerde. Das ist eine schnelle Form der Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung durch die nächsthöhere Instanz – in diesem Fall das Oberlandesgericht Hamm.
Obwohl ihre genauen Argumente im Gerichtsbeschluss nicht im Detail wiedergegeben werden, lässt sich aus dem Kontext schließen, was sie vermutlich vorbrachte. Ein zentraler Punkt dürfte gewesen sein: Warum sollte die deutsche Justiz für diesen globalen Fall zuständig sein? Die Betrugsmasche war international, die meisten Opfer lebten nicht in Deutschland. Sie hat wahrscheinlich argumentiert, dass deutsches Strafrecht hier nicht auf das gesamte Geschehen angewendet werden darf. Außerdem wird sie vermutlich bestritten haben, dass man alle 17.552 Betrugsfälle einfach zu einer einzigen großen Tat zusammenfassen und sie dafür in dieser Höhe haftbar machen kann.
Wie entschied das Gericht, ob deutsches Recht überhaupt anwendbar ist?
Das war die Kernfrage des Falles. Wie konnte ein deutsches Gericht über einen Betrug urteilen, der sich über viele Länder erstreckte? Die Antwort des Gerichts war klar und basierte auf einem Grundprinzip des deutschen Strafrechts, dem sogenannten Territorialitätsprinzip. Dieses besagt vereinfacht: Eine Straftat, die auf deutschem Boden begangen wird, unterliegt deutschem Recht.
Aber was ist der „Ort“ der Tat bei einem Internetbetrug? Das Gesetz (§ 9 Strafgesetzbuch) bietet hier mehrere Anknüpfungspunkte. Einer davon ist der sogenannte Erfolgsort. Das ist der Ort, an dem der schädliche Erfolg einer Tat eintritt. Bei einem Betrug ist der Erfolg der Moment, in dem das Opfer sein Geld verliert und dadurch einen Vermögensschaden erleidet.
Im Fall von Frau W. gab es Opfer in Deutschland. Diese Opfer haben von ihren deutschen Bankkonten aus das Geld an die Betrüger überwiesen. In diesem Moment trat der Schaden für sie in Deutschland ein. Damit war für das Gericht klar: Ein Teil des Taterfolgs fand zweifellos in Deutschland statt. Aber was bedeutet das für die Taten, bei denen Opfer in Frankreich, Spanien oder anderswo geschädigt wurden?
Hier kommt die entscheidende juristische Weichenstellung des Gerichts ins Spiel: die Bewertung des gesamten Geschehens als eine einzige Tat.
Warum wurden die 17.552 Betrugsfälle als eine einzige Tat gewertet?
Man könnte meinen, jeder einzelne Betrug an einer Person sei eine eigene, separate Straftat. Das Gericht sah das anders. Es stufte das Handeln von Frau W. als ein sogenanntes (uneigentliches) Organisationsdelikt ein. Was bedeutet das?
Ihre eigentliche strafbare Handlung war nicht die Täuschung jedes einzelnen Opfers. Ihre Tat bestand darin, die kriminelle Organisation – den auf Betrug ausgerichteten „Gewerbebetrieb“ – aufzubauen und am Laufen zu halten. Alle 17.552 Einzelbetrügereien waren letztlich nur die Folge dieser einen, großen und andauernden Handlung. Juristisch spricht man hier von Tateinheit. Das bedeutet, mehrere an sich selbstständige Gesetzesverstöße werden zu einer einzigen prozessualen Tat zusammengefasst, weil sie durch eine einzige Handlung verursacht wurden.
Um das zu verstehen, stellen Sie sich vor, jemand baut eine Maschine, die automatisch Falschgeld druckt. Die eigentliche Straftat ist der Bau und Betrieb der Maschine. Jeder einzelne gefälschte Geldschein, den die Maschine ausspuckt, ist dann nur eine Auswirkung dieser einen Tat.
Diese Einstufung als einheitliches Organisationsdelikt war der Schlüssel für die weitere Argumentation des Gerichts:
- Da das gesamte Betrugssystem als eine einzige Tat gilt,
- und ein Teil des Erfolgs dieser Tat in Deutschland eingetreten ist (durch die deutschen Opfer),
- ist das deutsche Strafrecht für die gesamte Tat anwendbar, also auch für die Teile, die Opfer im Ausland betrafen.
Das Gericht stellte außerdem fest, dass Frau W. wegen dieser Tat noch nicht in einem anderen Land verurteilt worden war. Damit war auch das Verbot der Doppelbestrafung (lateinisch: ne bis in idem), ein fundamentaler Rechtsgrundsatz, nicht verletzt.
Wieso muss die Frau für eine Summe haften, die sie vielleicht nicht allein erhalten hat?
Das Gericht bestätigte nicht nur die Zuständigkeit, sondern auch die Höhe der Forderung und die Art der Haftung. Frau W. wurde zur Zahlung als Gesamtschuldnerin verurteilt. Was bedeutet das konkret?
Stellen Sie es sich wie bei einem gemeinsamen Mietvertrag für eine WG vor. Wenn drei Personen den Vertrag unterschreiben, kann der Vermieter von jedem einzelnen der drei Mieter die volle Miete fordern, nicht nur ein Drittel. Der Mieter, der zahlt, muss sich das Geld dann von den anderen zurückholen. Genauso funktioniert die gesamtschuldnerische Haftung bei Straftaten. Wenn mehrere Personen gemeinsam eine Straftat begehen und daraus Geld erlangen, kann der Staat sich aussuchen, von wem er die gesamte Summe zurückfordert.
Die Voraussetzung dafür ist, dass die Beteiligten eine sogenannte (Mit-)Verfügungsgewalt über die Taterträge hatten. Das bedeutet, sie hatten zumindest zeitweise Zugriff auf das erbeutete Geld und konnten mitentscheiden, was damit geschieht. Das Gericht befand, dass dies bei Frau W. der Fall war. Sie war Teil der Organisation und hatte somit Zugriff auf den gemeinsamen Topf, in den die Gelder der Opfer flossen. Daher muss sie für den eingezogenen Betrag geradestehen, auch wenn andere Täter ebenfalls profitiert haben. Die gesamtschuldnerische Haftung bestand hier gemeinsam mit einer Firma, der H. GmbH.
Zu welchem Ergebnis kam das Gericht also bei der Beschwerde?
Das Oberlandesgericht Hamm prüfte die Argumente und kam zu dem Schluss, dass die Entscheidung des Landgerichts Bielefeld in allen Punkten korrekt war. Es teilte die Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft, die ebenfalls für die Zurückweisung der Beschwerde plädiert hatte.
Die Beschwerde von Frau W. wurde daher als unbegründet verworfen. Die Anordnung, den Wert der Taterträge in Höhe von 2.580.715,15 Euro einzuziehen, bleibt bestehen. Zusätzlich muss Frau W. die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm verdeutlicht, wie deutsche Gerichte bei grenzüberschreitenden Betrugsnetzwerken ihre Zuständigkeit begründen und umfassende Vermögensabschöpfung durchsetzen können.
- Territorialitätsprinzip bei internationalen Internetdelikten: Das Gericht bestätigte, dass deutsches Strafrecht bereits dann anwendbar ist, wenn nur ein Teil der Opfer eines internationalen Betrugsnetzwerks in Deutschland geschädigt wurde – der Erfolgsort nach § 9 StGB reicht als Anknüpfungspunkt aus.
- Organisationsdelikte als einheitliche Tatbewertung: Daraus folgt, dass komplexe Betrugssysteme mit tausenden Einzelfällen als ein einziges Organisationsdelikt gewertet werden können, wenn die Täterhandlung im Aufbau und Betrieb der kriminellen Struktur besteht – dadurch wird die gesamte internationale Tatbegehung der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen.
- Gesamtschuldnerische Haftung bei Mittäterschaft: Das Urteil etabliert, dass Beteiligte an organisierten Betrugsnetzwerken für die gesamten Taterträge als Gesamtschuldner haften, wenn sie Mitverfügungsgewalt über die erbeuteten Gelder hatten – unabhängig davon, welchen Anteil sie persönlich erhalten haben.
Diese Rechtsprechung stärkt die Möglichkeiten deutscher Strafverfolgungsbehörden, auch bei global agierenden Betrugsnetzwerken effektive Vermögensabschöpfung zu betreiben.
Befinden Sie sich in einer ähnlichen Situation? Fragen Sie unsere Ersteinschätzung an.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wie kann deutsches Strafrecht bei internationalem Betrug angewendet werden?
Deutsches Strafrecht kann auch dann bei Betrug angewendet werden, wenn die beteiligten Personen oder Teile der Betrugshandlung im Ausland stattgefunden haben. Entscheidend hierfür ist das sogenannte „Tatortprinzip“. Dieses Prinzip besagt, dass eine Straftat als in Deutschland begangen gilt, wenn ein relevanter Teil der Handlung oder der Erfolg der Tat im Inland eingetreten ist.
Der Tatort und der Erfolgsort: Schlüsselbegriffe
Für die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts bei Betrug ist es wichtig zu verstehen, was als „Tatort“ im rechtlichen Sinne gilt. Der deutsche Gesetzgeber definiert den Tatort nicht nur als den Ort, an dem der Täter gehandelt hat (der Handlungsort), sondern auch als den Ort, an dem der Erfolg der Tat eingetreten ist. Dieser „Erfolgsort“ ist gerade bei internationalem Betrug von großer Bedeutung.
Stellen Sie sich vor, Betrüger sitzen im Ausland und täuschen eine Person in Deutschland über das Internet oder per Telefon. Obwohl die Täuschungshandlung selbst (z.B. das Versenden der E-Mail oder der Anruf) im Ausland erfolgte, kann das deutsche Strafrecht trotzdem greifen, wenn der Betrug in Deutschland seinen finanziellen „Erfolg“ erzielt hat.
Wie ein Schaden in Deutschland ausreicht
Ein klassisches Beispiel hierfür ist, wenn Sie als Betrugsopfer in Deutschland sind und Ihnen durch die Täuschungshandlung der Betrüger Geld von Ihrem deutschen Bankkonto abgebucht wird oder Sie Geld an die Betrüger überweisen. In diesem Moment tritt der finanzielle Schaden – der sogenannte „Vermögensschaden“ – bei Ihnen in Deutschland ein. Dieser Vermögensschaden ist der „Erfolg“ der Betrugstat.
Für Sie bedeutet das: Selbst wenn die Betrüger nie deutschen Boden betreten haben und die eigentliche Täuschungshandlung von einem Server im Ausland ausging, kann die deutsche Justiz zuständig sein, weil der für den Betrug typische Schaden – Ihr Geldverlust – sich in Deutschland ereignet hat. Das deutsche Strafgesetzbuch (§ 9 StGB) legt fest, dass der Tatort sowohl der Ort der Handlung als auch der Ort des Erfolgs ist. Tritt der Erfolg, also der Schaden, in Deutschland ein, gilt die Tat als hier begangen, und deutsches Strafrecht kann angewendet werden. Dies ermöglicht es den deutschen Behörden, auch bei solchen grenzüberschreitenden Fällen Ermittlungen aufzunehmen und strafrechtlich vorzugehen.
Warum können viele einzelne Betrugsfälle zu einer einzigen Straftat zusammengefasst werden?
Wenn tausende einzelne Betrugsfälle gerichtlich als eine einzige Straftat behandelt werden, liegt das an besonderen juristischen Konzepten: der Tateinheit und dem sogenannten Organisationsdelikt. Für juristische Laien ist dies oft schwer nachvollziehbar, da man intuitiv jeden einzelnen Schaden als eigene Tat sehen würde.
Das Prinzip der Tateinheit
Das deutsche Strafrecht kennt das Prinzip der Tateinheit. Das bedeutet, dass mehrere einzelne Straftaten als eine einzige, rechtliche Einheit behandelt werden können, wenn sie durch eine einzige Handlung oder durch mehrere Handlungen begangen werden, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie rechtlich als ein einziger Lebensvorgang erscheinen.
Stellen Sie sich vor, eine Person setzt ein komplexes betrügerisches System auf, zum Beispiel ein Callcenter, das systematisch und nach demselben Muster Menschen betrügt. Auch wenn Tausende Anrufe getätigt werden und Tausende Menschen geschädigt werden, kann die Gesamthandlung des Aufrechterhaltens und Betreibens dieses Systems als eine einzige, fortgesetzte Tat angesehen werden. Es geht also nicht um jeden einzelnen Anruf oder jede einzelne Überweisung, sondern um die eine übergreifende Entscheidung und das Handeln, das dieses System überhaupt erst ermöglicht und am Laufen hält.
Das Organisationsdelikt: Das System im Fokus
Bei sehr großen, systematischen Betrugsfällen, wie sie oft im Bereich der organisierten Kriminalität auftreten, spricht man häufig von einem Organisationsdelikt. Das bedeutet, der strafrechtliche Fokus verschiebt sich weg vom einzelnen, kleinen Betrugsvorgang hin zum kriminellen System als solchem.
Gerade bei professionell organisierten Betrugsmaschen, wie etwa Anlagebetrug über fiktive Online-Plattformen oder Massenbetrug über gefälschte Gewinnspiele, ist das eigentliche Verbrechen nicht nur der Schaden für das individuelle Opfer. Vielmehr ist es das planmäßige Errichten und Betreiben der betrügerischen Struktur, die darauf ausgelegt ist, eine unbestimmte Vielzahl von Opfern zu schädigen. Für die Gerichte ist hier entscheidend, dass das gesamte System auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet ist und als eine Einheit betrachtet wird. Die Schäden vieler einzelner Opfer sind dann die Folgen dieses einen großen, organisierten Betrugssystems.
Die Bedeutung für den Gesamtschaden und internationale Fälle
Diese rechtliche Betrachtungsweise ist wichtig, um die volle Bandbreite des verursachten Schadens erfassen und die Täter angemessen bestrafen zu können. Wenn ein kriminelles System weltweit agiert und beispielsweise über Server im Ausland oder Mittelsmänner in verschiedenen Ländern Betrug begeht, kann die deutsche Gerichtsbarkeit dennoch den Gesamtschaden des Systems berücksichtigen, auch wenn nur ein kleiner Teil der Opfer in Deutschland ansässig war.
Das deutsche Strafrecht ermöglicht es, diese übergeordneten Strukturen als eine einzige Straftat zu verfolgen, um die gesamte kriminelle Energie und den verursachten Gesamtschaden zu bewerten. Dies hilft, die oft komplexen und grenzüberschreitenden Fälle der organisierten Kriminalität effektiv zu bekämpfen und die verantwortlichen Hintermänner für das gesamte Ausmaß ihrer Taten zur Rechenschaft zu ziehen.
Wie kann der Staat bei Straftaten Geld einziehen, auch wenn die Täter nicht direkt verurteilt werden?
Der Staat hat die Möglichkeit, Vermögenswerte, die aus Straftaten stammen, einzuziehen. Dies wird als Vermögenseinziehung bezeichnet und dient dazu, Kriminellen ihre unrechtmäßig erlangten Gewinne abzunehmen. Das Ziel ist es, zu verhindern, dass sich Straftaten finanziell lohnen. Für Opfer von Straftaten, beispielsweise Betrug, ist dies besonders relevant, da die eingezogenen Gelder unter bestimmten Voraussetzungen zur Entschädigung genutzt werden können.
Der Zweck der Vermögenseinziehung
Die Vermögenseinziehung ist eine wichtige Maßnahme, um die Profite aus Straftaten abzuschöpfen. Stellen Sie sich vor, jemand hat durch Betrug viel Geld verdient. Das Gesetz will verhindern, dass diese Person ihr unrechtmäßig erlangtes Vermögen behalten darf. Es geht also nicht nur darum, den Täter zu bestrafen, sondern ihm auch den wirtschaftlichen Vorteil zu entziehen. Das betrifft nicht nur Bargeld, sondern auch andere Vermögenswerte, die direkt aus der Straftat stammen oder mit ihr in Verbindung stehen, wie zum Beispiel teure Autos oder Immobilien, die mit illegalen Gewinnen gekauft wurden.
Einziehung ohne Verurteilung: Die selbstständige Einziehung
Das deutsche Strafrecht bietet Wege, Vermögen einzuziehen, selbst wenn die Täter nicht in einem klassischen Strafprozess verurteilt werden oder sogar unbekannt bleiben. Der wichtigste Weg hierfür ist die selbstständige Einziehung von Taterträgen oder deren Wert. Diese Möglichkeit besteht vor allem in folgenden Fällen:
- Der Täter kann nicht verfolgt werden: Wenn beispielsweise der Täter verstorben ist, psychisch erkrankt oder flüchtig ist und deshalb kein Strafverfahren gegen ihn geführt oder beendet werden kann, kann dennoch eine Einziehung des Vermögens erfolgen. Das Gericht richtet sich dann nicht mehr gegen die Person, sondern gegen das Vermögen selbst.
- Der Täter wird nicht verurteilt: Auch wenn ein Angeklagter freigesprochen wird, weil ihm beispielsweise die Tat nicht nachgewiesen werden kann, kann trotzdem eine selbstständige Einziehung erfolgen. Voraussetzung ist, dass das Gericht feststellt, dass die Vermögenswerte tatsächlich aus einer rechtswidrigen Tat stammen. Die Fokussierung liegt hier auf der illegalen Herkunft des Vermögens, nicht auf der individuellen Schuld des Täters.
- Die Täter sind unbekannt oder nicht identifizierbar: Dies ist besonders relevant bei organisierten Kriminalität oder Cyberbetrug, wo es oft schwierig ist, die Verantwortlichen zu fassen. Wenn die Herkunft des Geldes aus einer Straftat klar ist – zum Beispiel, weil es auf ein bestimmtes Konto überwiesen wurde, das mit illegalen Aktivitäten in Verbindung steht – kann dieses Geld eingezogen werden, auch wenn der eigentliche Betrüger nicht ermittelt werden kann. Das Vermögen gilt als „verunreinigt“ durch die Straftat.
Bei der selbstständigen Einziehung geht es somit primär darum, zu beweisen, dass die Vermögenswerte aus einer rechtswidrigen Tat stammen. Die Entscheidung wird von einem Gericht getroffen, oft in einem speziellen Verfahren, das sich ausschließlich auf die Einziehung konzentriert.
Bedeutung für die Opfer
Für Opfer von Betrug und anderen Straftaten ist die Vermögenseinziehung eine Hoffnung auf Wiedergutmachung. Die vom Staat eingezogenen Gelder können unter bestimmten Voraussetzungen an die Geschädigten zurückgezahlt werden. Dies geschieht in der Regel im Rahmen eines sogenannten Adhäsionsverfahrens (einem speziellen Verfahren im Strafprozess, um zivilrechtliche Ansprüche geltend zu machen) oder über die Opferentschädigung. So kann der Schaden, der Ihnen durch die Straftat entstanden ist, zumindest teilweise gemindert werden.
Warum muss eine beteiligte Person die gesamte Schadenssumme zahlen, auch wenn sie nicht alles selbst erhalten hat?
Wenn mehrere Personen gemeinsam einen Schaden verursachen, der zum Beispiel durch eine Straftat entstanden ist, greift oft das Prinzip der gesamtschuldnerischen Haftung. Dieses Prinzip soll sicherstellen, dass das Opfer des Schadens nicht benachteiligt wird und seinen gesamten Schaden von einem oder mehreren der Verantwortlichen ersetzt bekommt.
Was bedeutet „gesamtschuldnerische Haftung“?
Stellen Sie sich vor, mehrere Personen handeln zusammen und verursachen dabei einen Schaden. Im deutschen Recht ist es dann so, dass jede dieser Personen für den gesamten Schaden haftbar gemacht werden kann. Das bedeutet, das Opfer kann die gesamte Schadenssumme von einer beliebigen Person aus der Gruppe der Verantwortlichen einfordern – es muss sich nicht von jedem nur dessen „Anteil“ holen. Das ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 421 BGB) geregelt.
Der Grundgedanke ist hier der Schutz des Opfers. Das Opfer soll es so einfach wie möglich haben, seinen Schaden ersetzt zu bekommen. Es muss nicht erst mühsam herausfinden, welcher Beteiligte welchen genauen Anteil am Schaden hat oder wie viel Geld jeder Einzelne aus einer Straftat tatsächlich für sich behalten hat. Für das Opfer zählt nur, dass der gesamte Schaden ausgeglichen wird.
Verfügungsgewalt über die Einnahmen
Im Kontext von Straftaten, bei denen es um Einnahmen oder Beute geht (wie zum Beispiel bei Betrug oder Diebstahl), ist nicht entscheidend, wie viel Geld jede Person tatsächlich physisch in die eigene Tasche gesteckt hat. Vielmehr kommt es darauf an, ob die beteiligte Person Zugriff auf die Einnahmen hatte oder Verfügungsgewalt darüber ausüben konnte.
- Verfügungsgewalt bedeutet hier die Möglichkeit, über die Einnahmen zu bestimmen, sie zu verteilen oder sie für eigene Zwecke zu nutzen – selbst wenn man dies am Ende nicht getan hat oder der eigene Anteil gering war.
- Wenn beispielsweise mehrere Personen gemeinsam einen Betrug begehen und das erlangte Geld auf ein Konto fließt, auf das alle Beteiligten Zugriff haben oder es vorab vereinbart wurde, wie es aufgeteilt wird, dann haften alle für die gesamte Summe. Es reicht die gemeinsame Tatbeteiligung und die Möglichkeit, auf die Beute zuzugreifen.
Der interne Ausgleich zwischen den Beteiligten
Das bedeutet jedoch nicht, dass die Person, die den gesamten Schaden gezahlt hat, auf den Kosten sitzen bleibt. Haben mehrere Personen gemeinsam gehaftet und eine davon hat die gesamte Schadenssumme an das Opfer gezahlt, so kann diese Person von den anderen Beteiligten einen Ausgleich verlangen. Das nennt man den „internen Ausgleichsanspruch“.
Dieser Ausgleich richtet sich danach, wie viel jeder Einzelne nach den inneren Vereinbarungen oder nach dem Grad seiner Beteiligung und seines Verschuldens zur gesamten Summe beitragen sollte. Die genaue Aufteilung muss dann zwischen den Beteiligten geklärt werden. Es ist also eine Frage des Opferschutzes nach außen und eine Frage der Fairness unter den Verantwortlichen im Innenverhältnis.
Was passiert, wenn eine Person bereits in einem anderen Land für dieselbe Straftat belangt wurde?
Wenn eine Person im Ausland für eine Straftat zur Verantwortung gezogen wurde, stellt sich die Frage, ob sie für dieselbe Tat in Deutschland erneut belangt werden kann. Hier greift der wichtige Rechtsgrundsatz „ne bis in idem“, was wörtlich bedeutet „nicht zweimal in derselben Sache“. Dieses Prinzip soll verhindern, dass jemand für ein und denselben Vorfall mehrfach vor Gericht gestellt und bestraft wird.
Das Prinzip „ne bis in idem“
Das Doppelbestrafungsverbot ist ein Grundpfeiler des Rechtsstaats. Es besagt, dass, sobald ein rechtskräftiges Urteil (ein Urteil, das nicht mehr angefochten werden kann) für eine bestimmte Tat ergangen ist, die betreffende Person für diese Tat nicht erneut verfolgt, angeklagt oder verurteilt werden darf. Dies gilt grundsätzlich auch über Landesgrenzen hinweg, aber mit wichtigen Einschränkungen.
Anwendung innerhalb der Europäischen Union
Innerhalb der Europäischen Union (EU) ist das Prinzip „ne bis in idem“ stärker ausgeprägt und in vielen Fällen direkt anwendbar. Wenn eine Person beispielsweise in einem EU-Mitgliedstaat für eine Straftat rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen wurde und die Strafe bereits vollstreckt wurde, in Vollstreckung begriffen ist oder verjährt ist, dann darf sie für dieselbe Tat in einem anderen EU-Mitgliedstaat in der Regel nicht erneut verfolgt werden. Dies soll die Rechtssicherheit im europäischen Raum gewährleisten und die Freizügigkeit fördern.
Situation außerhalb der Europäischen Union (Drittstaaten)
Anders verhält es sich, wenn das Urteil aus einem Land stammt, das nicht zur Europäischen Union gehört (ein sogenannter Drittstaat). Hier gilt das Prinzip „ne bis in idem“ nicht automatisch. Das deutsche Strafrecht sieht in solchen Fällen eine andere Regelung vor:
Deutschland kann die Person für dieselbe Tat erneut verfolgen, wenn die Tat nach deutschem Recht strafbar ist und in Deutschland einen Bezug hat (z.B. der Täter ist Deutscher oder die Tat wurde gegen deutsche Interessen begangen). Allerdings schreibt das deutsche Strafgesetzbuch (§ 51 Abs. 3 StPO) vor, dass eine bereits im Ausland verbüßte Strafe oder eine erlittene sonstige Maßnahme auf eine in Deutschland verhängte Strafe angerechnet werden muss. Das bedeutet, die im Ausland erfolgte Ahndung wird berücksichtigt, um eine unverhältnismäßige Doppelbestrafung zu vermeiden. Es kann sogar dazu kommen, dass von einer weiteren Verfolgung in Deutschland abgesehen wird, wenn die im Ausland erfolgte Bestrafung als ausreichend angesehen wird.
Was bedeutet „dieselbe Straftat“?
Wichtig ist, dass sich das „ne bis in idem“-Prinzip auf den konkreten Lebenssachverhalt bezieht, also auf denselben historischen Vorgang. Es geht nicht nur darum, ob die Straftat denselben Namen trägt (z.B. Diebstahl), sondern ob es sich um dieselbe konkrete Handlung handelt, für die bereits eine Entscheidung ergangen ist. Eine Person, die beispielsweise in den Niederlanden für einen Diebstahl verurteilt wurde, kann für genau diesen Diebstahl nicht noch einmal in Deutschland wegen Diebstahls angeklagt werden, wenn die Voraussetzungen für die Geltung des „ne bis in idem“-Prinzips erfüllt sind.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Doppelbestrafungsverbot ein wichtiges Schutzrecht darstellt, dessen Anwendung im internationalen Kontext von vielen Faktoren abhängt, insbesondere von den jeweiligen Staaten (EU-Mitgliedstaat oder Drittstaat) und der Natur des ausländischen Urteils.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Selbstständiges Einziehungsverfahren
Ein selbstständiges Einziehungsverfahren ist ein spezielles Gerichtsverfahren, bei dem Vermögenswerte, die aus einer Straftat stammen, vom Staat eingezogen werden – auch ohne eine vorherige Verurteilung des Täters im Strafprozess. Der Fokus liegt allein darauf, die illegalen Gewinne abzuschöpfen, um einen finanziellen Vorteil aus der Straftat zu verhindern. Dieses Verfahren ist gesetzlich im Strafgesetzbuch (§ 73 ff. StGB) geregelt und dient dazu, kriminelle Vermögenswerte effektiver zu bekämpfen. Ein Beispiel ist die Einziehung von Geld, das aus Betrug erlangt wurde, selbst wenn der Täter nicht rechtskräftig verurteilt wurde.
Territorialitätsprinzip
Das Territorialitätsprinzip im Strafrecht bedeutet, dass deutsches Recht auf Straftaten angewendet wird, die auf deutschem Staatsgebiet begangen wurden. Dies umfasst sowohl den Ort der Tatbegehung als auch den „Erfolgsort“, also den Ort, an dem die rechtswidrigen Folgen der Tat eintreten (§ 9 StGB). Bei Internetbetrug beispielsweise gilt die Tat als in Deutschland begangen, wenn der Vermögensschaden in Deutschland entsteht, etwa durch Überweisung von Geld von deutschen Bankkonten. So stellt das Prinzip sicher, dass der Staat für Taten innerhalb seiner Grenzen zuständig ist, auch wenn die Täter oder technische Mittel im Ausland sind.
Organisationsdelikt
Ein Organisationsdelikt liegt vor, wenn eine Person eine kriminelle Organisation aufbaut oder betreibt, die Straftaten begehen soll. Dabei richtet sich die strafrechtliche Verantwortung nicht nur auf die einzelnen Straftaten selbst, sondern auf die übergeordnete Struktur, die diese Taten ermöglicht und lenkt. Im hier behandelten Fall bestand die Straftat darin, das Betrugssystem zu organisieren, das Tausende Betrugsfälle verursachte. Ein Beispiel wäre, wenn jemand eine Betrügerfirma gründet und so ein gesamtes Netzwerk von betrügerischen Geschäften am Laufen hält.
Tateinheit
Tateinheit bedeutet, dass mehrere gesetzlich strafbare Taten, die durch eine oder mehrere Handlungen eng miteinander verbunden sind, als eine einzige Straftat rechtlich zusammengefasst werden. Dies gilt, wenn die Taten einen einheitlichen Lebensvorgang formen, wie bei einem Betrugssystem mit vielen Einzelfällen. Im Fall von Frau W. wurden 17.552 Betrugsfälle als eine Tat gewertet, weil sie alle aus demselben organisierten Handeln entstanden sind. Ein anschauliches Beispiel ist eine Anlage, die serienweise gefälschtes Geld druckt: Die Produktion ist eine einzige Tat, die vielen gesonderten Fälschungen sind Ausfluss dieser Tat.
Gesamtschuldnerische Haftung
Bei gesamtschuldnerischer Haftung können mehrere Personen, die gemeinsam eine Straftat begangen haben, jeder einzeln für die gesamte Schadenssumme verantwortlich gemacht werden (§ 421 BGB). Für das Opfer bedeutet das, es kann die volle Schadensersatzforderung von einer beliebigen beteiligten Person verlangen, ohne sich um die interne Aufteilung kümmern zu müssen. Im Beispiel im Text haftet Frau W. als Gesamtschuldnerin gemeinsam mit einer Firma für den gesamten eingezogenen Betrag, weil sie über Verfügungsgewalt über das Geld verfügte. Intern können sich die Beteiligten untereinander dann Ausgleichsansprüche stellen, um die Kosten gerecht zu verteilen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c Strafgesetzbuch (StGB) in Verbindung mit § 76a Absatz 1 StGB – Selbständiges Einziehungsverfahren): Die Einziehung von Taterträgen ermöglicht es dem Staat, Vermögenswerte abzuschöpfen, die direkt oder indirekt aus einer Straftat stammen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Täter noch im Besitz der Werte ist oder diese verschoben hat; es wird der Wert des Erlangten eingezogen. Ein selbstständiges Einziehungsverfahren bedeutet, dass diese Einziehung auch ohne eine Verurteilung der betreffenden Person in einem Strafprozess erfolgen kann, sobald ein Gericht die rechtswidrige Herkunft der Vermögenswerte feststellt. Dies dient dazu, Kriminalität für Täter unwirtschaftlich zu machen und die Gewinne aus Straftaten dem Staat zukommen zu lassen. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Der vorliegende Fall betrifft genau ein solches selbstständiges Einziehungsverfahren, bei dem die Einziehung eines Millionenbetrages angeordnet wurde, der aus dem internationalen Betrug stammen soll.
- Territorialitätsprinzip (§ 3 Strafgesetzbuch (StGB)) und Erfolgsort (§ 9 Absatz 1 Strafgesetzbuch (StGB)): Das Territorialitätsprinzip besagt, dass das deutsche Strafrecht für alle Taten gilt, die auf deutschem Gebiet begangen werden. Bei Taten mit Auslandsbezug ist der „Ort der Tat“ entscheidend. Gemäß § 9 StGB gilt eine Tat als in Deutschland begangen, wenn der Täter hier gehandelt hat oder wenn der schädliche Erfolg der Tat hier eingetreten ist. Dieser sogenannte Erfolgsort ist besonders wichtig bei Internetdelikten, da Täter und Opfer oft räumlich getrennt sind. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Da Opfer des Betrugs in Deutschland saßen und ihr Geld von hier überwiesen, trat der Vermögensschaden und somit der Taterfolg für sie in Deutschland ein, was die Anwendung deutschen Strafrechts auf diese Fälle begründete.
- Betrug (§ 263 Strafgesetzbuch (StGB)): Betrug ist ein Vermögensdelikt, das vorliegt, wenn jemand eine andere Person durch Täuschung absichtlich zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung verleitet, wodurch dieser Person oder einem Dritten ein Vermögensschaden entsteht. Wichtig ist dabei, dass der Täter mit der Absicht handelt, sich selbst oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Die Täuschung muss ursächlich für die Vermögensverfügung und den Vermögensschaden sein. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Fall basiert auf einem gewerbsmäßigen Betrug durch Vortäuschung einer nicht existierenden Kryptowährung, aus dem die eingezogenen Vermögenswerte stammten, auch wenn Frau W. selbst nicht direkt als Täterin verurteilt wurde.
- Uneigentliches Organisationsdelikt und Tateinheit (§ 52 Strafgesetzbuch (StGB)): Ein uneigentliches Organisationsdelikt beschreibt einen Fall, in dem die eigentliche Straftat in der Schaffung und dem Betrieb einer kriminellen Organisation besteht, deren Zweck die Begehung von Straftaten ist. Die vielen einzelnen Delikte, die von dieser Organisation ausgeführt werden, gelten dann nicht als separate Straftaten, sondern als bloße Auswirkungen dieser einen, übergeordneten Handlung. Dies führt zur Tateinheit, einer juristischen Konstruktion, bei der mehrere selbstständige Gesetzesverstöße aufgrund einer einzigen Handlung als eine einzige prozessuale Tat behandelt werden. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Die 17.552 einzelnen Betrugsfälle wurden vom Gericht als Auswirkungen von Frau W.’s übergeordneter Handlung des Aufbaus und Betriebs der Betrugsorganisation gewertet, was die Anwendung deutschen Rechts auf die gesamte Tat begründete.
- Gesamtschuldnerische Haftung (§ 421 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog): Gesamtschuldnerische Haftung bedeutet, dass mehrere Personen für eine Schuld in voller Höhe gemeinsam einstehen müssen. Der Gläubiger kann die gesamte Leistung von jedem der Schuldner einzeln fordern, bis die Schuld vollständig beglichen ist. Hat ein Schuldner die gesamte Summe gezahlt, kann er von den anderen Mitschuldnern einen Ausgleich ihres Anteils verlangen. Im Kontext der Einziehung von Taterträgen wird dieses Prinzip angewandt, wenn mehrere Personen an der Erlangung der rechtswidrigen Vermögenswerte beteiligt waren und Zugriff darauf hatten. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Frau W. wurde als Gesamtschuldnerin zur Zahlung des eingezogenen Betrages verurteilt, weil sie als Teil der Betrugsorganisation (Mit-)Verfügungsgewalt über die erlangten Gelder hatte und somit für die gesamte Summe haften muss.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Hamm – Az.: 1 Ws 90/25 – Beschluss vom 14.05.2025
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