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Berufungsbeschränkung bei möglicher Schuldunfähigkeit – Unzulässigkeit

Gerichtsurteil in Frage: Berufungsbeschränkung bei möglicher Schuldunfähigkeit

Das Bayrische Oberste Landesgericht hat entschieden, dass das ursprüngliche Urteil gegen den Angeklagten aufgrund von mangelnden Feststellungen zur Blutalkoholkonzentration aufzuheben ist. Es zeigte sich, dass die Gerichte nicht genügend auf eine eventuelle Alkoholisierung des Angeklagten geachtet und dem somit resultierenden Einfluss auf dessen Schuldfähigkeit nachgegangen waren.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 203 StRR 226/23   >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Der ursprüngliche Fall betraf eine vorsätzliche Körperverletzung, für die der Angeklagte zu einer siebenmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden war.
  2. Auf Berufung des Angeklagten und aufgrund von Zweifeln an seiner Schuldfähigkeit hat das Bayrische Oberste Landesgericht das Urteil revidiert.
  3. Ein entscheidender Aspekt des Falls war der mögliche Alkoholmissbrauch des Angeklagten und die fehlenden Nachweise hierzu, die seine Schuldfähigkeit beeinflusst haben könnten.
  4. Das Gericht hob hervor, dass bei einem alkoholisierten Täter erst die Tatzeit-Blutalkoholkonzentration (BAK) ermittelt werden muss.
  5. Das ursprüngliche Gericht hatte es versäumt, diese wichtige Feststellung zu treffen.
  6. Im Revisionsurteil wurde unterstrichen, dass die Verantwortung des Täters erst dann festgestellt werden kann, wenn eine genaue Untersuchung seiner Blutalkoholkonzentration erfolgt ist.
  7. Das überarbeitete Urteil hob hervor, dass die Feststellung der BAK, trotz fehlender Blutprobe, eine wichtige Beweisgrundlage ist.
  8. Aussagen des Angeklagten und Zeugen sind wichtig, um die genaue BAK zu ermitteln. Die Beurteilung der Schuldfähigkeit könnte sich in Ausnahmefällen auf psychodiagnostische Kriterien stützen.

Die Rolle der Alkoholisierung in der juristischen Beurteilung von Straftaten

In der Beurteilung von Straftaten spielt die Schuldfähigkeit des Täters eine entscheidende Rolle. Ein wesentlicher Aspekt dabei kann der Grad der Alkoholisierung zum Tatzeitpunkt sein. Bei Vergehen wie einer vorsätzlichen Körperverletzung etwa, wirft die Frage, ob die Handlung im Vollrausch begangen wurde und der Täter somit als schuldunfähig gilt, komplexe rechtliche Fragen auf. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Ermittlung der sogenannten Tatzeit-Blutalkoholkonzentration (BAK), die einen maßgeblichen Einfluss auf die Beurteilung der Schuldfähigkeit haben kann.

Eine besondere Rolle spielt die Alkoholisierung auch in Berufungsverfahren. So kann beispielsweise eine Berufungsbeschränkung bei möglicher Schuldunfähigkeit nicht zulässig sein. Wurde die Schuldfähigkeit durch eine ausgeprägte Alkoholisierung eingeschränkt, kann dies weitreichende Folgen für die rechtliche Beurteilung und das Urteil haben. Im Folgenden werden diese Fragen anhand eines konkreten Falles näher beleuchtet, den das Landgericht Amberg verhandelt hat und der bis zur Revision ging. Dabei wird deutlich, wie komplexe die juristische Beurteilung von Straftaten im Kontext von Alkoholkonsum sein kann. Stürzen Sie sich ins Detail dieser faszinierenden Rechtsfrage und erfahren Sie mehr über die spannenden Aspekte des Strafrechts im Umgang mit Alkoholisierung bei Straftaten.

Der Vorfall: Vorsätzliche Körperverletzung unter Alkoholeinfluss

Die rechtlichen Auseinandersetzungen um den Angeklagten in dem vom BayObLG entschiedenen Fall begannen mit einer strafrechtlichen Verurteilung durch das Amtsgericht Amberg. Der Angeklagte wurde wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Ein wesentlicher Umstand in diesem Kontext war der graduale Zustand der Alkoholisierung des Angeklagten zum Tatzeitpunkt.

Nachdem der Angeklagte gegen das Urteil des Amtsgerichts Berufung eingelegt hatte, beschränkte das Landgericht Amberg das Rechtsmittel auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung. Mit dieser Entscheidung nahm das Gericht an, dass eine ausreichende Alkoholisierung des Angeklagten zum Tatzeitpunkt vorlag, was deshalb relevant wurde, weil der Angeklagte vor Gericht Zweifel an seiner Schuldfähigkeit äußerte.

Schuldunfähigkeit und Alkoholisierung: Rechtliche Herausforderungen

In dieser rechtlichen Auseinandersetzung liegt das Kernproblem darin, dass das Amtsgericht Amberg die Alkoholisierung des Angeklagten nicht hinreichend feststellte. Es hatte versäumt, die Tatzeit-Blutalkoholkonzentration (BAK) des Angeklagten zu berechnen – ein zunächst technischer, aber für den Fall äußerst relevanter Faktor. Diese Berechnung ist notwendig, um eine mögliche Schuldunfähigkeit aufgrund übermäßigen Alkoholkonsums bewerten zu können.

Landgericht Amberg vs. BayObLG: Die Folgen der fehlenden BAK-Berechnung

Aufgrund dieser fehlenden BAK-Berechnung hob das BayObLG das Urteil des Landgerichts Amberg auf und verwies den Fall an eine andere Strafkammer des Landgerichts Amberg zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung. Dabei wurde besonders betont, dass eine Berufungsbeschränkung unzulässig sei, wenn möglicherweise Schuldunfähigkeit vorliegt. Das Landgericht hätte demnach das Urteil des Amtsgerichts umfassend im Schuldspruch mit eigenen Feststellungen zur Frage der Schuldfähigkeit überprüfen müssen.

Revision, Rechtsfolgen und erneute Verhandlungen

Durch die Revision des Angeklagten ergibt sich nun eine neue Herausforderung: Die neue Strafkammer des Landgerichts Amberg wird die tatsächlichen Grundlagen, die für die Beurteilung der Schuldfähigkeit in Bezug auf den der Tat vorangegangenen Alkoholkonsum wichtig sind, klären müssen. Sollte ein Blutprobe-Blutalkoholkonzentrationswert fehlen, rechtfertigt dies nicht den Verzicht auf Feststellungen zur Blutalkoholkonzentration.

Das nachfolgende Urteil wird folglich diesen vielschichtigen und komplexen Aspekten Rechnung tragen müssen. Jede Komponente, von der Berechnung der Alkoholmenge bis hin zur Berücksichtigung der psychischen Verfassung des Täters, wird dabei sorgfältig abgewogen werden müssen, um eine faire und rechtlich korrekte Entscheidung zu treffen. Denn nur so kann letztlich eine gerechte und rechtsstaatlich tragfähige Lösung erreicht werden.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was bedeutet der Begriff „Berufungsbeschränkung“ im Strafrecht?

Der Begriff „Berufungsbeschränkung“ im Strafrecht bezieht sich auf die Möglichkeit, eine Berufung auf bestimmte Beschwerdepunkte zu beschränken. Dies ist in § 318 der Strafprozessordnung (StPO) festgelegt.

Wenn eine Berufung nicht auf bestimmte Punkte beschränkt wird oder keine Rechtfertigung erfolgt, gilt das gesamte Urteil als angefochten. Eine wirksame Berufungsbeschränkung hat zur Folge, dass der Schuldspruch nicht geändert werden darf.

Eine Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ist nur wirksam, wenn die Schuldfeststellung den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat erkennen lässt. Wenn eine Berufungsbeschränkung wirksam ist, wird der vom Berufungsangriff ausgenommene Teil des Ersturteils nach § 316 Abs. 1 StPO unabänderlich (teilrechtskräftig) und nur noch der angefochtene Teil dem Berufungsgericht zu erneuter tatrichterlicher Kognition und Entscheidung unterbreitet.

Eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch hindert das Berufungsgericht nicht, ergänzende Feststellungen zu treffen, soweit sie mit den Feststellungen des Ersturteils vereinbar sind.

Es sollte jedoch beachtet werden, dass eine Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch nicht als Geständnis gewertet werden sollte, da dies die Funktion und Systematik strafprozessualer Rechtsmittel nicht gerecht wird.


Das vorliegende Urteil

BayObLG – Az.: 203 StRR 226/23 – Beschluss vom 20.06.2023

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Amberg vom 08. März 2023 mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.

II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Amberg zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Amberg hat den Angeklagten mit Urteil vom 27. Oktober 2022 wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hin hat das Landgericht Amberg eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung für wirksam erachtet und mit Urteil vom 8. März 2023 die Berufung des Angeklagten als unbegründet verworfen. Mit seiner unbeschränkten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts und äußert Zweifel an seiner Schuldfähigkeit. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat beantragt, die Revision als unbegründet kostenpflichtig zu verwerfen.

II.

Die gemäß § 333 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO) Revision des Angeklagten hat bereits deshalb einen vorläufigen Erfolg, weil das Landgericht mangels hinreichender Feststellungen des Amtsgerichts zur Alkoholisierung des Angeklagten nicht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung ausgehen durfte (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Dezember 2022 – 203 StRR 481/22-, juris).

Für eine rechtsfehlerfreie Prüfung der Voraussetzungen von §§ 20, 21 StGB ist der Tatrichter nach der gefestigten höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich verpflichtet, die Tatzeit-Blutalkoholkonzentration (BAK) des Täters für das Revisionsgericht nachvollziehbar zu errechnen, sobald und soweit die Schuldfähigkeit durch Alkoholmissbrauch eingeschränkt oder ausgeschlossen gewesen sein könnte (Senat a.a.O. Rn. 6; BayObLG, Beschluss vom 2. Februar 2001 – 5 StRR 20/01 –, juris Rn. 9). Bei einem erkennbar alkoholisierten Täter hat für die Beurteilung der Schuldfähigkeit die Berechnung der BAK zur Tatzeit vorauszugehen, um den Grad der Alkoholisierung auf einer hinreichenden Faktenbasis einschätzen zu können (Senat a.a.O. m.w.N.).

Die danach gebotene Feststellung des Blutalkoholwerts hat das Amtsgericht versäumt und eine Schuldunfähigkeit ohne tragfähige Tatsachengrundlage ausgeschlossen, obwohl sich der Angeklagte auf einen „Filmriss“ berufen hat. Das Landgericht hätte daher nicht von der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung ausgehen dürfen und das Urteil des Amtsgerichts umfassend im Schuldspruch mit eigenen Feststellungen zur Frage der Schuldfähigkeit überprüfen müssen (vgl. Senat a.a.O. Rn. 4, 9; BayObLG, Beschluss vom 2. Februar 2001 – 5 StRR 20/01 –, juris Rn. 6 ff., 9). Die bisherigen Feststellungen tragen auch keine Verurteilung wegen Vollrausches nach § 323a StGB, so dass der Senat offen lassen kann, ob in diesem Fall die Beschränkung der Berufung wirksam wäre.

Die neue Strafkammer wird – gegebenenfalls unter Inanspruchnahme von sachverständiger Hilfe – die tatsächlichen Grundlagen, die für die Beurteilung der Schuldfähigkeit mit Blick auf den der Tat vorangegangenen Alkoholkonsum von Bedeutung sind, zu klären und hierzu Feststellungen zu treffen haben (vgl. Senat a.a.O. Rn. 6).

Sollte ein Blutprobe-Blutalkoholkonzentrationswert fehlen, rechtfertigt dies nicht, von Feststellungen zur Blutalkoholkonzentration abzusehen (Senat a.a.O.). Vielmehr ist der Alkoholgehalt der insgesamt konsumierten Alkoholmenge anhand von Trinkmengenangaben des Angeklagten und möglicher Zeugen festzustellen und sodann die Tatzeit – BAK zu ermitteln (vgl. Senat a.a.O.; BGH, Beschluss vom 26. Mai 2009 – 5 StR 57/09 –, juris Rn. 8; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 20 Rn. 14). Die entsprechenden Anknüpfungstatsachen sind im Urteil darzulegen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2003 – 2 StR 209/03 –, juris Rn. 6). Anschließend hat eine Gesamtbewertung der Umstände des Tatgeschehens und der Persönlichkeitsverfassung des Täters vor, während und nach der Tat zu erfolgen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1991 – 1 StR 482/91 –, juris Rn. 8). Dem festgestellten BAK – Wert kommt dabei die Bedeutung eines gewichtigen Beweisanzeichens zu (vgl. Fischer a.a.O. Rn. 17, 23). Entziehen sich die Angaben des Angeklagten zum Alkoholkonsum sowohl zeitlich als auch mengenmäßig jedem Versuch einer Eingrenzung, so bedarf es der Berechnung der Blutalkoholkonzentration ausnahmsweise nicht. In einem solchen Fall kann sich die Beurteilung der Schuldfähigkeit nur nach psychodiagnostischen Kriterien richten, wobei die Hinzuziehung eines Sachverständigen regelmäßig geboten sein wird (vgl. Senat a.a.O. m.w.N.; BayObLG, Beschluss vom 6. März 2003 – 1St RR 13/03 –, juris Rn. 17; Fischer a.a.O. Rn. 26).

III.

Auf die Revision des Angeklagten hin ist daher das angefochtene Urteil bereits wegen der fehlenden Feststellungen zur Blutalkoholkonzentration mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben (§ 349 Abs. 4, § 353 Abs. 1 und Abs. 2 StPO). Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Amberg zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).

 

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