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Wucher bei Inanspruchnahme eines Schlüsseldienstes

Ausnutzen einer Zwangslage des Tatopfers

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: (2) 53 Ss 119/19 (44/19) – Beschluss vom 07.11.2019

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 5. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 4. April 2019 aufgehoben. Die zum Tatgeschehen getroffenen tatsächlichen Feststellungen bleiben aufrechterhalten.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Eberswalde verhängte gegen den Angeklagten durch Urteil vom 29. März 2018 wegen Wuchers eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 20 € und ordnete die Einziehung von 600 € an. Auf die Berufung des Angeklagten erkannte das Landgericht durch Urteil vom 4. April 2019 auf eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 30 € und hielt die Entscheidung zur Einziehung von Wertersatz aufrecht.

Nach den getroffenen Feststellungen bestellte die am … Juni 1934 geborene, gebrechliche und an Diabetes erkrankte Zeugin E… am Nachmittag des … Oktober 2014 mithilfe ihres Nachbarn, des Zeugen R…, telefonisch den Schlüsseldienst, nachdem sie sich aus ihrer Wohnung in einer von den Johannitern betriebenen Wohneinrichtung für Senioren im Ei…, … Sch…, ausgeschlossen hatte. Nach einer Wartezeit von ca. zwei Stunden erschien gegen 19:27 Uhr der Angeklagte und erklärte der Zeugin, „dass er die Wohnungstür nur öffnen würde, wenn sie zuvor einen entsprechenden Auftrag unterschreibt, was die Zeugin auch tat.“ Der Angeklagte bohrte den Schließzylinder der verschlossenen Wohnungstür auf, öffnete die Tür und baute einen neuen Schließzylinder ein. Die Zeugin bezahlte die ihr vom Angeklagten hierfür in Rechnung gestellten 797,90 € vor Ort zum Teil in bar (600 €), zum Teil (197,90 €) per EC-Karte. Nicht festgestellt werden konnte, ob der Angeklagte den Rechnungsbetrag bereits vor dem Öffnen der Tür verlangte und kassierte oder erst nach Durchführung der Türöffnung. Für die durchgeführten Arbeiten des Angeklagten wäre lediglich ein Betrag von 200 € wirtschaftlich angemessen gewesen.

Das Landgericht hat das festgestellte Tatgeschehen als Wucher im Sinne von § 291 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB gewertet, weil der Angeklagte die Unerfahrenheit der Zeugin ausgebeutet habe. „Bei kaufmännisch schwierigen Geschäften“ sei „weniger auf eine durchschnittliche Erfahrenheit als vielmehr auf einen der Geschäftsart typischen Informationsmangel auf Opferseite abzustellen“. Entsprechendes gelte für die vom Angeklagten erstellte Rechnung, „die durch das Aufführen diverser Einzelpositionen“ suggeriere, „seriös erstellt zu sein“. Dass dies tatsächlich nicht der Fall gewesen sei, könne „eine sonst mit Schlüsseldiensten nicht befasste Rentnerin zwar erahnen, aber nicht im Einzelnen beurteilen.“

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt und die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Revision hat überwiegend Erfolg und führt aufgrund der erhobenen Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

1. Die tatgerichtliche Bewertung des festgestellten Sachverhaltes als Wucher (§ 291 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB) durch Ausbeutung der Unerfahrenheit hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand.

Wucher bei Inanspruchnahme eines Schlüsseldienstes
(Symbolfoto: Von BAZA Production/Shutterstock.com)

Dass die Zeugin sich mit den für die Inanspruchnahme von Schlüsseldiensten geltenden Preisen und Gepflogenheiten nicht auskannte und die Angemessenheit der vom Angeklagten in Rechnung gestellten Vergütung nicht zuverlässig und sachkundig beurteilen konnte, genügt für das Vorliegen einer Unerfahrenheit im Sinne der Norm nicht. Der insoweit erforderliche Mangel an Lebenserfahrung oder Geschäftskenntnis muss den Bewucherten dem Durchschnittsmenschen gegenüber benachteiligen; bloße Informationsmängel hinsichtlich des abzuschließenden einzelnen Geschäfts oder das Fehlen von Spezialkenntnissen sind insoweit grundsätzlich nicht ausreichend (vgl. MünchKomm-StGB/Pananis, 3. Aufl. § 291 Rn. 17; BeckOK StGB, v. Heintschel-Heinegg/Schmidt, § 291 Rn. 25 mwN.). Eine vom durchschnittlichen Erfahrungsstand der Bevölkerung abweichende besondere Unkenntnis und geschäftliche Unerfahrenheit bei der Zeugin hat das Landgericht nicht festgestellt, sondern darauf verwiesen, dass nicht nur die Zeugin, sondern auch die Kammer „sich diesbezüglich sachverständig beraten lassen musste“ (UA, S. 10). Entgegen der von der Generalstaatsanwaltschaft vertretenen Auffassung lässt sich eine Unerfahrenheit auch nicht daraus herleiten, dass die Zeugin zum Tatzeitpunkt 80 Jahre alt, gebrechlich, an Diabetes erkrankt und erkennbar hilfsbedürftig war. Die in den Urteilsgründen dargestellten Angaben der Zeugin, sie „habe zufällig gehört, dass zwei Tage vorher ein Mitbewohner einen Schlüsseldienst angerufen“ habe und „der Herr R… nicht mal 100 €“ habe „zahlen müssen“, hätten im Übrigen insoweit Anlass geben müssen, weitere Feststellungen dahingehend zu treffen, ob die Zeugin bereits im Zeitpunkt der Auftragserteilung Umstände kannte, die auf die Unangemessenheit der Rechnung hindeuteten.

2. Auch unter dem Gesichtspunkt einer Ausbeutung des Mangels an Urteilsvermögen tragen die Feststellungen den Schuldspruch des Wuchers nicht.

Ein Mangel an Urteilsvermögen setzt voraus, dass das Tatopfer aufgrund dauernder geistiger Defizite unfähig ist, im Geschäftsleben vernünftige Entscheidungen zu treffen, und infolgedessen die beiderseitigen Leistungen sowie wirtschaftliche Folgen nicht zu bewerten vermag (Fischer, StGB 66. Aufl. § 291 Rn. 12; BeckOK StGB, v. Heintschel-Heinegg/Schmidt, § 291 Rn. 26 mwN). Hierfür ist den Urteilsgründen Hinreichendes nicht zu entnehmen. Dass die Zeugin in der Berufungshauptverhandlung am 4. April 2019 „zu einer zusammenhängenden Schilderung der Geschehnisse“ nicht mehr in der Lage war („Wie war das noch? Wo war ich gerade? Was habe ich gerade gesagt?“, UA S. 6), lässt keine zuverlässigen Rückschlüsse auf etwaige intellektuelle Leistungsmängel zum Zeitpunkt des bereits länger zurückliegenden Tatgeschehens vom … Oktober 2014 zu. Das Landgericht hat dies unter dieser Maßgabe auch nicht dahingehend gewürdigt.

3. Der Schuldspruch des Wuchers kann auch nicht in der Tatbestandsvariante der Ausbeutung einer Zwangslage Bestand haben, weil das Tatgericht ausreichende Feststellungen hierzu nicht getroffen hat.

a) Das Landgericht hat insoweit Näheres nicht konkret gewürdigt, sondern lediglich darauf verwiesen, dass sich der Angeklagte auch des Wuchers durch Ausbeutung einer Zwangslage schuldig gemacht hätte, wenn er „die Rechnung über 797,90 € bereits vor Unterschrift der Zeugin E… mit dem Endpreis versehen“ hätte, was allerdings nicht feststehe (UA, S. 10).

Die Strafkammer hat bei der Verneinung einer Zwangslage insoweit unberücksichtigt gelassen, dass für die Erfüllung des Tatbestands des Wuchers durch Ausbeutung einer Zwangslage nach der Rechtsprechung nicht ausschlaggebend ist, ob der wucherische Preis dem Opfer bereits bei Leistungserbringung bekannt war oder nicht (vgl. OLG Köln, Urt. v. 22. November 2016 – III-1 RVs 210/16, 1 RVs 201/16, zit. nach Juris). Dass die Zwangslage mit Erbringung der Leistung in der Hinsicht beendet ist, als die Wohnung wieder zugänglich ist, vermag an der Ursächlichkeit der Zwangslage für die Erbringung der Gegenleistung durch das Tatopfer nichts zu ändern, denn der Betroffene steht regelmäßig auch nach bereits erbrachter Leistung noch unter dem Eindruck der vorangegangenen Belastung und ist daher typischerweise zu einer Akzeptanz überhöhter Preise bereit. Es gehört insoweit zur Struktur des Wuchertatbestandes, dass der Wucherer die geschuldete Leistung erbringt, nur eben zu seinen (wucherischen) Konditionen (OLG Köln, aaO.).

b) Das Ausnutzen einer Zwangslage erfordert eine ernste Bedrängnis, in der das Tatopfer auf die Leistung angewiesen ist; um eine existenzbedrohliche Lage muss es sich dabei nicht handeln (Fischer, aaO. Rn. 10 mwN.). Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung, die der Senat teilt, liegt bei der Inanspruchnahme von Schlüsseldiensten eine Zwangslage in diesem Sinne nicht stets und ohne weiteres bereits dann vor, wenn der Betroffene aus seiner Wohnung ausgesperrt ist; da der Geschädigte zur Beseitigung der bedrängten Lage von der Leistung einer bestimmten Person abhängig sein muss und es im Wirtschaftsleben zunächst Sache des Auftraggebers ist, sich nach den Kosten für eine benötigte Leistung zu erkundigen, hängt das Vorliegen einer tatbestandlichen Zwangslage in solchen Fällen maßgeblich von den Umständen des Einzelfalles ab, beispielsweise von der Situation in der nunmehr nicht mehr zugänglichen Wohnung, der Jahreszeit und Witterung, der Dringlichkeit anderweitiger Verpflichtungen des Geschädigten sowie der Anwesenheit oder Erreichbarkeit der Hilfe Dritter (vgl. OLG Köln, Urt. v. 22. November 2016 – III-1 RVs 210/16, 1 RVs 201/16, zit. nach Juris). Unter diesem Gesichtspunkt kann sich eine Zwangslage auch daraus ergeben, dass die betroffene Person aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung auf den zeitnahen Zugang zu ihrer Wohnung angewiesen ist oder ihr sonst aufgrund der Zeitabläufe und der eingetretenen Belastungen ein weiteres Zuwarten nicht zuzumuten ist.

Nach dieser Maßgabe lässt sich aufgrund der bislang getroffenen Feststellungen das Vorliegen einer Zwangslage nicht bejahen. Dass die geschädigte Zeugin gebrechlich, an Diabetes erkrankt, erst wenige Tage zuvor eingezogen war und vor Ort noch keine engeren sozialen Kontakte hatte, genügt bei einer hierbei vorzunehmende Gesamtabwägung nicht, auch wenn es sich um Umstände handelt, die, soweit der Angeklagte hiervon Kenntnis hatte oder sie jedenfalls billigend in Kauf nahm, für eine Zwangslage sprechen könnten. Ungeklärt ist insoweit insbesondere, wie hilfebedürftig konkret die Zeugin war, ob sie sich bereits zur Tatzeit „nur mithilfe eines Rollators fortbewegen konnte“, wie dies im Urteil zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung festgestellt ist (UA, S. 6), ob sie ausreichende Unterstützung von dem Zeugen R… erhalten hat, insbesondere, ob sie sich während einer Zeiten des Wartens auf den Schlüsseldienst in dessen Wohnung aufhalten konnte, und ob sie die nach ihren Angaben benötigten Medikamente zeitnah zu sich nehmen musste, anderweitig beschaffen konnte und der Angeklagte hiervon Kenntnis hatte.

4. Das angefochtene Urteil unterliegt aufgrund der danach nur unzureichend getroffenen Feststellungen der Aufhebung. Ob die Zeugin E… zur Tatzeit unter einem Mangel an Urteilsvermögen litt bzw. eine Zwangslage im vorgenannten Sinne bestand, bedarf erneuter tatgerichtlicher Würdigung.

Darüber hinaus wird das mit der Sache neu befasste Tatgericht auch zu prüfen haben, inwieweit der Angeklagte möglicherweise durch eine schlüssige Täuschung darüber, zu marktüblichen Bedingungen tätig geworden zu sein, den Tatbestand des Betruges erfüllt hat (§ 263 StGB). Da die Forderung einer bestimmten Vergütung allein noch nicht die konkludente Erklärung beinhaltet, dass die erbrachte Leistung den geforderten Preis wert und die geforderte Gegenleistung insoweit angemessen oder üblich ist, kommt ein Preisgestaltungsbetrug allerdings nur dann in Betracht, wenn der Auftraggeber aufgrund besonderer Umstände darauf vertrauen durfte, dass der Erbringer der Leistung nur den markt- bzw. handelsüblichen Preis verlangt (vgl. BGH, Beschl. v. 14. April 2011 – 1 StR 458/10, BeckRS 2011, 16674, Rn. 16; Urt. v. 20. Mai 2015 – 5 StR 547/14, NStZ 2015, 461; OLG Stuttgart NStZ 1985, 503). Ob dies angesichts der konkreten Rechnungslegung durch den Angeklagten („Rechnung, die durch das Aufführen diverser Einzelpositionen suggeriert, seriös erstellt zu sein“, UA. S. 10) und der diesbezüglichen Einschätzung des von der Strafkammer hinzugezogenen Sachverständigen (UA, S. 8) der Fall ist, wonach der in Rechnung gestellte überlange Zeitaufwand allein der Erhöhung des Rechnungsbetrages diene und die Position „bohren / knacken / Fräseinsatzgebühr“ überhaupt keine sachliche Grundlage habe, wird das Tatgericht festzustellen und zu würdigen haben.

5. Die bisherigen, rechtsfehlerfrei getroffenen tatsächlichen Feststellungen zum Tatgeschehen einschließlich der durch die Hinzuziehung des Sachverständigen gewonnenen Erkenntnisse können bestehen bleiben. Neue Feststellungen dürfen mit diesen nicht im Widerspruch stehen. Die Revision ist in diesem Umfang unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

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