Ein Bewährungshelfer beging in der laufenden Frist einen gemeinschaftlichen Diebstahl, was sofort den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung zur Folge hatte. Trotz der drohenden Haftstrafe lehnte das Oberlandesgericht die Bestellung eines Pflichtverteidigers rigoros ab.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Führt jede neue Straftat während der Bewährung sofort zum Widerruf?
- Habe ich im Verfahren zum Bewährungswiderruf Anspruch auf einen Pflichtverteidiger?
- Wie kann ich mit Suchtbemühungen den drohenden Bewährungswiderruf noch abwenden?
- Was passiert, wenn mein Bewährungswiderruf bestätigt wird und ich die Reststrafe antreten muss?
- Welche Rolle spielt die Schwere meiner drohenden Haftstrafe bei der Pflichtverteidiger-Frage?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 1 Ws 495/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt
- Datum: 11.12.2024
- Aktenzeichen: 1 Ws 495/24
- Verfahren: Beschwerde gegen den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung
- Rechtsbereiche: Strafrecht, Strafvollstreckung, Prozessrecht
- Das Problem: Ein Mann war wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Er beging während der Bewährungszeit mehrfach neue Straftaten. Das Gericht widerrief daraufhin die Bewährung und lehnte seinen Wunsch nach einem Pflichtverteidiger ab.
- Die Rechtsfrage: War der Widerruf der Bewährung wegen der neuen Straftaten erlaubt? Muss das Gericht in einem solchen Fall einen Pflichtverteidiger bestellen?
- Die Antwort: Nein. Die Beschwerde des Verurteilten wurde als unbegründet abgelehnt. Der Widerruf war richtig, da die neuen Straftaten die Erwartung künftiger Straffreiheit zerstörten. Ein Pflichtverteidiger war nicht notwendig, weil der Fall rechtlich nicht kompliziert war.
- Die Bedeutung: Wer in der Bewährungszeit erneut straffällig wird, muss die ursprünglich ausgesetzte Strafe verbüßen. Das Gericht prüft nachträgliche Anstrengungen zur Suchtbewältigung, sieht diese aber meist als nicht ausreichend an. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers in Vollstreckungsverfahren ist nur in seltenen Ausnahmefällen nötig.
Der Fall vor Gericht
Worum ging es in diesem Fall auf den Punkt gebracht?
Ein verurteilter Mann fand sich in einem Kampf an zwei Fronten wieder. Die erste Schlacht galt dem Widerruf seiner Bewährung – eine Gefängnisstrafe von einem Jahr und neun Monaten stand im Raum. Die zweite, subtilere Schlacht drehte sich um das Recht auf einen vom Staat bezahlten Anwalt, der ihm im ersten Kampf beistehen sollte.
Der Mann hatte während seiner Bewährungszeit neue Straftaten begangen. Dieser Fakt war unbestritten. Seine Verteidigung baute auf einem anderen Argument auf: Seine frischen Bemühungen, seine Drogensucht zu bekämpfen, würden alles ändern. Das Gericht sah die Sache anders. Der Fall eskalierte bis zum Oberlandesgericht und verdichtete sich zu zwei scharfen Fragen: Wann macht eine neue Straftat eine Bewährung unumkehrbar zunichte? Und ist der Kampf gegen den Widerruf so komplex, dass er einen Pflichtverteidiger rechtfertigt?
Warum wurde ihm ein Pflichtverteidiger verweigert?
Das Oberlandesgericht (OLG) lehnte die Beiordnung eines Pflichtverteidigers ab – und bestätigte damit die Entscheidung der Vorinstanz. Die Begründung folgt einer strengen juristischen Logik. Ein Recht auf einen Pflichtverteidiger im Strafvollstreckungsverfahren besteht nicht automatisch. Es ist die Ausnahme, nicht die Regel. Das Gericht wendet die Vorschrift für die Beiordnung eines Verteidigers (§ 140 Abs. 2 der Strafprozessordnung, StPO) hier nur sinngemäß an. Die Hürden sind hoch.
Ein Verteidiger wird nur bestellt, wenn der Fall besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten aufweist. Ein typischer Bewährungswiderruf gehört nicht dazu. Die entscheidende Frage ist meist simpel: Hat der Verurteilte in der Bewährungszeit eine neue Straftat begangen? Die Antwort darauf war im vorliegenden Fall ein klares Ja. Die rechtliche Bewertung dieses Umstands ist für Juristen Routine.
Der Mann war auch nicht erkennbar unfähig, seine Interessen selbst zu vertreten. Er hatte seit 2005 immer wieder mit der Justiz zu tun und besaß Erfahrung mit Strafverfahren. Die bloße Tatsache, dass er in Haft saß, änderte daran nichts. Das OLG machte klar: Die Schwere der drohenden Strafe – die fast zwei Jahre Gefängnis – spielt für die Frage des Pflichtverteidigers keine Rolle. Im Vollstreckungsverfahren geht es nicht mehr um Schuld oder Strafe, diese stehen bereits fest. Es geht nur noch um die Umsetzung des Urteils.
Weshalb war der Widerruf der Bewährung unausweichlich?
Die Entscheidung, die Bewährung zu widerrufen, stützte sich auf eine zentrale Vorschrift: § 56f Abs. 1 Nr. 1 des Strafgesetzbuches (StGB). Diese Regel besagt, dass das Gericht die Bewährung widerruft, wenn die verurteilte Person in der Bewährungszeit eine Straftat begeht. Mit diesem Verhalten zeigt sie, dass die ursprüngliche positive Prognose – die Erwartung, sie werde künftig straffrei leben – ein Fehler war.
Der Mann hatte im Juli 2023 seine Bewährung für eine gefährliche Körperverletzung erhalten. Im April 2024, weniger als ein Jahr später, beging er einen gemeinschaftlichen Diebstahl. Dafür wurde er rechtskräftig zu einer weiteren Freiheitsstrafe verurteilt. Dieser neue Bruch des Gesetzes pulverisierte das Vertrauen der Justiz. Das Gericht sah die negative Prognose als zementiert an. Der Diebstahl war auch keine Lappalie. Zwar war die Beute gering, doch das war reiner Zufall. Wer in eine private Wohnung einsteigt, nimmt das Risiko in Kauf, auch auf wertvolle Gegenstände zu stoßen. Die Tat an sich war der Beweis für das Scheitern der Bewährung.
Konnten seine neuen Bemühungen gegen die Sucht nichts ändern?
Die Verteidigung des Mannes brachte seine kurz zuvor gestarteten Versuche, seine Drogensucht zu bekämpfen, als Rettungsanker ins Spiel. Das Gesetz sieht tatsächlich eine Hintertür vor. Unter bestimmten Umständen kann das Gericht von einem Widerruf absehen und stattdessen mildere Maßnahmen anordnen (§ 56f Abs. 2 StGB), zum Beispiel die Verlängerung der Bewährungszeit. Dafür braucht es aber neue Tatsachen, die eine positive Zukunftsprognose trotz des Rückfalls rechtfertigen.
Hier lag der Denkfehler der Verteidigung. Die bloße Absichtserklärung, eine Therapie zu beginnen, genügte dem OLG nicht. Es forderte handfeste, nachvollziehbare Fakten, die eine nachhaltige Änderung der Lebensführung belegen. Solche Fakten fehlten. Der Mann hatte seit seiner letzten Haftentlassung im Juni 2021 ausreichend Zeit gehabt, seine Suchtproblematik anzugehen – die laut Gerichtsurteil die Ursache für seine Kriminalität war. Seine jetzigen Bemühungen wirkten wie eine Reaktion auf den drohenden Widerruf, nicht wie ein tiefgreifender Wandel.
Auch sein soziales Umfeld oder eine kurze zwischenzeitliche Untersuchungshaft konnten die Prognose nicht verbessern. Die Vergangenheit hatte gezeigt, dass diese Faktoren ihn nicht von Straftaten abhielten. Die ursprüngliche Bewährung wurde ihm bereits „unter Zurückstellung von Bedenken“ gewährt. Sein erneutes Versagen machte den Widerruf zur einzig logischen Konsequenz. Die Kosten für das erfolglose Beschwerdeverfahren muss der Verurteilte selbst tragen.
Die Urteilslogik
Der Vollzug einer Bewährungsstrafe wird unausweichlich, sobald der Verurteilte das in ihn gesetzte Vertrauen durch neue Straftaten zerstört.
- Restriktive Pflichtverteidigung im Vollzug: Im Strafvollstreckungsverfahren besteht kein automatischer Anspruch auf einen Pflichtverteidiger; die Beiordnung setzt voraus, dass der Fall besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten aufweist, die über Routineentscheidungen hinausgehen.
- Scheitern der positiven Prognose: Begeht der Verurteilte während der Bewährungszeit eine neue Straftat, gilt die ursprüngliche günstige Sozialprognose als widerlegt, wodurch der Widerruf der Strafaussetzung grundsätzlich zwingend wird.
- Anforderungen an eine positive Wende: Das Gericht sieht nur dann von einem Widerruf ab und wählt mildere Maßnahmen, wenn handfeste, nachvollziehbare Fakten eine nachhaltige Änderung der Lebensführung belegen und bloße Absichtserklärungen oder reaktive Besserungsversuche nicht genügen.
Die Justiz misst die Eignung zur Bewährung stets an messbaren Taten, nicht an theoretischen Besserungswünschen.
Benötigen Sie Hilfe?
Wird Ihnen die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen oder droht der Entzug? Lassen Sie uns Ihre Situation prüfen und erhalten Sie eine rechtliche Ersteinschätzung Ihres Falles.
Experten Kommentar
Wer hofft, kurz vor dem Bewährungswiderruf noch mit der Ankündigung einer Therapie das Blatt zu wenden, sollte dieses Urteil als klare rote Linie sehen. Das Gericht stellt fest: Es geht nicht um Absichtserklärungen, sondern um nachhaltige, beweisbare Änderungen der Lebensführung, die frühzeitig begonnen wurden. Für diejenigen, die nach einem Pflichtverteidiger suchen, ist die Botschaft konsequent: Ein Bewährungswiderruf gilt als juristische Routine. Die Schwere der drohenden Haft ändert nichts daran, dass das Vollstreckungsverfahren keine besonderen Schwierigkeiten aufweist, die einen staatlich finanzierten Anwalt zwingend nötig machen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Führt jede neue Straftat während der Bewährung sofort zum Widerruf?
Nein, eine neue Straftat führt nicht zwingend zum sofortigen Widerruf der Bewährung, aber sie macht ihn zum Regelfall. Nach § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB widerruft das Gericht die Aussetzung der Strafe, weil das Vertrauen in ein straffreies Leben durch den Rückfall erschüttert ist. Für Verurteilte, die in dieser Situation stecken, existiert jedoch eine gesetzliche Hintertür (§ 56f Abs. 2 StGB), um den Widerruf in Ausnahmefällen abzuwenden.
Die neue Tat zementiert die negative Prognose. Das Gericht geht davon aus, dass die ursprüngliche Erwartung gescheitert ist, Sie würden künftig straffrei leben. Dabei zählt die Art der Tat oft mehr als der tatsächlich entstandene geringe Schaden. Gerichte beurteilen, ob Sie erneut das Risiko der Kriminalität in Kauf genommen haben und damit die fehlende Distanz zum früheren Verhalten beweisen. Wer beispielsweise in eine private Wohnung einsteigt, liefert durch die Struktur des Vergehens einen klaren Beweis für das Scheitern der Bewährung.
Der Widerruf kann nur abgewendet werden, wenn Sie dem Gericht handfeste Beweise für eine tiefgreifende Änderung vorlegen. Bloße Absichtserklärungen oder vage Versprechen, eine Therapie beginnen zu wollen, genügen in der Regel nicht. Nötig sind nachvollziehbare Fakten über einen radikalen Wandel der Lebensführung, die nicht wie eine Reaktion auf den drohenden Widerruf wirken. Das kann die bereits erfolgte Aufnahme einer stationären Therapie oder glaubwürdige medizinische Gutachten umfassen.
Dokumentieren Sie alle Maßnahmen zur Änderung Ihrer Lebensumstände, die Sie nach dem Rückfall ergriffen haben, lückenlos und schriftlich, um Ihre Ernsthaftigkeit zu beweisen.
Habe ich im Verfahren zum Bewährungswiderruf Anspruch auf einen Pflichtverteidiger?
Der Anspruch auf einen Pflichtverteidiger ist im Verfahren zum Bewährungswiderruf stark eingeschränkt und gilt als Ausnahme. Die Vorschrift für die Beiordnung eines Rechtsbeistands (§ 140 Abs. 2 StPO) wird nur sinngemäß angewandt. Ein Anwalt wird Ihnen in der Strafvollstreckung nur dann zugewiesen, wenn Ihr Fall besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten aufweist. Dies stellt eine sehr hohe Hürde dar und ist nur in seltenen Konstellationen erfüllt.
Gerichte betrachten typische Bewährungswiderrufe, die wegen einer neuen Straftat erfolgen, meist als Routine. Die rechtliche Bewertung dieses Vorgangs ist für Juristen oft unkompliziert, da es primär um die Umsetzung eines bereits ergangenen Urteils geht. Die Schwere der drohenden Freiheitsstrafe ist dabei irrelevant. Sie können also auch bei einer langen Haftstrafe keinen Pflichtverteidiger beanspruchen, wenn der Sachverhalt an sich nicht komplex ist.
Die Beiordnung erfolgt nur, wenn das Gericht feststellt, dass Sie Ihre Interessen selbst nicht wahrnehmen können oder die Sachlage ungewöhnlich kompliziert ist. Ein Beispiel hierfür wäre eine strittige Beweislage zur neuen Straftat oder das Vorliegen komplexer juristischer Nebenfragen. Im Vollstreckungsverfahren geht es nicht mehr um die Schuld, sondern lediglich um die Umsetzung des Urteils, wodurch die drohende Freiheitsentziehung nicht automatisch zur Beiordnung führt.
Verfassen Sie einen Antrag an das Gericht, der nicht Ihre Unfähigkeit, sondern die spezifische juristische Komplexität Ihres Falles begründet.
Wie kann ich mit Suchtbemühungen den drohenden Bewährungswiderruf noch abwenden?
Um den drohenden Bewährungswiderruf abzuwenden, reichen reine Absichtserklärungen oder späte Therapieanträge nicht aus. Das Gericht muss überzeugt sein, dass ein tiefgreifender Wandel stattgefunden hat. Die Justiz verlangt konkrete, objektive Nachweise, dass Ihre Bemühungen gegen die Sucht ernsthaft und nachhaltig sind. Diese Anstrengungen dürfen keinesfalls wie eine taktische Reaktion auf das laufende Verfahren wirken.
Die Regelung des § 56f Abs. 2 StGB ermöglicht es Gerichten, unter bestimmten Umständen von einem Widerruf abzusehen. Dafür benötigen Sie jedoch neue Tatsachen, welche eine positive Zukunftsprognose rechtfertigen. Das Gericht bewertet die Glaubwürdigkeit Ihrer Bemühungen äußerst kritisch. Hatten Sie seit Ihrer letzten Entlassung ausreichend Zeit, um Ihr bekanntes Suchtproblem zu behandeln, wirken kurzfristig gestartete Therapien oft unglaubwürdig. Späte Versprechen wertet das Gericht schnell als verzweifelten Versuch, die Haft abzuwenden.
Nötig sind dokumentierte Fakten statt bloßer Beteuerungen oder kurzer Anträge. Legen Sie dem Gericht Beweise vor, wie die bereits erfolgte Aufnahme in eine stationäre Therapie oder ärztliche Gutachten, die Ihre aktuelle Abstinenz bestätigen. Diese Abstinenz muss objektiv messbar sein, beispielsweise durch negative Drogenscreenings über einen längeren Zeitraum. Gerichte urteilen oft, dass eine Änderung der Lebensführung, die erst nach dem drohenden Widerruf initiiert wird, den notwendigen Beweis der Nachhaltigkeit nicht erbringt.
Kontaktieren Sie umgehend einen spezialisierten Anwalt, der eine zeitnahe medizinische Begutachtung Ihrer aktuellen Therapiebereitschaft und Abstinenz professionell organisieren kann.
Was passiert, wenn mein Bewährungswiderruf bestätigt wird und ich die Reststrafe antreten muss?
Wird der Bewährungswiderruf rechtskräftig, hat dies sofort ernste Konsequenzen: Die ursprünglich ausgesetzte Restfreiheitsstrafe wird unverzüglich zur Vollstreckung fällig. Für Sie bedeutet dies, dass Sie sich auf den baldigen Haftantritt vorbereiten müssen. Das gerichtliche Verfahren wechselt nun formal von der Bewährung zur reinen Strafvollstreckung.
Im Vollstreckungsverfahren geht es nicht mehr um die Frage der Schuld oder das Strafmaß, diese Punkte stehen bereits durch das ursprüngliche Urteil fest. Der Widerruf ist lediglich der finale Akt, der die Aussetzung der Strafe beendet und das ursprüngliche Urteil zur Umsetzung freigibt. Die zuständige Staatsanwaltschaft, als Vollstreckungsbehörde, ist dafür verantwortlich, das Urteil zügig umzusetzen. Eine erneute Verhandlung über die Reststrafe findet nicht statt, da das Gericht die positive Prognose unwiderruflich als gescheitert ansieht.
Rechnen Sie damit, dass die Behörden schnell handeln. Nach der Bestätigung des Widerrufs erhalten Sie in der Regel eine schriftliche Ladung zum Haftantritt mit einer kurzen Frist zur Vorbereitung. Scheiterte Ihr Einspruch oder Ihre Beschwerde gegen den Widerruf, müssen Sie außerdem die Kosten dieses erfolglosen Gerichtsverfahrens selbst tragen. Diese finanzielle Belastung kommt zur Freiheitsstrafe hinzu.
Nutzen Sie die verbleibende Zeit, um sofort die zuständige Staatsanwaltschaft zu kontaktieren und den genauen Termin des Haftantritts zu klären.
Welche Rolle spielt die Schwere meiner drohenden Haftstrafe bei der Pflichtverteidiger-Frage?
Die potenzielle Länge der Haftstrafe ist für die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Bewährungswiderrufsverfahren irrelevant. Dies stellt den häufigsten Irrtum in diesem Verfahren dar. Im Strafvollstreckungsverfahren gewährt der Staat nicht automatisch einen Anwalt, nur weil eine lange Freiheitsstrafe droht, selbst wenn diese fast zwei Jahre beträgt. Die Gerichte legen hier strenge, juristisch definierte Maßstäbe an.
Das Gericht betrachtet die drohende Haftdauer nicht als eigenständiges Kriterium für die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung. Anders als im Hauptverfahren, wo die Schuldfrage geklärt wird, geht es beim Widerruf lediglich um die Umsetzung eines bereits bestehenden Urteils. Die juristische Hürde für die Beiordnung liegt bei der sogenannten „besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeit“. Ein standardmäßiger Bewährungswiderruf, der durch das Begehen einer neuen Straftat ausgelöst wurde, gilt für die Justiz als Routinevorgang.
Ein Pflichtverteidiger wird nur bestellt, wenn der Fall selbst eine ungewöhnliche Komplexität aufweist. Das Oberlandesgericht prüft die juristischen Herausforderungen des Widerrufs, nicht die emotionalen oder existentiellen Konsequenzen für den Verurteilten. Eine besondere Schwierigkeit liegt beispielsweise dann vor, wenn die neue Tat eine strittige Beweislage aufweist oder komplexe Rechtsfragen zur Verjährung der neuen Straftat relevant sind. Allein die Angst vor der Inhaftierung oder eine lange Reststrafe von 21 Monaten genügen dem Gericht nicht als Begründung.
Richten Sie Ihren Antrag auf einen Pflichtverteidiger immer auf die juristischen Besonderheiten Ihres Falls aus und nicht auf die Dauer der drohenden Haft.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Beiordnung
Juristen bezeichnen die Beiordnung als den formellen gerichtlichen Akt, durch den einem Beschuldigten oder Verurteilten ein Pflichtverteidiger amtlich zugewiesen wird. Dieses Verfahren kommt zur Anwendung, wenn der Fall so komplex ist, dass eine faire Rechtswahrnehmung ohne professionellen Beistand nicht möglich wäre, oder wenn bestimmte gesetzliche Ausschlussgründe vorliegen. Das Gesetz sichert damit das Recht auf ein faires Verfahren.
Beispiel: Im vorliegenden Fall lehnte das Oberlandesgericht die Beiordnung des Anwalts ab, weil es die rechtlichen Fragen des Bewährungswiderrufs als Routine einstufte.
Bewährungswiderruf
Der Bewährungswiderruf ist die Entscheidung des Gerichts, eine ursprünglich zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe nachträglich zur Vollstreckung anzuordnen. Der Widerruf tritt typischerweise ein, wenn die verurteilte Person in der Bewährungszeit schwere Auflagen verletzt oder, wie hier, eine neue Straftat begeht und damit beweist, dass die Justiz ihr Vertrauen falsch gesetzt hat. Dieses Instrument (geregelt in § 56f StGB) dient dem Schutz der Allgemeinheit und der Wahrung der Autorität des Rechts.
Beispiel: Wegen des gemeinschaftlichen Diebstahls, den der Verurteilte während seiner Bewährungszeit beging, war der Bewährungswiderruf gemäß der Vorschrift des § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB nahezu zwingend.
Pflichtverteidiger
Ein Pflichtverteidiger ist ein vom Gericht bestellter Rechtsanwalt, den der Verurteilte erhält, wenn bestimmte gesetzlich definierte Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung erfüllt sind. Im Gegensatz zum Wahlverteidiger wird der Pflichtverteidiger dem Verurteilten auch gegen seinen Willen zugewiesen, um sicherzustellen, dass das Verfahren rechtsstaatlichen Anforderungen genügt. Obwohl der Staat die Kosten zunächst trägt, muss der Verurteilte die Anwaltskosten bei Verurteilung oft selbst zahlen.
Beispiel: Im Verfahren zum Bewährungswiderruf besteht kein automatischer Anspruch auf einen Pflichtverteidiger, da die Schwere der drohenden Haftstrafe allein das Kriterium der besonderen Schwierigkeit nicht erfüllt.
Prognose
Juristen verstehen unter der Prognose die gerichtliche Vorhersage oder Einschätzung, ob ein Verurteilter in Zukunft ohne die Androhung einer Haftstrafe straffrei leben wird. Dieses zukunftsorientierte Urteil ist die Basis für die Entscheidung, ob eine Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann (positive Prognose) oder ob sie widerrufen werden muss (negative Prognose). Das Gesetz stellt somit das individuelle Verhalten über die reine Ahndung der Tat.
Beispiel: Die Justiz sah die ursprüngliche positive Prognose durch die neue Straftat als pulverisiert an, weshalb die spätere Aufnahme von Suchtbemühungen für eine Abwendung des Bewährungswiderrufs nicht ausreichte.
Restfreiheitsstrafe
Als Restfreiheitsstrafe bezeichnet man den Teil einer ursprünglich verhängten Gefängnisstrafe, dessen Vollzug vom Gericht zur Bewährung ausgesetzt wurde und der bei einem Widerruf erneut fällig wird. Diese Strafe stand bereits fest, wurde aber unter die Bedingung eines straffreien Lebens gestellt; fällt die Bewährung weg, muss der Verurteilte die Reststrafe im Gefängnis verbüßen. Damit wird das ursprüngliche Urteil, das lediglich pausiert war, nachträglich vollständig umgesetzt.
Beispiel: Nachdem der Bewährungswiderruf rechtskräftig wurde, musste der Verurteilte damit rechnen, dass die Restfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten sofort zur Vollstreckung anstand.
Strafvollstreckungsverfahren
Das Strafvollstreckungsverfahren beschreibt den Abschnitt des Strafrechts, der sich ausschließlich mit der Umsetzung eines rechtskräftigen Urteils befasst, nachdem über Schuld und Strafmaß bereits entschieden wurde. In diesem Verfahren geht es nicht mehr um die Wahrheitsfindung, sondern um die Modalitäten des Strafvollzugs, die Aussetzung der Strafe zur Bewährung oder den Bewährungswiderruf. Die Justiz stellt in diesem Stadium sicher, dass die rechtsstaatlich verhängte Strafe auch tatsächlich verbüßt wird.
Beispiel: Im Strafvollstreckungsverfahren sind die Hürden für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers deutlich höher als im vorangegangenen Hauptverfahren, weil die rechtliche Bewertung meist nur Routine darstellt.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt – Az.: 1 Ws 495/24 – Beschluss vom 11.12.2024
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