AG Essen-Borbeck – Az.: 3 Ds – 70 Js 654/16 – 252/17 – Urteil vom 18.09.2017
Die Angeklagten sind der unterlassenen Hilfeleistung schuldig.
Der Angeklagte . wird zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je .. Euro verurteilt.
Die Angeklagte . wird zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je .. Euro verurteilt.
Der Angeklagte . wird zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je .. Euro verurteilt.
Die Angeklagten tragen die Kosten des Verfahrens.
Angewendete Vorschriften: § 323 c StGB
Gründe
I.
…
II.
Am 03.10.2016 betrat der damals 83-jährige I. um 16.38 Uhr das Foyer der Deutschen Bank, Filiale Essen-Borbeck, Marktstr. 37. In der Bankfiliale sind verschiedene Geld- und Überweisungsautomaten aufgestellt. An der Wand befindet sich ein Telefon. Beim Abheben des Hörers wird automatisch eine Hotline der Deutschen Bank –Kundenberatung- gewählt. Die Hotline ist an 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche erreichbar.
Der I. erledigte zunächst an verschiedenen Bankterminals unterschiedliche Vorgänge. Um 17.02 Uhr stand er vor einem Überweisungsautomaten und stürzte plötzlich ohne Fremdeinwirkung rückwärts. Er schlug mit dem Kopf auf einen dort befindlichen Tisch auf und kam schließlich unterhalb der Arbeitsfläche zum Liegen. Der I. konnte sich langsam wieder aufrichten, stürzte jedoch um 17.03 Uhr und 38 Sekunden erneut mit halber Körperdrehung rückwärts und schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf. Erneut gelang es dem I. wieder aufzustehen, er nahm seine Mütze und ein Schreiben auf, setzte sich die Mütze auf und drehte sich zu dem Überweisungsautomaten, um seinen Überweisungsvorgang weiter fortzusetzen. Erneut stürzte er um 17.04 Uhr abermals rückwärts und lag anschließend ausgestreckt auf dem Boden mit dem Kopf auf den Fliesen. Er blieb dann auf dem Boden liegen, bewegte sich teilweise noch. Seine Mütze lag ca. 80 – 100 cm von ihm entfernt.
Um 17.10 Uhr 46 Sekunden betrat der Angeklagte U. das Foyer der Bank. Er nahm den am Boden liegenden I. kurz wahr, begab sich jedoch sodann zu einem Geldautomaten, um dort seinen Vorgang zu erledigen. Um das am Boden liegende Opfer kümmerte er sich nicht. Er sprach es auch nicht an. Der Angeklagte U. verließ um 17.12 Uhr die Bank, wobei er dem gesondert verfolgten M., der die Bank mit seinem Rollator gerade betreten hatte, die Tür aufhielt.
Während der Anwesenheit des Angeklagten U. bewegte sich der I. noch deutlich. Um 17.11 Uhr und 15 Sekunden nestelt der I. an seinen Taschen herum. Sein Zettel, auf welchem sich offenbar notwendige Daten für den Überweisungsvorgang befanden, lag deutlich neben ihm. Die Bewegungen des I. waren deutlich wahrnehmbar.
Um 17.13 Uhr und 25 Sekunden bewegte sich der I. erneut, dabei verdeckte er den neben ihm liegenden Zettel. Weitere Bewegungen waren um 17.13 Uhr und 55 Sekunden wahrnehmbar. Der I. bewegte sich erneut und zog ein Taschentuch hervor, er benutzte dieses Taschentuch auch, indem er es an seine Nase führte.
Um 17.14 Uhr und 28 Sekunden betrat die Angeklagte H. die Bank. Auch sie nahm den am Boden liegenden I. wahr, blieb jedoch lediglich stehen, um aus ihrer Handtasche ihre Bankkarte zu entnehmen. Sie ging sodann an dem am Boden liegenden Opfer vorbei, kümmerte sich nicht um dieses, sprach es auch nicht an und ging eiligen Schrittes zu einem Geldeinzahlungsautomaten, zahlte dort Geld ein und verließ anschließend eiligen Schrittes und ohne sich um den am Boden liegenden I. zu kümmern die Bank.
Einige Sekunden später betrat der Angeklagte C. das Foyer. Auch er ging an dem am Boden liegenden I. vorbei und kümmerte sich ebenfalls nicht. Sodann ging er an den gleichen Automaten, an dem auch die Angeklagte H. ihre Geschäfte verrichtete, verrichtete dort einen Vorgang und begab sich sodann zu dem ersten Geldautomaten, wobei er dem gesondert verfolgten M. noch half. Er ging am Kopf des am Boden liegenden I. vorbei um an einem weiteren Automaten einen weiteren Vorgang zu tätigen. Nach Abschluss dieses Vorgangs ging der Zeuge C. Richtung Ausgang, half dem gesondert verfolgten M. noch beim Verlassen der Bank und beide verließen um 17.19 Uhr die Bank.
Um 17.22 Uhr betrat der Zeuge T. das Bankfoyer, er nahm den am Boden liegenden I. ebenfalls wahr. Gleichwohl erledigte er zunächst einen Vorgang, beobachtete aber den am Boden liegenden ständig. Er ging sodann Richtung Ausgang und setzte einen Notruf ab, indem er die Polizeileitstelle in Essen anrief. Der Notruf ging dort um 17.23 Uhr ein. Um 17.30 Uhr trafen die Polizeibeamten L. und S. ein, diese alarmierten nochmals einen Rettungswagen, der 17.43 Uhr eintraf. Um 17.53 Uhr traf sodann der Notarzt ein, dieser veranlasste, dass der I. in das Universitätsklinikum Essen verbracht wird.
Im Universitätsklinikum Essen verbesserte sich zunächst der Zustand des I.. Am 10.10.2016 verschlechterte sich der Gesundheitszustand des I. überraschend und letztlich verstarb er im Universitätsklinikum Essen.
Auch bei früherer Hilfeleistung wäre der mit dem Tod endende Krankheitsverlauf nicht beeinflusst worden.
III.
Der festgestellte Sachverhalt beruht auf den Bekundungen der Angeklagten, den Bekundungen der Zeugen T, L 1, S., R., G. und L 2. Ferner beruhen die Feststellungen auf den Erläuterungen der Sachverständigen Dr. U. und Prof. Dr. L.-B. und der in Augenscheinnahme des Überwachungsvideos der Deutschen Bank, Hülle Blatt 21 d. A.
Die Angeklagten haben sich dahingehend eingelassen, dass sie sehr wohl die am Boden liegende Person wahrgenommen hätten. Sie hätten diese Person für einen Obdachlosen gehalten, weil in dem Bankfoyer schon häufiger Obdachlose gewesen seien.
Der Angeklagte C. hat darüber hinaus bekundet, er sei in Gedanken bei seinen Eltern gewesen, denen es damals sehr schlecht gegangen sei. Er habe schnell zu seiner Mutter zurück gewollt.
Die Angeklagte H. hat sich darüber hinaus dahingehend eingelassen, dass sie teilweise von den Obdachlosen im Foyer angepöbelt worden sei. Sie habe nur schnell Geld abliefern wollen und schnell wieder hinaus gewollt. Es liege auch eine Schuld der Deutschen Bank vor, weil sich diese nicht um die Missstände kümmere.
Auch der Angeklagte U. hat sich dahin eingelassen, dass auch er bereits von Obdachlosen angepöbelt worden sei. Darüber hinaus habe auch er sich große Sorgen um seine Mutter gemacht.
Der Zeuge T. hat bekundet, dass er schon beim Eintreffen in die Bank gesehen habe, dass der Mann Hilfe brauche. Er habe dann, nachdem sein Handy ein Update ausgeführt habe, sofort die Polizei angerufen. Die betroffene Person habe auch nicht wie ein Obdachloser gewirkt. Sie habe nicht nach Urin oder Alkohol gerochen, sondern nach einem Alt-Herrenparfum, wahrscheinlich der Marke Tabak Original. Die Person habe nicht wie ein Obdachloser gewirkt. Es schlafen zwar dort häufiger Obdachlose, sie lägen in der Regel an der Heizung oder in Ecken, aber nicht mitten im Raum.
Auch die Zeugen L 1. und S., die den Polizeieinsatz wahrgenommen haben, haben den I. nicht als Obdachlosen wahrgenommen. Auch ihnen sei zwar bekannt, dass in den Foyers der Banken häufiger Obdachlose wären, diese Person habe aber nicht wie ein Obdachloser gewirkt. Er sei vernünftig angezogen gewesen und seine persönlichen Dinge seien auch noch in der Nähe gewesen. Beide Beamten bekundeten darüber hinaus übereinstimmend, dass sie auch eine blutende Wunde am Ohr wahrgenommen haben. Diese Wunde sei aber nicht ohne weiteres wahrzunehmen gewesen. Dazu hätte man sich schon in die Nähe der Person begeben müssen.
Der Zeuge L 2. hat als Ermittlungsführender Beamter den Gang der Ermittlungen erläutert. Er habe dann nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft eine Obduktion veranlasst und die Überwachungsvideos seitens der Deutschen Bank gesichtet. Auf den Überwachungsvideos habe er dann den festgestellten Sachverhalt wahrgenommen und die Angeklagten dann über die Bankdaten ermittelt. Auch habe er ermittelt, dass das Telefon der Bank direkt eine Verbindung zu der Bank aufbaue.
Der Sachverständige Dr. U. hat erläutert, dass als Todesursache ein Schädelhirntrauma in Betracht komme. Ob eine schnellere Hilfe zur Rettung des I. geführt hätte, hat der Sachverständige aus rechtsmedizinischer Sicht nicht feststellen können.
Die Sachverständige Prof. Dr. L.-B. hat erläutert, dass aus neurochirurgischer Sicht auch eine frühere Hilfeleistung den tödlich endenden Krankheitsverlauf nicht habe beeinflussen können. Die kritische Zeit nach solchen Stürzen, wie sie der I. erlitten hat, sei 6,12,18 Stunden nach dem Vorfall. Zu diesem Zeitpunkt habe sich der I. aber bereits in neurochirurgischer Behandlung befunden und aus der Dokumentation sei ersichtlich, dass die notwendigen neurochirurgischen Maßnahmen getroffen wurden. Es sei auch möglich gewesen, dass das von den Rechtsmedizinern vorgefundene deutlich geschwollene Gehirn, durch die Wiederbelebungsmaßnahme am 10.10.2016 so angeschwollen sei.
Auf den in Augenschein genommenen Videoaufnahmen, die das Bankfoyer in drei Perspektiven darstellen, waren die Angeklagten deutlich zu identifizieren. Auf den Videoaufnahmen war ebenfalls ersichtlich, dass das Opfer sich mehrfach bewegt hat und offensichtlich normal gekleidet war und nicht den Habitus eines Obdachlosen hatte. Auf den Videos ist ebenfalls deutlich zu erkennen, dass alle Angeklagten den am Boden liegenden I. wahrgenommen haben und keinerlei Maßnahmen getroffen haben, um ein klares Bild von der Situation zu bekommen. Alle haben den I. am Boden liegen gesehen und haben sich dann ihren Bankgeschäften zugewendet.
IV.
Nach diesen Feststellungen haben sich die Angeklagten der unterlassenen Hilfeleistung gem. § 323 c StGB schuldig gemacht.
Durch die mehrfachen Stürze des I. lag ein Notfall vor. Es war erkennbar, dass dort ein Mensch Hilfe benötigte. Eine Hilfeleistung war für alle Angeklagten auch möglich. Unabhängig davon, ob die Angeklagten im damaligen Zeitpunkt im Besitz eines Handys gewesen sind, hätten zumindest alle Angeklagten das an der Wand, zwischen den Geldautomaten befindliches Notfalltelefon benutzen können, um Bankmitarbeiter zu informieren, dass dort auf dem Boden eine Person liege. Darüber hinaus ist die Filiale an der Marktstraße an einer belebten Stelle des Zentrums Borbeck gelegen. In unmittelbarer Nähe befinden sich Bußhaltestelle, Taxistände und Imbissläden sowie Trinkhallen. Auf dem Video war auch zu sehen, dass auch am 03.10. an einem Feiertag, reger Verkehr auf der Marktstraße herrschte. Auch Heraustreten aus der Bank und versuchen Hilfe von Passanten zu erlangen wäre den Angeklagten ohne Zweifel möglich gewesen.
Eine derartige Hilfeleistung wäre den Angeklagten auch zumutbar gewesen. Sie hätten sich durch einen bei der Bankhotline, einen eigenen Anruf mittels eines Mobiltelefons oder Benachrichtigung von Passanten nicht selber in Gefahr gebracht. Jede noch so geringe Maßnahme wäre hier den Angeklagten möglich gewesen, um die Notlage des I. zu beheben oder zumindest abzumildern.
Die Angeklagten handelten auch vorsätzlich.
Soweit sich die Angeklagten dahingehend eingelassen haben, sie seien der Ansicht gewesen, es habe sich um einen schlafenden Obdachlosen gehandelt, so ist diese Einlassung als Schutzbehauptung zu werten.
Der I. vermittelte schon von seinem optischen Erscheinungsbild nicht Habitus eines Obdachlosen. Er war vernünftig gekleidet, offensichtlich sauber und wie der Zeuge T. bekundete roch er nach einem Altherrenparfum. Demgegenüber spricht es der Lebenserfahrung, die insbesondere auch durch die Bekundungen des Zeugen S. gestützt werden, dass Obdachlose einen unangenehmen Geruch ausstrahlen. Häufig ist Alkohol- oder Uringeruch wahrzunehmen, der Zeuge S. beschreibt den Geruchseindruck eines Obdachlosen als modrig, darüber hinaus führen Obdachlose im Regelfall ihre gesamten Habseligkeiten in Plastiktüten oder Rucksäcken bei sich. Auch die Lage des I., nämlich mitten zwischen zwei Geldautomaten in wirklich geringer Entfernung zu diesen, spricht gegen die Annahme, dass es sich um einen schlafenden Obdachlosen gehandelt habe. Obdachlose pflegen sich in der Regel in die kleinsten Winkel eines Bankfoyers zurückzuziehen, damit sie nicht allzu störend empfunden werden.
Unabhängig von der Tatsache, dass natürlich auch einer obdachlosen Person Hilfe geleistet werden muss, war die Einlassung der Angeklagten vor dem Hintergrund des gesamten Erscheinungsbildes und dem Eindruck des Videos nicht nachvollziehbar. Die Angeklagten haben es billigend in Kauf genommen, dass im vorliegenden Fall eine Notlage bestand und sie zur Hilfe verpflichtet sind. Bedingter Vorsatz liegt dann vor, wenn der Täter in Tatbestandsmäßigkeit als möglich oder auch nicht als ganz fernliegend erkennt und sich mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet (BGH NSTZ 2009, 91) Die Angeklagten haben sich alle mit der Situation abgefunden. Sie haben die Situation erkannt, und beim näheren Hinsehen war das Vorliegen einer Notlage für die Angeklagten nicht ganz fernliegend.
Sie haben ihre eigenen Bankgeschäfte als vorrangig angesehen und haben sich letztlich innerlich damit abgefunden, dass sie die notwendige Hilfe nicht geleistet haben. Aus den Aussagen der Angeklagten ist auch deutlich, dass sie gar keine Hilfe leisten wollten.
V.
Ausgehend von einem Strafrahmen, der Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vorsieht, war zu Gunsten aller drei Angeklagten zu berücksichtigen, dass sie bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sind. Im Rahmen der konkreten Strafzumessung muss auch bedacht werden, dass der Gesetzgeber das Vergehen der unterlassenen Hilfeleistung eine relativ niedrige Kriminalitätsstufe gesetzt hat.
Das Gericht hat ferner zu Gunsten der Angeklagten berücksichtigt, dass diese bereits durch, nach Auffassung des Gerichtes, sehr reißerische Berichterstattung seitens der Medien, stigmatisiert sind. Gleichwohl muss ein deutliches Signal an die Öffentlichkeit gesendet werden, um die Solidargemeinschaft wachzurütteln.
Das Gericht hat für den Angeklagten C. eine Strafe von 80 Tagessätzen für tat- und schuldangemessen erachtet.
Die Höhe des Tagessatzes bezüglich des Angeklagten C. war nach seinen Einkommensverhältnissen zu bestimmen. Der Angeklagte verdient nach eigener Einlassung rund … Euro, ist gegenüber seinem Sohn, der bei ihm lebt, unterhaltsverpflichtet. Insoweit war es gerechtfertigt, die Tagessatzhöhe auf .. Euro, was einem bereinigten Einkommen von … Euro entspricht, festzusetzen.
Auch bezüglich des Angeklagten U. war eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen tat- und schuldangemessen. Der Angeklagte U. ist gegenüber seiner Ehefrau unterhaltsverpflichtet und diese Unterhaltsverpflichtung war von seinem angegebenen Nettogehalt von … Euro in Abzug zu bringen. Insoweit ist nach Auffassung des Gerichtes eine Tagessatzhöhe von .. Euro, was einem bereinigten Einkommen von … Euro entspricht, festzusetzen.
Bei der Angeklagten H. war erschwerend zu berücksichtigen, dass diese auf perfide Art und Weise noch versucht hat, der Bank eine Mitschuld an ihrem Fehlverhalten anzudichten. Auch waren bei der Angeklagten H. keine Anzeichen zu erkennen, dass sie sich wirklich reuig zeigt. Vor diesem Hintergrund war eine Tagessatzanzahl von 90 Tagessätzen tat- und schuldangemessen.
Das Einkommen der Angeklagten war zu schätzen, da diese zu ihrem Nettoeinkommen keine Angaben gemacht hat. Die Angeklagte betreibt zwei Trinkhallen und hat an diesem Tag schnell Geld eingezahlt. Das Gericht geht davon aus, dass der Angeklagten aus den Trinkhallenbetrieben ein monatliches Nettoeinkommen von … und … Euro erzielt. Unter Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung gegenüber ihren zwei Kindern hat das Gericht die Tagessatzhöhe mit .. Euro, was einem bereinigten Einkommen von … Euro entspricht festgesetzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 StPO.