Zwei junge Frauen inszenierten mit Ketchup und einem Foto einen vermeintlichen Suizid und lösten damit einen dramatischen Polizeieinsatz aus, der ihnen eine Anklage wegen Notrufmissbrauchs einbrachte. Doch das Gericht sprach sie überraschend frei, da eine entscheidende Formulierung die Anklage scheitern ließ.
Übersicht
- Das Urteil in 30 Sekunden
- Die Fakten im Blick
- Der Fall vor Gericht
- Warum führte ein Ketchup-Streich mit Foto zum Freispruch vom Notrufmissbrauch?
- Was war der Auslöser für den dramatischen Polizeieinsatz?
- Wie kam die Polizei ins Spiel, wenn niemand den Notruf wählte?
- Wieso war der Suizid-Streich laut Gericht kein strafbarer Notrufmissbrauch?
- Fehlte auch die Zurechnung für den tatsächlichen Polizeieinsatz?
- Wie entschied das Amtsgericht Rudolstadt letztlich über die Anklage?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Das Urteil in der Praxis
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Warum ist mein vorgetäuschter Unglücksfall nicht immer strafbar?
- Kann ich für einen indirekt ausgelösten Notruf strafrechtlich belangt werden?
- Muss mein Vortäuschen den Anschein fremder Hilfe erwecken?
- Wie wird der Kausalverlauf bei meiner Strafbarkeit bewertet?
- Reicht eine Anklage wegen Vortäuschung eines Unglücksfalls immer zur Verurteilung?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil 312 Js 36708/14 – 1 Ls jug | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Urteil in 30 Sekunden
- Das Problem: Zwei Frauen inszenierten einen falschen Suizid mit Ketchup und sandten ein Foto an einen ehemaligen Partner. Dies führte indirekt zu einem Einsatz von Polizei und Rettungskräften.
- Die Rechtsfrage: War die inszenierte Notsituation ein strafbarer Missbrauch von Notrufen, obwohl die Verursacherinnen selbst keinen Notruf wählten?
- Die Antwort: Nein. Die Richter sahen darin keinen strafbaren Missbrauch von Notrufen.
- Die Bedeutung: Das Gesetz bestraft nur, wer den Anschein erweckt, dass fremde Hilfe tatsächlich angefordert werden muss. Der tatsächliche Polizeieinsatz war zudem nicht direkt durch die ursprüngliche Täuschung ausgelöst.
Die Fakten im Blick
- Gericht: Amtsgericht Rudolstadt
- Datum: 07.12.2015
- Aktenzeichen: 312 Js 36708/14 – 1 Ls jug
- Verfahren: Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens in einem Strafverfahren
- Rechtsbereiche: Strafrecht, Strafprozessrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Die Staatsanwaltschaft Gera. Sie erhob Anklage gegen zwei Personen wegen des Vortäuschens eines Unglücksfalls und zusätzlich gegen eine Person wegen Diebstahls.
- Beklagte: M. R. und N. Z., zwei Angeklagte. Ihnen wurde vorgeworfen, einen Unglücksfall vorgetäuscht zu haben, M. R. zusätzlich Diebstahl.
Worum ging es genau?
- Sachverhalt: Zwei Personen täuschten einen Suizidversuch vor, indem sie ein inszeniertes Foto an eine dritte Person sendeten und gleichzeitig am Telefon behaupteten, der Notarzt sei bereits gerufen. Durch einen Zufall fand ein Notarzt später das Foto, was zu einem Polizeieinsatz führte.
Welche Rechtsfrage war entscheidend?
- Kernfrage: War es strafbar, einen Suizidversuch vorzutäuschen, wenn gleichzeitig gesagt wird, dass bereits ein Notarzt gerufen wurde, und die Polizei erst durch einen Zufall eingriff? Und war die Anklage wegen Diebstahls gegen eine der Personen berechtigt?
Entscheidung des Gerichts:
- Urteil im Ergebnis: Die Anklage wegen Vortäuschens eines Unglücksfalls wurde abgelehnt; die Anklage wegen Diebstahls gegen eine Person wurde zugelassen.
- Zentrale Begründung: Der Straftatbestand des Vortäuschens eines Unglücksfalls war nicht erfüllt, da die Täter behaupteten, bereits Hilfe gerufen zu haben, und die spätere polizeiliche Intervention ein unvorhersehbarer Zufall war, der ihnen nicht zugerechnet werden konnte.
- Konsequenzen für die Parteien: Die Anklage wegen Vortäuschens eines Unglücksfalls wird nicht weiterverfolgt, die Kosten hierfür trägt der Staat; die Anklage wegen Diebstahls führt jedoch zu einer Gerichtsverhandlung.
Der Fall vor Gericht
Warum führte ein Ketchup-Streich mit Foto zum Freispruch vom Notrufmissbrauch?
Mit voller Wucht krachte die Wohnungstür aus dem Rahmen. Vier Polizeibeamte stürmten in die Wohnung, dicht gefolgt von zwei Rettungssanitätern. Sie erwarteten eine Tragödie, einen Unglücksfall, vielleicht sogar den Tod einer jungen Frau.

Doch was sie fanden, war eine bizarre Inszenierung aus Ketchup, einem stumpfen Küchenmesser und zwei jungen Frauen, die sichtlich überrumpelt waren. Dieser dramatische Einsatz, ausgelöst durch einen vermeintlich harmlosen Streich, führte zu einer Anklage wegen des Missbrauchs von Notrufen. Das Amtsgericht Rudolstadt musste klären, ob ein makaberer Scherz, der außer Kontrolle geriet, auch eine strafbare Handlung darstellt. Die Antwort des Gerichts war überraschend und entlarvte eine feine, aber entscheidende Lücke im Gesetz.
Was war der Auslöser für den dramatischen Polizeieinsatz?
Am Abend des 3. September 2014 schmiedeten zwei junge Frauen, N. Z. und M. R., einen Plan. Ihr Ziel: ein perfider Streich, gerichtet an den Ex-Freund von N. Z. Sie wollten ihm einen gewaltigen Schrecken einjagen und inszenierten dafür einen Selbstmordversuch. Die Szenerie in der Wohnung von N. Z. war detailreich vorbereitet. N. Z. legte sich auf den Boden, ein Küchenmesser in der Hand. Um die Illusion perfekt zu machen, verteilten die beiden Frauen großzügig Ketchup auf dem Messer, dem Handgelenk und der Bluse von N. Z. – es sollte wie eine aufgeschnittene Pulsader aussehen.
Ihre Freundin M. R. zückte das Smartphone und machte ein Foto von der schaurigen Szene. Um 21:34 Uhr schickte N. Z. dieses Bild per WhatsApp an ihren Ex-Freund, der sich zu diesem Zeitpunkt in einer anderen Stadt aufhielt. Doch mit dem Bild allein gaben sie sich nicht zufrieden. Um die Wirkung zu maximieren, rief M. R. den Mann zeitgleich an. Mit tränenerstickter Stimme schilderte sie ihm, dass N. Z. reglos am Boden liege. Dann fügte sie einen Satz hinzu, der später im Gerichtssaal zum Dreh- und Angelpunkt der gesamten juristischen Bewertung werden sollte: Sie habe bereits den Notarzt gerufen.
Wie kam die Polizei ins Spiel, wenn niemand den Notruf wählte?
Der Ex-Freund, durch den Anruf und das Bild in Panik versetzt und zudem stark alkoholisiert, reagierte auf die Nachricht mit einer Kurzschlusshandlung. Er versuchte, sich selbst das Leben zu nehmen. Sein Mitbewohner fand ihn und alarmierte sofort den Notruf. Als der Notarzt eintraf, um den jungen Mann zu versorgen, entdeckte er auf dessen noch eingeschaltetem Handy das Foto der vermeintlich verletzten N. Z.
Der Mediziner handelte sofort. Für ihn sah die Situation eindeutig aus: Hier gab es möglicherweise einen zweiten, noch unentdeckten Suizidversuch. Er informierte die Rettungsleitstelle über seinen Verdacht. Diese wiederum schaltete die Polizei ein. Um 22:20 Uhr, knapp eine Stunde nach dem ursprünglichen Ketchup-Streich, trat die Polizei die Wohnungstür von N. Z. ein, um den Rettungskräften Zugang zu verschaffen. Der inszenierte Notfall hatte einen echten Einsatz ausgelöst – jedoch auf einem Weg, den sich die beiden Verursacherinnen niemals ausgemalt hatten. Die Staatsanwaltschaft Gera sah darin den Straftatbestand des Vortäuschens eines Unglücksfalls nach § 145 Strafgesetzbuch (StGB) erfüllt und erhob Anklage.
Wieso war der Suizid-Streich laut Gericht kein strafbarer Notrufmissbrauch?
Das Amtsgericht Rudolstadt prüfte die Anklage und kam zu dem Schluss, das Hauptverfahren in diesem Punkt nicht zu eröffnen. Die Begründung der Richter ist ein Lehrstück über die präzisen Anforderungen des Gesetzes. Ein strafbarer Notrufmissbrauch liegt nämlich nicht bei jeder Lüge vor, sondern nur dann, wenn jemand bei einer Behörde oder einer zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stelle einen Unglücksfall vortäuscht und dadurch den Anschein erweckt, dass fremde Hilfe erforderlich sei. Genau an diesem Punkt scheiterte die Anklage – und zwar aus zwei Gründen.
Der erste und entscheidende Grund war der Anruf von M. R. Zwar schilderte sie eine dramatische Notlage, doch sie fügte im selben Atemzug hinzu, dass sie bereits den Notarzt gerufen habe. Mit dieser Information, so argumentierte das Gericht, wurde dem Ex-Freund gerade nicht der Eindruck vermittelt, er müsse nun selbst aktiv werden und Hilfe organisieren. Ihm wurde suggeriert, professionelle Hilfe sei bereits unterwegs. Das Gesetz will jedoch nur solche Täuschungen bestrafen, die unnötige Rettungseinsätze provozieren, weil jemand glaubt, er müsse Helfer alarmieren. Da hier aber glaubhaft versichert wurde, dass dies schon geschehen sei, war das zentrale Tatbestandsmerkmal – die Erweckung des Anscheins der Erforderlichkeit fremder Hilfe – nicht erfüllt.
Fehlte auch die Zurechnung für den tatsächlichen Polizeieinsatz?
Selbst wenn man diesen ersten Punkt anders bewertet hätte, stand die Anklage vor einer zweiten Hürde: der strafrechtlichen Zurechnung. Eine Tat kann einem Täter nur dann angelastet werden, wenn der tatsächliche Geschehensablauf nicht wesentlich von dem abweicht, was er sich vorgestellt und zumindest billigend in Kauf genommen hat. Der Polizeieinsatz wurde jedoch durch eine Kette von Zufällen ausgelöst, die außerhalb jeder vernünftigen Vorhersehbarkeit lag.
Die Richter arbeiteten diesen Punkt klar heraus: Der Plan der Frauen zielte darauf ab, den Ex-Freund zu täuschen. Dass dieser daraufhin selbst suizidale Tendenzen entwickeln, sein Mitbewohner einen Notarzt rufen und dieser Notarzt dann zufällig das Foto auf dem Handy entdecken und eine weitere Rettungskette in Gang setzen würde – dieser Verlauf war nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht mehr voraussehbar. Das Gericht sprach von einer wesentlichen Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf. Die zufällige Entdeckung des Bildes durch einen unbeteiligten Dritten unterbrach die ursprüngliche Kausalkette und begründete eine völlig neue, die den Angeklagten nicht mehr zugerechnet werden konnte. Es fehlte der erforderliche Vorsatz, genau diesen Ablauf herbeizuführen.
Wie entschied das Amtsgericht Rudolstadt letztlich über die Anklage?
Auf Grundlage dieser zweifachen Begründung lehnte das Amtsgericht Rudolstadt die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen N. Z. und M. R. wegen des Vortäuschens eines Unglücksfalls ab. Der von der Staatsanwaltschaft dargelegte Sachverhalt reichte nicht aus, um einen hinreichenden Tatverdacht für eine Verurteilung zu begründen. Der makabre Streich blieb für die beiden Frauen in diesem Punkt straflos.
Die Kosten für diesen Teil des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Angeschuldigten musste die Staatskasse tragen. Allerdings wurde die Anklage nicht vollständig verworfen. Ein weiterer Anklagepunkt, der sich gegen M. R. wegen eines Diebstahls richtete, wurde zur Hauptverhandlung zugelassen. In diesem separaten Fall musste sie sich weiterhin vor Gericht verantworten. Die Entscheidung zeigt eindrücklich, dass moralische Verwerflichkeit und strafrechtliche Relevanz zwei verschiedene Dinge sind und eine Verurteilung stets an die präzisen Formulierungen und Voraussetzungen des Gesetzes gebunden ist.
Die Urteilslogik
Strafrechtliche Haftung für das Vortäuschen eines Unglücksfalls tritt nur ein, wenn die Handlung exakt die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale erfüllt.
- Notwendigkeit Eigenen Handelns: Eine Täuschung über einen Unglücksfall begründet nur dann eine Strafbarkeit, wenn sie den Anschein erweckt, der Empfänger müsse selbst aktiv Hilfe herbeirufen, nicht wenn bereits Hilfe suggeriert wird.
- Grenzen der Zurechenbarkeit: Ein Täter verantwortet die Folgen seiner Tat nur, wenn der tatsächliche Geschehensablauf nicht wesentlich von seiner Vorstellung abweicht; unvorhersehbare Zwischenschritte unterbrechen die Kausalitätskette.
Die präzise Auslegung von Gesetzen schützt vor einer Ausdehnung der Strafbarkeit über den Willen des Gesetzgebers hinaus.
Benötigen Sie Hilfe?
Haben Sie Fragen zur Strafbarkeit eines vorgetäuschten Unglücksfalls? Kontaktieren Sie uns für eine erste Einschätzung Ihrer Situation.
Das Urteil in der Praxis
Was auf den ersten Blick wie ein kleiner Fall von nebenan wirkt, ist in Wahrheit ein Lehrstück über die filigrane Präzision des Strafrechts. Dieses Urteil ist eine nüchterne Klarstellung für alle, die das Strafrecht als pauschale Moralinstanz missverstehen. Es offenbart messerscharf, dass der Tatbestand des Notrufmissbrauchs nicht jede Falschinformation erfasst, sondern nur jene, die den unmittelbaren Anschein fremder Hilfe erwecken – ein entscheidender Unterschied, den die Richter sauber herausarbeiteten. Darüber hinaus betont es die unerbittliche Bedeutung der strafrechtlichen Zurechnung: Ein derart abwegiger und unvorhersehbarer Kausalverlauf kann den Verursachern schlicht nicht mehr zugerechnet werden. Für die Praxis ist klar: Moralische Verwerflichkeit allein genügt nicht; das Gesetz fordert eine exakte Passung zum Tatbestand.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Warum ist mein vorgetäuschter Unglücksfall nicht immer strafbar?
Ein vorgetäuschter Unglücksfall ist nicht automatisch strafbar, denn das Gesetz stellt hier präzise Anforderungen. Juristen nennen das „Missbrauch von Notrufen“ gemäß § 145 StGB. Entscheidend ist, ob die Täuschung tatsächlich den Anschein erweckt, jemand müsse umgehend fremde Hilfe anfordern. Wird der Eindruck vermittelt, Hilfe sei bereits unterwegs, entfällt ein zentrales Tatbestandsmerkmal.
Der Grund: Das Gesetz will unnötige Rettungseinsätze verhindern, die durch das Alarmieren von Helfern entstehen. Meldet jemand eine Notlage, sagt aber gleichzeitig, er habe bereits den Notarzt verständigt, fehlt die entscheidende Komponente. Der Adressat der Lüge wird nicht dazu verleitet, selbst Notrufnummern zu wählen.
Gerichte prüfen zudem die strafrechtliche Zurechnung. Ein Ketchup-Streich, der einen Suizidversuch imitierte und per Foto verschickt wurde, führte vor dem Amtsgericht Rudolstadt zum Freispruch. Dort informierte die Verursacherin ihren Ex-Freund zwar über die angebliche Verletzung, sagte aber, der Notarzt sei bereits gerufen. Auch der spätere Polizeieinsatz, ausgelöst durch einen Zufall, konnte den Frauen nicht zugerechnet werden. Der tatsächliche Ablauf war vom ursprünglichen Plan zu weit entfernt.
Täuschen Sie niemals einen Notfall vor. Das kann teuer werden und zu ernsthaften strafrechtlichen Konsequenzen führen.
Kann ich für einen indirekt ausgelösten Notruf strafrechtlich belangt werden?
Ja, sogar eine indirekte Auslösung eines Notrufs kann strafbar sein, insbesondere wenn Sie dadurch vorsätzlich einen Unglücksfall vortäuschen oder Rettungskräfte ohne Not in Bewegung setzen. Gerichte bewerten nicht nur den direkten Anruf, sondern auch Handlungen, die einen solchen Notruf unvermeidlich machen und so einen Fehlalarm provozieren. Die entscheidende Vorschrift hierfür ist § 145 Abs. 1 Nr. 1 StGB, der die Vortäuschung einer Straftat unter Strafe stellt.
Der Grund? Solche Aktionen binden knappe und lebenswichtige Ressourcen von Polizei, Feuerwehr oder Rettungsdienst. Stellen Sie sich vor, Sie hinterlassen einen fingierten Abschiedsbrief, um Aufmerksamkeit zu erregen. Angehörige rufen aus Sorge den Notruf. Sie haben den Anruf nicht selbst getätigt, aber bewusst eine Situation geschaffen, die den Einsatz der Rettungskräfte zur Folge hatte. Das Gesetz macht klare Vorgaben: Jede Täuschung über eine Gefahr, die einen Rettungseinsatz auslöst, ist ein schwerwiegendes Delikt.
Die Strafbarkeit hängt davon ab, ob Sie mit Vorsatz gehandelt haben. Wollten Sie bewusst, dass ein Notruf ausgelöst wird und wussten Sie, dass die Notlage nicht existiert? Dann drohen Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr oder eine saftige Geldstrafe. Wer Notdienste grundlos beschäftigt, zahlt teuer.
Finger weg von solchen Spielen mit der Notrufnummer!
Muss mein Vortäuschen den Anschein fremder Hilfe erwecken?
Ja, Ihr Vortäuschen eines Unglücksfalls muss zwingend den Anschein erwecken, dass unbeteiligte Dritte aktiv Hilfe leisten sollen, sonst bleibt es straffrei. Juristen nennen dies die „Erforderlichkeit fremder Hilfe“ nach § 145 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Ohne den Eindruck, dass Sie oder eine andere Person in akuter Not fremde Unterstützung benötigt und deshalb Helfer alarmieren müsste, fehlt ein zentrales Tatbestandsmerkmal für den Missbrauch von Notrufen. Das Gesetz will das unnötige Ausrücken von Rettungskräften verhindern, nicht jede makabre Lüge.
Der Grund für diese präzise Gesetzesformulierung ist klar: Das Strafrecht ahndet Taten, die konkrete Gefahren oder Beeinträchtigungen hervorrufen. Meldet jemand eine Notlage, in der scheinbar bereits Hilfe unterwegs ist, wird niemand dazu animiert, selbst einen Notruf abzusetzen und so einen unnötigen Einsatz auszulösen. Genau diesen Fall beleuchtete das Amtsgericht Rudolstadt. Ein inszenierter Suizidversuch mit Ketchup und Messer, dessen Foto an einen Ex-Freund geschickt wurde, führte überraschend zum Freispruch vom Vortäuschen eines Unglücksfalls.
Was war entscheidend? Die Prankster fügten hinzu, sie hätten „bereits den Notarzt gerufen.“ Damit nahmen sie dem Empfänger des Bildes jeglichen Anlass, selbst aktiv zu werden und Hilfe zu organisieren. Der Anschein fremder Hilfe war nicht gegeben, weil suggeriert wurde, Hilfe sei schon auf dem Weg. Zwar kam es später zu einem echten Polizeieinsatz, doch die Kette der Ereignisse war so unvorhersehbar, dass sie den Verursacherinnen nicht zugerechnet werden konnte.
Vorsicht: Jeder inszenierte Notfall trägt ein hohes Risiko, auch wenn der Straftatbestand des Vortäuschens eines Unglücksfalls nicht immer erfüllt ist.
Wie wird der Kausalverlauf bei meiner Strafbarkeit bewertet?
Juristen prüfen den Kausalverlauf intensiv, um Ihre Strafbarkeit bei Vortäuschung zu beurteilen. Entscheidend ist, ob Ihre Handlung ursächlich ein relevantes Geschehen, etwa einen Rettungseinsatz, auslöste und ob Sie dieses Ergebnis bewusst wollten oder zumindest billigend in Kauf nahmen. Nur wenn beides zutrifft und die Kausalkette nicht wesentlich abwich, kann Ihnen eine Tat angelastet werden. Die Regel lautet: Was Sie sich vorstellten, muss im Wesentlichen eintreten.
Warum ist diese Prüfung so wichtig? Das Strafrecht verknüpft Schuld mit bewusster Handlung und deren Konsequenzen. Ein bloßes Geschehen reicht nicht aus. Im Fall einer inszenierten Selbstmordszene, die durch Ketchup und ein Handyfoto ausgelöst wurde, sprach ein Gericht die Täterinnen frei. Die Freundin schickte ein Foto an den Ex-Freund und sagte, der Notarzt sei bereits gerufen. Doch der tatsächliche Polizeieinsatz entstand erst, als der Ex-Freund in Panik geriet, selbst Hilfe holte und ein zufällig anwesender Notarzt das Handyfoto entdeckte, woraufhin die Polizei informiert wurde.
Diese Kette von Zufällen war nicht mehr vorhersehbar. Gerichte sprechen dann von einer wesentlichen Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf. Die ursprüngliche Täuschung führte nicht direkt zum Einsatz; eine völlig neue, nicht gewollte Kausalkette entstand. Deshalb fehlte der erforderliche Vorsatz. Handeln Sie stets überlegt: Die strafrechtliche Zurechnung eines Kausalverlaufs ist ein scharfes Schwert, das Absicht und Ergebnis akribisch abgleicht.
Reicht eine Anklage wegen Vortäuschung eines Unglücksfalls immer zur Verurteilung?
Nein, eine Anklage wegen Vortäuschung eines Unglücksfalls reicht keineswegs immer zur Verurteilung. Selbst wenn die Staatsanwaltschaft eine Tat als strafbar nach § 145 StGB ansieht, prüfen Gerichte akribisch, ob wirklich alle Tatbestandsmerkmale erfüllt sind und der Kausalverlauf dem Vorsatz des Täters entspricht. Ein Freispruch oder die Ablehnung des Hauptverfahrens ist möglich.
Warum war das im Ketchup-Fall so? Juristen nennen das „fehlende Zurechnung“. Die Frauen inszenierten zwar einen blutigen Selbstmordversuch mit Ketchup und schickten ein Foto, doch sagten sie dem Adressaten gleichzeitig, der Notarzt sei bereits verständigt. Das zentrale Tatbestandsmerkmal, den Eindruck zu erwecken, dass fremde Hilfe erforderlich sei und der Empfänger selbst tätig werden müsse, fehlte somit. Niemand sollte den Notruf wählen, weil ja schon jemand angeblich gerufen hatte.
Hinzu kam eine absurde Kette von Ereignissen. Der Ex-Freund geriet selbst in Panik, sein Mitbewohner rief den Rettungsdienst, und erst der zufällig entdeckte Ketchup-Bild auf dem Handy des Verunfallten löste den tatsächlichen Polizeieinsatz aus. Dieser Verlauf war schlicht nicht vorhersehbar. Die Richter erkannten eine „wesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf“. Kurz gesagt: Der Effekt, den die Frauen erreichten, war nicht ihr Plan.
Gesetze sind präzise, moralische Verwerflichkeit bedeutet nicht automatisch Schuld vor Gericht.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Erforderlichkeit fremder Hilfe
Die Erforderlichkeit fremder Hilfe beschreibt das entscheidende Kriterium im Strafrecht, dass eine vorgetäuschte Notlage so dargestellt sein muss, dass jemand glaubt, er müsse umgehend externe Unterstützung anfordern. Das Gesetz bestraft nicht jede Lüge über einen Notfall, sondern nur solche, die tatsächlich unnötige Rettungseinsätze auslösen, weil jemand fälschlicherweise annimmt, selbst Notrufnummern wählen zu müssen. Ziel ist es, die knappen Ressourcen von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst zu schützen.
Beispiel: Im Fall des Ketchup-Streichs fehlte die Erforderlichkeit fremder Hilfe, weil die Anruferin gleichzeitig versicherte, sie habe den Notarzt bereits verständigt, wodurch der Ex-Freund nicht selbst zum Wählen des Notrufs veranlasst wurde.
Strafrechtliche Zurechnung
Bei der strafrechtlichen Zurechnung prüft das Gericht, ob ein Taterfolg, wie etwa ein Polizeieinsatz, Ihnen rechtlich zugerechnet werden kann, weil er auf Ihrer vorsätzlichen Handlung beruht und in seinen wesentlichen Zügen Ihrem Willen oder zumindest Ihrer Billigung entsprach. Nur wer die direkten Folgen seines Handelns auch verantworten wollte oder billigend in Kauf nahm, soll strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden. Dieses Prinzip schützt davor, für unvorhersehbare Zufälle belangt zu werden.
Beispiel: Die strafrechtliche Zurechnung des Polizeieinsatzes scheiterte im Ketchup-Fall, da die Kette der Ereignisse mit dem Handeln eines unbeteiligten Notarztes so abwegig war, dass sie den prankenden Frauen nicht mehr angelastet werden konnte.
Vortäuschung eines Unglücksfalls
Die Vortäuschung eines Unglücksfalls ist eine Straftat nach § 145 StGB, bei der jemand bei einer Behörde oder einer zur Entgegennahme von Notrufen befugten Stelle bewusst eine nicht existierende Gefahr oder Notlage schildert. Diese Vorschrift schützt die Funktionsfähigkeit von Notrufsystemen und bewahrt Rettungsdienste davor, für fingierte Vorfälle ausrücken zu müssen. Das Gesetz ahndet das bewusste Inanspruchnehmen wertvoller Rettungsressourcen ohne echten Grund.
Beispiel: Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen Vortäuschung eines Unglücksfalls, nachdem die jungen Frauen den Suizidversuch mit Ketchup inszeniert und per Foto an den Ex-Freund geschickt hatten, was letztlich zu einem echten Polizeieinsatz führte.
Wesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf
Eine wesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf liegt vor, wenn der tatsächliche Ablauf der Ereignisse so gravierend anders verläuft, als der Täter es sich vorgestellt oder in Kauf genommen hat, dass ihm der Erfolg nicht mehr zugerechnet werden kann. Dieses Prinzip stellt sicher, dass die Strafbarkeit an das gebunden ist, was ein Täter tatsächlich beabsichtigte oder zumindest billigend hinnahm, nicht an unvorhersehbare Kettenreaktionen oder Zufälle. Es begrenzt die strafrechtliche Verantwortung.
Beispiel: Die Richter sahen eine wesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf, weil der tatsächliche Polizeieinsatz nicht direkt durch das gesendete Foto ausgelöst wurde, sondern durch eine Kette von unglücklichen Zufällen über den Ex-Freund, dessen Mitbewohner und einen Notarzt.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Missbrauch von Notrufen durch Vortäuschung eines Unglücksfalls (§ 145 Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch)
Diese Vorschrift bestraft, wer vorsätzlich einen Unglücksfall vortäuscht und dadurch den Anschein erweckt, dass die Hilfe einer Behörde oder einer zur Entgegennahme von Notrufen zuständigen Stelle erforderlich sei.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht stellte fest, dass die Frauen dem Ex-Freund nicht den Eindruck vermittelten, er müsse selbst den Notruf wählen, da sie angaben, den Notarzt bereits informiert zu haben; damit fehlte das entscheidende Merkmal, dass sie den Anschein der Erforderlichkeit fremder Hilfe erweckt hätten. - Objektive Zurechnung und Abweichung vom Kausalverlauf (Allgemeines Rechtsprinzip)
Ein Taterfolg kann dem Verursacher nur dann zugerechnet werden, wenn der tatsächliche Ablauf des Geschehens nicht wesentlich von dem abweicht, was er sich vorgestellt oder vorhergesehen hat.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Richter entschieden, dass der Polizeieinsatz durch eine unerwartete und unvorhersehbare Kette von Ereignissen ausgelöst wurde, die so sehr vom Plan der Frauen abwich, dass der Erfolg ihnen nicht mehr zugerechnet werden konnte. - Strafrechtlicher Vorsatz (Allgemeines Rechtsprinzip)
Damit eine Handlung strafbar ist, muss der Täter grundsätzlich mit Wissen und Wollen, also absichtlich oder zumindest billigend in Kauf nehmend, den gesetzlich beschriebenen Tatbestand verwirklichen.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht prüfte, ob die Frauen den tatsächlichen Polizeieinsatz – ausgelöst durch die Selbstmordversuche des Ex-Freundes und die Notarztmeldung – überhaupt wollten oder billigend in Kauf genommen haben. - Hinreichender Tatverdacht (§ 203 Strafprozessordnung)
Ein Gericht eröffnet das Hauptverfahren erst dann, wenn aufgrund der Ermittlungsergebnisse eine Verurteilung des Beschuldigten in einer späteren Gerichtsverhandlung wahrscheinlich erscheint.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Da das Gericht bereits die Tatbestandsmerkmale des Missbrauchs von Notrufen und die strafrechtliche Zurechnung als nicht erfüllt ansah, fehlte ein hinreichender Tatverdacht, weshalb es das Hauptverfahren nicht eröffnete.
Das vorliegende Urteil
AG Rudolstadt, Az.: 312 Js 36708/14 – 1 Ls jug, Beschluss vom 07.12.2015
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