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Strafbefehl – Unzulässigkeit bei unterbliebener Vernehmung des Beschuldigten

AG Kehl, Az.: 2 Cs 504 Js 5348/18, Beschluss vom 23.08.2018

1. Der Erlass des beantragten Strafbefehls wird abgelehnt.

2. Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Dem Angeschuldigten wird mit dem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls vorgeworfen, er habe am 09.09.2017 gegen 5:20 Uhr auf dem Parkplatz der Diskothek G in … Kehl, mit einem Teleskopschlagstock die Heckscheibe eines fremden Pkw eingeschlagen, wodurch Sachschaden von etwa 1000 € entstanden sei. Dies sei strafbar als Sachbeschädigung in Tateinheit mit vorsätzlichem Besitz einer verbotenen Waffe gemäß § 52 Abs. 3 Nr. 1 WaffG, §§ 303 Abs. 1, 303c, 52 StGB. Wegen der weiteren Einzelheiten der vorgeworfenen Tat wird auf den Strafbefehlsentwurf vom 03.05.2018 verwiesen.

II.

1. Der Erlass des beantragten Strafbefehls ist – derzeit noch – unzulässig. Dem Angeschuldigten wurde im Ermittlungsverfahren nicht im ausreichenden Maße rechtliches Gehör gemäß § 163a Abs. 1 StPO gewährt (a.), was einer Entscheidung über den Strafbefehlsantrag entgegensteht (b.).

Strafbefehl – Unzulässigkeit bei unterbliebener Vernehmung des Beschuldigten
Symbolfoto: vladek/Bigstock

a. Der in Frankreich lebende Angeschuldigte wurde zwar am 04.12.2018 durch die französische Gendarmerie im Ermittlungsverfahren als Beschuldigter vernommen. Dem Beschuldigten wurde vor seiner Vernehmung allerdings nicht eröffnet, dass gegen ihn – auch – der Vorwurf der Sachbeschädigung, wie er nunmehr Gegenstand der öffentlichen Klage ist, erhoben wird. Zwar enthält die Sachverhaltsschilderung in der Europäische Ermittlungsanordnung der Staatsanwaltschaft, die der Vernehmung des Angeschuldigten vorausging, die Mitteilung, dass aus einer Gruppe von 20 Personen auf das Fahrzeug eingeschlagen worden sei. Insoweit ist aber nicht davon die Rede, dass der Angeschuldigte dieser Sachbeschädigung verdächtigt werde und dass er dabei einen Teleskopschlagstock verwendet habe. Die Sachverhaltsschilderung beschränkt sich auf die Verletzungshandlungen. Konsequenterweise ist als anwendbare gesetzliche Bestimmung dann auch nur § 224 StGB genannt. Dementsprechend wird der Angeschuldigte in der Vernehmung durch die französische Gendarmerie weder zur Beschädigung des Fahrzeugs unter Einsatz eines Teleskopschlagstocks befragt noch äußert er sich dazu spontan. Die Anforderungen des § 136 Abs. 1 Satz 1, wonach bei Beginn der ersten Vernehmung dem Beschuldigten zu eröffnen ist, welche Tat ihm zur Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen, waren damit nicht erfüllt.

b. Wird ein Strafbefehl ohne vorherige Vernehmung des Beschuldigten erlassen, beispielsweise, weil der Verstoß gegen § 163a Abs. 1 StPO vom Gericht übersehen, ist zwar der Strafbefehl nicht unwirksam (Beck‘scher Online-Kommentar, StPO, 30. Edition, Stand 01.06.2018, § 407 Rn. 25). Der Erlass eines Strafbefehls ohne vorherige Vernehmung des Beschuldigten stellt aber eine schwerwiegende Verletzung der Verteidigungsrechte und der Prinzipien des fairen Verfahrens dar, die vom Gericht nicht sehenden Auges hingenommen werden kann.

Anders als im Anklageverfahren, in dem der Angeschuldigte noch im Zwischenverfahren gemäß § 201 StPO Gelegenheit hat, den Vorwurf zur Kenntnis zu nehmen, sich dazu zu äußern und vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens einzelne Beweiserhebungen beantragen kann, wird ein Strafbefehl in der Regel ohne weitere Anhörung des Angeschuldigten erlassen (§ 407 Abs. 3 StPO).

Die Möglichkeit des Einspruchs gegen den Strafbefehl kann dies nicht kompensieren. Denn der Beschuldigte müsste den Einspruch erst einmal in zulässigerweise einlegen, um erstmals in der Sache Gehör zu finden, und zur Vermeidung der Verwerfung seines Einspruchs an der Hauptverhandlung teilnehmen; beides ist, wie die gerichtliche Praxis zeigt, nicht ohne Weiteres und erst recht nicht bei ausländischen Beschuldigten zu erwarten.

Ein Vorgehen nach § 408 Abs. 3 StPO, wonach das Gericht anstelle den Strafbefehl zu erlassen Termin zur Hauptverhandlung bestimmen kann, in der sich der Angeschuldigte zum Vorwurf äußern und Beweisanträge stellen könnte, stellt keine befriedigende Lösung dar. Zum einen würden dem Angeschuldigten die Vorteile des Strafbefehlsverfahrens genommen. Zum anderen riskiert er Zwangsmaßnahmen nach § 230 Abs. 2 StPO, wenn er der Hauptverhandlung unentschuldigt fernbleibt.

Zwar könnte das Gericht selbst die Vernehmung des Angeschuldigten nachholen. Verpflichtet ist es dazu jedoch nicht. Es ist Sache der Staatsanwaltschaft, die im Ermittlungsverfahren zutreffenden Maßnahmen durchzuführen, insbesondere, wenn wie hier, eine Europäische Ermittlungsanordnung erforderlich ist.

2. Dem Erlass des beantragten Strafbefehls steht darüber hinaus mangelnder hinreichender Tatverdacht entgegen.

Nach dem Stand der Ermittlungen begründet die zeugenschaftliche Täterbeschreibung einen lediglich einen Anfangsverdacht gegen den Angeschuldigten. Eine für die Verurteilung hinreichend sichere Überzeugung kann darauf auf diese Beschreibung, die keine einzigartigen Merkmale enthält, jedoch nicht gestützt werden. Es kann insbesondere nicht ausgeschlossen werden, dass eine andere der zahlreichen, zum Großteil unbekannt gebliebenen Personen, die an dem Vorfall beteiligt waren, auch dieser Beschreibung entspricht.

Das Gericht ist nicht verpflichtet, weitere Ermittlungen, beispielsweise eine Wahllichtbildvorlage, zu veranlassen, weil es sich dabei nicht um eine einzelne Beweiserhebung im Sinne des § 202 StPO handelt, sondern damit erst der hinreichende Tatverdacht begründet werden soll (vgl. Landgericht Offenburg, Beschluss vom 18.06.2018, Az. 3 Qs 34/18).

III.

Nach alldem ist der Erlass des beantragten Strafbefehls – derzeit – aus rechtlichen Gründen abzulehnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.

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