Skip to content

Fremdenfeindliche Beleidigung: Gericht kippt Urteil – Wie weit reicht Meinungsfreiheit?

Eine Frau musste sich im Dezember 2023 in einer bayerischen Kleinstadt fremdenfeindliche Sprüche wie „hau ab in dein Land“ anhören und erstattete daraufhin Strafantrag wegen Beleidigung. Das Amtsgericht Fürstenfeldbruck verurteilte den Beschuldigten im Juli 2024 zu einer Geldstrafe. Doch obwohl die Taten eindeutig waren, fehlte im Urteil jegliche rechtliche Begründung, was die Gültigkeit der gesamten Entscheidung infrage stellte.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 206 StRR 311/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
  • Datum: 19.09.2024
  • Aktenzeichen: 206 StRR 311/24
  • Verfahren: Revisionsverfahren
  • Rechtsbereiche: Strafrecht, Verfassungsrecht, Strafprozessrecht

Beteiligte Parteien:

  • Kläger: Der Angeklagte, der in erster Instanz wegen Beleidigung verurteilt wurde. Er forderte die Aufhebung seiner Verurteilung.
  • Beklagte: Die Generalstaatsanwaltschaft. Sie beantragte, die Revision des Angeklagten als unbegründet abzuweisen.

Worum ging es genau?

  • Sachverhalt: Ein Mann sagte zu einer Frau mit Kopftuch, sie solle in ihr Herkunftsland abhauen und Deutsch lernen. Er wurde deswegen in erster Instanz wegen Beleidigung verurteilt.

Welche Rechtsfrage war entscheidend?

  • Kernfrage: Durfte das Amtsgericht den Mann wegen Beleidigung verurteilen, ohne genau zu prüfen, was der Anlass der Äußerungen war und ob diese durch die Meinungsfreiheit gedeckt waren?

Entscheidung des Gerichts:

  • Urteil im Ergebnis: Das Urteil der Vorinstanz wurde aufgehoben und der Fall zur erneuten Verhandlung an ein anderes Amtsgericht zurückverwiesen.
  • Zentrale Begründung: Das Amtsgericht hatte nicht ausreichend festgestellt, warum die Äußerungen getätigt wurden und welche genaue Bedeutung sie hatten, und hat die Meinungsfreiheit nicht ausreichend berücksichtigt.
  • Konsequenzen für die Parteien: Der Fall muss neu vor einem anderen Amtsgericht verhandelt werden, welches alle Umstände genau prüfen muss.

Der Fall vor Gericht


Was geschah an jenem Dezembertag in der bayerischen Kleinstadt?

An einem frühen Nachmittag im Dezember 2023 ereignete sich in einer belebten Straße einer bayerischen Kleinstadt eine scharfe Auseinandersetzung. Ein Mann und eine Frau gerieten in Streit. Im Verlauf dieser hitzigen Konfrontation äußerte der Mann, der später der Beschuldigte in diesem Fall wurde, gegenüber der Frau – einer Person, die ein Kopftuch trug und fließend Deutsch sprach – mehrere Sätze.

Wütender Streit zwischen einem Mann und einer Frau mit Kopftuch in einer belebten Fußgängerzone. Wo verläuft die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Beleidigung?
Grenzüberschreitende Beleidigungen im öffentlichen Raum zeigen, wie schnell Meinungsfreiheit in Aggression umschlagen kann. Wo endet das Recht auf freie Äußerung und beginnt der Schutz vor Hate Speech? | Symbolbild: KI-generiertes Bild

Er forderte sie auf, „in das Land, aus dem sie komme, abzuhauen“. Ergänzend fügte er hinzu, sie „solle erstmal Deutsch lernen“ und „sich einen Deutschkurs kaufen“. Für das Gericht stand später fest, dass diese Worte einzig dem Zweck dienten, der Frau seine Missachtung zu demonstrieren. Die Betroffene erstattete daraufhin fristgerecht Strafantrag wegen Beleidigung.

Wie beurteilte das erstinstanzliche Gericht den Vorfall?

Das zuständige Amtsgericht in Fürstenfeldbruck befasste sich mit diesem Fall. Nach Prüfung der Fakten kam es zu dem Schluss, dass die Äußerungen des Mannes den Straftatbestand der Beleidigung nach dem deutschen Strafgesetzbuch erfüllten. Folgerichtig verurteilte das Gericht den Beschuldigten im Juli 2024 zu einer Geldstrafe. Diese setzte sich aus 40 Tagessätzen zu je 40 Euro zusammen. Ein Tagessatz ist dabei eine Geldstrafe, deren Höhe sich nach dem täglichen Einkommen des Verurteilten richtet. Doch obwohl das Amtsgericht die Aussagen und die Absicht des Mannes klar festgestellt hatte, enthielt sein Urteil einen bemerkenswerten Mangel: Es fehlte jegliche rechtliche Begründung oder Bewertung der festgestellten Tatsachen im Urteilstext selbst.

Warum legte der Verurteilte Revision gegen dieses Urteil ein?

Der Mann, der nunmehr der Revisionsführer war, sah sich durch das Urteil des Amtsgerichts zu Unrecht verurteilt und legte Rechtsmittel ein, genauer gesagt, eine Revision. Eine Revision ist kein neues Gerichtsverfahren, bei dem alle Fakten noch einmal von Grund auf neu verhandelt werden. Stattdessen ist sie eine rechtliche Kontrolle: Ein höheres Gericht prüft dabei, ob das erstinstanzliche Gericht bei seiner Urteilsfindung Rechtsfehler gemacht hat – ob es also Gesetze falsch angewendet oder Verfahrensregeln verletzt hat. Der Verurteilte rügte mit seiner Revision, dass das Amtsgericht bei der Beweiserhebung und deren Würdigung fehlerhaft vorgegangen sei. Vor allem aber beanstandete er die rechtliche Bewertung seiner Äußerungen. Er argumentierte, dass das Amtsgericht seine grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit, die im deutschen Grundgesetz verankert ist, nicht ausreichend berücksichtigt oder gar missachtet habe. Er forderte die Aufhebung des Urteils und eine erneute, korrekte Prüfung seines Falles.

Was war die Position der Staatsanwaltschaft in diesem Revisionsverfahren?

Die Generalstaatsanwaltschaft, die in solchen Fällen die Interessen des Staates vertritt und die Anklagebehörde ist, hatte eine andere Auffassung. Sie beantragte, die Revision des Beschuldigten als „offensichtlich unbegründet“ zu verwerfen. Das bedeutete, aus ihrer Sicht gab es keine gravierenden Rechtsfehler im Urteil des Amtsgerichts, die eine Aufhebung rechtfertigen würden. Die Generalstaatsanwaltschaft war also der Ansicht, das erstinstanzliche Urteil sei im Ergebnis zutreffend und rechtmäßig gewesen. Es oblag nun dem Bayerischen Obersten Landesgericht, diese widerstreitenden Ansichten zu prüfen.

Welche fundamentalen Rechtsprinzipien musste das Revisionsgericht berücksichtigen?

Das Bayerische Oberste Landesgericht, als Revisionsinstanz, musste seine Entscheidung auf wesentliche Säulen des deutschen Rechts stützen. Hierbei ging es vor allem um das Spannungsfeld zwischen der persönlichen Ehre einer Person und der Meinungsfreiheit.

Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut in Deutschland. Sie ist in Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes verankert und gibt jedem das Recht, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten. Dieser Schutz umfasst auch Werturteile, also persönliche Bewertungen oder Ansichten, selbst wenn sie für andere herabwürdigend wirken können. Eine Bestrafung wegen einer solchen Äußerung ist somit ein schwerwiegender Eingriff in dieses Grundrecht.

Im Regelfall muss ein Gericht, bevor es eine strafrechtliche Verurteilung wegen einer Äußerung ausspricht, eine umfassende Abwägung vornehmen. Das bedeutet, es muss die Bedeutung der Meinungsfreiheit des Äußernden gegen den Schutz der persönlichen Ehre des Betroffenen abwägen. Eine solche Abwägung ist nur dann nicht nötig, wenn die Äußerung in extremen Formen auftritt, wie zum Beispiel bei reiner „Schmähkritik„, einer „Formalbeleidigung“ oder einem Angriff auf die „Menschenwürde“. Schmähkritik liegt nur dann vor, wenn der Äußerung keinerlei sachliches Anliegen zugrunde liegt oder dieses so unwichtig ist, dass die Äußerung sich nur noch in einer persönlichen Kränkung erschöpft. Eine Beschimpfung, die das absolute Mindestmaß menschlichen Respekts unterschreitet und keinerlei sachlichen Bezug hat, kann ebenfalls nicht durch die Meinungsfreiheit legitimiert werden.

Für das Gericht ist dabei entscheidend, dass die Strafbarkeit einer Äußerung nicht allein aus ihren Worten abgeleitet werden kann. Vielmehr müssen stets der Anlass – also der Auslöser oder der Kontext der Situation – und die näheren Umstände, unter denen die Äußerung gefallen ist, festgestellt werden. Nur so kann der wahre „Sinngehalt“ einer Aussage ermittelt werden, also das, was ein verständiger Dritter unter Berücksichtigung aller Begleitumstände daraus verstehen würde. Wenn eine Aussage mehrere Bedeutungen haben kann und eine davon nicht strafbar ist, muss das Gericht überzeugend darlegen, warum es sich für die strafbare Deutung entschieden hat. Eine Beleidigung im Sinne des Gesetzes setzt zudem voraus, dass eine Missachtung oder Nichtachtung kundgetan wird, die eine abwertende Botschaft enthält.

Warum entsprach das Urteil des Amtsgerichts diesen Grundsätzen nicht?

Das Bayerische Oberste Landesgericht stellte bei seiner Prüfung fest, dass das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts diesen grundlegenden rechtlichen Anforderungen nicht gerecht wurde. Es sah gravierende Mängel in der Urteilsbegründung, die eine korrekte rechtliche Bewertung des Falles unmöglich machten:

  • Fehlende Feststellungen zu Anlass und Sinngehalt: Die Richter des Revisionsgerichts konnten den Urteilsgründen des Amtsgerichts nicht entnehmen, warum genau es zu der Auseinandersetzung kam und was der konkrete Anlass für die getätigten Äußerungen war. Ohne diese Informationen war es dem Revisionsgericht unmöglich, den tatsächlichen Sinngehalt der Worte zu bestimmen. Damit fehlte auch die Grundlage für eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Angeklagten und dem Schutz der Ehre der Geschädigten. Das Revisionsgericht muss sich allein auf die schriftlichen Feststellungen im Urteil verlassen können, um die Anwendung des Rechts zu überprüfen.
  • Fehlende Rechtliche Würdigung: Eng damit verknüpft war der zweite entscheidende Mangel: Das Urteil des Amtsgerichts enthielt keinerlei detaillierte rechtliche Bewertung der festgestellten Tatsachen. Es wurde nicht dargelegt, wie die Äußerungen unter den Straftatbestand der Beleidigung zu fassen waren und inwiefern sie gegebenenfalls noch vom Schutz der Meinungsfreiheit gedeckt sein könnten. Kurz gesagt, das Amtsgericht hatte die Fakten gesammelt, aber nicht schlüssig erklärt, wie es rechtlich von diesen Fakten zum Schuldspruch gelangt war.

Aufgrund dieser grundlegenden Fehler, die eine Überprüfung der Rechtsanwendung durch das Revisionsgericht unmöglich machten, konnte das Urteil des Amtsgerichts keinen Bestand haben.

Wie entschied das Gericht schließlich über den Fall?

Angesichts dieser schwerwiegenden Mängel gab das Bayerische Oberste Landesgericht der Revision des Angeklagten statt. Die Richter hoben das Urteil des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck vom 2. Juli 2024 sowie alle damit verbundenen Feststellungen vollständig auf. Das bedeutet, das ursprüngliche Urteil ist nun hinfällig, als hätte es nie existiert. Der Fall wurde nicht endgültig entschieden, sondern zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck zurückverwiesen. Dies stellt sicher, dass sich ein frischer Blick auf den Fall ergibt.

Das nun zuständige Gericht wird die Aufgabe haben, die noch fehlenden Details genau zu ermitteln. Es muss den Anlass der Äußerungen und die genauen Begleitumstände klären, um daraus den wahren Sinngehalt der Worte abzuleiten. Dabei muss es prüfen, ob die Äußerungen tatsächlich eine Missachtung oder Nichtachtung darstellen, die mit einer abwertenden Bedeutung verbunden ist. Auch wird es sorgfältig abwägen müssen, ob die Meinungsfreiheit des Mannes die Äußerungen unter Umständen noch deckt. Das Revisionsgericht gab zudem den Hinweis, dass angesichts der wenigen und nicht schwerwiegenden Vorstrafen des Mannes eventuell auch eine andere Lösung als eine Verurteilung in Betracht kommen könnte, etwa eine Einstellung des Verfahrens unter Auflagen.

Wichtigste Erkenntnisse

Ein rechtsstaatliches Urteil erfordert eine lückenlose Begründung, die seine Rechtmäßigkeit überprüfbar macht.

  • Notwendigkeit vollständiger Urteilsbegründung: Ein Gericht muss die rechtliche Würdigung der festgestellten Tatsachen detailliert darlegen, damit eine höhere Instanz die Anwendung des Rechts überprüfen kann.
  • Kontextuale Deutung von Äußerungen: Die Strafbarkeit von Äußerungen beurteilt sich nicht allein nach ihren Worten; Gerichte müssen stets den Anlass und die genauen Umstände ermitteln, um ihren wahren Sinngehalt zu verstehen.
  • Abwägung bei Meinungsfreiheit: Bevor Gerichte eine Äußerung bestrafen, müssen sie die Meinungsfreiheit des Sprechers sorgfältig gegen den Ehrenschutz des Betroffenen abwägen und dies überzeugend begründen.

Dieses Urteil unterstreicht die essentiellen Anforderungen an die richterliche Argumentation, um Grundrechte zu wahren und Rechtssicherheit zu gewährleisten.


Benötigen Sie Hilfe?


Wird Ihnen Beleidigung vorgeworfen und Ihre Meinungsfreiheit nicht ausreichend beachtet? Wir geben Ihnen eine erste Orientierung: Fordern Sie Ihre unverbindliche Ersteinschätzung an.

Das Urteil in der Praxis

Wer dachte, ein Beleidigungsurteil sei eine reine Formsache, wird von diesem Entscheid des BayObLG eines Besseren belehrt. Das Gericht macht unmissverständlich klar: Bei Äußerungsdelikten genügt es nicht, die Fakten zu schildern und ein Urteil zu sprechen. Eine lückenlose, nachvollziehbare Abwägung zwischen dem Schutz der Ehre und der Meinungsfreiheit ist zwingend und muss im Urteil klar begründet werden – samt Ermittlung des genauen „Sinngehalts“ der Worte. Dieses Urteil schärft die Anforderungen an gerichtliche Begründungen massiv und gibt der Verteidigung ein mächtiges Werkzeug an die Hand, fehlende Sorgfalt bei der Anwendung von Grundrechten anzuprangern. Es ist ein deutliches Signal: Die Meinungsfreiheit ist kein Papiertiger, und ihre Einschränkung verlangt absolute Präzision und Transparenz von der Justiz.


Symbolische Grafik zu FAQ - Häufig gestellte Fragen aus dem Strafrecht" mit Waage der Gerechtigkeit und Gesetzbüchern im Hintergrund

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Welche rechtlichen Grenzen hat die Meinungsfreiheit in Deutschland, insbesondere im Zusammenhang mit ehrverletzenden Äußerungen?

Die Meinungsfreiheit ist in Deutschland ein fundamental wichtiges Grundrecht, findet ihre Grenzen aber beim Schutz der Ehre anderer Personen, insbesondere bei Beleidigungen. Sie erlaubt zwar das Äußern auch herabwürdigender Werturteile, doch bei extremen Formen wie reiner Schmähkritik oder Angriffen auf die Menschenwürde entfällt dieser Schutz.

Stellen Sie sich die Meinungsfreiheit wie einen weitläufigen, aber eingezäunten Spielplatz vor. Man darf sich dort frei bewegen und ausdrücken, solange man die Grenzen nicht überschreitet, die gesetzt sind, um die Sicherheit und den Respekt gegenüber anderen Spielplatzbesuchern zu gewährleisten.

Die Meinungsfreiheit ist im Grundgesetz verankert und schützt das Recht, Meinungen frei zu äußern und zu verbreiten. Gerichte müssen daher bei Äußerungen, die als Beleidigung gewertet werden könnten, sorgfältig abwägen zwischen dieser Freiheit und dem Schutz der persönlichen Ehre des Betroffenen. Eine solche Abwägung ist nur in Ausnahmefällen nicht erforderlich: wenn eine Äußerung reine „Schmähkritik“ darstellt, also keinerlei sachliches Anliegen hat und nur zur persönlichen Kränkung dient, oder wenn sie eine „Formalbeleidigung“ beziehungsweise einen Angriff auf die „Menschenwürde“ darstellt, indem sie das Mindestmaß menschlichen Respekts unterschreitet. Der wahre Sinngehalt einer Äußerung ergibt sich dabei stets aus Anlass und Umständen.

Diese rechtlichen Grenzen stellen sicher, dass das wichtige Recht auf Meinungsfreiheit nicht dazu missbraucht wird, die Würde und Ehre anderer unzulässig zu verletzen.


zurück zur FAQ Übersicht

Warum ist der genaue Kontext einer Äußerung für ihre rechtliche Bewertung entscheidend?

Die rechtliche Bewertung einer Äußerung hängt entscheidend von ihrem genauen Kontext ab. Eine isolierte Betrachtung von Worten oder Sätzen reicht nicht aus, um deren wahren Sinngehalt zu erfassen und ihre mögliche Strafbarkeit zu beurteilen.

Stellen Sie sich vor, jemand ruft „Feuer!“. Die Bedeutung dieser Äußerung ändert sich drastisch, je nachdem, ob es bei einer Evakuierungsübung in einem Theater gerufen wird oder in einem brennenden Haus. Der Kontext gibt den Worten ihren wahren Sinn. Ähnlich verhält es sich bei der rechtlichen Beurteilung von Äußerungen.

Gerichte müssen daher stets den Anlass – also den Auslöser oder Kontext der Situation – und die näheren Umstände, unter denen eine Äußerung gefallen ist, genau feststellen. Nur so kann ermittelt werden, was ein verständiger Dritter unter Berücksichtigung aller Begleitumstände wirklich aus den Worten verstehen würde – den sogenannten „wahren Sinngehalt“. Wenn eine Aussage mehrere Bedeutungen haben kann und eine davon nicht strafbar ist, muss das Gericht überzeugend darlegen, warum es sich für die strafbare Deutung entschieden hat.

Diese sorgfältige Prüfung ist unerlässlich, um eine fundierte Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Äußernden und dem Schutz der persönlichen Ehre des Betroffenen vornehmen zu können.


zurück zur FAQ Übersicht

Welche fundamentale Bedeutung hat eine umfassende und nachvollziehbare Urteilsbegründung im deutschen Recht?

Eine umfassende und nachvollziehbare Urteilsbegründung ist die unverzichtbare Grundlage für die Gültigkeit und Überprüfbarkeit gerichtlicher Entscheidungen. Sie liefert nicht nur das Ergebnis des Urteils, sondern legt den gesamten gedanklichen Weg des Gerichts detailliert dar.

Stellen Sie sich vor, ein Fußball-Schiedsrichter zeigt einem Spieler die Rote Karte, ohne zu erklären, warum. Man weiß das Ergebnis, aber nicht die Regelverletzung. Ähnlich ist es bei Gerichtsurteilen: Die Begründung erklärt, welche Spielregeln (Gesetze) wie angewendet wurden.

Diese Begründung ist unverzichtbar, damit höhere Gerichte, wie in einem Revisionsverfahren, prüfen können, ob die Gesetze korrekt angewendet wurden. Ohne sie ist eine rechtliche Kontrolle unmöglich, da die entscheidenden Schritte der Urteilsfindung nicht nachvollziehbar sind. Darüber hinaus schafft die Begründung Transparenz für die beteiligten Parteien. Sie können so die Entscheidung verstehen, deren Richtigkeit bewerten und gegebenenfalls fundiert Rechtsmittel einlegen.

Fehlen wesentliche Teile der Begründung oder sind diese fehlerhaft, stellt dies einen Rechtsfehler dar, der zur vollständigen Aufhebung des Urteils führen kann, selbst wenn das Ergebnis materiell richtig gewesen sein mag. Diese strenge Anforderung dient dem Vertrauen in einen fairen und nachvollziehbaren Rechtsstaat.


zurück zur FAQ Übersicht

Was genau wird in einem Revisionsverfahren vor einem höheren Gericht geprüft?

In einem Revisionsverfahren vor einem höheren Gericht wird nicht der Fall neu verhandelt oder Beweise erneut aufgenommen. Es handelt sich vielmehr um eine reine Rechtskontrolle.

Man kann sich das so vorstellen wie bei einem Fußballspiel: Der Schiedsrichter auf dem Feld (das erstinstanzliche Gericht) trifft die Entscheidungen. Das Revisionsgericht ist nicht der Schiedsrichter, der das Spiel noch einmal pfeift, sondern prüft, ob der ursprüngliche Schiedsrichter die Spielregeln richtig angewendet hat.

Ein Revisionsgericht untersucht ausschließlich, ob das erstinstanzliche Gericht bei seiner Urteilsfindung Rechtsfehler gemacht hat. Dies bedeutet, es wird geprüft, ob Gesetze falsch angewendet wurden oder ob es zu Fehlern im Verfahren gekommen ist, beispielsweise durch Verstöße gegen Formvorschriften oder eine unzureichende Begründung des Urteils. Dabei stützt sich das Revisionsgericht allein auf die Tatsachen, die das erstinstanzliche Gericht festgestellt und in seinem Urteil festgehalten hat. Es nimmt keine neuen Beweise auf und bewertet die Beweise der Vorinstanz nicht neu, es sei denn, die Art und Weise der Beweiswürdigung selbst enthielt einen Rechtsfehler.

Liegen gravierende Rechtsfehler vor, kann das Revisionsgericht das Urteil aufheben und den Fall zur erneuten Verhandlung an eine andere Abteilung des erstinstanzlichen Gerichts oder eine andere Instanz zurückverweisen. Dieses Verfahren dient dazu, die rechtliche Korrektheit von Gerichtsentscheidungen sicherzustellen und das Vertrauen in eine faire Rechtsanwendung zu wahren.


zurück zur FAQ Übersicht

Wie erfolgt die Abwägung zwischen dem Grundrecht der Meinungsfreiheit und dem Schutz der persönlichen Ehre bei der rechtlichen Beurteilung von Äußerungen?

Die rechtliche Beurteilung von Äußerungen erfordert eine sorgfältige Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Schutz der persönlichen Ehre. Das deutsche Grundgesetz verankert die Meinungsfreiheit als hohes Gut, doch können Äußerungen auch die Ehre anderer verletzen. Gerichte müssen daher eine umfassende Abwägung vornehmen, bei der die Bedeutung der Meinungsfreiheit des Äußernden gegen den Schutz der persönlichen Ehre des Betroffenen ins Verhältnis gesetzt wird.

Man kann sich diesen Prozess wie einen Schiedsrichter bei einem Fußballspiel vorstellen, der eine Entscheidung treffen muss, wenn zwei Spieler gleichzeitig den Ball erobern wollen: Es geht darum, fair zu beurteilen, wessen „Anspruch“ im jeweiligen Moment höher zu gewichten ist, basierend auf den Regeln und dem Kontext der Situation.

Die Gerichte prüfen, ob eine Äußerung im konkreten Fall die Grenzen der Meinungsfreiheit überschreitet und eine Bestrafung rechtfertigt. Dabei spielen der Anlass und der Kontext der Äußerung sowie ihr wahrer Sinngehalt eine entscheidende Rolle. Auch die Frage, ob der Äußerung ein sachliches Anliegen zugrunde liegt oder ob sie lediglich der persönlichen Kränkung dient, fließt in diese Betrachtung ein. Nur wenn der Schutz der persönlichen Ehre im konkreten Fall die Meinungsfreiheit deutlich überwiegt, ist eine strafrechtliche Verurteilung zulässig. Eine solche Abwägung ist ausnahmsweise nicht nötig, wenn die Äußerung in extremen Formen vorliegt, wie reiner „Schmähkritik“, einer „Formalbeleidigung“ oder einem Angriff auf die „Menschenwürde“.

Dieser umfassende Prozess des Abwägens wahrt das sensible Gleichgewicht zwischen individueller Freiheit und dem Schutz vor Diskriminierung und Herabwürdigung.


zurück zur FAQ Übersicht

Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Richterhammer, Justitia-Waage und aufgeschlagenes Buch illustrieren das Glossar Strafrecht: Fachbegriffe einfach erklärt.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Abwägung

Eine Abwägung ist der Prozess, bei dem Gerichte widerstreitende Rechte oder Interessen gegeneinander abwiegen, um einen gerechten Ausgleich zu finden. Das Gericht muss hierbei die Bedeutung der einzelnen Rechte und die Umstände des konkreten Falles berücksichtigen, um zu entscheiden, welches Recht im jeweiligen Kontext Vorrang hat oder wie ein angemessener Kompromiss aussieht. Dies sichert, dass keines der betroffenen Rechte pauschal missachtet wird.
Beispiel: Im vorliegenden Fall musste das Gericht die Meinungsfreiheit des Mannes gegen den Schutz der persönlichen Ehre der betroffenen Frau abwägen, um zu entscheiden, ob die Äußerungen strafbar waren oder noch vom Grundrecht gedeckt wurden.

Zurück zur Glossar Übersicht

Meinungsfreiheit

Die Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht, das jedem Menschen erlaubt, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten, ohne dafür Angst vor staatlicher Zensur oder Bestrafung haben zu müssen. Dieses Recht ist fundamental für eine offene Gesellschaft und schützt auch Werturteile, also persönliche Ansichten, selbst wenn sie kritisch oder herabwürdigend wirken können. Allerdings findet sie ihre Grenzen dort, wo die Rechte anderer, wie der Schutz der Ehre, verletzt werden.
Beispiel: Der Mann im Artikel berief sich auf seine Meinungsfreiheit, um seine Äußerungen zu rechtfertigen, und rügte, dass das Amtsgericht dieses Grundrecht nicht ausreichend berücksichtigt habe.

Zurück zur Glossar Übersicht

Persönliche Ehre

Die persönliche Ehre schützt den Anspruch jedes Menschen auf Achtung seiner Würde und seines sozialen Geltungswertes vor entwürdigenden oder herabsetzenden Äußerungen. Sie ist ein wichtiges Schutzgut, das sicherstellen soll, dass Individuen in der Gesellschaft nicht grundlos beleidigt, verunglimpft oder in ihrer Würde angegriffen werden. Das Recht auf persönliche Ehre steht oft im Spannungsfeld zur Meinungsfreiheit und muss von Gerichten entsprechend abgewogen werden.
Beispiel: Im beschriebenen Fall ging es darum, ob die Äußerungen des Mannes die persönliche Ehre der Frau in einem Maße verletzten, das eine Bestrafung rechtfertigt, obwohl der Mann sich auf seine Meinungsfreiheit berief.

Zurück zur Glossar Übersicht

Rechtliche Würdigung

Die rechtliche Würdigung ist der Schritt im Urteil, in dem das Gericht die festgestellten Tatsachen eines Falles daraufhin prüft, welche rechtlichen Konsequenzen sich daraus ergeben und welche Gesetze anzuwenden sind. Hier erklärt das Gericht schlüssig, wie es von den gesammelten Fakten (z.B. was gesagt wurde) zum rechtlichen Ergebnis (z.B. „das ist eine Beleidigung“) kommt. Sie ist entscheidend, damit höhere Gerichte die korrekte Anwendung des Rechts nachvollziehen und überprüfen können.
Beispiel: Das Urteil des Amtsgerichts hatte einen gravierenden Mangel, weil es keinerlei detaillierte rechtliche Würdigung enthielt; es wurde nicht dargelegt, wie die Äußerungen des Mannes unter den Straftatbestand der Beleidigung zu fassen waren.

Zurück zur Glossar Übersicht

Schmähkritik

Schmähkritik ist eine extreme Form der Äußerung, die nicht mehr vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt ist, weil ihr keinerlei sachliches Anliegen zugrunde liegt und sie sich ausschließlich in einer persönlichen Kränkung erschöpft. Sie dient allein der Diffamierung und Herabsetzung einer Person und stellt eine so schwerwiegende Verletzung der Ehre dar, dass die Abwägung mit der Meinungsfreiheit entfällt. Bei Schmähkritik ist der Ehrenschutz höher zu bewerten als die Meinungsfreiheit.
Beispiel: Das Revisionsgericht führte aus, dass eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlicher Ehre nur dann nicht nötig sei, wenn die Äußerung in extremen Formen wie der reinen Schmähkritik auftritt.

Zurück zur Glossar Übersicht

Sinngehalt

Der Sinngehalt einer Äußerung bezeichnet die tatsächliche Bedeutung, die ein verständiger Dritter unter Berücksichtigung aller Begleitumstände aus den gesprochenen oder geschriebenen Worten verstehen würde. Gerichte müssen den Sinngehalt genau ermitteln, um beurteilen zu können, ob eine Äußerung beispielsweise eine Beleidigung darstellt oder noch von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Es reicht nicht, nur die Worte isoliert zu betrachten; Anlass und Kontext sind entscheidend für die wahre Bedeutung.
Beispiel: Das Bayerische Oberste Landesgericht rügte, dass das Amtsgericht keine ausreichenden Feststellungen zum Anlass und Sinngehalt der Äußerungen des Mannes getroffen hatte, was eine korrekte rechtliche Bewertung unmöglich machte.

Zurück zur Glossar Übersicht

Urteilsbegründung

Die Urteilsbegründung ist der schriftliche Teil eines Gerichtsurteils, der detailliert darlegt, welche Tatsachen das Gericht festgestellt hat und aus welchen rechtlichen Gründen es zu seiner Entscheidung gelangt ist. Sie ist die unverzichtbare Grundlage für die Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit gerichtlicher Entscheidungen. Ohne eine schlüssige Begründung können höhere Gerichte nicht prüfen, ob das erstinstanzliche Gericht die Gesetze korrekt angewendet hat, und die Parteien können die Entscheidung nicht verstehen.
Beispiel: Das Bayerische Oberste Landesgericht hob das Urteil des Amtsgerichts auf, weil dessen Urteilsbegründung gravierende Mängel aufwies und die notwendigen rechtlichen Erwägungen vollständig fehlten.

Zurück zur Glossar Übersicht


Wichtige Rechtsgrundlagen


  • Beleidigung (§ 185 StGB)

    Dieser Paragraph bestraft Äußerungen, die dazu bestimmt sind, die Ehre einer anderen Person durch Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung zu verletzen.

    Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Mann wurde in erster Instanz wegen Beleidigung verurteilt, weil seine Äußerungen gegenüber der Frau als Ausdruck von Missachtung und Herabwürdigung ihrer Person verstanden wurden.

  • Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz)

    Dieses Grundrecht schützt die freie Äußerung und Verbreitung von Meinungen, einschließlich Werturteilen, auch wenn diese scharf oder kritisch sind.

    Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Verurteilte berief sich auf die Meinungsfreiheit, da er meinte, das Amtsgericht habe dieses Grundrecht bei der Verurteilung seiner Äußerungen nicht ausreichend berücksichtigt.

  • Grundsatz der Abwägung von Grundrechten

    Bei der Kollision zweier wichtiger Rechte, wie der Meinungsfreiheit und dem Schutz der persönlichen Ehre, muss das Gericht in der Regel sorgfältig prüfen und entscheiden, welches Recht im konkreten Fall Vorrang hat.

    Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Revisionsgericht betonte, dass das Amtsgericht die Meinungsfreiheit des Mannes gegen das Schutzbedürfnis der persönlichen Ehre der Frau hätte abwägen müssen, um zu einer rechtmäßigen Verurteilung zu gelangen.

  • Grundsatz der vollständigen Urteilsbegründung

    Ein richterliches Urteil muss nicht nur die festgestellten Tatsachen, sondern auch deren genaue rechtliche Bewertung und die angewandten Gesetzesnormen klar und nachvollziehbar darlegen.

    Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Amtsgericht hatte sein Urteil nicht ausreichend begründet; es fehlten wichtige Feststellungen zum Anlass und zum genauen Sinngehalt der Äußerungen sowie eine detaillierte rechtliche Würdigung, was eine Überprüfung durch das Revisionsgericht unmöglich machte.

  • Prüfungsmaßstab im Revisionsverfahren

    Ein Revisionsgericht prüft ausschließlich, ob das erstinstanzliche Gericht Rechtsfehler gemacht hat, und stützt sich dabei nur auf die im schriftlichen Urteil getroffenen Feststellungen und deren rechtliche Würdigung.

    Bedeutung im vorliegenden Fall: Da das Amtsgericht die notwendigen Tatsachen (Anlass, Sinngehalt) und die rechtliche Würdigung nicht im Urteil festgehalten hatte, konnte das Revisionsgericht die Rechtsanwendung nicht überprüfen und musste das Urteil daher aufheben.


Das vorliegende Urteil



BayObLG – Az.: 206 StRR 311/24 – Beschluss vom 19.09.2024


* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Strafrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Strafrecht und Verkehrsstrafrecht. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Rechtstipps aus dem Strafrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!