Die Grenze der Meinungsfreiheit bei Beleidigung von Politikern wurde vom Bayerischen Obersten Landesgericht anhand eines Social-Media-Posts mit der Vokabel „Lobbynutten“ neu gezogen. Trotz der extremen politischen Polemik blieb der Angeklagte straffrei, weil Richter nun höchste Anforderungen an die Feststellung digitaler Äußerungsdelikte stellen.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Wann sind politische Äußerungen in sozialen Medien strafbar?
- Was genau war im Netz passiert?
- Welche Gesetze prallten hier aufeinander?
- Warum hob das Obergericht das Urteil auf – und nicht anders?
- Was bedeutet das Urteil jetzt für Sie?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann ist scharfe Kritik an Politikern auf Social Media strafbar und wann geschützt?
- Wann gilt meine polemische Äußerung noch als geschützte Meinung und nicht als Schmähkritik?
- Welche Rolle spielt der Gesamtkontext (Emojis, Anlass) für die Strafbarkeit meiner Online-Kritik?
- Ist die Verwendung eines NS-Symbols (§ 86a StGB) strafbar, wenn ich damit Kritik üben will?
- Wie wirkt sich die technische Reichweite meines Posts auf Social Media auf die Gefahr einer Verurteilung aus?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 206 StRR 205/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
- Datum: 16. Juli 2025
- Aktenzeichen: 206 StRR 205/25
- Verfahren: Revision in Strafsachen
- Rechtsbereiche: Strafrecht, Meinungsfreiheit, Ehrschutz
- Das Problem: Ein Bürger wurde wegen beleidigender Äußerungen gegenüber Politikern und der Verbreitung eines Hitler-Kopfbildes in sozialen Medien verurteilt. Er sah dies als geschützte Meinungsäußerung im politischen Streit.
- Die Rechtsfrage: Schützt das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung auch sehr scharfe Begriffe wie „Lobbynutten“ gegenüber politischen Akteuren?
- Die Antwort: Ja, für diesen konkreten Ausdruck erfolgte ein Freispruch. Das Gericht sah die Bezeichnung „Lobbynutten“ im Kontext der politischen Debatte als überspitzte, aber zulässige Meinungsäußerung. Die übrigen Verurteilungen (insbesondere zur Verbreitung des Hitler-Bildes) wurden wegen fehlender Beweisfeststellungen des Landgerichts aufgehoben.
- Die Bedeutung: Meinungsäußerungen genießen in hitzigen politischen Debatten einen sehr hohen Schutz. Gerichte müssen den genauen Kontext von beleidigenden oder symbolischen Darstellungen exakt feststellen, bevor sie eine Verurteilung aussprechen können.
Wann sind politische Äußerungen in sozialen Medien strafbar?
Er nannte Politiker „Lobbynutten“ und verschickte Bilder von Adolf Hitler. Ein Mann wurde dafür vom Amtsgericht und später vom Landgericht München I wegen Beleidigung und der Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen verurteilt. Doch in einem wegweisenden Beschluss vom 16. Juli 2025 (Az.: 206 StRR 205/25) hat das Bayerische Oberste Landesgericht dieses Urteil in wesentlichen Teilen aufgehoben. Die Entscheidung zieht eine feine, aber entscheidende Linie zwischen scharfer politischer Auseinandersetzung, die von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, und strafbarer Schmähkritik. Sie macht zugleich deutlich, welche akribische Detailarbeit Gerichte bei der Bewertung von Social-Media-Posts leisten müssen.
Was genau war im Netz passiert?
Der Fall nahm seinen Anfang am 21. Januar 2023, auf dem Höhepunkt einer emotional aufgeladenen öffentlichen Debatte über die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine. Ein Mann nutzte eine Social-Media-Plattform, um seinen Unmut über Politikerinnen und Politiker zu äußern, die diese Lieferungen befürworteten. In mehreren Beiträgen griff er sie namentlich an.
Zwei dieser Posts standen im Zentrum des Verfahrens. Um 20:10 Uhr und erneut um 22:45 Uhr bezeichnete er die abgebildeten Politiker als „Lobbynutten“. Den zweiten Beitrag ergänzte er mit dem Satz, „diese Schlangen“ würden „viel Geld für ihre Auftragspropaganda“ erhalten. In 33 weiteren Fällen verbreitete der Angeklagte ein Kopfbild von Adolf Hitler. Zudem reagierte er auf den Beitrag eines anderen Nutzers und nannte eine Politikerin eine „Arschloch-Goebbels-Imitatorin“.

Sowohl das Amtsgericht München als auch das Landgericht München I werteten diese Handlungen als strafbar. Sie verurteilten den Mann wegen Beleidigung von Personen des politischen Lebens (§ 188 StGB) und der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§§ 86, 86a StGB). Der Angeklagte akzeptierte das Urteil nicht und legte Revision ein. Sein zentrales Argument: Seine Äußerungen seien überspitzte, aber vom Recht auf freie Meinungsäußerung geschützte Kritik im politischen Meinungskampf.
Welche Gesetze prallten hier aufeinander?
Dieser Fall ist ein klassisches Beispiel für das Spannungsfeld zwischen zwei fundamentalen rechtlichen Werten. Auf der einen Seite steht die in Artikel 5 des Grundgesetzes (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) garantierte Meinungsfreiheit. Sie ist für eine lebendige Demokratie unerlässlich und schützt grundsätzlich auch scharfe, polemische oder überzogene Kritik, insbesondere im politischen Diskurs.
Auf der anderen Seite steht der Schutz der persönlichen Ehre, der durch die Strafrechtsparagraphen zur Beleidigung (§ 185 StGB) und zur üblen Nachrede gegen Personen des politischen Lebens (§ 188 StGB) gewährleistet wird. Dieses Recht soll verhindern, dass Menschen willkürlich herabgewürdigt und in ihrem Ansehen beschädigt werden.
Eine dritte rechtliche Dimension bildet der Schutz der staatlichen Ordnung, verkörpert durch die §§ 86 und 86a des Strafgesetzbuches. Diese verbieten die Verbreitung von Propagandamitteln und die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen wie der NSDAP. Der Zweck dieser Normen ist es, eine Wiederbelebung solcher Ideologien zu verhindern und den öffentlichen Frieden zu wahren. Die Aufgabe der Gerichte war es, in diesem komplexen Geflecht eine präzise Abwägung für jeden einzelnen Vorwurf zu treffen.
Warum hob das Obergericht das Urteil auf – und nicht anders?
Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) zerlegte das Urteil der Vorinstanz Punkt für Punkt und legte dabei gravierende Mängel in der juristischen Analyse und der Sachverhaltsaufklärung offen. Der Senat sprach den Angeklagten in den zentralen Anklagepunkten der „Lobbynutten“-Äußerung sogar direkt frei. In allen anderen Punkten verwies er den Fall zur Neuverhandlung an eine andere Kammer des Landgerichts zurück.
„Lobbynutten“: Polemik statt justiziabler Tatsachenbehauptung?
Das Landgericht hatte die Bezeichnung „Lobbynutten“ als eine herabsetzende Tatsachenbehauptung gewertet. Es unterstellte, der Angeklagte habe den Politikern vorgeworfen, käuflich zu sein und ihre Entscheidungen von finanziellen Zuwendungen abhängig zu machen. Dies, so das Landgericht, sei eine so schwerwiegende Ehrverletzung, dass die Meinungsfreiheit dahinter zurücktreten müsse.
Dieser Auslegung erteilte das BayObLG eine klare Absage. Es stützte sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und betonte, dass Äußerungen im politischen Meinungskampf einen besonderen Schutz genießen. Die Richter argumentierten, dass die Bezeichnung „Lobbynutten“ im konkreten Kontext primär als Meinungsäußerung und nicht als Tatsachenbehauptung zu verstehen sei. Der Begriff sei zwar drastisch, aber durch den Wortbestandteil „Lobby“ erkennbar auf eine politische Kritik an der vermeintlichen Nähe zur Rüstungsindustrie bezogen. Er enthalte keine konkrete, beweisbare Behauptung über einen bestimmten Bestechungsvorgang.
Das Gericht stellte zudem fest, dass es sich hierbei nicht um eine sogenannte Schmähkritik handelt. Eine Schmähkritik liegt laut Bundesverfassungsgericht nur dann vor, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern ausschließlich die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Da die Äußerung des Angeklagten jedoch im Rahmen einer hitzigen politischen Sachdebatte fiel, war dieser strenge Maßstab nicht erfüllt. Im Ergebnis überwog hier das Recht des Angeklagten auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) das Ehrschutzinteresse der Politiker. Da keine neuen Fakten zu erwarten waren, die an dieser Bewertung etwas ändern könnten, sprach der Senat den Angeklagten in diesem Punkt direkt frei (§ 354 Abs. 1 StPO).
Hitler-Bild: Warum der Gesamtkontext alles entscheidet
Auch bei der Verurteilung wegen der Verwendung des Hitler-Bildes fand das BayObLG schwere Mängel. Das Landgericht hatte seine Entscheidung auf einer simplen Annahme aufgebaut: Das Zeigen eines Hitler-Bildes erfüllt den Tatbestand des § 86a StGB.
Der Senat rügte diese verkürzte Sichtweise als rechtsfehlerhaft. Die Strafbarkeit entfällt nämlich, wenn die Verwendung des Symbols erkennbar und offenkundig der Ideologie des Nationalsozialismus widerspricht und diese gerade kritisieren oder lächerlich machen soll. Ob eine solche Ausnahme vorliegt, kann ein Gericht aber nur beurteilen, wenn es den gesamten Kontext der Veröffentlichung würdigt. Genau das hatte das Landgericht versäumt. In seinem Urteil fehlten elementare Feststellungen, wie etwa:
- Die äußere Gestaltung: Wie groß war das Bild? In welchem Verhältnis stand es zum Text?
- Der satirische Charakter: Gab es verfremdende Elemente, wie das vom Angeklagten angeführte „Kotz-Emoji“?
- Der Gesamteindruck: Wirkt der Post als Ganzes wie eine kritische Auseinandersetzung oder wie Propaganda?
Ohne diese Feststellungen, so der Senat, war eine verfassungskonforme Auslegung des § 86a StGB unmöglich. Das Landgericht hätte die bei den Akten befindlichen Screenshots der Posts im Urteil beschreiben oder auf sie verweisen müssen (§ 267 Abs. 1 S. 3 StPO), um seine Entscheidung nachvollziehbar zu machen.
Fehlende Feststellungen: Ein Urteil ohne tragfähiges Fundament
Die Mängelliste des Obergerichts endete hier nicht. Es kritisierte eine ganze Reihe weiterer fundamentaler Versäumnisse der Vorinstanz, die das gesamte Urteil zu Fall brachten.
- Wer hat den Post überhaupt gesehen? Für eine Strafbarkeit wegen „Verbreitens“ muss die Äußerung einem größeren, vom Täter nicht mehr kontrollierbaren Personenkreis zugänglich gemacht werden. Das Landgericht hatte schlicht festgestellt, die Posts seien auf einer Social-Media-Plattform veröffentlicht worden. Dem Senat genügte das nicht. Er forderte konkrete Feststellungen: Waren die Posts öffentlich? Oder nur für einen kleinen Freundeskreis sichtbar? Ohne Klärung dieser technischen Details fehlt der Nachweis der Verbreitung.
- Eine Tat oder 33 Taten? Das Landgericht hatte die 33 Versendungen des Hitler-Bildes als 33 rechtlich selbstständige Taten gewertet. Das BayObLG wies darauf hin, dass die Versendung mehrerer Nachrichten über einen Messenger-Dienst im Rahmen einer einheitlichen Nutzung auch eine sogenannte Natürliche Handlungseinheit und damit nur eine einzige Tat darstellen kann. Um dies zu beurteilen, hätte das Gericht den Tatentschluss des Angeklagten feststellen müssen – was es unterließ.
- Was war der Auslöser? Auch die Verurteilung wegen der Äußerung „Arschloch-Goebbels-Imitatorin“ hielt der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hatte lediglich festgestellt, der Angeklagte habe „auf einen Beitrag des Nutzers Jagdfrevler“ reagiert. Der Inhalt dieses ursprünglichen Beitrags wurde im Urteil aber nicht wiedergegeben. Ohne den Auslöser zu kennen, ist eine Bewertung der Reaktion jedoch unmöglich. Es lässt sich nicht beurteilen, ob die Äußerung eine zugespitzte Antwort in einem laufenden Streitgespräch war oder eine grundlose Herabwürdigung.
Was bedeutet das Urteil jetzt für Sie?
Die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts ist kein Freibrief für Hass und Hetze im Netz. Sie ist vielmehr eine eindringliche Mahnung an die Strafjustiz, bei Äußerungsdelikten mit größter Sorgfalt zu arbeiten und die hohen Hürden der Meinungsfreiheit ernst zu nehmen. Für Sie als Nutzer in sozialen Medien lassen sich daraus konkrete Lehren ziehen.
Checkliste: Meinungsfreiheit vs. Strafbarkeit im Netz
- Unterscheiden Sie: Meinung oder Tatsachenbehauptung?
- Meinung: Eine persönliche Wertung oder ein Urteil („Ich finde die Politik von X schlecht.“). Meinungen sind weitreichend geschützt, auch wenn sie polemisch sind.
- Tatsachenbehauptung: Eine Aussage, die auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfbar ist („X hat Gelder veruntreut.“). Unwahre Tatsachenbehauptungen, die jemanden herabwürdigen, sind nicht geschützt. Die Bezeichnung „Lobbynutten“ wurde hier als (geschützte) Meinungsäußerung gewertet, weil sie keine konkret beweisbare Bestechung behauptete.
- Prüfen Sie den Sachbezug: Geht es um die Sache oder nur um die Person?
- Solange Ihre Kritik, auch wenn sie scharf ist, einen erkennbaren Bezug zu einem Sachthema hat (z.B. einer politischen Entscheidung), ist sie eher von der Meinungsfreiheit gedeckt.
- Geht es Ihnen hingegen nur darum, eine Person ohne jeden Sachbezug zu diffamieren und zu erniedrigen, betreten Sie den Bereich der strafbaren Schmähkritik.
- Bedenken Sie den Gesamtkontext: Ein Bild oder Wort ist selten isoliert.
- Gerichte müssen den gesamten Post bewerten – inklusive Text, Emojis, Bilder und den Anlass der Äußerung. Eine satirische oder kritische Absicht muss klar erkennbar sein. Die alleinige Verwendung eines verbotenen Symbols macht eine Handlung noch nicht zwangsläufig strafbar, wenn der Kontext eine eindeutig ablehnende Haltung zur NS-Ideologie zeigt.
- Vorsicht bei Vergleichen mit dem Nationalsozialismus.
- Auch wenn im vorliegenden Fall das Urteil wegen formaler Mängel aufgehoben wurde, ist die Verwendung von NS-Symbolen extrem riskant. Die Hürden, um eine strafbefreiende satirische oder aufklärerische Absicht nachzuweisen, sind sehr hoch.
- Verstehen Sie die Rolle des Gerichts: Es muss Fakten lückenlos aufklären.
- Dieses Urteil zeigt: Eine Verurteilung darf nicht auf Vermutungen basieren. Gerichte müssen genau ermitteln, wer etwas gesagt hat, in welchem Kontext, mit welcher technischen Reichweite und mit welcher Absicht. Fehlen diese „Elementarfeststellungen“, ist ein Schuldspruch rechtswidrig.
Die Urteilslogik
Die Justiz muss die hohen Hürden der Meinungsfreiheit im politischen Diskurs wahren und trennscharf zwischen scharfer Polemik und strafbarer Diffamierung unterscheiden.
- Politisches Werturteil überwiegt Ehrschutz: Drastische Äußerungen im politischen Meinungskampf gelten als geschützte Meinungsäußerung, solange sie primär auf die Auseinandersetzung in der Sache abzielen und nicht ausschließlich der persönlichen Diffamierung dienen (Schmähkritik).
- Gerichte müssen technischen Verbreitungskontext klären: Ein Schuldspruch erfordert die lückenlose Aufklärung der Fakten, indem das Gericht die technische Reichweite der Online-Äußerung (öffentlich versus privat) und den genauen Auslöser eines Beitrags feststellt, um dessen strafrechtliche Relevanz zu beurteilen.
- Kontext neutralisiert Symbolstrafbarkeit: Die Verwendung verbotener Kennzeichen führt nicht zur automatischen Strafbarkeit, wenn der Gesamtkontext der Darstellung – etwa durch Satire oder verfremdende Elemente – die Symbolik offenkundig kritisiert und die damit verbundene Ideologie ablehnt.
Die strafrechtliche Würdigung von Äußerungen im Netz verlangt stets eine präzise Abwägung des Grundrechts auf freie Rede gegen den Anspruch auf Schutz der persönlichen Ehre.
Benötigen Sie Hilfe?
Drohen Ihnen strafrechtliche Konsequenzen wegen Ihrer Meinungsäußerung im Netz? Kontaktieren Sie uns für eine professionelle rechtliche Ersteinschätzung Ihres spezifischen Falls.
Experten Kommentar
Wer heute schnell ein Urteil über Beleidigungen im Netz fällt, irrt sich gewaltig – auch die Justiz. Das Gericht zieht eine klare rote Linie und macht klar: Im hitzigen politischen Streit muss die Meinungsfreiheit konsequent vorgehen, solange die Kritik sachbezogen bleibt und nicht reine Diffamierung ist. Für alle Strafverfolger bedeutet dies einen harten Arbeitsauftrag, denn es reicht nicht mehr, nur den Wortlaut zu zitieren; sie müssen künftig minutiös feststellen, welcher technische Kontext, welches Emoji oder welcher Auslöser wirklich vorlag. Die Freiheit des Wortes im Netz wird gestärkt, aber nur, weil der Nachweis einer Straftat juristisch so viel komplexer ist, als man zunächst annimmt.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Scharfe Kritik an Politikern ist grundsätzlich durch die Meinungsfreiheit geschützt, solange sie im Rahmen einer politischen Sachdebatte geäußert wird. Die Strafbarkeitsgrenze wird erst überschritten, wenn die Äußerung keinen sachlichen Bezug mehr hat und zur reinen Diffamierung dient. Ausschlaggebend ist die Unterscheidung, ob Sie eine subjektive Wertung oder eine unwahre Tatsachenbehauptung verbreiten.
Im politischen Meinungskampf tolerieren Gerichte auch polemische oder überzogene Kritik, denn das Grundrecht auf Meinungsfreiheit genießt hier besonderen Vorrang. Die entscheidende juristische Unterscheidung liegt zwischen einer Wertung und einer Behauptung. Wertungen sind subjektive Urteile, die weitreichend erlaubt sind, selbst wenn sie hart ausfallen. Unwahre Tatsachenbehauptungen, die ehrverletzend sind, fallen dagegen nicht unter den Schutz und können strafbar sein, etwa wenn Sie jemandem konkrete, aber erfundene Straftaten unterstellen.
Das Bayerische Oberste Landesgericht urteilte im Fall „Lobbynutten“, dass dieser Begriff trotz seiner Drastik zulässig war. Er wurde als eine Wertung interpretiert, die politische Kritik an der vermeintlichen Nähe zu Lobbyisten enthielt. Die Äußerung behauptete keine konkret beweisbare Bestechung. Strafbar wird es erst bei der seltenen Schmähkritik, die ausschließlich die Herabwürdigung der Person ohne jeglichen Sachbezug zum Ziel hat.
Bevor Sie einen drastischen Begriff verwenden, prüfen Sie testweise, ob der Sachbezug erhalten bleibt, wenn Sie ihn durch eine neutrale Formulierung ersetzen.
Wann gilt meine polemische Äußerung noch als geschützte Meinung und nicht als Schmähkritik?
Ihre polemische Äußerung wird erst dann als Schmähkritik gewertet, wenn sie keinerlei Bezug mehr zu einem Sachthema hat. Das Bundesverfassungsgericht legt fest, dass diese juristische Grenze nur vorliegt, wenn nicht die inhaltliche Auseinandersetzung, sondern ausschließlich die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Ein erkennbarer Sachbezug schließt diese strenge Form der Ehrverletzung in fast allen Fällen aus.
Die Hürde für Schmähkritik ist absichtlich hoch, um die Meinungsfreiheit im politischen Diskurs zu schützen. Selbst extrem drastische Formulierungen, die beleidigend wirken, können noch von Artikel 5 GG gedeckt sein. Nehmen wir an, Sie nennen Politiker „diese Schlangen“, weil Sie deren vermeintliche Lobby-Nähe kritisieren wollen. Obwohl das Wort „Schlange“ beleidigend ist, dient es der Zuspitzung einer Kritik an politischen Entscheidungen. Solange dieser Sachbezug erkennbar bleibt, gilt die Äußerung als geschützte Meinung, die toleriert werden muss.
Schmähkritik entsteht hingegen, wenn Sie eine Person ohne Bezug zu deren öffentlicher Funktion oder Leistung angreifen. Kritisierten Sie beispielsweise das äußere Erscheinungsbild oder das Privatleben eines Politikers, nur um ihn zu erniedrigen, entfällt der Schutz der Meinungsfreiheit. Weil die Äußerung im zugrunde liegenden Fall in einer hitzigen politischen Sachdebatte fiel, war der strenge Maßstab der Schmähkritik im Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht erfüllt.
Prüfen Sie: Könnten Sie die beleidigende Formulierung weglassen, ohne dass der Kern Ihrer inhaltlichen Kritik an der Sache verloren ginge – wenn ja, war die Polemik wahrscheinlich unnötig und riskant.
Welche Rolle spielt der Gesamtkontext (Emojis, Anlass) für die Strafbarkeit meiner Online-Kritik?
Der Gesamtkontext ist für die juristische Bewertung Ihrer Online-Kritik absolut entscheidend. Gerichte müssen alle Begleitumstände, wie Emojis, den Anlass der Äußerung und vorangegangene Kommentare, zwingend in ihre Bewertung einbeziehen. Fehlt eine solche Elementarfeststellung, ist das gesamte Urteil rechtsfehlerhaft und kann nicht aufrechterhalten werden.
Nur durch die Würdigung des vollständigen Kontextes erkennen Richter Ihre tatsächliche Absicht. Hatten Sie die Absicht, jemanden grundlos zu diffamieren, oder reagierten Sie im Affekt auf einen extrem beleidigenden Beitrag? Ohne den ursprünglichen Auslöser zu kennen, lässt sich beispielsweise die Reaktion „Arschloch-Goebbels-Imitatorin“ weder als angemessene Zuspitzung noch als grundlose Herabwürdigung bewerten. Diese Pflicht zur Kontextanalyse sichert die Meinungsfreiheit der Nutzer im politischen Diskurs.
Auch visuelle Elemente spielen eine Rolle. Nehmen wir an, Sie verwenden ein verbotenes Symbol, um es satirisch zu verfremden. Nur wenn das Gericht das beigefügte „Kotz-Emoji“ oder andere verfremdende Elemente würdigt, kann es Ihre ablehnende, kritische Absicht erkennen. Die Gerichte müssen exakt feststellen, wie das Bild im Verhältnis zum Text stand und welchen Gesamteindruck der Post erweckte. Gemäß § 267 StPO müssen diese wichtigen Umstände im Urteil zwingend dokumentiert werden.
Erstellen Sie bei einer scharfen Äußerung, die eine Reaktion auf einen anderen Post war, sofort einen vollständigen Screenshot, der den Originalbeitrag, Ihre Antwort und das Datum lückenlos umfasst.
Ist die Verwendung eines NS-Symbols (§ 86a StGB) strafbar, wenn ich damit Kritik üben will?
Die Verwendung eines NS-Symbols ist nach § 86a StGB grundsätzlich strafbar. Diese Strafbarkeit entfällt allerdings, wenn Sie das Symbol offenkundig in einer Weise nutzen, die der Ideologie widerspricht und diese kritisieren oder lächerlich machen soll. Gerichte erkennen eine solche satirische Absicht jedoch nur unter sehr strengen Voraussetzungen an. Die Hürden für den Nachweis dieser strafbefreienden Ausnahme sind extrem hoch.
Der Gesetzgeber schützt mit dieser Vorschrift den öffentlichen Frieden und will eine Wiederbelebung verfassungsfeindlicher Ideologien verhindern. Die Ausnahme für kritische oder künstlerische Darstellungen trägt gleichzeitig dem Schutz der Meinungsfreiheit Rechnung. Das Gericht muss daher in jedem Einzelfall prüfen, ob der Gesamtkontext klar zeigt, dass man das Kennzeichen nicht zur Propagierung, sondern zur Ablehnung des Nationalsozialismus verwendet. Fehlt dieser erkennbare Widerspruch zur Ideologie, bleibt die Handlung strafbar.
In der Praxis bedeutet dies, dass Sie die kritische Intention lückenlos beweisen müssen, falls es zu einer Anklage kommt. Gerichte müssen feststellen, ob der Post verfremdende Elemente wie Emojis, ein rotes X oder eine klare, ablehnende Texterklärung enthält. Die alleinige, isolierte Verwendung eines Hitler-Bildes oder anderer verbotener Symbole ohne sofort erkennbaren, satirischen Kontext ist extrem riskant. Ohne diese klaren Belege wird oft angenommen, das bloße Zeigen des Symbols erfülle den Tatbestand.
Wenn Sie gezwungen sind, ein verbotenes Symbol zu verwenden, stellen Sie sicher, dass Sie es visuell verfremden und den klaren, ablehnenden Kontext direkt im Begleittext benennen.
Die technische Reichweite Ihrer Posts ist entscheidend für die Frage, ob der Straftatbestand der „Verbreitung“ erfüllt ist. Strafbar sind Äußerungen nur dann, wenn sie einem unkontrollierbaren Personenkreis zugänglich gemacht werden. Gerichte müssen daher exakt feststellen, ob Sie eine Nachricht öffentlich oder lediglich in einem sehr kleinen, geschlossenen Kreis geteilt haben. Dies ist ein fundamentaler Unterschied, der über die Strafbarkeit entscheidet.
Der juristische Begriff des Verbreitens setzt voraus, dass der Täter die Kontrolle über den Kreis der Empfänger verloren hat. Posts, die Sie nur für einen eng begrenzten Freundeskreis sichtbar machen, sind deutlich weniger gefährlich als Inhalte, die weltweit abrufbar sind. Das Bayerische Oberste Landesgericht rügte in einem aktuellen Fall, dass die Vorinstanz nur pauschal von einer „Veröffentlichung auf einer Social-Media-Plattform“ sprach. Ohne die konkreten Privatsphäre-Einstellungen zu ermitteln, fehlte damit der juristisch notwendige Nachweis der Verbreitung.
Die technische Reichweite beeinflusst auch die Anzahl der vermeintlichen Straftaten. Wenn jemand dieselbe Nachricht – etwa ein verbotenes Symbol – gleichzeitig an 33 Einzelpersonen versendet, kann dies unter Umständen nur als eine einzige Tat gewertet werden. Dies gilt, wenn die Massenversendung einem einheitlichen Tatentschluss folgt und somit als sogenannte natürliche Handlungseinheit gilt. Bei Messenger-Diensten kann die juristische Bewertung der Tatmehrheit komplex werden, falls keine klaren Feststellungen zur Absicht des Versenders vorliegen.
Überprüfen Sie regelmäßig die Privatsphäre-Einstellungen Ihrer Konten, um kritische oder polemische Posts auf die restriktivste Einstellung zu begrenzen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Elementarfeststellungen
Juristen nennen Elementarfeststellungen die zwingend notwendigen Tatsachen, die ein Gericht im Urteil festhalten muss, damit der Schuldspruch rechtlich überhaupt tragfähig ist. Fehlen diese grundlegenden Fakten über den Sachverhalt, kann ein höheres Gericht die Entscheidung nicht überprüfen, da das Urteil ohne tragfähiges Fundament dasteht. Die richterliche Pflicht zur lückenlosen Aufklärung garantiert die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens.
Beispiel: Ohne die notwendigen Elementarfeststellungen zum satirischen oder kritischen Kontext des Hitler-Bildes konnte das Bayerische Oberste Landesgericht die Absicht des Angeklagten nicht beurteilen und hob das Urteil auf.
Natürliche Handlungseinheit
Die natürliche Handlungseinheit beschreibt im Strafrecht mehrere technisch oder zeitlich getrennte Einzelakte, die aufgrund eines einheitlichen Tatentschlusses und ihrer engen Verknüpfung juristisch nur als eine Tat gewertet werden. Das Gesetz verhindert damit, dass jemand für eine faktisch durchgehende Handlung unnötig oft bestraft wird, solange die Gesamtbetätigung denselben Zweck verfolgt. Dies dient der angemessenen und verhältnismäßigen Bemessung der Strafe.
Beispiel: Obwohl der Angeklagte das Hitler-Bild 33 Mal an verschiedene Empfänger versendet hatte, wies das BayObLG darauf hin, dass diese Versendungen möglicherweise nur eine natürliche Handlungseinheit darstellten, falls sie einem einzigen Versendungsentschluss folgten.
Schmähkritik
Schmähkritik liegt vor, wenn eine Äußerung im politischen oder gesellschaftlichen Diskurs nicht mehr der Auseinandersetzung in der Sache dient, sondern ausschließlich die Diffamierung und Erniedrigung der Person bezweckt. Obwohl die Meinungsfreiheit sehr weit reicht, überschreitet Schmähkritik die zulässigen Grenzen, weil sie den Ehrschutz des Betroffenen ohne jeglichen Sachbezug verletzt. Die Hürden für diesen strengen juristischen Tatbestand sind in Deutschland extrem hoch.
Beispiel: Das Bayerische Oberste Landesgericht verneinte das Vorliegen von Schmähkritik bei der Bezeichnung „Lobbynutten“, da der Begriff einen erkennbaren Bezug zur politischen Kritik an der vermeintlichen Nähe zur Rüstungsindustrie hatte.
Tatsachenbehauptung
Eine Tatsachenbehauptung ist eine Aussage über ein vergangenes oder gegenwärtiges Geschehen, die objektiv überprüfbar auf ihren Wahrheitsgehalt hin bewertet werden kann und sich klar von einer subjektiven Meinungsäußerung abgrenzt. Das Gesetz stuft unwahre Tatsachenbehauptungen als hochgradig ehrverletzend und potenziell strafbar ein, weil sie das Ansehen einer Person durch fälschlich unterstellte Vorkommnisse beschädigen.
Beispiel: Das Landgericht München I wertete die Äußerung „Lobbynutten“ fälschlicherweise als justiziable Tatsachenbehauptung, obwohl sie im Kontext der politischen Debatte lediglich eine polemische Wertung darstellte.
Verbreitung (im Strafrecht)
Unter der strafrechtlichen Verbreitung versteht man das Zugänglichmachen eines Inhalts an einen vom Täter nicht mehr kontrollierbaren, größeren Personenkreis, wie es typischerweise bei öffentlichen Social-Media-Posts geschieht. Dieser Nachweis ist fundamental wichtig, um den Tatbestand vieler Äußerungsdelikte zu erfüllen, da nur eine über den engsten Kreis hinausgehende Kommunikation den öffentlichen Frieden stören kann.
Beispiel: Das Landgericht versäumte die notwendigen Elementarfeststellungen zur technischen Reichweite der Posts, sodass das BayObLG nicht prüfen konnte, ob die strafrechtlich relevante Verbreitung der Hitler-Bilder überhaupt nachgewiesen war.
Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen (§ 86a StGB)
Dieser zentrale Strafrechtsparagraph verbietet die öffentliche Nutzung von Kennzeichen, die zu Organisationen gehören, die gegen die freiheitliche Grundordnung gerichtet sind, beispielsweise Symbole der NSDAP oder des IS. Mit dieser Norm schützt der deutsche Staat den öffentlichen Frieden und verhindert, dass verfassungsfeindliche Ideologien in der Öffentlichkeit propagiert und wiederbelebt werden. Die Strafbarkeit entfällt nur dann, wenn die Nutzung erkennbar der Kritik oder Satire dient.
Beispiel: Das Landgericht verurteilte den Mann zunächst wegen Verstoßes gegen § 86a StGB, weil er ein Kopfbild von Adolf Hitler verbreitete, doch das Obergericht forderte eine umfassendere Kontextprüfung.
Das vorliegende Urteil
BayObLG – Az.: 206 StRR 205/25 – Beschluss vom 16.07.2025
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