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Kraftfahrzeugrennen – Annahme des Tatbestandsmerkmals „nicht angepasste Geschwindigkeit“

LG Bielefeld – Az.: 8 Qs-401 Js 513/20-231/20 – Beschluss vom 09.10.2020

In dem Ermittlungsverfahren hat die 8. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld auf die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bielefeld vom 19.06.2020 – Az: 9 Gs 1985/20 – am 09.10.2020 beschlossen:

Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

Die Beschwerde ist unbegründet. Denn das Amtsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss zu Recht den Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis abgelehnt.

Die Kammer schließt sich auch in der Begründung den zutreffenden Erwägungen des mit der Beschwerde angegriffenen Beschlusses an. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine günstigere Entscheidung.

Nach dem aktuellen Ermittlungsstand kann bereits kein dringender Tatverdacht in Bezug auf das über das Tatbestandsmerkmal der nicht angepassten Geschwindigkeit hinausgehende Tatbestandsmerkmal der grob verkehrswidrigen Fortbewegung in § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB aufgestellt werden. Anhand des bisherigen Ermittlungsergebnisses wird dem Beschuldigten nicht nachzuweisen sein, dass er sich deshalb grob verkehrswidrig verhalten hat, weil er — und auch der Mitbeschuldigte — sich mit mehr als 100 km/h auf einer Strecke mit einem Tempolimit von 50 km/h fortbewegt hat, weshalb es zu einer doppelten Überschreitung der gebotenen als auch zulässigen Höchstgeschwindigkeit gekommen ist. An die Messung von Geschwindigkeiten durch ein Hinterherfahren sind hohe Voraussetzungen geknüpft. Die Messstrecke muss bei Geschwindigkeiten bis 90 km/h bei mindestens 400 m liegen, bei höheren Geschwindigkeiten muss sie mindestens bei 500 m liegen. Es ist ein annähernd gleicher Abstand zwischen beiden Fahrzeugen zu halten, welcher sich vergrößern, aber nicht verkleinern darf.

Kraftfahrzeugrennen - Annahme des Tatbestandsmerkmals „nicht angepasste Geschwindigkeit“
(Symbolfoto: Von Yellowj/Shutterstock.com)

Wird eine Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren durchgeführt, so ist Tachometerwert ein Sicherheitsabschlag von 20 % abzuziehen. Nach diesen Maßstäben kann dem Beschuldigten keine doppelte Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit nachgewiesen werden. Die erste Teilstrecke, die in der Strafanzeige vom 18.03.2020 genannt wird, zwischen der Oldentruper Straße/OttoBrenner-Straße und der Kreuzung Odentruper Straße/Stralsunder Straße ist 575 m lang. Allerdings geht aus dem Gesamtzusammenhang des Anzeigetextes hervor, dass als erste Teilstrecke wohl doch eher die Teilstrecke zwischen der Oldentruper Straße/Sperberstraße und der Kreuzung Oldentruper Straße/Stralsunder Straße gemeint war. Diese Teilstrecke ist jedoch nur ca. 400 m lang Die zweite Teilstrecke zwischen der Kreuzung Oldentruper Straße/Stralsunder Straße und der Kreuzung Oldentruper Straße/Am Wiehagen ist 550 m lang. Hier müsste jedoch berücksichtigt werden, dass die Fahrzeuge an der Oldentruper Straße/Stralsunder Straße nach einem Anhalten an der Lichtzeichenanlage erst wieder anfahren mussten, weshalb nicht die ganze Wegstrecke einzubeziehen wäre. Selbst wenn die Teilstrecken lang genug für eine Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren gewesen wären, wäre zudem ein Sicherheitsabschlag vorzunehmen. Eine Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h könnte also nicht zu ermitteln sein. Schließlich kommt hinzu, dass letztlich nicht einmal geklärt ist, ob der im Polizeiwagen verbaute Tacho geeicht gewesen ist.

AG Bielefeld – Az.: 9 Gs 1985/20 – Beschluss vom 19.06.2020

In dem Ermittlungsverfahren wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens wird der Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis abgelehnt.

Gründe:

I.

Dem Beschuldigten wird Folgendes zur Last gelegt:

Die Beschuldigten pp. und pp. befuhren am 18.03.2020 gegen 18:32 Uhr die Oldentruper Straße in Bielefeld jeweils mit einem Motorrad der Marke KTM 990 Superduke. Die Beschuldigten fuhren nebeneinander mit einer Geschwindigkeit von deutlich über den dort zulässigen 50 km/h. Im Bereich einer Fahrbahnverengung auf Höhe der Sperberstraße beschleunigten beide nochmals, um vor einer Fahrbahnverengung zwei vor ihnen befindliche Pkw zu überholen. Die Beschuldigten setzten ihre Fahrt mit einer weit überhöhten Geschwindigkeit fort, so dass sie den Abstand zu dem ihnen folgenden Streifenwagen, der ca. 90 km/h fuhr, noch vergrößerten. Nachdem sie an einer Rotlicht zeigenden Ampel halten mussten, beschleunigten sie erneut stark, mussten aber aufgrund eines vor ihnen befindlichen Lkw abbremsen. Letztlich konnten sie von den ihnen folgenden Polizeibeamten auf der Stieghorster Straße angehalten werden.

Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, dem Beschuldigten vorläufig die Fahrerlaubnis zu entziehen.

Der Antrag war abzulehnen, da die Voraussetzungen des § 111a StPO nicht vorliegen.

Gemäß § 111 a Abs. 1 Satz 1 StPO kann das Gericht dem Beschuldigten durch Beschluss die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB entzogen werden wird. Dringende Gründe für den endgültigen Entzug der Fahrerlaubnis liegen dann vor, wenn dieser in hohem Maße wahrscheinlich ist. Der Begriff „dringende Gründe“ entspricht insoweit dem des „dringenden Verdachts“ nach § 112 StPO.

Die Fahrweise des Beschuldigten erfüllt nach jetzigem Ermittlungsstand keinen Tatbestand, der eine Entziehung seiner Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB rechtfertigt. Eine Strafbarkeit gemäß § 315c Abs. 1 StGB scheidet aus, da keine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben bzw. fremden Sachen von bedeutendem Wert vorlag. Aus den objektiven Umständen des Fahrverhaltens der beiden Beschuldigten kann auch kein Wettbewerbscharakter i.S.d. § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB abgeleitet werden. Ob es den. Beschuldigten um die Ermittlung des schnelleren Fahrers oder gerade um ein gemeinsames schnelles Vorankommen ging, ist nicht ersichtlich. Letztlich liegt auch der Tatbestand des § 31.5d Abs. t Nr. 3 StGB nicht vor. Dieser setzt voraus, dass der Kraftfahrzeugführer sich mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Die Vorschrift ist im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG restriktiv auszulegen.

Auch wenn das Tatbestandsmerkmal der nicht angepassten Geschwindigkeit als erfüllt anzusehen ist, fehlt es an einem dringenden Tatverdacht bezüglich der beiden weiteren Tatbestandsmerkmale. Der Beschuldigte handelte nicht grob verkehrswidrig im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB. Dies setzt einen objektiv als besonders schwerwiegend erscheinenden Verkehrsverstoß voraus, also eine besonders schwerwiegende Verletzung von Verkehrsvorschriften und der Verkehrssicherheit. Dies erfordert eine objektive Würdigung des Verhaltens unter Berücksichtigung der konkreten Verkehrslage. Bei generalisierender Betrachtung muss die Verkehrssicherheit in besonders schwerem Maße beeinträchtigt sein. Dies ist hier nicht der Fall. Selbst wenn man annimmt, der Beschuldigte habe die geltenden Geschwindigkeitsbegrenzungen überschritten, so kann der Umstand der überhöhten Geschwindigkeit nicht herangezogen werden, um die grobe Verkehrswidrigkeit zu begründen. Denn die drei objektiven Tatbestandsmerkmale des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB müssen kumulativ vorliegen. Was bedeutet, dass die grobe Verkehrswidrigkeit nicht allein in der erhöhten Geschwindigkeit liegen darf. Es müssen weitere Anhaltspunkte, die eine grobe Verkehrswidrigkeit begründen, hinzukommen. Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, der selbst ausführt, bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen sollen hingegen nicht von der Strafbarkeit umfasst werden, auch wenn sie erheblich sind. Weitere Anhaltspunkte, die eine grobe Verkehrswidrigkeit oder Rücksichtslosigkeit begründen könnten, sind hier nicht ersichtlich. Insbesondere ist keine konkrete Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer eingetreten.

Die Tathandlung muss zudem auch von der Absicht getragen sein, eine „höchstmögliche Geschwindigkeit“ zu erreichen. Diese Tatbestandsvoraussetzung soll insbesondere dem Erfordernis des Renncharakters gerecht werden. Hingegen sollen bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen – auch wenn sie erheblich sind —nicht von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB umfasst sein. Strafbar soll sein, wer „objektiv und subjektiv ein Kraftfahrzeugrennen nachstellt“. Ein Renncharakter ist gegeben, wenn der Fahrer sein Fahrzeug bis an die technischen und physikalischen Grenzen ausfährt. Derartige Feststellungen vermag das Gericht nach vorläufiger Würdigung des Akteninhalts nicht zu treffen. Aufgrund der Angaben der vor Ort befindlichen Polizeibeamten lassen sich bislang keine Rückschlüsse über die konkret gefahrene Geschwindigkeit ziehen. Ob es dem Beschuldigten gerade darauf ankam, eine höchst mögliche Geschwindigkeit zu erreichen, kann bislang nicht festgestellt werden. Ein Renncharakter ist indes nicht allein anhand der subjektiven Einschätzungen der Polizeibeamten, der Beschuldigte sei mit unangepasster bzw. überhöhter Geschwindigkeit gefahren, festzustellen.

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