Senatsentscheidung: Rechtsmittelbeschränkung trotz Vollmachtsdebatte wirksam.
Der Senat hat die Revision eines Angeklagten gegen ein Urteil des Landgerichts Berlin verworfen und dabei die Frage der Vollmacht der früheren Verteidigerin des Angeklagten erörtert. Der Verteidiger hatte die Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt und eine Rückversetzung des Verfahrens beantragt, da der Senat seine Entscheidung auf eine Vollmacht gestützt hatte, die im Landgerichtsurteil nicht relevant gewesen sei. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte sich ebenfalls nur auf eine andere Vollmacht bezogen.
Der Senat entschied jedoch, dass die Anhörungsrüge keinen Erfolg haben kann, da der unterlassene Hinweis auf die Revisionsentscheidung keine Auswirkung habe. Die frühere Verteidigerin des Angeklagten konnte auf Grundlage einer Vollmacht vom 26. März 2019 die Rechtsmittelbeschränkung wirksam erklären. Der Umstand, dass die Vollmacht bereits vor Erlass des Strafbefehls unterzeichnet wurde, steht einer wirksamen Ermächtigung nach § 411 Abs. 2 StPO nicht entgegen.
Entscheidungen anderer Gerichte, die der Verteidiger herangezogen hatte, befassten sich nicht mit einer Beschränkungserklärung eines nach § 411 Abs. 2 StPO zur Vertretung befugten und hierzu bereiten Verteidigers in der Hauptverhandlung. Daher war die Sache nicht gemäß § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof vorzulegen.
KG – Az.: (4) 161 Ss 134/22 (143/22) – Beschluss vom 28.10.2022
In der Strafsache wegen Beleidigung hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 28. Oktober 2022 beschlossen:
1. Der Antrag des Angeklagten auf Nachholung rechtlichen Gehörs gegen den Beschluss des Senats vom 17. August 2022 wird zurückgewiesen.
2. Kosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Senat hat durch Beschluss vom 17. August 2022 die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 18. März 2022 nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen und zur Begründung ausgeführt, die Revision verkenne, dass der Angeklagte seine frühere Verteidigerin am 27. Januar 2020 schriftlich zur Vertretung nach § 411 Abs. 2 StPO bevollmächtigt habe und sie befugt gewesen sei, auch Rechtsmittelbeschränkungen ohne Ermächtigung nach § 302 Abs. 2 StPO abzugeben.
Mit Schriftsatz vom 23. August 2022 hat der Verteidiger die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt und beantragt, das Verfahren in die Lage vor Erlass der Senatsentscheidung vom 17. August 2022 zurückzuversetzen. Er beanstandet, der Senat habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, indem er seine Entscheidung auf die Vollmacht mit Datum vom 27. Januar 2020 gestützt habe. Im Urteil des Landgerichts sei die Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung ausschließlich auf die Vollmacht vom 26. März 2019 gestützt und daher ein Beweisantrag hinsichtlich der von der Verteidigung unter Beweis gestellten Tatsache, dass die auf den 27. Januar 2020 datierte Vollmacht bereits am 26. März 2019 blanko unterzeichnet worden sei, als bedeutungslos abgelehnt worden. Dies habe der Verteidigung aber keinen Anlass zur Erhebung der Verfahrensrüge gegeben, weil es nach der Begründung des Urteils nicht auf die das Datum des 27. Januar 2020 tragende Vollmacht angekommen sei. Die Generalstaatsanwaltschaft habe sich in ihrem Antrag ebenfalls nur auf die Vollmacht vom 26. März 2019 bezogen. Diese habe aber nicht Grundlage der Rechtsmittelbeschränkung sein können, weil sie vor Erlass des Strafbefehls unterzeichnet worden sei, § 302 Abs. 2 StPO aber eine ausdrückliche Ermächtigung für die Beschränkung des Einspruchs gegen den Strafbefehl verlange.
Der Antrag auf Nachholung rechtlichen Gehörs ist unbegründet.
1. Zwar hat der Senat den Anspruch des Angeklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) objektiv verletzt. Angesichts der Gründe des Berufungsurteils, in denen die Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung allein auf die Vollmacht vom 26. März 2019 gestützt und aus diesem Grund die vom Verteidiger unter Beweis gestellte Tatsache, dass die auf den 27. Januar 2020 datierte Vollmacht bereits am 26. März 2019 blanko unterzeichnet worden sei, als bedeutungslos behandelt wird (UA S. 3 f.) in Verbindung mit der sich allein auf die Vollmacht vom 26. März 2019 beziehenden Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft (BI. 194 d.A.), hätte die auf den 27. Januar 2020 datierte Vollmacht nicht ohne vorherigen Hinweis des Senats Grundlage seiner Entscheidung sein dürfen.
2. Dies verhilft der Anhörungsrüge jedoch nicht zum Erfolg; der unterlassene Hinweis hat auf die Revisionsentscheidung keine Auswirkung, so dass der Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör hierdurch nicht „in entscheidungserheblicher Weise“ verletzt worden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. Mai 2022 – 3 StR 67/22 – [juris-Rdn. 2] und vom 25. Oktober 2017 – 5 StR 214/17 – [juris-Rdn. 4]; StraFo 2011, 55, jeweils mwN).
a) Dem Rechtsmittel wäre gleichwohl der Erfolg versagt geblieben, weil die frühere Verteidigerin auf Grundlage der Vollmacht vom 26. März 2019 die Rechtsmittelbeschränkung wirksam erklären konnte. Im Hinblick auf die erhobene Sachrüge hatte der Senat die Wirksamkeit der Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch von Amts wegen und ohne Bindung an die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zu überprüfen (vgl. BGHSt 27, 70, 72; Senat RuP 2020, 238, 240 und Beschluss vom 8. März 2013 – (4) 161 Ss 21/13 (28/13) – [juris-Rdn. 5]; OLG Braunschweig NStZ 2016,563; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Aufl., § 318 Rdn. 33, § 352 Rdn. 4).
Die in der Hauptverhandlung über den Einspruch gegen den Strafbefehl vor dem Amtsgericht am 21. Februar 2020 für den abwesenden Angeklagten als Vertreterin aufgetretene vormalige Verteidigerin war aufgrund der Vollmacht vom 26. März 2019 (BI. 31 d.A.) nach § 411 Abs. 2 StPO zur Erklärung der Beschränkung des Einspruchs auf das Strafmaß ermächtigt. § 411 Abs. 2 StPO verlangt im Interesse des Angeklagten eine über die Bevollmächtigung als Beistand gemäß § 137 Abs. 1 Satz 1 StPO hinausgehende nachgewiesene Vollmacht zur Vertretung im Prozess (vgl. BGHSt 9, 356, 357; KG StraFo 2019, 470, 471 und NStZ 20.16, 234 mit Anm. Mosbacher; OLG Karlsruhe NStZ 1983, 43; OLG Saarbrücken NStZ 1999, 265, 266; Maur in KK-StPO 8. Auflage, § 411 Rdn. 12; Eckstein in MüKo-StPO, § 411 Rdn. 29, 30; Gaede in LR-StPO 27. Aufl., § 411 Rdn. 31, 32; Metzger in KMR-StPO, § 411 Rdn. 13; Degener in SK-StPO 5. Aufl., § 411 Rdn. 12; Momsen in SSW-StPO 4. Aufl., § 411 Rdn. 8; Brauer in HK-StPO 6. Aufl., § 411 Rdn. 11; Andrejtschitsch in HK-GS 5. Aufl., § 411 Rdn. 7; Alexander in Radtke/Hohmann, StPO, § 411 Rdn. 17). Dem genügt die schriftliche Vollmacht vom 26. März 2019, die in der Sache, wegen Beleidigung“ zur „Verteidigung und Vertretung. insbesondere auch in meiner Abwesenheit“, in allen Instanzen ermächtigte und in der Hauptverhandlung über den Einspruch gegen den Strafbefehl vorlag. Nicht erforderlich ist, dass die Vertretung nach § 411 Abs. 2 StPO in der Vollmacht besonders erwähnt wird (vgl. BGHSt 9, 356, 357 und OLG Düsseldorf VRS 81, 292 [es muss nicht einmal die „Vertretung in Abwesenheit“ genannt sein]; Metzger a.a.O.; Degener a.a.O.). Der Umstand, dass die Vollmacht bereits im Ermittlungsverfahren vor Erlass des Strafbefehls unterzeichnet wurde, steht einer wirksamen Ermächtigung nach § 411 Abs. 2 StPO nicht entgegen (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.).
b) Der Senat hat bereits entschieden, dass ein mit solcher ausdrücklicher Vollmacht ausgestatteter Verteidiger als Vertreter des Angeklagten im Sinne des § 411 Abs. 2 StPO befugt ist, sämtliche zum Verfahren gehörenden Erklärungen abzugeben, zu denen Rechtsmittelrücknahmen und somit auch Rechtsmittelbeschränkunge, die Teilrücknahmen darstellen, gehören (vgl. Senat, Beschlüsse vorn 1. Juli 2020 – (4) 121 Ss 71/20 (74/20) – [juris-Rdn. 4] und vom 13. Mai 2009 – (4) 1 Ss 155/09 (94/09) -, jeweils mwN).
c) Entgegen der Annahme des Verteidigers lag den von ihm herangezogenen Entscheidungen des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 25. Februar 2013 – 111-3 RVs 24/13 – [juris]) und des Kammergerichts (NJW 2009, 1686) jeweils ein anderer Sachverhalt zugrunde, weshalb sich die Entscheidungen nicht mit einer Beschränkungserklärung eines nach § 411 Abs. 2 StPO zur Vertretung befugten und hierzu bereiten Verteidigers in der Hauptverhandlung befassen (vgl. dazu jeweils im Einzelnen Senatsbeschluss vom 1. Juli 2020 – (4) 121 Ss 71/20 (74/20) – [juris-Rdn. 7 ff.]).
Das gilt auch für die vom Verteidiger zitierte Entscheidung des OLG Frankfurt (Beschluss vom 22. August 2016 – 2 Ss 233/16 [juris]), in der der zunächst unbeschränkte Einspruch schriftlich – und nicht gemäß § 411 Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung – beschränkt wurde, so dass die allgemeinen Rechtsgrundsätze hinsichtlich des Erfordernisses einer ausdrücklichen Ermächtigung des Verteidigers zur Rechtsmittelrücknahme nach § 302 Abs. 2 StPO angewendet wurden.
Da sich die Entscheidungen des OLG. Frankfurt und des OLG Düsseldorf hiernach nicht mit einer Beschränkungserklärung eines nach § 411 Abs. 2 StPO zur Vertretung befugten und hierzu bereiten Verteidigers in der Hauptverhandlung befassen, war die Sache entgegen der Auffassung des Verteidigers nicht gemäß § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof vorzulegen (vgl. Senat, Beschluss vom 1. Juli 2020 – (4) 121 Ss 71/20 (74/20) – [juris-Rdn. 8]).
Der vom Verteidiger erwähnten Senatsentscheidung StV 2016, 152 (Ls) lag die schriftliche Rücknahme einer Berufung zugrunde, für welche der Verteidigerin die ausdrückliche Ermächtigung nach § 302 Abs. 2 StPO fehlte (vgl. zu den Gründen Beschluss vom 8. Januar 2015 – 4 Ws . 128/14 – [juris-Rdn. 1]). Zur Berufungshauptverhandlung war weder der Angeklagte, der sich in Untersuchungshaft befand, noch seine Verteidigerin erschienen. In einem Telefonat der Vorsitzenden mit der Verteidigerin hatte letztere erklärt, sie nehme die Berufung als bevollmächtigte Wahlverteidigerin zurück und werde ein gleichlautendes Fax übersenden. Mit Schriftsatz vom selben Tage erklärte die Verteidigerin die Berufungsrücknahme.
Auch diese Entscheidung setzt sich folgerichtig nicht mit den Befugnissen der Verteidigerin im Falle der Vertretung nach § 411 Abs. 2 StPO auseinander.
Ähnlich lag es schließlich bei der: vom Verteidiger zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 2. August 2000 – 3 StR 284/20 – [juris]). Dort hatte der Verteidiger mittels eines Schriftsatzes die Rücknahme der Revision erklärt; als Vertreter des Angeklagten nach § 411 Abs. 2 StPO war er nicht aufgetreten. Für die Rücknahme hätte . es – wie in den zuvor erwähnten Entscheidungen – einer ausdrücklichen Ermächtigung nach § 302 Abs. 2 StPO bedurft, die nicht in der bei Übernahme des Mandats erteilten allgemeinen Ermächtigung zur Rücknahme von Rechtsmitteln lag.
3. Von der Erhebung der Kosten war nach § 21 GKG abzusehen, weil die Kosten dieses Verfahrens im Falle richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären.