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Fahrerlaubnisentziehung – Geeignetheit zur Kraftfahrzeugführung – Berufungshauptverhandlung

LG Dortmund – Az.: 45 Ns 220 Js 992/12 10/13 – Urteil vom 06.02.2013

Die Berufung der Staatsanwaltschaft wird auf Kosten der Staatskasse verworfen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Dortmund hat den Angeklagten mit Urteil vom 14.11.2012 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 50,00 € verurteilt und ihm für die Dauer von 2 Monaten untersagt, Kraftfahrzeuge aller Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.

Der Führerschein des Angeklagten war zuvor unmittelbar im Anschluss an das Tatgeschehen am 05.05.2012 durch die Polizei sichergestellt worden. Am Schluss der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vom 14.11.2012 hat das Amtsgericht den Führerschein an den Angeklagten wieder ausgehändigt, nachdem es eine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr nicht mehr hat feststellen können. Seit dem nimmt der Angeklagte wieder am Straßenverkehr als Führer von Kraftfahrzeugen teil.

Gegen das genannte Urteil des Amtsgerichts hat die Staatsanwaltschaft fristgerecht Berufung eingelegt, die sie wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

II.

Zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten hat die Kammer im Rahmen der Berufungshauptverhandlung folgende Feststellungen getroffen:

Der zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung 50 Jahre alte Angeklagte wuchs bis zur Volljährigkeit bei seinen beiden Eltern auf. Er hat noch eine Schwester, die 6 Jahre älter ist als er. Der Angeklagte besuchte zunächst die Hauptschule und später noch eine Berufsfachschule. Er erwarb den Abschluss der mittleren Reife und schloss zudem erfolgreich eine Ausbildung zum staatlich geprüften Elektrotechniker sowie Meister der Elektromechanik ab. In diesem Beruf arbeitete er ca. 10 Jahre lang. Dann war er eine Zeit lang als Geschäftsführer in einem seinen Schwiegereltern gehörigen Baumaschinenhandel tätig, wo er eigenen Angaben zufolge zunächst als Nachfolger vorgesehen war. Nachdem es hierzu sodann jedoch nicht gekommen war, suchte der Angeklagte sich eine neue Beschäftigung bei der Firma T, die Gabelstapler vertreibt und war für diese Firma fortan im Außendienst tätig. Im Jahre 2000 wechselte der Angeklagte abermals zu der Firma U, welche ebenfalls Gabelstapler herstellt und vertreibt. Hier ist der Angeklagte bis heute im Rahmen einer reinen Außendiensttätigkeit im Bereich Technik beschäftigt und bezieht derzeit einen monatlichen Nettoverdienst von durchschnittlich 2.500,00 €.

Der Angeklagte ist seit dem 27.06.2012 geschieden. Aus der Ehe ist eine zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung 15 Jahre alte Tochter hervorgegangen, die bei der geschiedenen Ehefrau des Angeklagten lebt. Für diese zahlt er eigenen unwiderlegten Angaben zufolge monatlich ca. 500,00 € Unterhalt.

Der Angeklagte ist ausweislich eines Bundeszentralregisterauszuges vom 14.01.2013 nicht vorbestraft.

Auch der ihn betreffende Verkehrszentralregisterauszug vom 15.01.2013 weist lediglich eine Eintragung auf. Danach wurden gegen den Angeklagten am 25.01.2012  70,00 € Geldbuße sowie 1 Punkt im Verkehrszentralregister festgesetzt, da der Angeklagte als Führer eines PKW die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 24 km/h überschritten hatte. Die zulässige Geschwindigkeit betrug 50 km/h und die festgestellte 74 km/h.

Der Angeklagte absolvierte nach dem Tatgeschehen in der Zeit vom dem 31.05.2012 bis zum 28.10.2012 eine individualpsychologische Verkehrstherapie bei dem Institut J in L, dessen Leiter der seitens der Kammer als sachverständiger Zeuge vernommene I ist. Außerdem hat der Angeklagte für eine Dauer von 6 bis 7 Monaten eine bewusste „Trinkpause“ eingelegt und in dieser Zeit gänzlich auf Alkohol verzichtet.

Im Übrigen hat der Angeklagte zu seinem Alkoholkonsum angegeben, seit der genannten Therapie  unter der Woche keinen Alkohol mehr zu konsumieren. Am Wochenende trinke er aber durchaus nochmal ein Glas Wein. Jegliche Form von unkontrolliertem Trinken habe er indes komplett eingestellt. Er habe – wohl deshalb – inzwischen auch schon 9 kg Körpergewicht verloren.

Den Konsum illegaler Drogen hat der Angeklagte glaubhaft verneint.

III.

Infolge der wirksam seitens der Staatsanwaltschaft erklärten Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch sind der angefochtene Schuldspruch rechtskräftig und die diesen tragenden tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts bindend geworden. Danach steht folgender Sachverhalt fest:

Der Angeklagte befuhr am 05.05.2012 gegen 0.49 Uhr mit einem Personenkraftwagen der Marke U mit dem Kennzeichen .. – .. … in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand unter anderem die Autobahn A 2 in Fahrtrichtung P. Die Untersuchung der ihm am 05.05.2012 um 2.00 Uhr entnommenen Blutprobe hat eine Blutalkoholkonzentration von 1,63 ‰ ergeben.

Die Blutalkoholkonzentration bewirkt in jedem Falle Fahruntüchtigkeit. Die Fahruntüchtigkeit hätte er bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen können und müssen.

Die Kammer hat aufgrund der unwiderlegten Einlassung des Angeklagten darüber hinaus noch folgende ergänzenden Feststellungen zum Sachverhalt getroffen:

Am Freitagabend, dem 04.05.2012, ca. gegen 22.00 Uhr – und mithin vor dem Tatgeschehen – war der Angeklagte von einer Geschäftsreise aus Schweden zurückgekommen, in deren Verlauf er – zuletzt im Flugzeug – auch Alkohol konsumiert hatte. Als er in seiner Wohnung in I2 angekommen war, fand er dort einen Brief vor, der das laufende – sehr streitig geführte – Scheidungsverfahren mit seiner Ehefrau betraf und begann diesen zu lesen. Er hatte zu diesem Zeitpunkt vor, den weiteren Abend zuhause zu verbringen und trank unterdessen dort noch 3 Gläser Rotwein.

Sodann erhielt er einen Telefonanruf seiner in E lebenden damaligen Freundin, die ihm erklärte, dass es ihr nicht gut gehe und die ihn deshalb eindringlich aufforderte, noch am selben Abend zu ihr zu kommen. Im Verlaufe des Telefonates machte sie dem Angeklagten unter anderem auch Vorhaltungen dergestalt, dass er ständig unterwegs sei. Weil der Angeklagten sich mitunter bereits in seiner früheren Ehe mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert gesehen hatte, fürchtete er Streitigkeiten über dieses Thema und entschloss sich deshalb schließlich dazu, noch zur Nachtzeit mit dem Auto die Fahrt nach E anzutreten.

Auf der Autobahn 2 im Bereich des Stadtgebietes der Stadt E2 wurde er schließlich jedoch von Polizeibeamten angehalten. Nachdem ein durchgeführter Atemalkoholtest positiv verlief, veranlassten die Polizeibeamten – mit dem Einverständnis des Angeklagten – die Durchführung einer Blutprobe. Außerdem stellten sie seinen Führerschein sicher.

IV.

Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten beruhen auf seiner dahingehenden Einlassung und ergänzend auf der Verlesung des Bundeszentralregisterauszuges vom 14.01.2013 sowie des Verkehrszentralregisterauszuges vom 15.01.2013. Dass der Angeklagte an der individualpsychologischen Verkehrstherapie teilgenommen und begleitend eine sechs bis siebenmonatige  „Trinkpause“ eingelegt hat, hat überdies auch der sachverständige Zeuge I bestätigt und hierzu ausgeführt, dass in diesem Zusammenhang auch die Blutwerte des Angeklagten medizinisch untersucht worden seien, wobei die vorgefundenen Test-Ergebnisse dafür gesprochen hätten, dass der Angeklagte die vorgegebene Alkoholabstinenz von 6 Monaten auch tatsächlich praktiziert und freiwillige seines Wissens noch um 1 Monat verlängert habe.

Soweit die Kammer ferner noch ergänzende Feststellungen zum Tatgeschehen getroffen hat, beruhen diese auf der insoweit glaubhaften Einlassung des Angeklagten gegenüber der Kammer.

V.

Wie bereits dargelegt steht der Schuldspruch des amtsgerichtlichen Urteils aufgrund der wirksam erklärten Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch fest. Mithin hat der Angeklagte sich durch das Tatgeschehen wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1 und Abs. 2 StGB strafbar ist.

Er war zum Zeitpunkt der Begehung der Tat auch in vollem Umfang strafrechtlich verantwortlich. Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen einer verminderten Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB oder gar deren vollständiger Aufhebung im Sinne des § 20 StGB haben sich nicht ergeben.

Innerhalb des somit zur Verfügung stehenden Strafrahmens des § 316 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 StGB, der Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr oder Geldstrafe vorsieht, hat die Kammer sämtliche für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände gegeneinander abgewogen.

Für den Angeklagten spricht dabei, dass er nicht vorbestraft ist, die Tat gestanden hat und sie zudem auch glaubhaft bereut. Der Angeklagte hat überdies infolge des Tatgeschehens etwas länger als 6 Monate seinen Führerschein entbehrt, was bei seiner Außendiensttätigkeit zweifellos eine besondere Belastung dargestellt hat. Etwas hat die Kammer dem Angeklagten auch noch zugebilligt, dass er sich aufgrund des zu Ende gehenden – sehr kontrovers geführten – Scheidungsverfahrens damals in einer persönlich schwierigen Situation befunden hat.

Der Angeklagte muss sich jedoch – mit einigem Gewicht – entgegenhalten lassen, dass er die Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit mit 1,63 ‰ ganz erheblich überschritten hatte und zudem in alkoholisiertem Zustand eine deutlich über 200 Kilometer lange Fahrt von I2 nach E plante und diese immerhin bis E2 auch ausgeführt hatte, was ein erhebliches Gefährdungspotential in sich barg. Etwas hat die Kammer zu Lasten des Angeklagten auch noch gewertet, dass er eine verkehrszentralregisterliche Voreintragung hatte, der – wie bereits dargelegt – eine Geschwindigkeitsübertretung von 24 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften zur Nachtzeit um 23.03 Uhr zugrundelag, was angesichts seiner umfangreichen Reisetätigkeit im Außendienst sicherlich aber auch nicht überbewertet werden darf.

Insgesamt hat die Kammer mit dem Amtsgericht daher auf eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 50,00 € erkannt, die sämtlichen Strafzwecken gerecht wird und von der Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auch nicht dezidiert angegriffen worden ist.

Die Höhe des Tagessatzes beruht dabei auf den Einkommensverhältnissen des Angeklagten.

Sehr intensiv hat die Kammer sich dann mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Angeklagte als wieder geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne des § 69 Abs. 1 StGB anzusehen ist. Sie hat dabei durchaus bedacht, dass gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB ein Täter einer Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1 und 2 StGB in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist. Jedoch ist dabei jeweils auch zu prüfen, ob diese Ungeeignetheit zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung noch fortbesteht. Die Kammer ist ebenso wie bereits das Amtsgericht nach dem persönlichen Eindruck, den der Ange-klagte in der Berufungshauptverhandlung hinterlassen hat, zu der Überzeugung gekommen, dass der Angeklagte inzwischen wieder zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr geeignet ist. Diese Einschätzung beruht im Wesentlichen auf folgenden Erwägungen:

So ist der Angeklagte bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten und geht seit Jahren einer sehr fordernden und eigenverantwortlichen Tätigkeit in einem großen Unternehmen nach, was bereits erkennen lässt, dass er durchaus bereit und in der Lage ist verantwortungsbewusst zu handeln. Auch der Umstand, dass er trotz seiner jahrelangen Außendiensttätigkeit bisher lediglich eine Voreintragung im Verkehrszentralregister aufweist, stützt zur Überzeugung der Kammer diese Annahme, die sich überdies auch mit dem persönlichen Eindruck deckt, den die Kammer in der Berufungshauptverhandlung von dem Angeklagten gewonnen hat. Er hat ferner immerhin bereits über 6 Monate seinen Führerschein wegen des vorliegenden Geschehens entbehrt, was ihn angesichts seiner beruflichen Tätigkeit hart getroffen haben dürfte. Dies hat der Angeklagte glaubhaft und überzeugend in seinem letzten Wort so ausgedrückt, dass er während dieser Monate „doppelte Anstrengungen“ im Unternehmen habe leisten müssen, um dieses Manko zu kompensieren, da ihm ansonsten wohl gekündigt worden wäre. Die Kammer glaubt dem Angeklagten, dass ihn dies ebenso wie das über zwei Instanzen laufende Strafverfahren erheblich belastet und beeindruckt hat, was ihm in der Berufungshauptverhandlung auch deutlich anzumerken war.

Daneben hat der Angeklagte in seinem Leben seit dem Tageschehen auch einige entscheidende Veränderungen angestrengt bzw. durchlebt, die sich zur Überzeugung der Kammer ebenfalls positiv auswirken werden. So ist nach einem langen und sehr kontrovers geführten Scheidungsverfahren am 25.06.2012 nunmehr seine Ehe geschieden worden, was zu einer gewissen Entspannung im Verhältnis zu seiner früheren Frau geführt und dem Angeklagten überdies nunmehr die Möglichkeit eröffnet hat, auch wieder engeren Umgang mit seiner zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung 15 Jahre alten Tochter zu pflegen. Ferner hat er sich von seiner in E lebenden damaligen Freundin getrennt, was angesichts der Vorgeschichte des Tatgeschehens ebenfalls zu begrüßen ist und schließlich hat er sich über mehrere Monate hinweg einer individualpsychologischen Verkehrstherapie in dem Institut J des Diplom Psychologen und Zeugen I unterzogen, wobei er begleitend hierzu freiwillig eine ca. 7 Monate dauernde Alkoholabstinenz eingehalten hat, wozu noch Näheres ausgeführt wird.

Die Kammer hat in der Berufungshauptverhandlung Herrn I als Sachverständigen angehört und ihn überdies auch als Zeugen vernommen. Dieser hat ausgesagt, dass die durchgeführte Therapie aus drei Teilen bestehe. Die ersten beiden Teile hätten jeweils einen Umfang von 20 Stunden bei einer Teilnehmerzahl von 4 bzw. 4 bis 6 Personen. Es folgte dann noch ein dritter Teil, bei dem die Umsetzung des Erarbeiteten in konkrete Verhaltensstrukturen, insbesondere auch bezogen auf das Fahrverhalten, eingearbeitet würde.

In der Therapie, die er nicht komplett selbst als Therapeut begleitet habe, sondern die zum Teil auch von einem seiner Mitarbeiter durchgeführt worden sei, mit dem er – der sachverständige Zeuge – sich jedoch ausgetauscht habe, habe unter anderem herausgearbeitet werden können, dass die Probleme des Angeklagten letztlich nicht im Bereich des Alkohols sondern vielmehr im persönlichen Bereich lägen und hier in seinem Verhältnis zu Frauen. Dies sei für das Tatgeschehen insoweit relevant geworden, als der Angeklagte die Fahrt nach E  in alkoholisiertem Zustand deshalb angetreten habe, weil er von seiner damaligen Freundin hierzu zuvor aufgefordert worden sei. Wenn man also beim Angeklagten von einer Abhängigkeit sprechen wolle, so könne man eher sagen, dass er von Personen abhängig sei, nicht aber von Alkohol. Diesbezüglich sei im Rahmen der Therapie zutage getreten, dass die Mutter des Angeklagten von sehr starker Persönlichkeit gewesen sei und seinen Vater dominiert habe. Dies habe bei dem Angeklagten letztlich zu Problemen in der Entwicklung der männlichen Selbstidentität geführt, die durch den weiteren Umstand, dass er eine 6 Jahre ältere Schwester gehabt habe, noch begünstigt worden seien. Auf diese Weise habe der Angeklagte letztlich eine Abhängigkeit zur Mutter entwickelt, die er später dann auf seine Ehefrau übertragen habe. Infolge dessen habe er einen „ständigen Kampf“ darum geführt, dieser nicht hörig zu werden. Um dessen Bedeutung für das Leben des Angeklagten zu ermessen, müsse man sich vergegenwärtigen, dass es zwischen ihm und seiner Ehefrau vor der Scheidung immerhin eine ca. 5 Jahre dauernde Auseinandersetzung gegeben habe, die man durchaus als „Rosenkrieg“ bezeichnen könne. Das im Ergebnis problematische Verhältnis des Angeklagten zu Frauen habe sich dann auch im Vorfeld des Tatgeschehens insoweit wiederum ausgewirkt, als er der Aufforderung seiner Freundin gefolgt sei und sich ins Auto gesetzt habe, obschon er vorher in größerem Umfang Alkohol konsumiert hatte. Deshalb müsse der Angeklagte sein Verhältnis zu Frauen ändern. So etwas lasse sich natürlich nicht innerhalb weniger Monate vollständig erreichen sondern bleibe vielmehr ein „lebenslanger Kampf“. Entscheidend aber sei, dass der Angeklagte sich dieser Dinge im Laufe der Therapie bewusst geworden sei und Schritte unternommen habe, diese Probleme zu bearbeiten. Vor diesem Hintergrund begrüße er – der sachverständige Zeuge – es auch ausdrücklich, dass der Angeklagte sich inzwischen von seiner Freundin getrennt habe und derzeit erst einmal alleine lebe. Auch glaube er, dass der Angeklagte von dem inzwischen wieder intensivierten Verhältnis zu seiner Tochter werde profitieren können, und dabei nicht zuletzt insoweit, als sich dies auch auf sein Verhältnis zu Frauen im Sinne der oben dargestellten Problematik insgesamt positiv auswirken könne.

Wenn die Probleme des Angeklagten somit auch letztlich im persönlichen Bereich angesiedelt seien und nicht beim Alkohol, sei aber gleichwohl davon auszugehen, dass der Angeklagte in der Vergangenheit mitunter auch ein Entlastungstrinken – Alkohol sei eine spannungslösende Gefühlsdroge – betrieben habe. Dabei habe er – der sachverständige Zeuge – die Erfahrung gemacht, dass gerade in den Unternehmen der Berufswelt Alkohol mitunter eine bedeutende Rolle spiele, wie das offenbar auch in der Firma des Angeklagten der Fall sei. Es spreche zudem auch Einiges dafür, dass sich bei dem Angeklagten bis zum Tatzeitpunkt eine recht hohe Alkoholtoleranz entwickelt habe. Allerdings könne eine solche nicht etwa nur durch regelmäßiges „Spiegeltrinken“ erreicht werden sondern auch durch punktuell erhöhten Alkoholkonsum. So habe der Angeklagte nach seinen – des sachverständigen Zeugen – Erkenntnissen aus der Therapie unter der Woche normalerweise nicht in bemerkenswerter Weise getrunken, sondern eher als Entlastungstrinken in der Freizeit.

Lege man sodann die Kriterien an den Angeklagten an, die im Rahmen der Medizinisch-Psychologischen Untersuchungen (MPU) Anwendung fänden, und nach denen die Testpersonen – jeweils bezogen auf ihr Verhältnis zum Alkohol – in vier Klassen eingeteilt würden, so sei seines Erachtens nach der Angeklagte in den oberen Bereich des Hypothesenbereichs 3 einzustufen. Dieser Bereich erfasse Personen, die kontrolliert Alkohol trinken, aber als alkoholgefährdet eingestuft werden müssten. Allerdings müsse er eine Einschränkung insoweit vornehmen, als er den Angeklagten als alkoholgefährdet nur angesehen hätte, wenn er bezogen auf sein Verhältnis zum Alkohol so weiter gemacht hätte, wie bis zu dem Tatgeschehen. Vor diesem Hintergrund sei aus seiner Sicht für den Angeklagten nach dem Tatgeschehen erst einmal eine „Trinkpause“ indiziert gewesen, wobei er in der konkreten Situation des Angeklagten eine solche für die Dauer von sechs Monaten für angemessen erachtet habe. Eine solche habe der Angeklagte dann begleitend auch durchgeführt und diese seines Wissens nach freiwillig noch um einen weiteren Monat verlängert. Dabei halte er die Angaben des Angeklagten zur tatsächlichen Einhaltung der Trinkpause durchaus für glaubhaft, zumal sie eine Stütze in der seinerzeit erfolgten medizinischen Erhebung der Gamma-PT Werte des Angeklagten habe.

Der sachverständige Zeuge hat dann weiter ausgeführt, dass der Angeklagte aus seiner Sicht aktuell wieder geeignet sei, Kraftfahrzeuge im Verkehr zu führen. Mit dieser Einschätzung habe er „kein Problem“. Er halte es für ausgeschlossen, dass der Angeklagte sich noch einmal alkoholisiert ans Steuer setzte. Nach seiner Einschätzung brauche der Angeklagte das nicht mehr, sondern könne inzwischen artikulieren, dass er etwa bei Geschäftsreisen nichts mehr trinke. Entscheidend sei aus seiner Sicht nämlich, dass der Angeklagte sich im Laufe der Therapie seinen wirklichen persönlichen Problemen gestellt habe. Dies sei nach seiner Einschätzung wesentlich konkreter und aussagekräftiger, als das erfolgreiche Durchlaufen eines standardisierten MPU-Verfahrens mit seiner starken Gewichtung auf die reine Dauer der Alkoholabstinenz und die medizinische Überwachung der Einhaltung derselben, wobei er – der sachverständige Zeuge – ebenfalls bereits MPU-Gutachten erstellt habe und ihm dieses Verfahren daher vertraut sei.

Ob die letztgenannten Einschätzungen bezogen auf die Aussagekraft des MPU-Prüfverfahrens zutreffen oder nicht, hat die Kammer offengelassen. Sie hat dabei auch keinesfalls verkannt, dass der sachverständige Zeuge selbst – persönlich bzw. über sein kommerziell am Markt teilnehmendes Institut – als Behandler des Angeklagten tätig geworden ist, weshalb seine Aussagen und Einschätzungen von der Kammer jeweils einer besonders kritischen Würdigung unterzogen worden sind.

Diese Würdigung hat sodann zu Zweifeln bei der Kammer insoweit geführt, ob die Ausführungen des sachverständigen Zeugen nicht zu einseitig auf Probleme des Angeklagten im Verhältnis zu Frauen abstellen. Denn die Kammer schließt auch nicht aus, dass der Angeklagte sich schlicht mit der Zeit einen etwas laxen Umgang mit Alkohol angewöhnt hatte, der schließlich in der vorliegenden Tat „gipfelte“.

Letztlich kommt es hierauf zur Überzeugung der Kammer aber auch nicht mehr entscheidend an. Denn entscheidend ist vielmehr im Wesentlichen, dass der bisher durchaus pflichtbewusste Angeklagte erstmals durch Alkohol im Straßenverkehr aufgefallen ist, ohne jeden Zweifel ganz erheblich durch den vorübergehenden Führerscheinentzug und das über zwei Instanzen geführte Verfahren beeindruckt worden ist, sein Leben die oben dargelegten erheblichen Wendungen genommen hat, er glaubhaft eine längere Alkoholabstinenzphase eingehalten hat und überdies ernsthaft sein Verhalten in jeder Hinsicht kritisch hinterfragt und Schlüsse daraus gezogen hat. Von einer wie auch immer gearteten Alkoholabhängigkeit des Angeklagten geht dabei überdies auch die Kammer nicht aus.

Diese Fakten im Zusammenhang mit dem persönlichen Eindruck, den die Kammer von dem Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung gewonnen hat, haben auch bei der Kammer zu der Überzeugung geführt, dass der Angeklagte – jedenfalls zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung – nicht mehr als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen im Sinne des § 69  StGB werden kann.

Soweit das Amtsgericht ein Fahrverbot von 2 Monaten Dauer gemäß § 44 Abs. 1 StGB verhängt hat, hat die Kammer dies ebenfalls für sachgerecht erachtet und dieses mithin bestehen lassen, wenngleich dieses – worauf bereits das Amtsgericht hingewiesen hat – gemäß § 51 Abs. 5 StGB bereits als vollstreckt gilt durch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis.

Ein Anspruch des Angeklagten nach dem StrEG wegen der vorläufigen Sicherstellung der Fahrerlaubnis besteht nicht, da der Angeklagte während der Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis noch nicht als wieder geeignet anzusehen war.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 StPO.

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