KG – Az.: 2 Ws 60/22 – Beschluss vom 19.05.2022
In der Strafsache wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 19. Mai 2022 beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin – Strafvollstreckungskammer – vom 14. Februar 2022 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
I.
Das Landgericht D. verurteilte den Beschwerdeführer am 7. Mai 2018 wegen „vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben tatmehrheitlichen Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten. Zwei Drittel der Strafe sind seit dem 26. Dezember 2021 verbüßt, das Strafende ist für den 26. Januar 2024 notiert. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 14. Februar 2022 hat es die Strafvollstreckungskammer abgelehnt, die Restfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 2. März 2022.
II.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) und entsprechend § 311 Abs. 2 StPO rechtzeitig erhoben.
2. Sie ist jedoch aus den zutreffenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses, die durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet werden, unbegründet.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu dem Rechtsmittel am 24. März 2022 u.a. wie folgt Stellung genommen:
„Zu Recht ist die Strafvollstreckungskammer zu dem Ergebnis gekommen, dass eine günstige Prognose nach Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe gemäß § 57 Abs. 1 StGB nicht gestellt werden kann.
Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB kommt eine Aussetzung des Strafrestes nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Freiheitsstrafe in Betracht, wenn dies unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Die danach zu treffende Prognoseentscheidung stellt im Gegensatz zu einer Prognoseentscheidung gemäß § 56 Abs. 1 StGB nicht auf die Erwartung ab, der Verurteilte werde ohne die Einwirkung weiteren Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen. Entscheidend ist, ob eine Haftentlassung verantwortet werden kann, wobei eine Abwägung zwischen den zu erwartenden Wirkungen des erlittenen Vollzugs und den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit erforderlich ist (vgl. BGH-Beschluss vom 25. April 2003 – StB 4/03 in juris). Bei der Prüfung sind namentlich die Persönlichkeit, das Vorleben, die Umstände der Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten im Vollzug, die Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für den Verurteilten zu erwarten sind. Damit ist den Strafvollstreckungsrichtern eine prognostische Gesamtwürdigung abverlangt (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 11. Januar 2016 – 2 BvR 2961/12 + 2484/13 in juris).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Kammergerichts kann bei einem Erstverbüßer im Rahmen der Zwei-Drittel-Entscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB im Allgemeinen zwar angenommen werden, dass sich der Verurteilte durch die bisherige Strafvollstreckung hinreichend beeindruckt zeigt und fortan von weiteren Straftaten Abstand nehmen wird. Diese Vermutung gilt jedoch nicht ausnahmslos und besagt insbesondere nicht, dass in den Fällen der Erstverbüßung gleichsam automatisch die für die Reststrafenaussetzung erforderliche günstige Legalprognose bejaht werden kann (vgl. KG, Beschluss vom 12. Oktober 2016 – 5 Ws 159/16 –). Er erfährt wegen der vom Gesetzgeber in den Vordergrund gestellten Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit eine Einschränkung, wenn besondere Umstände vorliegen. So führt die wiederholte Begehung einer weiteren Straftat kurz nach Verhängung richterlicher Sanktionen regelmäßig dazu, dass bei dem Verurteilten an die Wahrscheinlichkeit künftiger Straffreiheit erhöhte Maßstäbe anzusetzen sind (vgl. KG, Beschlüsse vom 15. März 2006 – 5 Ws 104/06 – und vom 24. August 1993 – 5 Ws 278-279/93 –). Gegenüber Tätern, die mit Rauschgift handeln, erfährt das so genannte Erstverbüßerprivileg ebenfalls eine Einschränkung, weil durch die Beteiligung am Rauschgifthandel – vorliegend in nicht geringer Menge – die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit in hohem Maße berührt sind. Daraus folgt eine besondere Gefährlichkeit, die wegen der Charaktermängel, welche sie offenbart, zu einer strengeren Prüfung zwingt (vgl. KG, Beschlüsse vom 3. Januar 2013 – 2 Ws 520/12 – und 6. Juli 2006 – 5 Ws 273/06 – juris Rn. 4).
Eine Reststrafenaussetzung kann in solchen Fällen nur verantwortet werden, wenn erprobt und durch Tatsachen, die sich nicht nur auf äußere Umstände beziehen dürfen, belegt wäre, dass die charakterlichen Mängel und sonstigen Umstände, die zu den Straftaten geführt haben, soweit behoben sind, dass die Rückfallgefahr nur noch sehr gering ist (vgl. KG, Beschluss vom 29. November 2017 – 5 Ws 230/17 – m.w.N.).
Allein der Wille, sich künftig straffrei zu führen, reicht ebenso wenig aus, wie ein beanstandungsfreies Vollzugsverhalten. Maßgeblich ist vielmehr eine günstige Entwicklung während des Vollzugs, die von besonderem Gewicht sein muss und sich nicht nur als taktische Anpassungsleistung darstellt, sondern Beleg für einen Wandlungsprozess der Persönlichkeit und Einstellung ist (vgl. KG, Beschluss vom 6. Oktober 2017 – 5 Ws 182-183/17 –). Insbesondere ist erforderlich, dass der Verurteilte sich aktiv und erfolgreich mit seinen Taten auseinandergesetzt hat. Der Beschwerdeführer hätte sich hiernach in einem Erkenntnisprozess erarbeiten müssen, welche Charakterschwächen ihn haben versagen lassen, und er hätte Tatsachen schaffen müssen, die es überwiegend
wahrscheinlich machen, dass er die Charaktermängel weitestgehend behoben hat und auch in Freiheit Tatanreizen zu widerstehen vermag. Von einer solchen Aufarbeitung kann nur gesprochen werden, wenn der Verurteilte seine Straftaten als Fehlverhalten erkannt und sie sich in ihrer konkreten Bedeutung, ihren Ursachen und Folgen so bewusstgemacht hat, dass eine Wiederholung dieses oder anderer Gesetzesverstöße wenig wahrscheinlich ist (vgl. KG, Beschlüsse vom 4. Februar 2005 – 5 Ws 49/04 – und 11. April 2003 – 5 Ws 190/03 –).
Dem Beschwerdeführer kann nach diesen Grundsätzen – auch unter Berücksichtigung der Erstverbüßung – eine günstige Prognose nicht gestellt werden. Hierbei hat das Landgericht Berlin zutreffend berücksichtigt, dass der Verurteilte vor der hier zugrundeliegenden Verurteilung bereits zweimal – zum Teil einschlägig – zu Geldstrafen verurteilt worden und während seiner Haftzeit erneut straffällig geworden ist. Die Strafvollstreckungskammer war auch nicht daran gehindert, ihre negative Prognosebeurteilung auch darauf zu stützen, dass gegen den Beschwerdeführer derzeit noch ein weiteres Strafverfahren gerichtshängig ist, in dem es bislang noch zu keiner rechtskräftigen Verurteilung gekommen ist. Die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK steht dem nicht entgegen. Für die bedingte Reststrafenaussetzung nach § 57 Abs. 1 StGB ist es nicht von entscheidender Bedeutung, ob die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Straftaten bereits rechtskräftig abgeurteilt sind (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2005, 154; OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2005, 248; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997, 87). Die bedingte Reststrafenaussetzung ist lediglich an das Vorliegen einer günstigen Legalprognose geknüpft. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung (§ 57 Abs. 1 Satz 2 StGB) gehen Zweifel über das Prognoseurteil – anders als beim Bewährungswiderruf gemäß § 56f StGB – zu Lasten des Verurteilten, (…). Letztlich kommt es jedoch vorliegend auf das offenen Verfahren des Beschwerdeführers nicht entscheidend an, da die Strafvollstreckung auch bereits aus den übrigen Gründen fortzusetzen ist. Im Übrigen stützt sich vorliegend die ungünstige Prognose nicht allein auf das gegen den Beschwerdeführer geführte offene Verfahren, sondern es stellt lediglich einen – wie die Strafvollstreckungskammer ausführt „nicht maßgeblichen“ – Aspekt der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung (§ 57 Abs. 1 Satz 2 StGB) dar, der zu einer negativen Sozialprognose führt.
Hierbei war auch zu berücksichtigen, dass weder eine hinreichende Straftatauseinandersetzung stattgefunden hat, noch der Vollzug beanstandungsfrei verlief. Zwar zeigt der Verurteilte nach der – jedenfalls in Hinblick auf die ergänzenden Ausführungen vom 3. Dezember 2021 hinreichend aktuellen – Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Bemühungen, sich in Gesprächen mit der Tat und seiner Biographie auseinanderzusetzen, empfindet jedoch das Strafmaß als viel zu hoch. Auch nach der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt vom 3. Dezember 2021 fehlt es jedoch weiterhin an einer authentischen Verantwortungsübernahme des Verurteilten. Im Rahmen des Vollzuges zeigt sich der Verurteilte mithin teils wütend uns spricht latente Drohungen aus, die seiner Forderung entlassen oder in den offenen Vollzug verlegt zu werden, Nachdruck verleihen sollen.“
Diese Ausführungen treffen zu. Der Senat schließt sich ihnen an. Daran ändert im Ergebnis auch die ergänzende Stellungnahme der Verteidigung vom 6. April 2022 nichts.
Schon die Strafvollstreckungskammer hat nicht verkannt, dass der Verurteilte aufgrund der Kriegserlebnisse in Syrien (auch) starken psychischen Belastungen ausgesetzt war, die weiter nachwirken. Die mit der ergänzenden Stellungnahme in Erinnerung gerufenen physischen Kriegsverletzungen sind jedoch schon deshalb – ebenso wenig wie die psychischen Traumata – geeignet eine günstige Prognose zu begründen, weil sie nach Lage der Dinge auch bereits bei Begehung der abgeurteilten Straftaten vorlagen.
Zweifellos erfreulich sind die Aussichten des Beschwerdeführers auf eine eigene Wohnung und die Möglichkeit ein reguläres Arbeitseinkommen trotz des lediglich geduldeten Aufenthalts zu erzielen. Ob daraus jedoch eine tragfähige legale Perspektive erwächst, muss im Hinblick auf die bereits nach kurzem Aufenthalt begangenen bisherigen Straftaten und den Vollzugsverlauf zunächst im Rahmen einer längeren Phase der Lockerungserprobung geprüft werden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.