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Computerbetrug bei unberechtigter Verwendung einer EC-Karte

LG Heilbronn – Az.: 8 Qs 29/21 – Beschluss vom 29.11.2021

1. Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Heilbronn wird der Beschluss des Amtsgerichts vom 9. Juli 2021, durch welchen der Erlass eines Haftbefehls abgelehnt wurde, aufgehoben.

2. Der Haftbefehl wird antragsgemäß erlassen und in Vollzug gesetzt.

3. Der Beschuldigte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Heilbronn führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Computerbetrugs in 86 Fällen.

Computerbetrug bei unberechtigter Verwendung einer EC-Karte
(Symbolfoto: ESB Professional/Shutterstock.com)

Der Beschuldigte soll die EC-Karte seiner ehemaligen Lebensgefährtin entwendet und anschließend im Zeitraum von September bis Dezember 2020 mit der Karte Geld abgehoben und die zugehörigen Bankdaten für Internetkäufe missbräuchlich verwendet haben, um dadurch seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Geldabhebungen und Transaktionen belaufen sich auf insgesamt 10.747,62 Euro.

Das Amtsgericht hat auf Antrag der Staatsanwaltschaft Heilbronn am 12. Mai 2021 Haftbefehl (Az.: 1 Gs 99/21) gegen den Beschuldigten erlassen.

Mit Beschluss vom 20. Mai 2021 hat das Amtsgericht den Haftbefehl aufgehoben mit der Begründung, dass zwischen dem Beschuldigten und seiner Lebensgefährtin eine häusliche Gemeinschaft im Sinne des § 247 StGB bestehe und der nach den §§ 263a Abs. 2, 263 Abs. 4 StGB erforderliche Strafantrag nicht vorliege.

Am 15. Juni 2021 erklärte die Lebensgefährtin, auf die Stellung eines Strafantrags zu verzichten.

Die Staatsanwaltschaft hat am 2. Juli 2021 erneut beantragt, Haftbefehl gegen den Beschuldigten zu erlassen. Mit Beschluss vom 9. Juli 2021 hat das Amtsgericht den Antrag auf Haftbefehlserlass abgelehnt, da mangels erforderlichen Strafantrages der Lebensgefährtin ein Verfahrenshindernis bestünde. Denn vorliegend sei nicht das Kreditinstitut, sondern die Lebensgefährtin des Beschuldigten als Geschädigte anzusehen, bei der der Vermögensschaden letztlich eingetreten sei.

Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft am 16. Juli 2021 Beschwerde eingelegt. Diese hat sie damit begründet, dass ein Strafantrag der Lebensgefährtin nicht erforderlich sei, da Geschädigte die Bank sei und etwaige zivilrechtlichen Rückerstattungsansprüche der Lebensgefährtin und Gegenansprüche der Bank für die Beurteilung eines Vermögensschadens unberücksichtigt blieben.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie zur Entscheidung dem Landgericht Heilbronn vorgelegt. Mit Schreiben vom 10. August 2021 hat der Verteidiger beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls abzulehnen.

II.

Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthafte Beschwerde ist zulässig und begründet.

Die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls liegen vor.

1.

Der Beschuldigte ist nach derzeitigem Stand der Ermittlungen der ihm im Haftbefehl zur Last gelegten Taten dringend verdächtig. Dies ergibt sich maßgeblich aus den Angaben des Beschuldigten, den Angaben seiner Lebensgefährtin, den von ihr vorgelegten Buchungsnachweisen sowie den Lichtbildern, die die Abhebung an den Geldautomaten durch den Beschuldigten zeigen.

Der Beschuldigte ist demnach des Computerbetrugs in 86 Fällen dringend verdächtig, strafbar gemäß § 263a Abs. 1 Var. 3 StGB. Die Kammer geht vorliegend von einer unbefugten Verwendung der Daten aus. In den Fällen des Einsatzes von Codekarten ist für die Erfüllung von § 263a StGB das zu fordernde Täuschungsäquivalenz nur dann gegeben, wenn der Täter die Karte gefälscht, manipuliert oder mittels verbotener Eigenmacht erlangt hat. Aus der Einlassung der Lebensgefährtin des Beschuldigten ergibt sich, dass diese dem Beschuldigten die EC-Karte und die dazugehörige PIN-Nummer zwar einmalig zu einem früheren Zeitpunkt überlassen hatte. Der Beschuldigte habe die EC-Karte jedoch zu einem späteren Zeitpunkt erneut durch deren Entwendung erlangt und ohne ihren Willen bei Bargeldabhebungen und Transaktionen im Internet verwendet. Nach dieser Einlassung ist davon auszugehen, dass der Beschuldigte zwar nicht unbefugt in den Besitz der PIN gekommen ist, jedoch ohne den Willen der Lebensgefährtin in den Besitz der EC-Karte.

Entgegen der amtsgerichtlichen Auffassung besteht trotz des Verzichts eines Strafantrags der Lebensgefährtin vorliegend kein Verfahrenshindernis.

Nach den §§ 263a Abs. 2, 263 Abs. 4 i.V.m. 247 StGB ist zwar, bei Bestehen einer häuslichen Gemeinschaft zwischen dem Täter und dem Verletzten, ein Strafantrag zwingend erforderlich, wobei dabei ausreichend ist, wenn das Näheverhältnis in der Zeitphase zwischen Versuchsbeginn und Aburteilung der Tat zumindest vorübergehend bestanden hat (vgl. Hohmann in Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2021, § 247 Rn. 3 m.w.N.).

Vorliegend war zumindest bei Begehung der Taten von einer häuslichen Lebensgemeinschaft des Beschuldigten und seiner Lebensgefährtin auszugehen. Die Lebensgefährtin hat insoweit auf die Stellung eines Strafantrages verzichtet.

Jedoch ist durch die unberechtigte Abhebung am Geldautomaten mit der gestohlenen Karte, entgegen der Auffassung des Amtsgerichts, auch dem betroffenen Geldinstitut ein Schaden entstanden, da das abgehobene Geld aus dessen Vermögen stammt. Dies gilt gleichermaßen für die Zahlung von Waren oder Dienstleistungen im Internet, wenn hierbei unbefugt Zahlungs- und Autorisierungsinstrumente eingesetzt werden. Somit ist ein Strafantrag nach den §§ 263a Abs. 2, 263 Abs. 4 i.V.m. 247 StGB nicht erforderlich.

Der Vermögensschaden tritt in Fällen der unbefugten Abhebung am Geldautomaten unmittelbar bei der kontoführenden Bank ein, da dieser, ohne Autorisierung des Kontoinhabers, kein Aufwendungsersatzanspruch entsteht (§ 675u S. 1 BGB).

Erfolgt die Belastung eines Kontos ohne Autorisierung, bleibt das Guthaben des Kontoinhabers grundsätzlich in unveränderter Höhe bestehen und die Bank hat den fehlerhaft ausgewiesenen Kontostand zu berichtigen (§ 675u S. 2 BGB). Auch wenn das Kreditinstitut die Erfüllung dieses Anspruchs gemäß den Grundsätzen von Treu und Glauben nach § 242 BGB verweigern kann, wenn sie einen Schadenersatzanspruch nach § 675v BGB gegen die Kontoinhaberin aufgrund deren grob fahrlässigen Verhaltens hat (BGH, BKR 2021, 240 Rn. 25), bewirkt dieser Schadensanspruch grundsätzlich keine Kompensation, die im Rahmen des Vermögensschadens zu berücksichtigen ist. Somit kommt es bei der Bewertung, bei wem der Schaden eingetreten ist, auf das Bestehen eines solchen Schadenersatzanspruches im konkreten Fall nicht an.

Denn hinsichtlich des Eintritts des Vermögensschadens gelten für den Computerbetrug nach § 263a StGB grundsätzlich dieselben Grundsätze wie beim Betrug nach § 263 StGB (BGH NJW 2013, 1017), bei dem bei Bewertung eines Vermögensschadens etwaige Kompensationsansprüche des Geschädigten bei der Schadensberechnung regelmäßig unberücksichtigt bleiben. Im Rahmen der Schadenskompensation sind vielmehr nur solche Gegenrechte zu berücksichtigen, die unmittelbar durch die Verfügung selbst erwachsen. Durch die Tat entstehende Schadenersatz- oder Gewährleistungsansprüche verhindern demgegenüber einen Vermögensschaden nicht (Fischer, StGB, 68. Auflage 2021, § 263 Rn. 155).

Dies wird im Rahmen des § 263a StGB grundsätzlich auf Ausgleichsansprüche übertragen, die das Kreditinstitut bei unbefugter Verwendung einer fremden EC-Karte gegen den Kontoinhaber z.B. infolge unsorgfältiger Aufbewahrung von Karte und PIN besitzt (BGH NStZ 2001, 316; BGH, NStZ 2008, 396; Waßmer in Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, StGB § 263a Rn. 81; Gaede in Leipold/Tsambikakis/Zöller, StGB, 3. Auflage 2020, § 263a Rn. 20 m.w.N.).

Ein möglicher Schadenersatzanspruch gemäß § 675v Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BGB stellt eine unsichere Vermögensposition dar, die regelmäßig nicht geeignet ist, den entstanden Verlust unmittelbar auszugleichen (vgl. BGH NStZ 2001, 316). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beweislast für eine Autorisierung gemäß § 675w S. 1 BGB bei der Bank liegt, die insbesondere unterstützende Beweismittel vorlegen muss, um Betrug, Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Zahlungsdienstnutzers nachzuweisen. Sie trägt also im Zweifel und bei Missbrauch ohne Verschulden des Kontoinhabers auch nach der objektiven Rechtslage das wirtschaftliche Risiko und hat damit den Schaden (vgl. Mühlbauer, a.a.O., § 263a Rn. 61 ff.).

Für die Bestimmung, bei wem der Schaden unmittelbar eintritt, kann es aus Sicht der Kammer nicht darauf ankommen, ob Schadenersatzansprüche der Bank im Einzelfall dem Aufwendungsanspruch des Kontoinhabers möglicherweise entgegengehalten werden oder bewiesen werden können. Auch kann es nach Auffassung der Kammer nicht auf den faktisch ausgewiesenen Kontostand bei der Kontoinhaberin ankommen. Denn der ausgewiesene Saldo deckt sich nicht zwangsläufig mit der materiellen Rechtslage, da gegebenenfalls Ansprüche auf Berichtigung des Kontostandes bestehen.

Durch die Abhebungen und Abbuchen ist aber – neben dem unmittelbar geschädigten Kreditinstitut – auch der Kontoinhaberin ein Gefährdungsschaden, als unmittelbare Folge des Datenverarbeitungsvorgangs, entstanden. Werden die Beträge bei der Kontoinhaberin abgebucht, weist der Kontostand – unabhängig vom Bestehen eines etwaigen Berichtigungsanspruches – zunächst faktisch einen verminderten Kontostand auf, sodass über den abgebuchten Betrag nicht mehr disponiert werden kann. Die Kontoinhaberin trägt das Risiko, einerseits die Abbuchungen zunächst zu entdecken und andererseits, etwaige Ansprüche gegenüber der Bank erfolgreich durchzusetzen (vgl. auch BGH, NJW 2013, 2608, 2610)

2.

Da der Beschuldigte zwischenzeitlich an einer neuen Wohnadresse gemeldet ist, besteht zwar nicht mehr der Haftgrund der Flucht (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO).

Es besteht jedoch der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Dieser ist dann anzunehmen, wenn die Würdigung der Umstände des Falles es wahrscheinlicher macht, dass sich der Beschuldigte dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, 64. Auflage 2021, § 112 Rn. 17). Hierbei sind zunächst die zu erwartenden Rechtsfolgen zu berücksichtigen, wobei aber auch die Erwartung einer hohen Strafe in der Regel noch nicht allein, aber in Verbindung mit weiteren Umständen, die Fluchtgefahr begründen kann (Graf in Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Auflage 2019, § 112 Rn. 19).

Vorliegend hat der Beschuldigte mit der Verhängung einer Freiheitsstrafe zu rechnen, deren Vollstreckung voraussichtlich nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Aufgrund der Höhe des eingetretenen Schadens und seiner einschlägigen Vorstrafen geht die Kammer davon aus, dass dem Beschuldigten aller Voraussicht eine mehrmonatige Freiheitsstrafe droht. Hinzutreten wird der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung aus der Entscheidung des Amtsgerichts vom 29. Mai 2020. Bindungen des Beschuldigten wirken diesem Fluchtanreiz nur unzureichend entgegen. Wie sich anhand der aufgrund der Taten erfolgten zwischenzeitlichen Trennung zeigt, ist diesbezüglich, trotz der nun wieder bestehenden Beziehung mit der Lebensgefährtin, eine hinreichende Beständigkeit nicht gegeben.

3.

Mildere Maßnahmen (§ 116 StPO) als der Vollzug der Untersuchungshaft sind unter den genannten Umständen nicht geeignet, deren Zweck in gleicher Weise zu erfüllen. Insbesondere vermag eine Meldeauflage eine jederzeit und innerhalb weniger Stunden mögliche Flucht oder ein Untertauchen nicht wirksam zu verhindern. Die Anordnung der Untersuchungshaft steht auch nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache bzw. der Straferwartung (§ 120 Abs. 1 S. 1 StPO).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 Abs. 1 StPO analog.

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