Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: (1) 53 Ss 3/20 (5/20) – Beschluss vom 02.03.2020
Auf die Revision des Angeklagten werden die Urteile des Amtsgerichts Oranienburg vom 28. Januar 2019 -14 Cs 47/18 – und des Landgerichts Neuruppin vom 22. Oktober 2019 aufgehoben.
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Oranienburg hat den Angeklagten nach einem vorangegangenen Strafbefehlsverfahren am 28. Januar 2019 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 50,00 € verurteilt.
Mit Urteil vom 22. Oktober 2019 hat das Landgericht Neuruppin die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten verworfen.
Zur Sache hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
„Die Firma D… GmbH war im Jahr 2016 von der Stadt H… mit einer Wegverbreiterung des Gehweges in der …straße in H… beauftragt worden. Nachdem die Firma mit den Arbeiten begonnen hatte, erschienen am … .11.2016 vormittags die durch ihre Dienstleistung als Mitarbeiterinnen des Ordnungsamtes der Stadt H… erkennbare Zeuginnen A… B… und I… F… bei ihrem routinemäßigen Kontrollgang auf der Baustelle. Die Zeuginnen stellten vor Ort eine aus ihrer Sicht unzureichend gesicherte Baustelle fest, u. a. Sandhaufen in Parktaschen und Baumaschinen im öffentlichen Verkehrsraum. Sie forderten die vor Ort befindlichen Mitarbeiter der Firma auf, Abhilfe zu schaffen und erklärten in diesem Zusammenhang, dass widrigenfalls eine Ersatzvornahme auf Kosten der Baufirma und eine Meldung an die Straßenverkehrsbehörde erfolgen könnte und dies auch zu „Punkten in Flensburg“ führen könnte. Als die Zeuginnen ca. eine halbe Stunde später die Baustelle nochmals aufsuchten, war diese nach ihren Wünschen abgesichert. Die Bauarbeiten waren allerdings nunmehr eingestellt.
Der Angeklagte als Geschäftsführer der D… GmbH war sehr verärgert über die aus seiner Sicht unrechtmäßigen Forderungen der Zeuginnen B… und F… und zeigte in der Folge gegenüber der Stadt H… eine Baubehinderung an. In diesem Zusammenhang verfasste und unterzeichnete er am 13.12.2016 folgendes Schreiben, das er sodann an die Stadtverwaltung H…, Fachdienst Öffentliche Anlagen, übersandte:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
unsere Baubehinderung halten wir aufrecht.
Natürlich hatten wir nach dem Bietergespräch keine Unklarheiten in Bezug auf die Baustellensicherung. Wir geben Ihnen Recht, dass der Auftragnehmer für die Baustellensicherung zuständig ist. Das heißt, er haftet auch allein für eventuell aus mangelhafter Absperrung resultierender Schäden (dafür Haftpflichtversicherung). Dass eine vorlaute Göre vom Ordnungsamt ganz andere Vorstellung hat, konnten wir nicht ahnen. Auch wenn die Mitarbeiter des Sachgebiet Ordnung den Auftrag haben die klammen Kassen zu füllen. Ergo war die Dame uns gegenüber nicht weisungsbefugt und sicher auch nicht im Besitz einer Bescheinigung nach MVAS. Diese anmaßende Drohung der, hahaha, Ordnungshüterin, dem Verantwortlichen Punkte aufzuerlegen zeugt von destruktiver geistiger Fähigkeit, sofern das eine Fähigkeit ist.
Somit wurde die Baustelle durch die Stadt H…Ordnungsamt, bewusst verzögert. Mit freundlichen Grüßen “
Der Angeklagte war sich bewusst, dass er zumindest durch die Formulierung „vorlaute Göre“ die Mitarbeiterinnen des Ordnungsamtes in ehrverletzender Weise bezeichnete und dass diese bzw. der Dienstherr ‐ die Stadt H… ‐ diese Formulierung auch als Beleidigung auffassen könnte.
Das Schreiben vom 13.12.2016 wurde den Zeuginnen A… B… und I… F… durch ihren Fachbereichsleiter zur Kenntnis gegeben.
Am 10.01.2017 erstattete der Bürgermeister der Stadt H… – weil er den Inhalt des Schreibens vorn 13.12.2016 als grob beleidigend und ehrverletzend gegenüber den beiden Mitarbeiterinnen B… und F… ansah – gegen den Angeklagten Strafanzeige und stellte gleichzeitig ein Strafantrag gegen den Angeklagten gemäß § 194 Abs. 3 StPO.“
Das Landgericht hat ausgeführt, dass bei der Äußerung „vorlaute Göre“, anders als bei der Erklärung, das Verhalten der Zeuginnen zeuge von „destruktiver geistiger Fähigkeit sofern es eine Fähigkeit ist“ und die Äußerung „hahaha, Ordnungshüterin“, welche von der Meinungsfreiheit gedeckt seien, die ehrverletzende Schmähung der Zeuginnen im Vordergrund gestanden habe, denen als erwachsene Frauen das Verhalten unartiger, vorlauter Kinder bescheinigt worden sei.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet.
Die Generalstaatsanwaltschaft hält die Revision für offensichtlich unbegründet. Insbesondere sei die Äußerung aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht mehr von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt.
II.
Die zulässige Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO) und führt zu seinem Freispruch (§ 354 Abs. 1 StPO).
Während die Verfahrensrüge aus den von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 15. Januar 2020 mitgeteilten Gründen erfolglos bleibt, ist die erhobene Sachrüge begründet und führt zum Freispruch des Angeklagten. Die Revision rügt im Ergebnis zu Recht, dass das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft von einer Formalbeleidigung ausgegangen ist.
Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassung wegen eng zu verstehen. Merkmal der Schmähung ist die das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung (vgl. BVerfG NJW 1995, 3303 – „Soldaten sind Mörder“; BVerfG NJW 1999, 204 – „Verunglimpfung des Staates“; BVerfG NJW 1999, 2358 – „FCKW“). Von ihr ist lediglich dann auszugehen, wenn sich der ehrbeeinträchtigende Gehalt der Äußerung von vorneherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes bewegt (so die Formulierung in der Entscheidung BVerfG NJW 2016, 2870).
In Anwendung dieser Grundsätze liegt keine Schmähkritik vor. Denn die Äußerung hat einen deutlichen Sachbezug. Der Angeklagte greift die Handlung einer der Mitarbeiterinnen des Ordnungsamtes an und bringt durch die Verwendung der Äußerung „vorlaute Göre“ zum Ausdruck, dass er die fachliche Eignung der Mitarbeiterin in Bezug auf die von ihr angeordnete Maßnahme in Abrede stelle, dass die Mitarbeiterin Sanktionen androhe, obwohl sie in der Sache seines Erachtens nach nicht qualifiziert sei. Insoweit kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Äußerung selbst aus Sicht des Angeklagten als Verfasser außerhalb jeglichen Sachkontexts lediglich der Diffamierung und Herabsetzung diente. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Äußerung in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung erscheint. Mithin ist die Äußerung des Angeklagten als Werturteil zu qualifizieren.
Das Landgericht hat verfahrensfehlerfrei umfassende Feststellungen getroffen, die nicht erwarten lassen, dass in einem neuen Verfahren weitere für die Beurteilung bedeutsame Feststellungen getroffen werden können. Auf dieser Grundlage liegen die Voraussetzungen für die Verurteilung wegen Beleidigung nicht vor, weil die Äußerung des Angeklagten unter Berücksichtigung der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) als Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) gerechtfertigt ist.
Eine Abwägung zwischen den Persönlichkeitsrechten der Mitarbeiterinnen des Ordnungsamtes und der Meinungsfreiheit des Angeklagten hat das Berufungsgericht nicht erkennbar durchgeführt. Das Revisionsgericht kann eine vom Tatgericht rechtsfehlerhaft unterlassene Abwägung der Rechtsgüter der Meinungsfreiheit und des Ehrenschutzes nachholen, wenn – wie hier – das angefochtene Urteil ausreichende Feststellungen zu den Tatumständen und der Motivation des Angeklagten enthält (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 7. Februar 2014 – 1 Ss 599/13 -; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 27. September 2018 – 1 OLG 2 Ss 31/18 –). Diese ergibt, dass die Äußerung des Angeklagten, da sie keine Schmähkritik darstellt, vom Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gedeckt war.
Allgemein ist hierbei zu beachten, dass für die Reichweite des Schutzbereiches der Meinungsfreiheit nicht von Bedeutung ist, ob eine Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, emotional oder rational begründet ist (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22. Mai 2018 – 2 Rv 4 Ss 193/18 -; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 04. November 2019 – 2 Rv 34 Ss 714/19 –). Auch eine polemische oder verletzende Formulierung kann in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen (vgl. BVerfG NJW 2019, 2600; NJW 2017, 2606).
Hier steht das Schreiben des Angeklagten in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der aus Sicht der Mitarbeiterinnen des Ordnungsamtes erforderlichen Baustellenabsicherung am 15. November 2016, die aus Sicht des Angeklagten zu einer unrechtmäßigen Baubehinderung geführt habe. Dass dies bei dem Angeklagten zu einer gewissen Frustration aufgrund der Verzögerung der Bauarbeiten und einer sich daran anschließende Auseinandersetzung mit der Stadt führte, ist hier in Rechnung zu stellen. Vor diesem Hintergrund stellt sich das Schreiben des Angeklagten vom 13. Dezember 2016 als zusammenfassende Kritik an der aus seiner Sicht ungerechten Behandlung durch die Mitarbeiterinnen des Ordnungsamtes dar. Es bedarf hier keiner Feststellung, ob diese Vorwürfe berechtigt oder unberechtigt sind. Stattdessen muss in die Abwägung insbesondere einfließen, dass ein Mitarbeiter eines Ordnungsamtes als Repräsentant staatlicher Gewalt im Rahmen seiner Dienstausübung von einem Bürger auch polemische oder überpointierte Kritik an seinem dienstlichen Handeln hinzunehmen hat (vgl. OLG München, Beschluss vom 31. Mai 2017 – 5 OLG 13 Ss 81/17 -). Die Äußerung ist in dem dargestellten Kontext zu sehen und steht deshalb gerade ersichtlich nicht außerhalb des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
Bezüglich des sonstigen Inhalts des Schreibens hat das Landgericht zutreffend festgestellt, dass kein strafbares Verhalten vorliegt. Auch insoweit unterfallen die Äußerungen bei der Würdigung des vorliegend gegebenen Gesamtzusammenhangs dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. dazu OLG Hamm, Beschluss vom 3. Juni 2004 – 4 Ss 138/04 -).
Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung rechtsfehlerfrei weitere Feststellungen und Wertungen im Hinblick auf das Vorliegen einer Schmähung getroffen werden können. Entsprechendes gilt für weitere, die Abwägung wesentlich beeinflussende Gesichtspunkte. Der Senat spricht daher den Angeklagten aus Rechtsgründen frei (§ 354 Abs. 1 StPO).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.