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Beleidigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte

Ein Blick in die Komplexität der Strafzumessung: Revision gewährt aufgrund unzureichender Berücksichtigung von Strafmilderungsgründen

Im Fall eines Angeklagten, der bereits wegen Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt wurde, ergab sich eine interessante Wendung. Der Mann, der zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt worden war, hatte gegen das Urteil Berufung eingelegt. Seine Berufung konzentrierte sich auf den Rechtsfolgenausspruch, also den Teil des Urteils, der die Strafe festlegt. Obwohl er erhebliche Gründe für eine Milderung der Strafe vorbrachte, wurde seine Berufung vom Landgericht Neuruppin als unbegründet abgewiesen. Unzufrieden mit diesem Ergebnis ging der Angeklagte in Revision und brachte vor, dass das Gericht das materielle Recht verletzt habe. Diese Auseinandersetzung wirft ein Schlaglicht auf die Komplexität der Strafzumessung und zeigt, wie wichtig es ist, dass Gerichte ihre Entscheidungen sorgfältig begründen.

Direkt zum Urteil Az: 1 OLG 53 Ss 97/21 springen.

Revision gewährt: Ein Erfolg für den Angeklagten

Die Revision wurde vom Oberlandesgericht Brandenburg angenommen. Das Gericht stellte fest, dass die Berufung des Angeklagten form- und fristgerecht war und dass sie auf sachlicher Ebene erfolgreich war. Insbesondere war der Schuldspruch bereits rechtskräftig, da der Angeklagte seine Berufung wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hatte.

Unzureichende Berücksichtigung von Strafmilderungsgründen

Das Gericht fand jedoch, dass der Rechtsfolgenausspruch, also die Strafzumessung, nicht standhalten konnte. Trotz erheblicher Gründe für eine Strafmilderung – einschließlich der Tatsache, dass der Angeklagte ein Geständnis abgelegt, Reue gezeigt und eine psychotherapeutische Verhaltenstherapie begonnen hatte – wurde die ursprüngliche Strafe des Amtsgerichts nicht geändert. Dies warf Fragen auf, da der Angeklagte das Recht hat zu erfahren, warum er trotz der hinzugekommenen Strafmilderungsgründe genauso hart bestraft wird wie in der Vorinstanz.

Bedeutung der spezialpräventiven Wirkung

Besonders bemerkenswert ist, dass das Gericht betonte, dass eine angemessene Begründung für die Strafzumessung auch notwendig ist, um die spezialpräventive Wirkung der Verurteilung zu gewährleisten. Wenn die Strafe eines Angeklagten trotz unterschiedlicher, für die Strafzumessung relevanter Umstände gleich bleibt, kann dies die Wirkung der Verurteilung in Frage stellen.

Infolgedessen wurde das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Neuruppin zurückverwiesen. Dieser Fall unterstreicht die Wichtigkeit einer gründlichen und transparenten Begründung in der Strafzumessung.

Rechtsstaatlichkeit: Der Angeklagte hat das Recht zu verstehen

Dieser Fall wirft ein Schlaglicht auf einen wichtigen Aspekt der Rechtsstaatlichkeit: Der Angeklagte hat das Recht, zu verstehen, warum er eine bestimmte Strafe erhält. Dies gilt insbesondere, wenn neue Umstände – wie in diesem Fall ein Geständnis und der Beginn einer Therapie – hinzukommen, die eine Milderung der Strafe rechtfertigen könnten.

Die Lehren aus diesem Fall: Transparenz und gründliche Begründung

Die Lehren aus diesem Fall sind klar: Die Strafzumessung ist ein komplexer Prozess, der eine gründliche und transparente Begründung erfordert. Gerichte müssen nicht nur sicherstellen, dass sie die relevanten Umstände berücksichtigen, sondern auch, dass sie ihre Entscheidungen in einer Weise begründen, die für den Angeklagten nachvollziehbar ist. Andernfalls könnte die Wirkung der Verurteilung – insbesondere ihre spezialpräventive Wirkung – in Frage gestellt werden.

Dieser Fall zeigt auch, dass das Rechtssystem Mechanismen bietet, um sicherzustellen, dass Gerichtsentscheidungen gründlich überprüft werden können. Die Möglichkeit der Revision ist ein wichtiges Instrument, um sicherzustellen, dass Gerichte ihre Entscheidungen sorgfältig begründen und die Rechte der Angeklagten wahren.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 1 OLG 53 Ss 97/21 – Beschluss vom 22.11.2021

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 28. Juni 2021 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Neuruppin zurückverwiesen.

Gründe

I.

Der Angeklagte ist mit Urteil des Amtsgerichts Perleberg -Strafrichter- vom 17. Dezember 2020 wegen Beleidigung in 3 Fällen und wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt worden.

Seine hiergegen gerichtete, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung hat die 4. kleine Strafkammer des Landgerichts Neuruppin am 28. Juni 2021 als unbegründet verworfen.

Die gegen das landgerichtliche Urteil gerichtete Revision des Angeklagten rügt die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Die Revision des Angeklagten ist gemäß den §§ 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht angebracht worden. Sie hat auch mit der Sachrüge Erfolg.

1. Der Schuldspruch war bereits durch die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten in Rechtskraft erwachsen.

2. Der Rechtsfolgenausspruch hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.

Die Strafzumessung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Die Strafkammer hat – insoweit rechtsfehlerfrei – zu Gunsten des Angeklagten ausgeführt, dass er sich – anders als im erstinstanzlichen Verfahren – nunmehr geständig eingelassen und auch reuig gezeigt habe. Diesem Umstand hat die Kammer jedoch mit Blick auf die erdrückende Beweislage und die Feststellungen erster Instanz nur ein geringes Gewicht beigemessen. Zu seinen Gunsten hat die Kammer aber in erheblicherem Umfang gewertet, dass der Angeklagte sich in eine psychotherapeutische Verhaltenstherapie begeben habe und diese nunmehr seit mehreren Monaten regelmäßig wahrnehme, um eine bessere Kontrolle über seine Impulsivität zu erlangen.

Gleichwohl hat die Strafkammer dieselben Einzelstrafen und dieselbe Gesamtfreiheitsstrafe festgesetzt, wie das Amtsgericht.

Beleidigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte
(Symbolfoto: meeruf/123RF.COM)

Dies ist in der vorliegenden Fallkonstellation erklärungsbedürftig. Die Bewertung der Tat und die Strafzumessung in der ersten Instanz sind zwar kein Maßstab für die Strafzumessung im Berufungsverfahren, weshalb eine Herabsetzung der Strafe im Fall der Verringerung des Schuldumfangs bzw. des Hinzutretens neuer Milderungsgründe nicht zwingend ist. Erforderlich ist aber eine Begründung. Der Angeklagte hat einen Anspruch darauf zu erfahren, warum er trotz Hinzukommens erheblicher Strafmilderungsgründe gleich hoch bestraft wird wie in der Vorinstanz (vgl. BGH NJW 1983, 54 und NStZ-RR 2013, 113; KG Berlin, Beschluss vom 7. Juli 1997 – [3] 1 Ss 124/97 [52/97] – m.w.N.; OLG München NJW 2009, 160; OLG Bamberg NStZ-RR 2012, 138 m.w.N.; KG Berlin, Beschluss vom 14. Juli 2020 – (4) 161 Ss 33/20 (43/20) –). Die besondere Begründung einer solchen Strafzumessung ist auch deshalb erforderlich, weil anderenfalls die spezialpräventive Wirkung der Verurteilung von vornherein in Frage gestellt sein kann. Wird in verschiedenen Abschnitten ein und desselben Verfahrens die Tat eines Angeklagten trotz unterschiedlicher für die Strafzumessung bedeutsamer Umstände ohne ausreichende Begründung mit der gleich hohen Strafe belegt, so kann auch bei einem verständigen Angeklagten der Eindruck entstehen, dass die Strafe nicht nach vom Gesetz vorgesehenen oder sonst allgemein gültigen objektiven Wertmaßstäben bestimmt wurde (vgl. BGH aaO; OLG München aaO). Eine Begründung der Verhängung einer identischen Strafe trotz wesentlicher Veränderung der für die Strafzumessung relevanten Gesichtspunkte ist allenfalls in Ausnahmefällen entbehrlich, in denen eine Gefährdung der spezialpräventiven Wirkung ausgeschlossen erscheint, weil etwa die durch den Vorderrichter verhängte Strafe offensichtlich im unteren Bereich des Vertretbaren gelegen hatte (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 7. April 2016 2 [6] Ss 110/16 – AK 41/16 [juris] m.w.N.; OLG Bamberg aaO m.w.N.). Eine solche Konstellation liegt hier aber gerade nicht vor.

Da das angefochtene Urteil eine entsprechende Begründung vermissen lässt, unterlag es der Aufhebung im Rechtsfolgenausspruch.

b) Rechtsfehlerhaft ist zudem, dass die Kammer im Urteil weder den möglicherweise drohenden Widerruf der wegen vorhergehender Verurteilungen laufenden Strafaussetzungen zur Bewährung, mithin das Gesamtstrafübel erörtert hat (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 30. Juni 2009 – 2 Ss 200/09; BGH, Beschluss vom 09. September 2020 – 2 StR 281/20 -) noch bei ihrer Entscheidung die Tatsache, dass der Angeklagte erstmals eine Haftstrafe würde verbüßen müssen, im Blick hatte.

c) Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass die neue zur Entscheidung berufene Kammer sich damit auseinanderzusetzen haben wird, inwieweit insbesondere durch die Erteilung einer Therapieweisung sowie Weisungen nach § 56c Abs. 2 Nr.1, 2 StGB die Voraussetzungen für eine günstige Kriminalprognose geschaffen werden können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 1991 – 4 StR 440/91, BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 21, und vom 19. März 2013 – 5 StR 41/13, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Sozialprognose 5; BGH, Beschluss vom 13. Januar 2015 – 4 StR 445/14 –).

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