Übersicht
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- BGH-Paukenschlag: Cannabis bleibt für Deutschlands Strafrecht ein Betäubungsmittel
- Die unerwartete Wendung: Ein neues Gesetz stellt alles auf den Kopf
- Deutschlands langer Arm: Warum deutsches Recht auch in Holland galt
- Ein milderes Gesetz: Wie die Cannabis-Legalisierung die Strafe dennoch beeinflusst
- Was diese Entscheidung für Ihren Alltag bedeutet
- Häufig gestellte Fragen zum Urteil über den internationalen Cannabishandel
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Ich bin verwirrt: Der Artikel sagt, Cannabis sei kein „Betäubungsmittel“ mehr, aber das Gericht verurteilt die Männer trotzdem deswegen. Was stimmt denn nun?
- Die ursprüngliche Haftstrafe wurde aufgehoben. Könnten die Männer in der neuen Verhandlung trotzdem wieder die gleiche Strafe bekommen?
- Die Tat fand komplett in den Niederlanden statt. Bedeutet das Urteil, dass ich mich strafbar mache, wenn ich dort legal erworbenes Cannabis für meinen Eigenbedarf kaufe und mit nach Deutschland bringe?
- Ein Bekannter von mir wurde vor einem Jahr wegen eines Cannabis-Delikts verurteilt. Kann er aufgrund dieses Urteils und des neuen Gesetzes jetzt auch auf eine mildere Strafe hoffen?
- Warum ist die Änderung im Schuldspruch von „Handel mit Betäubungsmitteln“ zu „Handel mit Cannabis“ so wichtig? Das klingt nach reiner Wortklauberei.
- BGH zieht klare Grenze: Legalisierung endet am Schlagbaum

Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Der BGH hat entschieden: Cannabis bleibt für die internationale Strafverfolgung (§ 6 Nr. 5 StGB) ein Betäubungsmittel, trotz teilweiser Legalisierung durch das KCanG.
- Deutsche Gerichte können daher grenzüberschreitenden Cannabis-Handel, der auf Deutschland abzielt, weiterhin verfolgen.
- Diese Auslegung basiert auf der „autonomen“ Bedeutung des Begriffs „Betäubungsmittel“ im StGB, unabhängig vom BtMG, und internationalen Abkommen.
- Für die Strafzumessung ist jedoch das mildere Konsumcannabisgesetz (KCanG) statt des alten Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) anzuwenden (§ 2 Abs. 3 StGB).
- Dies führt zur Aufhebung bestehender Strafen und zur Neuverhandlung unter den potenziell günstigeren Bedingungen des KCanG.
- Praktischer Hinweis: Kommerzieller grenzüberschreitender Cannabis-Handel bleibt hochriskant und strafbar; laufende Verfahren profitieren von der neuen, milderen Rechtslage.
Quelle: Bundesgerichtshof, Beschluss Az.: 3 StR 399/24 vom 5. März 2025
BGH-Paukenschlag: Cannabis bleibt für Deutschlands Strafrecht ein Betäubungsmittel
Anfang 2020 schien für Herrn H. ein lukratives Geschäftsmodell in greifbarer Nähe. Gemeinsam mit einem Hintermann namens „N.“ plante er, von den Niederlanden aus den deutschen Cannabis-Markt zu bedienen. Die Arbeitsteilung war klar: „N.“, organisierte das Marihuana, Herr H. war der Mann vor Ort im niederländischen R., der die Übergaben mit den deutschen Käufern abwickelte. Für seine Dienste sollte er 300 € pro Geschäft erhalten. Sein Nachbar, Herr T., half ihm dabei, ohne selbst finanziell zu profitieren.
Das Geschäft lief an. Am 28. März 2020 fand die erste große Übergabe statt. Herr T. chauffierte die deutschen Abnehmer zu einem Treffpunkt, wo Herr H. ihnen mindestens fünf Kilogramm Marihuana mit einem hohen Wirkstoffgehalt von mindestens 500 Gramm THC aushändigte. Im Gegenzug erhielt er 22.000 € in bar für seinen Boss. Wenige Wochen später, am 10. April 2020, folgte der zweite Deal. Diesmal stellte Herr T. sein eigenes Haus für die Übergabe von 2,5 Kilogramm Marihuana zur Verfügung. Der Preis: 11.000 €. Doch dieses Mal ging etwas schief. Auf dem Rückweg nach Deutschland wurden die Käufer von der Polizei gestoppt und die Drogen sichergestellt.
Für die beiden Männer aus den Niederlanden hatte dies gravierende Folgen. Das Landgericht Duisburg verurteilte Herrn H. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Herr T. erhielt wegen Beihilfe eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten.
Doch während ihr Fall den Weg zum Bundesgerichtshof (BGH) fand, änderte sich in Deutschland die Rechtslage grundlegend: Zum 1. April 2024 trat das Konsumcannabisgesetz in Kraft. Plötzlich war die Substanz, mit der die Männer gehandelt hatten, in Deutschland teilweise legal. Für die Angeklagten und ihre Anwälte tat sich eine entscheidende Frage auf: Konnten sie für den Handel mit einer Substanz, die nun kein „Betäubungsmittel“ mehr war, überhaupt noch nach altem, strengerem Recht verurteilt werden?
Die unerwartete Wendung: Ein neues Gesetz stellt alles auf den Kopf
Als die Anwälte von Herrn H. und Herrn T. Revision beim Bundesgerichtshof einlegten, dem höchsten deutschen Strafgericht, ahnten sie wohl nicht, wie sehr eine politische Entscheidung ihr juristisches Ringen beeinflussen würde. Mitten im laufenden Verfahren trat das Konsumcannabisgesetz, kurz KCanG, in Kraft. Dieses Gesetz nahm Cannabis aus der Liste der verbotenen Substanzen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG).
Hier kommt ein fundamentaler Grundsatz des deutschen Strafrechts ins Spiel, der für jeden Bürger von Bedeutung ist: das Prinzip des mildesten Gesetzes, verankert in § 2 Absatz 3 des Strafgesetzbuches (StGB). Es besagt vereinfacht: Ändert sich ein Gesetz zwischen der Tat und der endgültigen Verurteilung, muss das Gericht das für den Angeklagten günstigere, also mildere, Gesetz anwenden.
Man kann sich das wie eine Preisänderung im Supermarkt vorstellen. Wenn Sie gestern eine Ware für 100 € in den Einkaufswagen gelegt haben, heute an der Kasse aber ein neues Preisschild mit 80 € daran klebt, müssen Sie nur die 80 € bezahlen. Für Herrn H. und Herrn T. bedeutete dies, dass der BGH nicht einfach das Urteil des Landgerichts Duisburg bestätigen oder verwerfen konnte.
Die Richter mussten prüfen, ob das neue KCanG mit seinen teils deutlich niedrigeren Strafen für Cannabis-Delikte nicht die neue, maßgebliche „Preisliste“ für die Taten der beiden Männer war. Diese Pflicht zur Prüfung des neuen Rechts ist ein starkes Schutzrecht für jeden Angeklagten und stellt sicher, dass niemand nach Maßstäben bestraft wird, die der Gesetzgeber selbst inzwischen für überholt hält. Die zentrale Frage für die Angeklagten war also, ob dieses neue, mildere Gesetz auf ihre alten Taten anwendbar war – und das hing von einer noch viel grundlegenderen Frage ab.
Deutschlands langer Arm: Warum deutsches Recht auch in Holland galt
Die Taten von Herrn H. und Herrn T. fanden ausschließlich in den Niederlanden statt. Normalerweise gilt das sogenannte Territorialprinzip: Ein Staat bestraft nur Taten, die auf seinem eigenen Gebiet begangen werden. Warum also konnte ein deutsches Gericht die beiden überhaupt verurteilen? Die Antwort liegt in einer speziellen Vorschrift, dem § 6 Nummer 5 StGB. Diese Norm ist Ausdruck des sogenannten Weltrechtsprinzips und erlaubt der deutschen Justiz, Taten auch im Ausland zu verfolgen, wenn es um besonders schützenswerte Rechtsgüter geht – wie die Bekämpfung des internationalen Drogenhandels. Man kann es sich wie eine internationale Nachbarschaftswache für besonders schwere Kriminalität vorstellen, an der sich Deutschland beteiligt.
Die Kernfrage: Ist Cannabis für das StGB noch ein „Betäubungsmittel“?
Mit dem Inkrafttreten des KCanG entstand hier ein juristisches Dilemma, das unter Experten für heftige Debatten sorgte. § 6 Nr. 5 StGB erlaubt die Strafverfolgung für den „unbefugten Vertrieb von Betäubungsmitteln“. Doch Cannabis war ja gerade aus dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) gestrichen worden.
Die Anwälte der Angeklagten argumentierten folgerichtig: Wenn Cannabis kein Betäubungsmittel mehr ist, dann greift § 6 Nr. 5 StGB nicht. Und wenn diese Vorschrift nicht greift, ist die deutsche Justiz für eine Tat in den Niederlanden gar nicht zuständig. Der Fall hätte eingestellt werden müssen.
Andere Juristen vertraten die Gegenmeinung: Der Begriff „Betäubungsmittel“ im Strafgesetzbuch müsse unabhängig von der Liste im BtMG ausgelegt werden. Es ging also um die entscheidende Frage: Ist der Begriff „Betäubungsmittel“ im gesamten deutschen Recht einheitlich definiert oder kann er in verschiedenen Gesetzen unterschiedliche Bedeutungen haben?
Die BGH-Antwort: Ein Wort, zwei Bedeutungen
Der BGH schlug sich in seiner richtungsweisenden Entscheidung auf die Seite der zweiten Meinung und lieferte eine detaillierte Begründung, warum Cannabis für die Zwecke der internationalen Strafverfolgung weiterhin als Betäubungsmittel gilt. Das ist, als ob das Wort „Bank“ in einem Gesetz eine Parkbank und in einem anderen Gesetz ein Geldinstitut meint. Man muss immer den Kontext des jeweiligen Gesetzes betrachten.
Die Richter stützten ihre Argumentation auf mehrere Säulen, die sie sorgfältig abwägten:
- Der Wortlaut des BtMG: Das Betäubungsmittelgesetz selbst schränkt seine Definition ein. In § 1 Absatz 1 BtMG heißt es, Betäubungsmittel seien die Stoffe in den Anlagen „im Sinne dieses Gesetzes„. Der BGH folgerte daraus: Diese Definition gilt eben nur für das BtMG und nicht automatisch für andere Gesetze wie das Strafgesetzbuch.
- Der Wille des Gesetzgebers: Als die Bundesregierung das KCanG einführte, begründete sie ihre Zuständigkeit mit dem Verfassungsartikel zum „Betäubungsmittelrecht“. Der Gesetzgeber selbst sah Cannabis also weiterhin als Substanz, die unter diesen Oberbegriff fällt, auch wenn er sie anders regulieren wollte.
- Internationale Verpflichtungen: Der § 6 Nr. 5 StGB dient auch der Umsetzung internationaler Abkommen zur Drogenbekämpfung. Diese Abkommen, die auch die Niederlande unterzeichnet haben, listen Cannabis explizit als zu bekämpfende Substanz. Der BGH betonte, dass Deutschland sich nicht einfach aus dieser internationalen Verantwortung zurückziehen kann, nur weil die nationale Politik geändert wurde.
- Der Zweck des KCanG: Selbst das neue Cannabisgesetz verfolgt laut seiner eigenen Begründung das Ziel des Gesundheitsschutzes und will den Konsum keineswegs verharmlosen, sondern nur kontrollieren und den Schwarzmarkt austrocknen. Die Strafbarkeit des unkontrollierten Handels passt also weiterhin zu diesem Ziel.
Für Herrn H. und seinen Helfer T. war diese Feststellung des Gerichts ein herber Dämpfer. Ihre Hoffnung, dass sich die deutsche Justiz für unzuständig erklären würde, zerschlug sich. Der BGH stellte unmissverständlich klar: Der Begriff der Betäubungsmittel in § 6 Nr. 5 StGB umfasst auch nach Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes die Rauschmittel Cannabis und Marihuana. Damit war der Weg frei, die Taten der beiden Männer weiterhin nach deutschem Recht zu beurteilen.
Ein milderes Gesetz: Wie die Cannabis-Legalisierung die Strafe dennoch beeinflusst
Nachdem der BGH geklärt hatte, DASS deutsches Recht anwendbar ist, musste er nun klären, WELCHES deutsche Recht anzuwenden ist. Hier kam das bereits erwähnte Prinzip des mildesten Gesetzes (§ 2 Abs. 3 StGB) wieder voll zum Tragen. Die Richter mussten die alte Rechtslage nach dem BtMG mit der neuen nach dem KCanG vergleichen.
Vom Betäubungsmittelgesetz zum Konsumcannabisgesetz
Nach alter Rechtslage waren die Taten von Herrn H. als „Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“ gemäß § 29a BtMG zu werten. Dieses Verbrechen sieht einen Strafrahmen von nicht unter einem Jahr Freiheitsstrafe vor, in der Praxis bei diesen Mengen oft deutlich mehr. Das neue § 34 KCanG sieht für das Handeltreiben mit Cannabis zwar ebenfalls Strafen vor, diese sind aber in der Regel milder, insbesondere gibt es keinen so hohen Mindeststrafrahmen für den Normalfall.
Der BGH kam daher zu einem klaren Ergebnis: Das KCanG ist im Vergleich zum BtMG für die Taten von Herrn H. und Herrn T. das mildere Gesetz. Die Konsequenz dieser Feststellung war tiefgreifend und zeigt, wie präzise das Rechtssystem arbeitet.
Die Konsequenz: Neuer Schuldspruch, neue Strafverhandlung
Der Bundesgerichtshof konnte das Urteil des Landgerichts nicht einfach nur in der Strafhöhe anpassen. Da die rechtliche Grundlage eine völlig andere war, musste er das Urteil in mehreren Schritten korrigieren.
Zuerst änderte der BGH den Schuldspruch. Herr H. war nun nicht mehr des „Handeltreibens mit Betäubungsmitteln“, sondern des „Handeltreibens mit Cannabis“ schuldig. Herr T. entsprechend der „Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis“. Dies mag wie eine Wortklauberei klingen, ist aber juristisch von enormer Bedeutung, da es die genaue Straftat bezeichnet, für die eine Strafe verhängt werden darf.
Zweitens hob der BGH den gesamten Strafausspruch auf – die drei Jahre Haft für Herrn H. und die Bewährungsstrafe für Herrn T. waren vom Tisch. Der Grund: Das Landgericht hatte seine Strafen auf Basis des strengeren BtMG bemessen. Es war nicht auszuschließen, dass es bei Anwendung des milderen KCanG zu einer niedrigeren Strafe gekommen wäre. Dieser Vorgang ist nicht mit einem Rabatt auf einen Kaufpreis vergleichbar. Es ist eher so, als würde man feststellen, dass ein Gegenstand nicht in die Luxus-, sondern in die Standardkategorie gehört und deshalb der Preis von Grund auf neu kalkuliert werden muss.
Das bedeutet für die beiden Männer eine zweite Chance vor Gericht. Der Fall wird nun an eine andere Kammer des Landgerichts Duisburg zurückverwiesen. Diese muss, basierend auf den neuen Schuldsprüchen, eine komplett neue Strafe finden. Dabei sind die Richter an die Fakten des ersten Urteils gebunden – das Fundament des Hauses bleibt also stehen –, aber sie müssen das Strafmaß innerhalb des neuen, milderen Rahmens des KCanG völlig neu bewerten.
Was sind „Feststellungen“?
Wenn ein höheres Gericht ein Urteil aufhebt, bleiben die vom unteren Gericht festgestellten Tatsachen (die „Feststellungen“) oft bestehen. Das bedeutet, dass der neue Prozess nicht bei null anfängt. Zeugen müssen nicht erneut vernommen und Beweise nicht neu ausgewertet werden, solange die ursprüngliche Beweisaufnahme fehlerfrei war. Das neue Gericht baut auf diesen Fakten auf und wendet nur das Recht neu an, in diesem Fall bei der Strafzumessung.
Was diese Entscheidung für Ihren Alltag bedeutet
Auch wenn Sie nicht vorhaben, in den Drogenhandel einzusteigen, hat diese BGH-Entscheidung wichtige Botschaften, die das Verhältnis von Recht, Gesetzgebung und internationaler Strafverfolgung beleuchten.
Grenzüberschreitender Handel bleibt hochriskant
Die wichtigste Erkenntnis für jeden ist: Die teilweise Legalisierung von Cannabis in Deutschland ist kein Freibrief für grenzüberschreitende Geschäfte. Wer im Urlaub in den Niederlanden oder einem anderen Land, in dem Cannabis toleriert wird, auf die Idee kommt, für sich oder Freunde zu Hause „etwas mitzubringen“, begeht weiterhin eine Straftat, nämlich die illegale Einfuhr. Die vorliegende Entscheidung zementiert, dass insbesondere der kommerzielle Handel, der im Ausland beginnt und auf den deutschen Markt zielt, mit aller Härte von der deutschen Justiz verfolgt werden kann. Machen Sie sich bewusst, dass die deutsche Justiz auch Taten im Ausland verfolgen kann, wenn ein ausreichender Bezug zu Deutschland besteht – etwa, weil die Drogen für den Verkauf hier bestimmt sind. Ein typischer Fehler ist die Annahme, dass das Recht des Landes, in dem man sich befindet, das einzige ist, das zählt.
Die Tücken der „autonomen Auslegung“
Das Urteil ist ein Lehrstück darin, dass juristische Begriffe nicht immer das bedeuten, was man auf den ersten Blick vermutet. Dass „Betäubungsmittel“ nicht gleich „Betäubungsmittel“ ist, zeigt die Komplexität unseres Rechtssystems. Dieses Prinzip der autonomen Auslegung, also der eigenständigen Bedeutung eines Begriffs innerhalb eines Gesetzes, gibt es auch in anderen Rechtsbereichen. So ist ein „Mangel“ im Mietrecht (z.B. eine kaputte Heizung) etwas anderes und hat andere Folgen als ein „Mangel“ im Kaufrecht (z.B. ein Kratzer am neuen Auto). Seien Sie daher vorsichtig, wenn Sie versuchen, Begriffe aus einem rechtlichen Kontext auf einen anderen zu übertragen. Im Zweifel ist immer der spezifische Anwendungsbereich eines Gesetzes entscheidend.
Laufende Verfahren und die Chance auf mildere Strafen
Für Menschen, die vor dem 1. April 2024 wegen eines Cannabis-Delikts angeklagt oder noch nicht rechtskräftig verurteilt wurden, ist das Urteil eine gute Nachricht. Es bestätigt, dass die Gerichte verpflichtet sind, das mildere KCanG anzuwenden. Wenn Sie oder ein Angehöriger betroffen sind, ist es absolut entscheidend, dass Ihr Anwalt die Anwendung des neuen Rechts prüft und vor Gericht aktiv einfordert. Dies kann, wie im Fall von Herrn H. und T., zu einer Aufhebung der Strafe und einer neuen, potenziell milderen Verhandlung führen. Versäumen Sie es nicht, auf dieser Neubewertung zu bestehen, da dies einen erheblichen Unterschied im Ergebnis ausmachen kann. Ein typischer Fehler wäre es, ein altes Urteil einfach zu akzeptieren, ohne die Möglichkeiten durch die neue Gesetzeslage prüfen zu lassen.
Auch wenn Sie nur kleine Mengen für den Eigenbedarf besessen haben, die nach altem Recht noch strafbar waren, nach neuem aber nicht mehr, kann das KCanG zur Einstellung des Verfahrens führen. Klären Sie daher unbedingt Ihre rechtliche Position mit einem spezialisierten Anwalt. Die Komplexität des Übergangsrechts macht professionelle Beratung unerlässlich, um keine Nachteile zu erleiden. Achten Sie darauf, dass alle Aspekte Ihres Falles unter dem Prisma des neuen, günstigeren Gesetzes neu beleuchtet werden.
Häufig gestellte Fragen zum Urteil über den internationalen Cannabishandel
Nachfolgend beantworten wir die häufigsten Fragen zu unserem Artikel über das BGH-Urteil und dessen Auswirkungen für Sie.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Ich bin verwirrt: Der Artikel sagt, Cannabis sei kein „Betäubungsmittel“ mehr, aber das Gericht verurteilt die Männer trotzdem deswegen. Was stimmt denn nun?
Diese Frage trifft den Kern der BGH-Entscheidung und ist ein perfektes Beispiel dafür, wie juristische Begriffe funktionieren. Die Richter stellten klar, dass ein Wort in verschiedenen Gesetzen unterschiedliche Bedeutungen haben kann – man nennt dies eine „autonome Auslegung“. Konkret bedeutet das: Für das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) wurde Cannabis gestrichen und ist dort kein Betäubungsmittel mehr. Für das Strafgesetzbuch (StGB), speziell für den Paragrafen zur Verfolgung von internationalem Drogenhandel (§ 6 Nr. 5 StGB), gilt Cannabis aber weiterhin als Betäubungsmittel. Der BGH begründet dies damit, dass dieser Paragraf internationale Abkommen umsetzt und Deutschland sich nicht aus der Verantwortung zur Bekämpfung des organisierten Handels zurückziehen kann, nur weil die nationale Politik für den Eigenkonsum geändert wurde.
Die ursprüngliche Haftstrafe wurde aufgehoben. Könnten die Männer in der neuen Verhandlung trotzdem wieder die gleiche Strafe bekommen?
Das ist sehr unwahrscheinlich, denn die ursprüngliche Strafe ist rechtlich „vom Tisch“. Der entscheidende Punkt ist, dass das neue Urteil auf Grundlage des milderen Konsumcannabisgesetzes (KCanG) gefällt werden muss. Dieses Gesetz sieht für das Handeltreiben mit Cannabis in der Regel deutlich niedrigere Strafen vor als das alte Betäubungsmittelgesetz (BtMG). Das neue Gericht ist an die damals festgestellten Tatsachen gebunden, muss die Strafe aber innerhalb des neuen, günstigeren Strafrahmens des KCanG komplett neu bemessen. Das Ziel des Grundsatzes vom „mildesten Gesetz“ ist es gerade, sicherzustellen, dass Angeklagte von einer Gesetzeslockerung profitieren. Eine mildere Strafe ist daher das klar zu erwartende Ergebnis.
Die Tat fand komplett in den Niederlanden statt. Bedeutet das Urteil, dass ich mich strafbar mache, wenn ich dort legal erworbenes Cannabis für meinen Eigenbedarf kaufe und mit nach Deutschland bringe?
Ja, hier ist äußerste Vorsicht geboten. Die Entscheidung des BGH zementiert, dass die deutsche Justiz den grenzüberschreitenden Handel mit Cannabis weiterhin konsequent verfolgt, wenn die Drogen für den deutschen Markt bestimmt sind. Zwar ging es im Urteil um sehr große Mengen, das zugrundeliegende Prinzip gilt aber auch für kleinere Mengen: Die Einfuhr von Cannabis nach Deutschland ist und bleibt eine Straftat, unabhängig davon, ob der Erwerb im Ausland legal war. Das Konsumcannabisgesetz erlaubt den Besitz bestimmter Mengen in Deutschland, aber es schafft keinen legalen Weg, Cannabis aus dem Ausland mitzubringen. Davon ist dringend abzuraten.
Ein Bekannter von mir wurde vor einem Jahr wegen eines Cannabis-Delikts verurteilt. Kann er aufgrund dieses Urteils und des neuen Gesetzes jetzt auch auf eine mildere Strafe hoffen?
Hier muss man sehr genau unterscheiden. Das Prinzip des mildesten Gesetzes gilt für alle Fälle, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Gesetzes am 1. April 2024 noch nicht rechtskräftig abgeschlossen waren. Das betrifft zum Beispiel Fälle, in denen noch ein Berufungs- oder Revisionsverfahren lief. Für solche „offenen“ Fälle muss die Strafe zwingend nach dem neuen, milderen KCanG neu bewertet werden. War ein Urteil zu diesem Stichtag aber bereits rechtskräftig – also alle Rechtsmittelfristen abgelaufen –, kann es im Nachhinein grundsätzlich nicht mehr geändert werden. Eine Ausnahme besteht nur, wenn die Tat nach neuem Recht gar nicht mehr strafbar wäre, was bei vielen Altfällen mit Kleinstmengen zum Eigenbesitz der Fall sein kann und zur Löschung aus dem Bundeszentralregister führen kann.
Warum ist die Änderung im Schuldspruch von „Handel mit Betäubungsmitteln“ zu „Handel mit Cannabis“ so wichtig? Das klingt nach reiner Wortklauberei.
Diese Änderung ist juristisch von fundamentaler Bedeutung und keine bloße Formsache. Ein Gerichtsurteil muss immer absolut präzise sein. Der Schuldspruch benennt die exakte Straftat, für die eine Person verurteilt wird, und verweist auf das entsprechende Gesetz. Da Cannabis seit dem 1. April 2024 nicht mehr im Betäubungsmittelgesetz (BtMG), sondern im Konsumcannabisgesetz (KCanG) geregelt ist, wäre eine Verurteilung wegen „Handels mit Betäubungsmitteln“ schlichtweg falsch. Die Korrektur auf „Handel mit Cannabis“ stellt sicher, dass die Verurteilung auf der korrekten gesetzlichen Grundlage steht. Dies ist wiederum die zwingende Voraussetzung dafür, dass für die anschließende Strafzumessung auch der richtige, nämlich der mildere Strafrahmen des KCanG, angewendet wird. Es geht also um rechtliche Sauberkeit und die Sicherstellung der Fairness für die Angeklagten.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
BGH zieht klare Grenze: Legalisierung endet am Schlagbaum
Dieses Urteil ist eine justizielle Weichenstellung. Der BGH zementiert eine entscheidende Trennlinie: Die innenpolitische Liberalisierung von Cannabis ist kein Freibrief für den grenzüberschreitenden Handel, für den die deutsche Justiz zuständig bleibt. Deutschlands internationale Verpflichtungen zur Drogenbekämpfung haben damit weiterhin Bestand und werden nicht durch die neue nationale Gesetzgebung untergraben.
Gleichzeitig wird das rechtsstaatliche Fairnessprinzip für Altfälle gestärkt, indem das mildere Recht konsequent angewendet wird. Damit schließt das Gericht eine juristische Grauzone und schafft Rechtssicherheit an der sensiblen Schnittstelle von nationaler Drogenpolitik und internationalen Pflichten.