OLG Celle – Az.: 2 Ss 119/20 – Beschluss vom 18.01.2021
Leitsatz:
Die gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO nachzuweisende Vertretungsvollmacht des Verteidigers muss sich ausdrücklich auf die Abwesenheitsvertretung des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung beziehen.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 15. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 22. Oktober 2020 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
GRÜNDE
I.
Mit Urteil vom 22.01.2020 hat das Amtsgericht Hannover -Schöffengericht- den Angeklagten wegen Betrugs in sieben Fällen unter Einbeziehung der Gesamtstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 18.07.2016 (224 Ds 5342 Js 36767/13 (135/13)) und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren neun Monaten sowie darüber hinaus wegen Betruges in zwei Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt.
Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat die 15. kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover mit Urteil vom 22.10.2020 nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen, weil der Angeklagte im Hauptverhandlungstermin ohne Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden sei. Der in der Berufungshauptverhandlung anwesende Verteidiger, der dem Angeklagten mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 21.07.2016 und 8.12.2016 beigeordnet wurde, hatte beantragt, die Hauptverhandlung auszusetzen, hilfsweise zu unterbrechen und ein weiteres ärztliches Gutachten zur Frage der Verhandlungsfähigkeit und Vollzugsfähigkeit einzuholen. Der Angeklagte befinde sich seit dem Vortag der Verhandlung im Krankenhaus. Weiter legte der Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung eine von dem Angeklagten unterschriebene Vollmacht, die auf den 06.10.2018 datiert, vor. In dieser heißt es zu Ziffer 6 der Vollmacht: „Vertretung und Verteidigung in Strafsachen und Bußgeldsachen (§§ 302, 374 StPO, 73, 43 OWiG) einschließlich der Vorverfahren sowie (für den Fall der Abwesenheit) Vertretung nach § 411 Abs. 2 StPO und mit ausdrücklicher Ermächtigung auch nach § 233 Abs. 1, 234 StPO und Stellung von Straf-und anderen nach der Strafprozessordnung zulässigen Anträgen.“
Gegen das Verwerfungsurteil des Landgerichts Hannover vom 22.10.2020 richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
II.
Die gemäß § 333 StPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Revision des Angeklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
1.
Wird mit der Revision gegen ein Verwerfungsurteil die Verletzung des § 329 StPO geltend gemacht, muss die entsprechende Verfahrensrüge gem. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO die den Mangel enthaltenden Tatsachen angeben. Das Revisionsgericht muss allein auf Grund der Begründungsschrift prüfen können, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Revision zutrifft (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 63. Aufl., § 344 Rn. 21 m. w. N.). Danach müssen lückenlos die Tatsachen vorgetragen werden, die das Ausbleiben des Angeklagten genügend entschuldigen, oder die zeigen, dass die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO sonst nicht gegeben waren (vgl. u. a. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 16.9.2019, Aktenzeichen: Ss 44/2019, Rn. 11 zitiert nach juris) Die Verfahrensrüge muss dabei insbesondere ohne Bezugnahmen und Verweisungen begründet werden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 63. Aufl., § 344 a.a.O.).
a)
Soweit der Verteidiger mit der Verfahrensrüge die Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes rügt, ist die Aufklärungsrüge nicht in der nach § 344 Abs. 2 S. 2 StPO gebotenen Form erhoben worden und damit unzulässig.
Die Revisionsbegründung teilt den Inhalt des vom Sachverständigen Dr. XXX am 15.10.2020 erstatteten Sachverständigengutachtens zur Frage der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten nicht vollständig und für den Senat nachvollziehbar mit. Die Mitteilung des vollständigen Inhalts des Sachverständigengutachtens ist dabei für die Beurteilung der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten entgegen der Revisionsbegründung auch für die Beurteilung einer weiteren Aufklärungspflicht des Landgerichts hinsichtlich der geltend gemachten akuten Erkrankung des Angeklagten erforderlich. Dem Senat ist es damit nicht möglich, allein anhand des Beschwerdevorbringens zu prüfen, ob insoweit ein Verfahrensfehler vorliegt.
b)
Soweit mit der Revision weiter gerügt wird, dass dem Verwerfungsurteil Feststellungen zugrunde liegen, die nicht Gegenstand der Hauptverhandlung waren, erweist sich die Verfahrensrüge ebenfalls als unzulässig.
Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls wurde die Sach-und Rechtslage erörtert. Zum Nachweis, ob in der Berufungsverhandlung Feststellungen zu dem bisherigen Prozessverhalten des Angeklagten, wie sie im Urteil zu Grunde gelegt werden, getroffen wurden, wäre daher eine Rekonstruktion der Hauptverhandlung erforderlich. Die Rekonstruktion der Hauptverhandlung im Revisionsverfahren ist hingegen ausgeschlossen (vergleiche Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. A., § 337 Rn. 14 m. w. N.).
c)
Mit der Sachrüge wendet sich der Angeklagte zum einen gegen die Annahme des Berufungsurteils, der Angeklagte sei unentschuldigt ausgeblieben, zum anderen stützt er sich auf eine fehlerhafte Rechtsanwendung des Berufungsgerichts hinsichtlich der Zulässigkeit der Vertretung durch einen Verteidiger.
Die nach § 344 Abs. 2 StPO notwendige Unterscheidung zwischen Sach-und Verfahrensrüge richtet sich allein danach, ob die als verletzt gerügte Norm dem materiellen Recht oder dem Verfahrensrecht zugehörig ist (OLG Köln, NJW 2001,1223, OLG Saarbrücken, a. a. O., Meyer Goßner/Schmidt StPO, 63. Aufl. § 329 Rn. 33). Die Sachrüge kann in die Rüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO umgedeutet werden, sofern sie den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2StPO genügt (vergleiche Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., OLG Saarbrücken, a. a. O).
aa)
Soweit sich der Angeklagte mit der Sachrüge gegen die Annahme des Berufungsurteils, er sei unentschuldigt ausgeblieben, wendet, ist die Sachrüge aus den vorstehenden Gründen in eine Verfahrensrüge umzudeuten, weil die unrichtige Anwendung des § 329 StPO auf den im Urteil festgestellten Sachverhalt erhoben werden soll.
Die Verfahrensrüge ist unzulässig, weil das Revisionsvorbringen den Inhalt des Gutachtens des Sachverständigen vom 15.10.2020 nicht vollständig und nachvollziehbar mitteilt (vergleiche II. 1a)).
bb)
Soweit mit der Revisionsbegründung die fehlerhafte Anwendung des § 329 Absatz 1 Satz 1 StPO gerügt wird, weil der in der Berufungsverhandlung nicht erschienene Angeklagte in zulässiger Weise durch einen Verteidiger vertreten wurde, ist die als allgemeine Sachrüge erhobene Rüge auch insoweit in eine Verfahrensrüge umzudeuten.
(1)
Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben worden.
Zu dem nach § 344 Abs. 2 StPO erforderlichen Vorbringen gehört, dass der Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung erschienen ist, er von dem Angeklagten mit dessen Vertretung in der Berufungsverfahren bevollmächtigt worden ist, er den Angeklagten in der Berufungsverfahren vertreten wollte und er die Vertretungsvollmacht schriftlich nachgewiesen hat (vergleiche OLG Celle, NStZ 2013, 615, OLG Hamm, Beschluss vom 26.02.2019, Az: III-5 RVs 11/19, zitiert nach juris, Rn. 8, OLG Saarbrücken, a. a. O.). Das Vorbringen in der Revisionsbegründung genügt den vorgenannten Anforderungen. Zwar gibt der Verteidiger seine Vollmacht hier lediglich auszugsweise wieder, dies ist aber nach Auffassung des Senates vorliegend ausreichend, da die wiedergegebenen Auszüge der Vollmacht dem Senat die Nachprüfung ermöglichen, ob der Verteidiger vorliegend befugt war, in der Berufungshauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten zu verhandeln.
(2)
Die Verfahrensrüge erweist sich jedoch als unbegründet.
Die dem Verteidiger am 06.10.2018 erteilte Vollmacht berechtigt den Verteidiger nicht zur Vertretung des abwesenden Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung. Das Landgericht hat damit rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte nicht in zulässiger Weise vertreten worden ist.
Eine allgemeine Verteidigervollmacht reicht für die Vertretung in der Berufungshauptverhandlung nicht aus, erforderlich ist vielmehr nach allgemeiner Ansicht eine besondere Vertretungsvollmacht im Sinne einer spezifischen Ermächtigung des Verteidigers, für den Angeklagten verbindlich Erklärung abgeben und wirksam für ihn Erklärungen annehmen zu können, also die Rechtsmacht, den Angeklagten im Prozess in Erklärung und Willen zu vertreten (vergleiche BGHSt 9, 356; KG Berlin, Beschluss vom 01.03.2018, Az: 121 Ss 15/18, Rn. 3, zitiert nach juris, Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 234 Rn. 5 m. w. Nw.). Aus der Pflichtverteidigerbestellung als solcher ergibt sich dabei keine besondere Vertretungsmacht des Verteidigers (vgl. OLG Celle, NStZ 2013, 615 m. w. Nw.). Auch der Pflichtverteidiger benötigt als Beistand des Angeklagten eine ausdrückliche Vertretungsvollmacht. Diese ist gegebenenfalls neu zu erteilen, soweit das Wahlmandat durch die Beiordnung als Pflichtverteidiger erloschen ist (vlg. OLG Celle, a. a. O.).
Hier wurde die Vollmacht erst am 06.10.2018 erteilt und damit nach der erfolgten Bestellung des Verteidigers als Pflichtverteidiger.
Streitig ist allerdings, ob eine Vollmacht, die allgemein „zur Verteidigung und Vertretung“ erteilt wird, für eine Vertretung in der Berufungshauptverhandlung ausreicht (bejahend: OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.12.2016, Az: 1 Ss 178/16, Rn. 14, zitiert nach juris m. w. Nw.), Insoweit wird angeführt, durch die Forderung einer expliziten Ermächtigung zur Vertretung des Angeklagten „in dessen Abwesenheit“ würde der in dem Erfordernis einer gesonderten Bevollmächtigung zu Grunde liegende Schutzgedanke überspannt (vgl. OLG Oldenburg a. a. O.) Dies trägt allerdings der Bedeutung der Übertragung der Vertretungsrechte durch den Angeklagten an den Verteidiger nicht Rechnung. Denn mit der Erteilung einer Vertretungsvollmacht für den Fall einer Abwesenheitsverhandlung überträgt der Angeklagte wichtige Verfahrensrechte wie Anwesenheit und rechtliches Gehör vollständig auf seinen Verteidiger und muss sich an dessen inhaltlichen Erklärung festhalten lassen, als wenn es seine eigenen wären (vgl. KG Berlin, a. a. O.). Diese Konsequenzen wiegen bezogen auf die Berufungshauptverhandlung besonders schwer, da sie den Abschluss der letzten Tatsacheninstanz bildet. Vor dem Hintergrund dieser weitreichenden Folgen ist es nach Auffassung des Senats erforderlich, dass sich die Vollmacht ausdrücklich auch auf die Abwesenheitsverhandlung in der Berufungshauptverhandlung bezieht (vergleiche KG Berlin, a. a. O., OLG Hamm, a. a. O.; OLG Saarbrücken a. a. O., KK-Paul, StPO, 8. A., § 329 Rn. 6) Dies gilt umso mehr, seitdem durch Inkrafttreten der Neuregelung des § 329 StPO am 25.7.2015 weitreichende Rechte zur Vertretung in Abwesenheit des Angeklagten geschaffen wurden. Dies führt dazu, dass eine Abwesenheitsverhandlung auch in Fällen erfolgen kann, in denen erstinstanzlich eine Vertretung des Angeklagten ausgeschlossen ist, insbesondere ist das Berufungsgericht nur an den Strafrahmen des § 24 Abs. 2 GVG und nicht an den des § 233 StPO gebunden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. A., StPO, § 329 Rn. 37 m. w. Nw.).
Die dem Verteidiger des Angeklagten am 06.10.2018 erteilte Vertretungsvollmacht reicht vor diesem Hintergrund zur Vertretung in der Berufungshauptverhandlung nicht aus.
Die vorgelegte Vollmacht bezieht sich in Ziffer 6 schon im Wortlaut nur auf das Verfahren nach Einspruch gegen einen Strafbefehl (§ 411 Abs. 2 StPO) sowie auf die Vorschriften der §§ 233 Abs. 1, 234 StPO. Dem Wortlaut nach handelt es sich dabei auch um eine abschließende Aufzählung, in der § 329 StPO nicht genannt wird. Es ist nicht ersichtlich, dass lediglich eine beispielhafte Aufzählung der Möglichkeiten der Vertretung in Abwesenheit erfolgen sollte. Auch der Verweis in Ziffer 6 der Vollmacht auf die Vorschrift des § 234 StPO führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Die Vorschrift des § 234 StPO knüpft inhaltlich an die Vorschriften der § 231 ff. StPO an, die in Berufungsverfahren nur Anwendung finden, soweit § 329 StPO nicht anwendbar ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt,63. A., StPO, § 332 Rn. 1). Für die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung enthält § 329 Abs. 1 und 2 StPO jedoch spezielle Regelungen (vgl. KG Berlin a. a. O.).
2. Soweit die Sachrüge darüber hinaus in allgemeiner Form erhoben wurde, führt dies nur zur Prüfung, von Verfahrenshindernissen. Verfahrenshindernisse sind vorliegend nicht ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.