Das BayObLG hat das Urteil des Landgerichts Würzburg aufgehoben, da die Festsetzung der Tagessatzhöhe von 50 Euro für eine Geldstrafe nicht hinreichend begründet wurde. Eine Neubewertung durch eine andere Strafkammer des Landgerichts ist erforderlich.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Key Takeaway des Urteils: Das BayObLG hat das Urteil des Landgerichts Würzburg aufgehoben, da die Festsetzung der Tagessatzhöhe von 50 Euro für eine Geldstrafe nicht hinreichend begründet wurde. Eine Neubewertung durch eine andere Strafkammer des Landgerichts ist erforderlich.
Zentrale Punkte aus dem Urteil:
- Aufhebung des Urteils: Das BayObLG hat das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 1. August 2023 aufgehoben.
- Revision des Angeklagten: Der Angeklagte legte erfolgreich Revision ein, wobei er sich auf die fehlerhafte Festsetzung der Tagessatzhöhe berief.
- Unzureichende Begründung der Tagessatzhöhe: Die Festlegung der Tagessatzhöhe von 50 Euro durch das Landgericht wurde als nicht ausreichend begründet angesehen.
- Fehlende Darlegung der Schätzgrundlagen: Das Landgericht versäumte es, die Grundlagen für die Schätzung des erzielbaren Nettoeinkommens des Angeklagten darzulegen.
- Verstoß gegen das Willkürverbot: Die unzureichende Begründung der Tagessatzhöhe wurde als Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot gewertet.
- Berücksichtigung der Einkommenssituation: Das Landgericht berücksichtigte nicht die spezifische Einkommenssituation im Heimatland des Angeklagten.
- Unzulässige Bezugnahme auf früheres Urteil: Die Berufungskammer bezog sich auf ein früheres Urteil, ohne relevante Fakten zu erläutern, was rechtlich unzulässig ist.
- Neuverhandlung erforderlich: Die Sache wurde für eine neue Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Übersicht
Der Fall: Fahrlässiger Gebrauch eines Kraftfahrzeugs ohne Versicherungsschutz
Im Zentrum dieses Falles steht ein Angeklagter, der vom Amtsgericht am 23. März 2023 wegen fahrlässigen Gebrauchs eines Kraftfahrzeugs ohne Versicherungsschutz zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 50 Euro verurteilt wurde. Gegen dieses Urteil legten sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein, die sich ausschließlich auf die Höhe der verhängten Tagessätze konzentrierte. Das Landgericht Würzburg wies diese Berufungen jedoch am 1. August 2023 als unbegründet zurück.
Revision beim BayObLG: Frage der Tagessatzhöhe
Der Angeklagte ergriff die Initiative und reichte eine Revision beim Bayerischen Obersten Landesgericht (BayObLG) ein. Der Kern seiner Revision war die Art und Weise, wie das Landgericht die Tagessatzhöhe festsetzte. Laut dem Angeklagten erfolgte die Festsetzung der Tagessatzhöhe von 50 Euro ohne eine rechtsfehlerfreie Begründung. Das Landgericht stützte sich auf die Annahme, dass der Angeklagte in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebe, ohne jedoch konkrete Schätzgrundlagen für diese Annahme zu liefern.
Kritikpunkte an der Entscheidung des Landgerichts
Das Landgericht versäumte es, das nach § 40 Abs. 2 Satz 1 StGB erzielbare Nettoeinkommen des Angeklagten zu bestimmen, und schätzte dieses pauschal auf 1.500 Euro pro Monat. Diese Schätzung wurde ohne detaillierte Darlegung der zugrunde liegenden Schätzgrundlagen vorgenommen. Dieses Vorgehen wurde nicht nur als ein gesetzliches Begründungsdefizit, sondern auch als Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot angesehen. Zudem wurde die spezifische Einkommenssituation des Angeklagten, der aus einem Land mit bekanntermaßen prekärer Einkommenssituation stammt, bei der Festsetzung der Tagessatzhöhe nicht angemessen berücksichtigt.
BayObLG-Entscheidung: Aufhebung und Rückverweisung
Infolge dieser Mängel hob das BayObLG das angefochtene Urteil auf und verwies den Fall zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Würzburg zurück.
✔ Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt
Wie wird die Höhe eines Tagessatzes bei Geldstrafen bestimmt?
Die Höhe eines Tagessatzes bei Geldstrafen wird in Deutschland gemäß § 40 Abs. 2 Satz 3 StGB bestimmt und muss mindestens einen Euro und maximal 30.000 Euro betragen. Die Höhe des Tagessatzes richtet sich nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters, insbesondere seinem Nettoeinkommen. Um den Tagessatz zu berechnen, wird das monatliche Nettoeinkommen des Täters durch 30 geteilt.
Die Anzahl der Tagessätze, die verhängt werden, hängt von den Tatumständen und den entstandenen Schäden ab. Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 StGB muss die Geldstrafe aus mindestens fünf und höchstens 360 Tagessätzen bestehen.
Die endgültige Geldstrafe wird dann durch Multiplikation der Anzahl der Tagessätze mit der Höhe eines Tagessatzes ermittelt.
Dieses System der Geldstrafen soll sicherstellen, dass Täter unabhängig von ihren finanziellen Verhältnissen gleich hart bestraft werden.
Es ist zu beachten, dass der Täter nicht verpflichtet ist, Angaben zu seinem Einkommen zu machen. Wenn keine Angaben gemacht werden, schätzt das Gericht das Einkommen des Täters.
Es ist auch wichtig zu wissen, dass eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen oder mehr zu einem Eintrag im Führungszeugnis führt, was bedeutet, dass der Täter als vorbestraft gilt.
Inwiefern sind die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Angeklagten für die Strafzumessung relevant?
Die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Angeklagten sind für die Strafzumessung relevant, insbesondere wenn eine Geldstrafe verhängt wird. Die Geldstrafe wird in Tagessätzen bemessen, wobei die Anzahl der Tagessätze die Schwere der Straftat widerspiegelt und unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten ist. Die Höhe eines einzelnen Tagessatzes hingegen wird auf Basis der wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten berechnet.
Die Höhe eines Tagessatzes wird in der Regel durch das durchschnittliche Nettoeinkommen des Angeklagten bestimmt, das er an einem Tag hat oder haben könnte. Hierbei wird das monatliche Nettoeinkommen durch 30 geteilt. Ein Tagessatz kann mindestens einen und höchstens fünftausend Euro betragen.
Wenn der Angeklagte keine Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen macht, kann das Gericht Finanzermittlungen durchführen oder das Einkommen schätzen. Dabei werden auch andere wirtschaftliche Verpflichtungen des Angeklagten berücksichtigt.
Die Geldstrafe soll jeden Angeklagten gleich schwer treffen, unabhängig von seinen wirtschaftlichen Verhältnissen. Daher ist die genaue Bestimmung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten für die Festlegung der Höhe der Geldstrafe von großer Bedeutung.
Es ist auch zu beachten, dass die Schadenswiedergutmachung bei der Berechnung der Tagessatzhöhe eine Rolle spielen kann. Wenn der Angeklagte den von ihm verursachten Schaden wiedergutmacht, kann dies dazu beitragen, den Tagessatz zu reduzieren.
Das vorliegende Urteil
BayObLG – Az.: 202 StRR 76/23 – Beschluss vom 18.10.2023
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 1. August 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Würzburg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten am 23.03.2023 wegen fahrlässigen Gebrauchs eines Kraftfahrzeugs ohne Versicherungsschutz zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 50 Euro verurteilt. Die hiergegen jeweils auf die Höhe des verhängten Tagessatzes beschränkten Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht mit Urteil vom 01.08.2023 als unbegründet verworfen. Mit seiner gegen das Berufungsurteil gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.
II.
Die statthafte (§ 333 StPO) und auch im Übrigen zulässige (§ 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO), wegen der jeweils wirksamen Berufungsbeschränkung des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft auf die Bemessung der Tagessatzhöhe nur noch diese betreffende Revision des Angeklagten ist begründet. Die Berufungskammer hat die Tagessatzhöhe auf 50 Euro festgesetzt, ohne dies rechtsfehlerfrei zu begründen. Die Darlegungen beschränken sich auf den vagen Hinweis, dass der Angeklagte „zuletzt in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen, auch von Ersparnissen, lebte“. Weshalb sich hieraus unter Berücksichtigung des § 40 Abs. 2 StGB eine Tagessatzhöhe von 50 Euro ergeben soll, bleibt im Dunkeln.
1. Das Landgericht unternimmt nicht den Versuch, das nach § 40 Abs. 2 Satz 1 StGB erzielbare Nettoeinkommen zu bestimmen, sondern schätzt ein solches in Höhe von 1.500 Euro pro Monat, ohne auch nur ansatzweise die konkreten Schätzgrundlagen, von denen es ausgeht, darzulegen. Dies stellt nicht nur ein einfach gesetzliches Begründungsdefizit dar, weil das Revisionsgericht nicht in die Lage versetzt wird, die Richtigkeit der getroffenen Entscheidung nachzuprüfen (OLG Köln, Beschluss vom 23.03.2021 – III-1 RVs 50/21 bei juris; KG, Beschluss vom 19.11.2019 – [3] 121 Ss 143 = OLGSt StGB § 219a Nr. 1; MüKo-StGB/Radtke 4. Aufl. § 40 Rn. 121), sondern auch einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschl. v. 01.06.2015 – 2 BvR 67/15 = wistra 2015, 388 = DAR 2015, 576 = NStZ-RR 2015, 335 = NZV 2016, 48 = NStZ-RR 2016, 46 = StV 2016, 554).
2. Das erzielbare Nettoeinkommen in Höhe von 1.500 Euro, das das Landgericht zugrunde gelegt hat, versteht sich auch nicht etwa von selbst. Die Berufungskammer hat von vornherein nicht in ihre Überlegungen eingestellt, dass das erzielbare Nettoeinkommen mit Blick auf die allgemein bekannte, äußerst prekäre Einkommenssituation in dem Heimatland des Angeklagten nicht mit der in der Bundesrepublik Deutschland vorherrschenden durchschnittlichen Einkommenssituation gleichgesetzt werden kann.
3. Soweit die Berufungskammer zusätzlich auf ein Urteil des Amtsgerichts Würzburg vom 18.10.2021 verweist, ohne die sich daraus ergebenden Fakten mitzuteilen, ist dies schon deswegen rechtsfehlerhaft, weil ein Strafurteil aus sich heraus verständlich sein muss (st.Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 17.08.2023 – 2 StR 215/23 bei juris; 13.06.2023 – 1 StR 126/23 = NZWiSt 2023, 376; Urt. v. 22.03.2023 – 6 StR 324/22 = NStZ-RR 2023, 141) und deshalb Bezugnahmen auf Schriftstücke oder andere Urteile außerhalb des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht zulässig sind (vgl. nur BGH, Urt. v. 22.03.2023 – 6 StR 324/22 = NStZ-RR 2023, 141; 10.08.2022 – 6 StR 519/21, bei juris; Beschluss vom 28.06.2022 – 6 StR 511/21 = ZInsO 2022, 1740 = StraFo 2022, 367 = GmbHR 2022, 1033 = wistra 2022, 473 = NStZ-RR 2022, 342).
III.
Aufgrund der aufgezeigten Mängel ist das angefochtene Urteil auf die Revision des Angeklagten mit den Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO) und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere (kleine) Strafkammer des Landgerichts Würzburg zurückzuverweisen.