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Strafschärfung bei laufender Bewährung: Wann muss das Gericht eine Drogentherapie prüfen?

Ein Landgericht in Hagen verhängte eine Haftstrafe, stützte die Strafschärfung bei laufender Bewährung im Strafverfahren jedoch auf unklare Tatsachen. Das gesamte Urteil wurde kassiert, weil die Kammer die zwingende Prüfung der Anordnung einer Drogentherapie im Strafverfahren nicht einmal in Erwägung zog.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 2 ORs 26/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Oberlandesgericht Hamm
  • Datum: 05.06.2025
  • Aktenzeichen: 2 ORs 26/25
  • Verfahren: Revisionsverfahren
  • Rechtsbereiche: Strafrecht, Maßregelrecht

  • Das Problem: Ein verurteilter Angeklagter wehrte sich gegen die Höhe seiner Gesamtfreiheitsstrafe. Er war der Ansicht, das Landgericht habe zu Unrecht eine angeblich laufende Bewährung strafschärfend berücksichtigt und zudem eine mögliche Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht geprüft.
  • Die Rechtsfrage: Sind Gerichte verpflichtet, strafverschärfende Umstände wie eine laufende Bewährung exakt zu belegen? Und muss das Gericht eine Drogentherapie prüfen, wenn ein Angeklagter Drogen konsumiert hat und zur Therapie bereit ist?
  • Die Antwort: Ja, das Gericht gab dem Angeklagten recht. Die Festsetzung der Strafe durch die Vorinstanz war fehlerhaft. Das Gericht muss strafverschärfende Umstände klar belegen und die mögliche Anordnung einer Therapie gründlich prüfen.
  • Die Bedeutung: Die Strafe muss neu verhandelt werden. Die neue Verhandlung muss klären, ob die Bewährung tatsächlich noch lief, und zwingend einen Sachverständigen zur Frage der Unterbringung in einer Therapieanstalt hinzuziehen.

Der Fall vor Gericht


Warum kann ein Rechenfehler ein ganzes Strafurteil kippen?

Ein Mann wurde zu einem Jahr und vier Monaten Gefängnis verurteilt. Ein Teil der Strafe basierte auf einer einfachen Annahme des Landgerichts Hagen: Der Mann habe seine Taten während einer laufenden Bewährung begangen.

Gerichtsdokumente zur Therapie: Das Fehlen einer Prüfung der Entziehungsanstalt führt zur Aufhebung der Strafschärfung.
Fehlende Begründung zur laufenden Bewährung kippt Strafmaß; Nachprüfung von Bewährung und Entziehungsunterbringung erforderlich. | Symbolbild: KI

Das macht die Sache schlimmer. Das erhöht die Strafe. Diese Annahme war das Fundament für die Härte des Urteils. Das Problem war nur – das Gericht lieferte für diese entscheidende Behauptung keinen Beweis. Es legte in seinem Urteil nicht dar, warum die Bewährungszeit überhaupt noch lief. Ein fehlender Beleg, eine Lücke in der Argumentation. Diese Lücke genügte dem Oberlandesgericht Hamm, um das gesamte Strafmaß zu pulverisieren.

Weshalb war die Annahme einer „laufenden Bewährung“ rechtswidrig?

Ein Gericht darf bei der Strafzumessung nur Fakten verwenden, die es nachvollziehbar belegen kann. Der Angeklagte hatte eine frühere Verurteilung aus dem Jahr 2020. Die Bewährungszeit dafür endete ursprünglich im Juli 2023. Später wurde diese Strafe in eine neue Gesamtstrafe umgewandelt. Die entscheidende Frage war: Hat diese Umwandlung die Bewährungszeit verlängert? Lief sie noch, als der Mann im August und Oktober 2023 die neuen Taten beging?

Das Landgericht Hagen behauptete schlicht: Ja. Es versäumte aber, diesen Punkt in seinem Urteil zu begründen. Es erklärte nicht, auf welcher Grundlage es zu diesem Schluss kam. Für das Oberlandesgericht als Prüfinstanz war die Argumentation damit ein Blindflug. Ein Revisionsgericht kann nicht raten oder vermuten. Es muss die Logik des Vorgerichts anhand der schriftlichen Urteilsgründe prüfen können. Fehlt diese Darlegung, ist der darauf gestützte Strafzumessungsgrund – die angeblich laufende Bewährung – illegal. Die Richter machten klar: Selbst wenn eine Bewährungszeit tatsächlich abgelaufen ist und nur noch der formale Beschluss zum Straferlass aussteht, darf dies nicht mehr strafschärfend wirken. Die fehlende Begründung war hier kein Formfehler. Sie war ein schwerer Rechtsfehler, der die gesamte Strafberechnung infizierte.

Welchen zweiten, ebenso gravierenden Fehler machte das Gericht?

Das Urteil litt an einer weiteren, fundamentalen Schwäche. Die Akten zeichneten ein klares Bild. Der Angeklagte konsumierte regelmäßig Cannabis, Amphetamin und Kokain. Eine seiner Taten beging er in einem Zustand erheblicher Berauschung, was seine Steuerungsfähigkeit stark einschränkte. In der Haft zeigte er sich bereit, eine Drogentherapie zu beginnen. Diese Fakten schreien geradezu nach einer bestimmten Prüfung. Das Gesetz sieht für Täter mit einem Suchtproblem, das ihre Straftaten verursacht, eine besondere Maßnahme vor: die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 des Strafgesetzbuches (StGB).

Das Landgericht Hagen ignorierte diesen Punkt fast vollständig. Es hat die Möglichkeit der Therapie nicht ernsthaft geprüft und seine Überlegungen dazu nicht im Urteil dokumentiert. Ein Gericht muss bei so deutlichen Anzeichen für einen „Hang zum übermäßigen Genuss berauschender Mittel“ sein Ermessen ausüben. Es muss abwägen, ob eine Therapie dem Täter und der Gesellschaft nicht mehr nützt als eine reine Haftstrafe. Diese Prüfung einfach zu unterlassen, ist ein Rechtsfehler. Die Bereitschaft des Mannes zur Therapie machte diese Pflicht für das Gericht nur noch dringlicher.

Wie geht es jetzt weiter und was muss das neue Gericht beachten?

Das Oberlandesgericht Hamm hob das Strafmaß komplett auf. Der Fall wurde an eine andere Kammer des Landgerichts Hagen zurückverwiesen. Dort beginnt die Verhandlung über die richtige Strafe von Neuem. Die neuen Richter haben klare Anweisungen erhalten. Zuerst müssen sie lückenlos klären, ob die Bewährung zum Tatzeitpunkt tatsächlich noch lief. Zweitens – und das ist die weitreichendere Anweisung – müssen sie die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gründlich prüfen. Dafür ist die Hinzuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen zwingend, wie es § 246a der Strafprozessordnung (StPO) vorschreibt. Dieser Gutachter wird beurteilen, ob beim Angeklagten ein Hang vorliegt und ob eine Therapie Aussicht auf Erfolg hat. Die Möglichkeit, eine solche Unterbringung anzuordnen, besteht übrigens auch dann, wenn – wie hier – nur der Angeklagte selbst das Rechtsmittel eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 S. 3 StPO). Das neue Urteil wird auf einer vollständig anderen, sorgfältigeren Faktenbasis stehen müssen.

Die Urteilslogik

Eine mangelhafte Begründung oder die Unterlassung einer gesetzlich vorgeschriebenen Abwägung entziehen einem Strafurteil jegliche Rechtsgrundlage und führen zur vollständigen Aufhebung der Strafzumessung.

  • Darlegung von Strafgründen: Gerichte müssen jeden strafschärfenden Umstand, insbesondere die Annahme einer laufenden Bewährungszeit, lückenlos begründen und belegen; fehlen diese Fakten in den schriftlichen Urteilsgründen, darf der Umstand die Strafe nicht erhöhen.
  • Pflicht zur Besserungsprüfung: Zeigt ein Täter einen Hang zum übermäßigen Genuss berauschender Mittel, der seine Straftaten mitverursacht, muss das Gericht die Möglichkeit einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zwingend und umfassend prüfen und dafür einen psychiatrischen Sachverständigen hinzuziehen.
  • Grenze richterlicher Schlussfolgerung: Ein Revisionsgericht kann entscheidende Annahmen des Vorgerichts nicht vermuten oder raten, sondern muss die gesamte Logik der Strafzumessung anhand der schriftlichen Urteilsgründe nachvollziehen können.

Die Sorgfalt in der Feststellung und Begründung der Fakten bildet das unverzichtbare Fundament für die Akzeptanz und die juristische Haltbarkeit jedes Strafurteils.


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Experten Kommentar

Beim Strafrecht gilt: Was nicht belegt und im Urteil detailliert dargelegt wird, existiert für die Revisionsinstanz nicht. Dieses Urteil ist eine klare rote Linie für Gerichte, die Strafschärfungen wie die laufende Bewährung einfach annehmen, ohne die genauen Daten der Fristverlängerung lückenlos zu klären. Darüber hinaus bestätigt der Fall, dass bei einem dokumentierten Drogenproblem die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt keine Option, sondern eine zwingende Prüfpflicht des Gerichts ist. Wer eine Revision vorbereitet, weiß, dass schon ein Rechenfehler oder ein fehlender Absatz im Urteil ein langes Freiheitsurteil komplett kippen kann.


Symbolische Grafik zu FAQ - Häufig gestellte Fragen aus dem Strafrecht" mit Waage der Gerechtigkeit und Gesetzbüchern im Hintergrund

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Wie lange dauert die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB?

Die Unterbringung in der Entziehungsanstalt nach § 64 StGB ist in ihrer Dauer grundsätzlich auf maximal zwei Jahre festgelegt. Für Betroffene ist der größte Vorteil, dass diese Therapiezeit vollständig auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet wird, was zu einer effektiven Verkürzung des Freiheitsentzugs führen kann. Diese Maßregel soll vorrangig die Ursache der Kriminalität – den Suchthang – bekämpfen.

Die Regel lautet: Zwei Jahre sind die Obergrenze für die therapeutische Unterbringung. Dies ist im Strafgesetzbuch klar definiert. Ziel der Maßregel ist es, dass die Heilung und die dadurch bedingte Sicherung der Allgemeinheit innerhalb dieser Frist erfolgreich erreicht werden. Sollte der therapeutische Zweck innerhalb von zwei Jahren nicht erzielt werden, ist eine Verlängerung juristisch zwar möglich, sie wird aber nur selten und unter strengen Auflagen gewährt.

Das zentrale Element des § 64 StGB ist die Anrechnung auf die Strafe. Verläuft die Therapie zweckmäßig und wirkt der Betroffene aktiv mit, zählt jeder Tag der Unterbringung wie ein Tag in Haft. Das bedeutet, Sie müssen die Strafe nicht zusätzlich zur Therapie verbüßen. Scheitert jedoch die Behandlung, beispielsweise durch mangelnde Mitarbeit oder erneuten Drogenkonsum, erfolgt die sofortige Rückverlegung in den regulären Vollzug. Dann muss die noch offene Reststrafe dort verbüßt werden.

Betrachten Sie die Unterbringung als einen therapeutischen Tausch. Sie tauschen die passive Bestrafung der Haft gegen die aktive Arbeit an Ihrer Genesung ein. Funktioniert diese therapeutische Arbeit, ist die Strafe damit erledigt. Schlagen Sie diesen Weg nicht erfolgreich ein oder brechen Sie die Maßnahme ab, müssen Sie den ursprünglichen Weg der Haft fortsetzen.

Der Erfolg hängt entscheidend von der gerichtlichen Erfolgsprognose ab. Fordern Sie deshalb Ihren Anwalt auf, die Akten auf Ihre nachweisliche Bereitschaft zur Drogentherapie zu prüfen. Bestätigen Sie diese Bereitschaft frühzeitig und schriftlich gegenüber dem Gericht. Nur wenn das Gericht die Erfolgsaussicht positiv bewertet und die Kausalität zwischen Sucht und Tat feststellt, kann die Unterbringung überhaupt angeordnet werden.


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Wann gelte ich juristisch als jemand mit einem Hang zum übermäßigen Drogenmissbrauch?

Juristen definieren den „Hang“ zum übermäßigen Drogenmissbrauch nicht nur als Konsum, sondern als eine chronische Suchtanlage, die den Täter ständig oder doch oft zu Straftaten drängt. Die entscheidende Schwelle ist die Kausalität: Es muss nachweisbar sein, dass die Sucht die ursächliche Triebfeder für die Begehung der Straftaten war. Dieser komplexe Zusammenhang setzt eine erhebliche psychische oder physische Abhängigkeit voraus.

Die Regel lautet: Nur wenn die Sucht selbst als Motor der Kriminalität dient, ist die Unterbringung nach § 64 StGB relevant. Ein gelegentlicher Konsum, selbst wenn er bei einer strafbaren Tat vorlag, reicht hierfür nicht aus. Das Gericht muss vielmehr prüfen, ob eine tief verwurzelte Neigung vorliegt, die eine Wiederholungsgefahr begründet, falls keine Therapie erfolgt. Dazu zählen oft Straftaten, die der Beschaffung der Suchtmittel dienen, oder Delikte, die direkt im Zustand erheblicher Berauschung begangen wurden.

Dabei darf der Richter diese Feststellung nicht allein treffen. Das Gesetz sieht zwingend die Hinzuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen vor (§ 246a StPO). Der Gutachter beurteilt anhand der Aktenlage – also der dokumentierten Häufigkeit, Art der Substanzen und Konsumgeschichte – und im direkten Gespräch, ob der Hang besteht und inwieweit er die Steuerungsfähigkeit im Moment der Tat beeinflusst hat.

Ein passender Vergleich ist die Erstellung eines medizinischen Befunds: Genauso wenig wie ein Richter ohne Fachwissen beurteilen kann, ob eine Abhängigkeit das Ausmaß eines juristisch relevanten „Hang“ erreicht hat, kann er ohne Gutachter die komplexen Zusammenhänge von Sucht und Straftat bewerten. Die Aktenlage muss hierzu ein klares Bild zeichnen, quasi wie eine Röntgenaufnahme der Suchtgeschichte des Angeklagten.

Gerade weil die Kausalität so entscheidend ist, sollten Sie alle relevanten Dokumente sammeln. Übermitteln Sie Ihrem Anwalt und dem Gutachter medizinische oder polizeiliche Berichte, die Ihren Konsum und den Grad der Beeinträchtigung Ihrer Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt detailliert belegen. Nur so stellen Sie sicher, dass die Voraussetzungen für die Prüfung des § 64 StGB vollständig erfasst und die Möglichkeit einer Therapie anstelle der regulären Haft ernsthaft geprüft wird.


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Was kann mein Anwalt tun, wenn das Gericht § 64 StGB nicht prüfen will?

Wenn das Gericht bei klaren Suchtanzeichen die Prüfung des § 64 StGB (Unterbringung in einer Entziehungsanstalt) verweigert oder nicht begründet, begeht es einen schwerwiegenden materiellen Rechtsfehler. Ihr Anwalt muss diesen Verstoß sofort im Rahmen einer Revision rügen. Erfolgt diese Rüge präzise, wird das übergeordnete Gericht (oft das Oberlandesgericht) das Strafurteil aufheben und den Fall zur erneuten Prüfung zurückverweisen. Das neue Gericht ist dann zwingend zur Sachverständigenprüfung der Therapieoption verpflichtet.

Juristen nennen das eine Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht. Liegt in den Akten ein klares Bild des chronischen Drogenkonsums und besteht der Verdacht, dass dieser Konsum die ursächliche Triebfeder für Ihre Straftaten war, muss das Gericht die Maßregel der Besserung und Sicherung nach § 64 StGB von Amts wegen prüfen. Diese Pflicht ist nicht optional. Sie dient dem Schutz des Täters und der Gesellschaft, indem sie Heilung und Resozialisierung vor reiner Bestrafung priorisiert.

Wird diese Prüfung unterlassen oder nicht nachvollziehbar im Urteil begründet, ist der Weg zur Korrektur die Revision. Ihr Anwalt muss in der Revisionsbegründung dezidiert darlegen, welche Fakten das Gericht ignoriert hat – zum Beispiel Ihre dokumentierte Therapiebereitschaft, die Häufigkeit des Konsums oder die erhebliche Berauschung zum Tatzeitpunkt. Allein die Existenz dieser Beweise in den Akten macht die Pflichtprüfung zwingend.

Denken Sie an die Situation eines Bauingenieurs: Wenn die Bauordnung vorschreibt, dass bei einem bestimmten Bodentyp zwingend ein Fundamentgutachten eingeholt werden muss, und er baut ohne Gutachten, ist der gesamte Bau rechtswidrig. Im Strafrecht ist die Sachverständigenprüfung nach § 64 StGB bei Suchthinweisen genau dieses zwingende Fundament. Fehlt es, stürzt das gesamte Strafmaß aufgrund des Rechtsfehlers ein.

Sprechen Sie schnellstmöglich mit Ihrem Rechtsbeistand. Fordern Sie eine schriftliche Bestätigung, dass er die Nichtprüfung des § 64 StGB als explizite Verfahrensrüge oder Sachrüge in der Revisionsschrift geltend gemacht hat. Stellen Sie außerdem sicher, dass alle Belege für Ihren Suchthang und Ihre Therapiebereitschaft – das sind die Munition für die Rüge – vollständig im Schriftsatz dokumentiert sind.


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Was ist der Unterschied zwischen der Unterbringung (§ 64 StGB) und § 35 BtMG?

Die zentralen Unterschiede liegen im Zeitpunkt und im juristischen Mechanismus. § 64 StGB ist eine Maßregel, die das Gericht im Urteil anordnet, wenn ein Hang zum Drogenmissbrauch ursächlich für die Tat war, und deren Zeit direkt auf die Freiheitsstrafe angerechnet wird. § 35 BtMG hingegen ist eine Vollstreckungsregelung, die nachträglich die Strafhaft zur Aufnahme einer Therapie zurückstellt. Dies betrifft in erster Linie Täter, die wegen Betäubungsmittel-Delikten verurteilt wurden.

Der Grund für diese juristische Trennung liegt in der Natur der Sanktionen. Juristen nennen die Unterbringung nach § 64 StGB eine Besserungs- und Sicherungsmaßregel. Sie ist ein direktes Instrument des Urteils, das die Ursache der Kriminalität – den Suchthang – behandeln soll, um weitere Straftaten zu verhindern. Dafür muss das Gericht zwingend die Kausalität zwischen Sucht und Tat feststellen, wobei die maximal zweijährige Zeit in der Entziehungsanstalt unmittelbar auf die verhängte Haftstrafe verrechnet wird.

Im Gegensatz dazu behandelt § 35 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) die Frage der Strafvollstreckung. Diese Regelung kommt erst zur Anwendung, wenn das Urteil bereits rechtskräftig ist und die verhängte Freiheitsstrafe nicht mehr als zwei Jahre beträgt. Das Kernelement: Hier muss die Strafe selbst eine Folge eines Betäubungsmittel-Delikts sein. Da die Vollstreckung lediglich zurückgestellt wird, kann die Zeit der Therapie zwar auf die Haft angerechnet werden, dies geschieht aber meist erst auf Antrag und nach einer längeren, erfolgreichen Therapiephase.

Ein passender Vergleich ist der zeitliche Ablauf. Die Unterbringung nach § 64 StGB ist ein im Prozess integrierter Bestandteil des Urteils, vergleichbar mit einem Hauptgang, der sofort serviert wird. Die Anwendung des § 35 BtMG ist hingegen wie ein nachträglicher Antrag auf Verschiebung der Rechnung: Sie müssen die Strafe zwar grundsätzlich antreten, dürfen aber vorerst zur Therapie gehen.

Überprüfen Sie gemeinsam mit Ihrem Anwalt, ob die strengeren Voraussetzungen des § 64 StGB – insbesondere der „Hang“ und die Kausalität zur Straftat – in Ihrem Fall erfüllt sind. Diese Route bietet Ihnen die direktere und sicherere Anrechnung der Therapiezeit, da das Gericht bereits im Urteil die Erfolgsaussicht mit einem Sachverständigen prüfen muss. Falls § 64 StGB nicht greift, kann § 35 BtMG als zweite Option nach Urteilsrechtskraft in Betracht gezogen werden, sofern die Strafhöhe und der BtM-Bezug gegeben sind.


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Welche genauen Fakten belegen, dass meine Bewährungszeit noch strafschärfend läuft?

Wollen Gerichte eine Bewährungszeit strafschärfend werten, müssen sie die Fortdauer dieser Frist lückenlos in den Urteilsgründen darlegen. Dies ist eine absolute Pflicht. Das Gericht muss dazu präzise beweisen, dass die Bewährungszeit zum Zeitpunkt der neuen Tat materiell noch nicht abgelaufen war. Fehlen diese Belege – etwa das Datum der ursprünglichen Verurteilung oder Beschlüsse zur Fristverlängerung – liegt ein schwerwiegender Rechtsfehler vor, der das gesamte Strafmaß zu Fall bringen kann.

Die Regel lautet: Strafzumessungsgründe dürfen niemals auf bloßen Vermutungen beruhen. Die Annahme, eine Tat sei während einer laufenden Bewährung begangen worden, erhöht die Strafe signifikant. Deshalb verlangen Revisionsgerichte höchste Präzision in der Dokumentation. Sie müssen die Logik des Gerichts anhand der schriftlichen Urteilsgründe nachvollziehen können. Relevant sind hierbei alle juristischen Dokumente, die belegen, dass die ursprüngliche Bewährungsfrist durch eine Gesamtstrafenbildung oder eine Verlängerung von Auflagen über den Tatzeitpunkt hinaus formal gültig war.

Ein passender Vergleich ist die Verjährung im Zivilrecht. Sie müssen den genauen Tag kennen, an dem eine Frist abgelaufen ist. Selbst wenn nur noch der formelle Akt des Straferlasses aussteht, die materielle Überwachungszeit aber beendet ist, darf dieser Zustand nicht strafschärfend gewertet werden. Das Gesetz unterscheidet klar zwischen dem formalen Ende der gerichtlichen Überwachung und der tatsächlichen Frist.

Sollten Sie von einer laufenden Bewährung betroffen sein, prüfen Sie die Urteilsgründe sofort auf diese Lücken. Fordern Sie Ihren Anwalt auf, die Akten auf die genauen Daten des ursprünglichen Bewährungsendes und aller verlängernden Beschlüsse hin zu untersuchen. Wenn das Gericht die Fortdauer nicht explizit begründet hat, muss dieser Mangel als Materieller Rechtsfehler gerügt werden, um das Strafmaß anzufechten.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


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Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Hang zum übermäßigen Genuss berauschender Mittel

Der Hang zum übermäßigen Genuss berauschender Mittel beschreibt die juristische Feststellung einer chronischen Suchtanlage, die einen Täter ständig oder doch oft zu Straftaten drängt. Das Gesetz verlangt hierfür die Feststellung einer tief verwurzelten Neigung und der Kausalität zwischen der Sucht und der begangenen Tat, um die Behandlung (Therapie) vor die reine Bestrafung zu stellen.

Beispiel: Im vorliegenden Fall musste das Gericht prüfen, ob der Hang des Angeklagten zu Kokain und Cannabis die ursächliche Triebfeder für seine Straftaten im August und Oktober 2023 war.

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Materieller Rechtsfehler

Ein Materieller Rechtsfehler liegt vor, wenn das Urteil inhaltlich falsche rechtliche Schlussfolgerungen zieht oder wesentliche Tatsachen ignoriert, was die Anwendung des Gesetzes verzerrt. Dieser gravierende Mangel führt zur Aufhebung des Urteils durch das Revisionsgericht, da die richterliche Entscheidung nicht auf einer korrekten Rechtsbasis beruhen kann.

Beispiel: Das Oberlandesgericht Hamm stellte einen materiellen Rechtsfehler fest, weil das Landgericht die zwingende Prüfung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vollständig unterlassen hatte.

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Maßregel der Besserung und Sicherung

Juristen bezeichnen die Maßregel der Besserung und Sicherung als Sanktionen, die nicht primär der Bestrafung dienen, sondern dem Schutz der Allgemeinheit durch die Besserung des Täters, wie etwa die Therapie einer Suchterkrankung. Diese Maßregeln sollen die Ursachen der Kriminalität bekämpfen und Wiederholungsgefahr mindern; sie werden parallel zur Freiheitsstrafe angeordnet und können diese oft ersetzen oder anrechnen.

Beispiel: Die Unterbringung nach § 64 StGB gilt als eine solche Maßregel der Besserung und Sicherung, die dem Angeklagten im vorliegenden Fall eine therapeutische Alternative zur reinen Haftstrafe eröffnete.

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Strafvollstreckungsregelung (§ 35 BtMG)

Die Strafvollstreckungsregelung nach § 35 des Betäubungsmittelgesetzes ist ein nachträgliches Instrument, das es Verurteilten ermöglicht, eine verhängte Freiheitsstrafe zurückzustellen, um zunächst eine Therapie zu absolvieren. Sie dient als zweite Chance, falls die strengeren Kausalitätsvoraussetzungen des § 64 StGB nicht erfüllt sind, wobei hier die Strafe selbst eine Folge eines Betäubungsmittel-Delikts sein muss.

Beispiel: Im Gegensatz zur Unterbringung nach § 64 StGB wird die Therapie nach § 35 BtMG erst nach Rechtskraft des Urteils beantragt und behandelt somit die Vollstreckung und nicht das Urteil selbst.

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Strafzumessung

Strafzumessung ist der Prozess, in dem das Gericht auf Basis aller festgestellten Fakten die konkrete Höhe der Strafe innerhalb des gesetzlichen Rahmens bestimmt. Richter müssen dabei alle strafmildernden und strafschärfenden Faktoren – wie eine laufende Bewährung oder eine eingeschränkte Steuerungsfähigkeit – abwägen und lückenlos begründen, um eine gerechte Strafe zu finden.

Beispiel: Bei der neuen Strafzumessung muss die andere Kammer des Landgerichts Hagen nun zwingend klären, ob die Bewährung zum Tatzeitpunkt noch lief, da dies ein strafschärfendes Element wäre.

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Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB)

Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist eine gerichtliche Maßnahme, die einen suchtkranken Straftäter in eine therapeutische Einrichtung weist, sofern sein Hang zum Drogenmissbrauch ursächlich für die Tat war. Diese Maßnahme ist auf maximal zwei Jahre befristet und soll die Ursache der Kriminalität bekämpfen; die Zeit der therapeutischen Behandlung wird direkt auf die Freiheitsstrafe angerechnet.

Beispiel: Das Landgericht Hagen hatte es versäumt, die Möglichkeit der Unterbringung in der Entziehungsanstalt zu prüfen, obwohl der Angeklagte Anzeichen für einen Hang zeigte und zur Drogentherapie bereit war.

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Das vorliegende Urteil


Oberlandesgericht Hamm – Az.: 2 ORs 26/25 – Beschluss vom 05.06.2025


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