AG Rudolstadt – Az.: 357 Js 3706/12 – 1 Ls jug – Beschluss vom 12.04.2012
Die Anklage der Staatsanwaltschaft Gera vom 29.02.2012 wird zur Hauptverhandlung zugelassen.
Das Hauptverfahren wird vor dem Amtsgericht – Jugendrichter – Pößneck eröffnet.
Gründe
Die Staatsanwaltschaft Gera erhob gegen den heranwachsenden Angeklagten unter dem 29.02.2012 Anklage wegen Diebstahls bei dem Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Rudolstadt. Ihm wird zur Last gelegt, am 23.01.2012 gegen 11.00 Uhr in den Geschäftsräumen des Selbstbedienungsmarkts der Firma „Kaufland“ in der H.straße in G. im Beisein der jungen Volljährigen Jenny T. zwei Flaschen Pfefferminzlikör und ein Milchgetränk zum Gesamtverkaufspreis von 4,39 Euro entwendet zu haben, indem er die alkoholischen Getränke in einem mitgeführten Rucksack verstaute sowie das Milchgetränk in den Geschäftsräumen aus der geöffneten Verpackung trank und anschließend den Kassenbereich ohne Bezahlung passierte.
Zum Jugendschöffengericht (§ 40 Abs. 1 JGG) ist die Anklage zu erheben, wenn die Verhängung einer Jugendstrafe gleich welcher Höhe oder die Aussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe zu erwarten ist. Das ist hier jedoch nicht der Fall.
Nach § 17 Abs. 2 JGG verhängt der Richter Jugendstrafe, wenn wegen schädlicher Neigungen des Jugendlichen oder ihm gleichgestellten Heranwachsenden, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Verwarnung, Erteilung von Auflagen und Jugendarrest zur Erziehung nicht ausreichen oder – was hier offensichtlich ausscheidet – wegen der Schwere der Schuld Jugendstrafe erforderlich ist. Schädliche Neigungen zeigt ein Jugendlicher, bei dem erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel die Gefahr begründen, daß er ohne längere Gesamterziehung durch weitere Straftaten die Gemeinschaftsordnung stören wird (vgl. BGHSt 11, 169, 170; BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schädliche Neigungen 7). Aus dem Begriff der schädlichen Neigungen läßt sich demnach entnehmen, daß die Erziehungsstrafe dem Schutz der Gesellschaft vor weiteren Straftaten des Jugendlichen dienen soll. Erforderlich ist also eine negative Kriminalprognose im Sinne einer persönlichkeitsspezifischen Rückfallgefahr (OLG Hamm, StV 2001, 176, 177; HK JGG-Sonnen, 6. Aufl., § 17 Rn. 19). Diese persönlichkeitsspezifische Rückfallgefahr muß für erhebliche Straftaten bestehen, das heißt, die weiterhin zu befürchtenden Straftaten dürfen nicht ganz unerheblicher Art, also nicht bloß „gemeinlästig“ sein. Zwar können auch leichtere Straftaten ausnahmsweise ein Anzeichen für schädliche Neigungen sein, insbesondere wenn schon früher gleichartige Straftaten begangen wurden. Bei Bagatelldelikten steht jedoch der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip und aus dem Wesen der Grundrechte selbst ergebende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wie er in § 62 StGB geregelt ist, einer Verhängung von Jugendstrafe selbst bei häufiger Begehung entgegen. „Schädlich“ sind Neigungen nur dann, wenn die der Rechtsgemeinschaft künftig drohenden Gefahren von einigem Gewicht sind. Daher ist Jugendstrafe wegen des Hangs zur Begehung von Bagatelldelikten nicht zu rechtfertigen (vgl. Ostendorf, JGG, 8. Aufl., § 17 Rn. 3; Böhm/Feuerhelm, Einführung in das Jugendstrafrecht, 4. Aufl., S. 221; Albrecht, Jugendstrafrecht, 3. Aufl., S. 245; Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, 2. Aufl., Rn. 742; Meier/Rössner/Schöch, Jugendstrafrecht, 2. Aufl., § 11 Rn. 8; Schaffstein/Beulke, Jugendstrafrecht, 14. Aufl., S. 154; Streng, Jugendstrafrecht, 2. Aufl., Rn. 428). Nicht ausreichend ist deshalb die Erwartung fortgesetzter kleinerer Ladendiebstähle (Brunner/Dölling, JGG, 12. Aufl., § 17 Rn. 11; M/R/T/W, JGG, § 17 Rn. 19). Obwohl der Angeklagte bereits wiederholt Diebstähle verübt hat und nach seiner Vorgeschichte einen Hang zu Eigentumsdelikten aufweist, kommt unter Beachtung dieser Grundsätze Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen, selbst wenn die erneute Straftat während des Laufs einer Bewährungszeit begangen wurde, nicht in Betracht. Solche Straftaten mögen gemeinlästig sein, vermögen aber keine schädlichen Neigungen im Sinne des § 17 JGG anzuzeigen (LG Gera, StV 1999, 660, 661).
Da demnach bei Anwendung von Jugendstrafrecht nach § 105 Abs. 1 JGG allenfalls die Verhängung eines Jugendarrests in Frage kommt und sich angesichts des Bagatellcharakters der Tat auch die Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts – Jugendschöffengericht – Rudolstadt vom 22.12.2011, durch welches auf eine Jugendstrafe von einem Jahr und einem Monat unter Strafaussetzung zur Bewährung erkannt worden war, verbietet, weil die Einbeziehung zu einer unverhältnismäßigen Sanktion zwingen würde, war das Hauptverfahren vorliegend vor dem örtlich zuständigen Jugendrichter zu eröffnen.