Ein Verurteilter wehrte sich gegen die Ablehnung seiner Strafaussetzung zur Bewährung bei Freiheitsstrafe durch das Landgericht Rostock. Obwohl die Richter seine negativen Fakten prüften, übersahen sie völlig die zwingend zu berücksichtigenden günstigen aktuellen Lebensumstände.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Wieso musste ein Urteil neu verhandelt werden, nur weil das Gericht etwas nicht aufgeschrieben hat?
- Warum landete ein Mann für eine Körperverletzung gleich dreimal vor Gericht?
- Welche Argumente zählten für das Landgericht gegen eine Bewährung?
- Wo genau lag der Fehler in der Begründung des Landgerichts?
- Wieso hob das Oberlandesgericht das Urteil auf, ohne selbst zu entscheiden?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann wird meine Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt?
- Welche positiven Faktoren muss das Gericht für meine Bewährung prüfen?
- Was ist ein Begründungsmangel bei abgelehnter Strafaussetzung zur Bewährung?
- Was kann ich tun, wenn das Gericht meine positiven Lebensumstände ignoriert hat?
- Wann muss ein Bewährungsurteil durch eine Revision neu verhandelt werden?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 20 ORs 44/24 – 1 Ss 35/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Rostock
- Datum: 23.07.2024
- Aktenzeichen: 20 ORs 44/24 – 1 Ss 35/24
- Verfahren: Revision
- Rechtsbereiche: Strafrecht, Strafvollstreckung
- Das Problem: Ein Mann wurde wegen Körperverletzung zu sechs Monaten Haft verurteilt. Die Vorinstanz lehnte es ab, die Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen. Der Mann forderte mit seiner Revision eine neue Entscheidung über die Bewährung, da seine positiven aktuellen Lebensumstände ignoriert worden seien.
- Die Rechtsfrage: Durfte das Landgericht die Bewährung ablehnen, obwohl es die aktuellen positiven Lebensumstände des Verurteilten (wie Arbeit und Pflege des Vaters) nicht ausdrücklich in den Urteilsgründen berücksichtigt hatte?
- Die Antwort: Ja. Die Begründung für die Ablehnung der Bewährung war rechtlich fehlerhaft und unvollständig. Das Landgericht hat nicht ausreichend dokumentiert, wie es die aktuellen Umstände des Mannes in die Gesamtwürdigung einbezogen hat. Die Sache muss deshalb von einer anderen Kammer neu verhandelt werden.
- Die Bedeutung: Gerichte dürfen die Aussetzung einer Strafe zur Bewährung nicht ablehnen, wenn die Urteilsgründe nicht alle relevanten positiven und negativen Umstände des Verurteilten umfassend darlegen. Positive Entwicklungen wie eine feste Arbeit oder soziale Verpflichtungen müssen immer berücksichtigt werden.
Der Fall vor Gericht
Wieso musste ein Urteil neu verhandelt werden, nur weil das Gericht etwas nicht aufgeschrieben hat?
Ein Richter, der über eine Bewährung entscheidet, arbeitet eine unsichtbare Checkliste ab. Auf der einen Seite stehen die Minuspunkte: Vorstrafen, eine Tat während laufender Bewährung. Auf der anderen Seite die Pluspunkte: ein Geständnis, Reue, ein stabiles Umfeld. Im Fall eines Mannes aus Rostock schien die Minus-Seite erdrückend. Das Landgericht verurteilte ihn zu sechs Monaten Haft – ohne Bewährung. Doch in seiner Urteilsbegründung ließ das Gericht eine entscheidende Frage offen: Hat es die Plus-Seite überhaupt vollständig gelesen? Eine Lücke, die das Oberlandesgericht fand und die alles änderte.
Warum landete ein Mann für eine Körperverletzung gleich dreimal vor Gericht?

Ein Mann wurde vom Amtsgericht Rostock wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Er legte Berufung ein. Das Landgericht Rostock bestätigte das Urteil. Es hielt sowohl den Schuldspruch als auch die Strafhöhe für angemessen. Der Knackpunkt war die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung. Auch das Landgericht verweigerte diese. Es sah keine Günstige Sozialprognose für den Angeklagten.
Der Mann gab nicht auf und zog mit einer Revision vor das Oberlandesgericht Rostock. Sein Vorwurf: Das Landgericht habe die Voraussetzungen für eine Bewährung nicht sauber geprüft. Es habe die positiven Aspekte seiner aktuellen Lebenssituation ignoriert. Genau diese Prüfung ist der Kern jeder Bewährungsentscheidung. Ein Gericht muss bewerten, ob zu erwarten ist, dass der Verurteilte künftig auch ohne Strafvollzug keine Straftaten mehr begehen wird. Diese Einschätzung regelt § 56 Abs. 1 des Strafgesetzbuches (StGB).
Welche Argumente zählten für das Landgericht gegen eine Bewährung?
Das Landgericht Rostock baute seine Ablehnung auf eine Kette von Fakten, die ein düsteres Bild zeichneten. Der Angeklagte hatte eine beachtliche Liste von Vorstrafen. Einige davon waren einschlägig – er war also schon früher wegen Gewaltdelikten verurteilt worden. Schwerer wog ein anderer Umstand: Er beging die neue Tat, während er wegen einer anderen Verurteilung bereits unter Bewährung stand.
Das war ein klarer Vertrauensbruch. Ein Gericht hatte ihm eine Chance gegeben, und er hatte sie nicht genutzt. Obendrein war eine frühere Bewährungsstrafe erst acht Monate vor der neuen Tat erlassen worden. Die Richter sahen ein Muster. Sie kamen zum Schluss, dass die Verhängung einer Freiheitsstrafe notwendig sei, um auf den Mann einzuwirken und ihn von weiteren Taten abzuhalten. Mildernde Umstände wie sein Geständnis, seine Entschuldigung und die spontane, alkoholbedingte Tat änderten an dieser negativen Prognose nichts.
Wo genau lag der Fehler in der Begründung des Landgerichts?
Der Fehler des Landgerichts war keiner der Tat oder der Strafhöhe. Er war ein Fehler der Dokumentation, ein sogenannter Begründungsmangel. Das Oberlandesgericht kritisierte nicht, dass das Landgericht die Bewährung ablehnte, sondern wie es diese Ablehnung begründete. Ein Urteil muss nachvollziehbar sein. Die schriftlichen Urteilsgründe müssen zeigen, dass das Gericht alle relevanten Fakten gesehen und gegeneinander abgewogen hat. Das schreibt § 267 der Strafprozessordnung (StPO) vor.
Die Verteidigung hatte auf mehrere positive Entwicklungen im Leben des Angeklagten hingewiesen. Er stand in einem festen Arbeitsverhältnis. Er kümmerte sich nach dem Tod seiner Mutter um den Haushalt seines Vaters. Er hatte seinen Führerschein zurückerlangt. Zudem lag seine letzte Verurteilung über viereinhalb Jahre zurück. All das sind klassische positive Prognosefaktoren. Sie können ein Indiz für eine Stabilisierung sein.
In den Urteilsgründen des Landgerichts tauchten diese Punkte aber nicht auf. Es blieb unklar, ob die Richter diese Argumente gar nicht gehört, sie für unwichtig gehalten oder sie bewusst verworfen hatten. Diese Lücke machte die Entscheidung für das Oberlandesgericht unüberprüfbar. Die Richter konnten nicht erkennen, ob eine umfassende Gesamtwürdigung aller Umstände stattgefunden hatte.
Wieso hob das Oberlandesgericht das Urteil auf, ohne selbst zu entscheiden?
Das Oberlandesgericht Rostock zementierte einen wichtigen Grundsatz: Die Prüfung einer Bewährung ist keine reine Mathematik, bei der Minuspunkte die Pluspunkte automatisch ausstechen. Selbst gravierende negative Faktoren wie eine Tat während laufender Bewährung führen nicht zwangsläufig zur Ablehnung. Das Gericht muss immer das Gesamtbild betrachten – die Persönlichkeit des Täters, sein Vorleben, sein Verhalten nach der Tat und eben auch seine aktuellen Lebensverhältnisse.
Weil das Landgericht seine Abwägung nicht nachvollziehbar dargelegt hatte, war sein Urteil in diesem Punkt rechtsfehlerhaft. Das Oberlandesgericht hob die Entscheidung über die abgelehnte Bewährung auf. Es verwarf den Rest der Revision, denn die Verurteilung an sich und die Strafhöhe von sechs Monaten waren korrekt.
Der Fall wurde zur Neuverhandlung an eine andere Kammer des Landgerichts Rostock zurückverwiesen. Diese Richter müssen nun die „Checkliste“ erneut und vollständig abarbeiten. Sie müssen die positiven Aspekte im Leben des Mannes ausdrücklich würdigen und sie gegen die negativen Faktoren abwägen. Erst dann dürfen sie eine neue, lückenlos begründete Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung treffen.
Die Urteilslogik
Die juristische Überprüfung der Bewährungsentscheidung stellt sicher, dass Gerichte ihre Pflicht zur vollständigen Abwägung aller Umstände gewissenhaft erfüllen.
- Dokumentationspflicht der Abwägung: Ein Gericht muss schriftlich nachvollziehbar darlegen, dass es alle relevanten entlastenden und belastenden Tatsachen bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung gewürdigt und gegeneinander abgewogen hat.
- Umfassende Würdigung der Sozialprognose: Die Beurteilung der Sozialprognose verlangt zwingend, die aktuellen, stabilisierenden Lebensverhältnisse des Verurteilten — wie ein festes Arbeitsverhältnis oder die Übernahme familiärer Verantwortung — umfassend in die Gesamtbewertung einzubeziehen.
- Rechtsfehler bei Begründungsmangel: Gerichte der Revisionsinstanz heben Urteile zur Strafaussetzung auf, wenn die schriftliche Begründung nicht erkennen lässt, dass eine umfassende Gesamtwürdigung stattgefunden hat, da dies die Überprüfbarkeit der Entscheidung vereitelt.
Nur eine lückenlose und detaillierte Begründung stellt sicher, dass die Anwendung des Strafrechts dem höchsten Anspruch der Gerechtigkeit genügt und nicht willkürlich erscheint.
Benötigen Sie Hilfe?
Wurden Ihre aktuellen positiven Lebensumstände bei der Bewährungsentscheidung nicht berücksichtigt? Kontaktieren Sie uns, um eine fundierte rechtliche Ersteinschätzung Ihrer Situation zu erhalten.
Experten Kommentar
Wer eine schlechte Vorgeschichte hat, glaubt oft, dass positive Entwicklungen ohnehin ignoriert werden. Genau diese Befürchtung räumt das Oberlandesgericht mit diesem Beschluss konsequent aus dem Weg. Selbst gravierende Rückfälle führen nicht automatisch zur Ablehnung der Strafaussetzung; die stabilisierenden Faktoren – fester Job, familiäre Verantwortung – müssen sichtbar ins Gesamtbild eingerechnet werden. Für die Verteidigung bedeutet dies: Eine lückenhafte Begründung zur Ablehnung der Bewährung ist der klarste Angriffspunkt in der Revision, denn das Gericht muss belegen, warum es positive Prognosefaktoren verwirft.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann wird meine Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt?
Eine Freiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt, wenn das Gericht eine günstige Sozialprognose stellt. Diese Prognose bedeutet die Erwartung, dass Sie künftig auch ohne den Vollzug der Strafe keine neuen Straftaten mehr begehen. Die Entscheidung basiert auf einer umfassenden Gesamtwürdigung aller Umstände, wie es § 56 Abs. 1 StGB vorschreibt.
Der Richter arbeitet im Grunde eine Checkliste ab, um positive Faktoren gegen negative abzuwägen. Negative Faktoren sind oft die Anzahl der Vorstrafen oder eine Tat, die Sie während einer bereits laufenden Bewährung begangen haben. Allerdings verhindert die Existenz gravierender Minuspunkte die Bewährung nicht automatisch. Das Gericht muss das Gesamtbild Ihrer Persönlichkeit und Ihres Lebenswandels berücksichtigen.
Entscheidend ist die beweisbare Stabilisierung Ihrer Lebensumstände seit der Tat. Konkret müssen Sie Indizien liefern, die eine Veränderung belegen, beispielsweise ein festes Arbeitsverhältnis oder die Übernahme sozialer Verantwortung. Selbst wenn Ihre Vorgeschichte negativ erscheint, kann das Oberlandesgericht die Ablehnung der Bewährung aufheben, falls die Gesamtwürdigung diese neuen, positiven Gegenbeweise nicht berücksichtigt hat.
Listen Sie alle Umstände auf, die eine positive Entwicklung seit der Tat belegen, und sichern Sie diese als Beweisfaktoren für Ihren Anwalt.
Welche positiven Faktoren muss das Gericht für meine Bewährung prüfen?
Das Gericht muss im Rahmen der Gesamtwürdigung alle Indizien prüfen, die für eine Stabilisierung Ihres Lebenswandels sprechen. Diese sogenannten Pluspunkte sind essenziell für eine günstige Sozialprognose und müssen den negativen Faktoren, wie Vorstrafen, entgegengehalten werden. Entscheidend ist der Nachweis, dass Sie künftig auch ohne Strafvollzug keine weiteren Straftaten begehen werden. Diese umfassende Prüfung ist die Grundlage für die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung.
Zu den wichtigsten positiven Faktoren zählt die berufliche und soziale Integration des Verurteilten. Ein festes Arbeitsverhältnis signalisiert dem Gericht einen geregelten Alltag und die Übernahme von persönlicher Verantwortung. Ebenso wichtig ist die Übernahme neuer familiärer oder sozialer Verpflichtungen, wie etwa die Haushaltsführung oder die Pflege eines Angehörigen. Solche nachweisbaren und gefestigten Strukturen zeigen, dass Sie Ihre Lebensführung aktiv zum Besseren verändert haben.
Positive Entwicklungen dürfen nicht nur mündlich erwähnt, sondern müssen durch harte Fakten belegt werden. Konkret: Der Wiedergewinn des Führerscheins oder eine erhebliche zeitliche Distanz zur letzten Verurteilung sind starke Indizien für die nachweisbare Reintegration. Das Gericht ist verpflichtet, alle diese positiven Aspekte ausdrücklich zu würdigen und in die Urteilsbegründung aufzunehmen. Unterbleibt die Auseinandersetzung mit diesen Fakten, liegt ein Begründungsmangel vor.
Erstellen Sie eine chronologische Liste aller positiven Lebensveränderungen der letzten 24 Monate und sichern Sie sofort alle zugehörigen, datierten Dokumente als Beweismittel.
Was ist ein Begründungsmangel bei abgelehnter Strafaussetzung zur Bewährung?
Ein Begründungsmangel stellt einen schweren Dokumentationsfehler des Gerichts dar, der die Urteilsbegründung formal fehlerhaft macht. Es handelt sich um einen Verfahrensmangel, geregelt in § 267 der Strafprozessordnung (StPO). Dieser Fehler liegt vor, wenn das Gericht es unterlässt, die notwendige Abwägung aller Bewährungsfaktoren nachvollziehbar schriftlich darzulegen. Das Revisionsgericht kann dann die Entscheidung inhaltlich nicht überprüfen.
Dieser Mangel ist grundsätzlich ein Formfehler, nicht etwa ein Fehler in der Feststellung der Tatsachen oder der Strafhöhe. Das Revisionsgericht kritisiert dabei nicht, dass die Bewährung inhaltlich abgelehnt wurde, sondern nur, wie diese Ablehnung im schriftlichen Urteil begründet wurde. Die Richter müssen alle für den Verurteilten sprechenden positiven Fakten, wie eine feste Arbeit oder soziale Verantwortung, sehen und würdigen. Fehlen diese wichtigen Elemente in der schriftlichen Dokumentation, entsteht eine unzulässige Lücke in der Entscheidungsfindung.
Konkret: Hat der Angeklagte positive Faktoren vorgebracht, beispielsweise ein stabiles Arbeitsverhältnis und eine lange straffreie Zeit, müssen diese im Urteil erwähnt werden. Hat das Landgericht diese Faktoren komplett ausgelassen, ist für das Oberlandesgericht nicht ersichtlich, ob eine korrekte Gesamtwürdigung stattgefunden hat. Die Folge ist die Unüberprüfbarkeit der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung. Solche Begründungsmängel bieten oft den entscheidenden juristischen Hebel für eine erfolgreiche Revision.
Prüfen Sie deshalb die schriftliche Urteilsbegründung sofort mit Ihrem Anwalt auf fehlende Würdigung Ihrer positiven Lebensumstände.
Was kann ich tun, wenn das Gericht meine positiven Lebensumstände ignoriert hat?
Wenn das Landgericht relevante positive Fakten zu Ihrer Sozialprognose im Urteil nicht erwähnt oder gewürdigt hat, liegt ein formaler Begründungsmangel vor. Diesen Fehler können Sie durch das Rechtsmittel der Revision korrigieren lassen. Sie müssen diese unverzüglich beim zuständigen Oberlandesgericht (OLG) einlegen. Das OLG überprüft dann, ob die schriftliche Urteilsbegründung lückenhaft ist und die Entscheidung dadurch unüberprüfbar wird.
Die Revision dient dazu, Rechtsfehler des Landgerichts überprüfen zu lassen, nicht aber, neue Tatsachen oder Beweise zur Schuldfrage vorzulegen. Der Begründungsmangel ist ein technischer Verfahrensfehler, weil das Gericht seine Pflicht zur vollständigen Gesamtwürdigung aller Bewährungsfaktoren verletzt hat. Hat das OLG diesen Mangel bestätigt, hebt es die Ablehnung der Bewährung als rechtsfehlerhaft auf. Wichtig ist: Die Verurteilung an sich und die bereits festgesetzte Strafhöhe bleiben unangetastet.
Das Oberlandesgericht trifft keine eigene Bewährungsentscheidung, sondern verweist den Fall zur Neuverhandlung an eine andere Kammer des Landgerichts zurück. Diese neue Kammer ist nun gezwungen, die ursprünglich ignorierten Aspekte – etwa ein festes Arbeitsverhältnis oder familiäre Verantwortung – ausdrücklich in die Abwägung einzubeziehen. Die Richter müssen eine lückenlose Begründung liefern und somit eine vollständige Sozialprognose erstellen.
Sprechen Sie umgehend mit Ihrem Anwalt, um sicherzustellen, dass Sie die strikte Revisionsfrist einhalten und sich bei der Begründung exakt auf den Nachweis des Begründungsmangels fokussieren.
Wann muss ein Bewährungsurteil durch eine Revision neu verhandelt werden?
Ein Urteil muss neu verhandelt werden, wenn das Oberlandesgericht (OLG) feststellt, dass lediglich die Entscheidung zur Bewährung rechtsfehlerhaft begründet wurde. Das OLG korrigiert in diesem Fall einen Verfahrensfehler, den sogenannten Begründungsmangel, ohne die Tatsachen neu zu bewerten. Der ursprüngliche Schuldspruch sowie die verhängte Freiheitsstrafe bleiben in Kraft und sind nicht Gegenstand der Neuverhandlung.
Die Notwendigkeit einer Neuverhandlung entsteht, weil die erste Kammer in ihren schriftlichen Urteilsgründen die notwendige Abwägung zwischen positiven und negativen Faktoren nicht lückenlos dargelegt hat. Die Entscheidung des Gerichts über die Sozialprognose muss gemäß § 56 Abs. 1 StGB eine umfassende Gesamtwürdigung darstellen. Wenn wichtige positive Aspekte des Angeklagten fehlen, wird das Urteil für das OLG unüberprüfbar. Da das Revisionsgericht keine eigenen Tatsachen feststellen darf, muss es den Fall an eine neue Kammer zurückverweisen.
Konkret bedeutet das für den Verurteilten, dass er das gesamte Verfahren nur teilweise erneut durchläuft. Die neue Kammer ist gezwungen, die „Checkliste“ der Bewährungsprüfung vollständig und rechtskonform abzuarbeiten. Sie muss sich ausschließlich auf die Neubewertung der Sozialprognose konzentrieren, also prüfen, ob das neue Verhalten des Verurteilten (z.B. feste Arbeit, Reue) eine günstige Zukunftsperspektive zulässt.
Konzentrieren Sie die gesamte Vorbereitung für die Neuverhandlung ausschließlich auf die Sammlung und Beweisführung von Umständen, die eine günstige Sozialprognose belegen, da die Schuldfrage bereits geklärt ist.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Begründungsmangel
Ein Begründungsmangel ist ein formeller Fehler in der schriftlichen Urteilsbegründung, bei dem das Gericht es versäumt, alle relevanten Aspekte, die für oder gegen eine Entscheidung sprechen, aufzunehmen und nachvollziehbar abzuwägen. Das Gericht muss seine Entscheidungsfindung transparent dokumentieren, damit höhere Instanzen die Rechtmäßigkeit der Entscheidung überprüfen können, wie es § 267 StPO vorschreibt.
Beispiel: Im vorliegenden Fall führte der Begründungsmangel dazu, dass das Oberlandesgericht die Ablehnung der Strafaussetzung zur Bewährung aufhob und den Fall an eine andere Kammer zurückverwies.
Gesamtwürdigung
Die Gesamtwürdigung bezeichnet den juristischen Prozess, bei dem ein Gericht alle Umstände des Einzelfalls – die Persönlichkeit des Täters, sein Vorleben, das Verhalten nach der Tat und die aktuellen Lebensverhältnisse – in die Entscheidungsfindung miteinbeziehen muss. Das Gesetz erzwingt damit, dass Urteile nicht nur auf Basis von isolierten negativen Fakten gefällt werden, sondern stets das vollständige Bild des Verurteilten betrachtet wird, um eine gerechte Sanktion festzusetzen.
Beispiel: Eine korrekte Gesamtwürdigung hätte die positiven Prognosefaktoren des Angeklagten, wie sein festes Arbeitsverhältnis und die familiären Verpflichtungen, ausdrücklich gegen die einschlägigen Vorstrafen abwägen müssen.
Günstige Sozialprognose
Eine Günstige Sozialprognose liegt vor, wenn das Gericht überzeugt ist, dass der Verurteilte künftig auch ohne Strafvollzug keine weiteren Straftaten begehen wird. Diese positive Erwartungshaltung ist gemäß § 56 Abs. 1 StGB die zentrale Voraussetzung für die Gewährung einer Bewährungsstrafe; das Gesetz möchte dem Täter bei nachgewiesener Reue und Stabilisierung eine Chance zur Resozialisierung geben.
Beispiel: Das Landgericht Rostock sah wegen der begangenen Tat während laufender Bewährung keine günstige Sozialprognose, da es einen klaren Vertrauensbruch und ein hohes Rückfallrisiko für den Angeklagten erkannte.
Strafaussetzung zur Bewährung
Die Strafaussetzung zur Bewährung ist die gerichtliche Entscheidung, eine verhängte Freiheitsstrafe nicht sofort zu vollstrecken, sondern dem Verurteilten eine Bewährungszeit einzuräumen. Juristen nennen dies kurz Bewährung, wobei der Strafvollzug quasi „auf Probe“ ausgesetzt wird, um die Integration des Verurteilten zu fördern und eine Verfestigung krimineller Neigungen im Gefängnis zu vermeiden.
Beispiel: Die Richter mussten im vorliegenden Fall klären, ob die sechsmonatige Freiheitsstrafe wegen vorsätzlicher Körperverletzung zur Strafaussetzung zur Bewährung kommen konnte oder sofort vollzogen werden musste.
Das vorliegende Urteil
OLG Rostock – Az.: 20 ORs 44/24 – 1 Ss 35/24 – Beschluss vom 23.07.2024
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