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Monatelang kein Kontakt: Darf man den Pflichtverteidiger wechseln?

Ein Angeklagter wartete zwei Monate in Untersuchungshaft vergeblich auf ein Lebenszeichen seines Pflichtverteidigers. Seine Beschwerde wurde zunächst abgewiesen, doch die Richter einer höheren Instanz sahen die monatelange Funkstille als unentschuldbar.

Zum vorliegenden Urteil Az.: Ws 268/12 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Urteil in 30 Sekunden

  • Das Problem: Ein Mann in Untersuchungshaft hatte einen Pflichtverteidiger, der sich über zwei Monate nicht meldete. Daraufhin beauftragte der Mann selbst einen neuen Anwalt.
  • Die Rechtsfrage: Kann ein Pflichtverteidiger gewechselt werden, wenn er über lange Zeit keinen Kontakt aufnimmt und das Vertrauen zerstört ist?
  • Die Antwort: Ja. Das Gericht erlaubte den Wechsel des Anwalts, weil dieser sich monatelang nicht meldete. Seine vorgebrachten Entschuldigungen waren dafür unzureichend.
  • Die Bedeutung: Wenn ein Pflichtverteidiger sich in einem ernsten Fall lange nicht meldet, kann das Vertrauen zerstört werden. Dies kann einen Wechsel des Anwalts rechtfertigen.

Die Fakten im Blick

  • Gericht: Oberlandesgericht Braunschweig
  • Datum: 06.09.2012
  • Aktenzeichen: Ws 268/12
  • Verfahren: Beschwerdeverfahren
  • Rechtsbereiche: Strafrecht, Strafprozessrecht

Beteiligte Parteien:

  • Kläger: Ein Mann, der wegen versuchten Mordes in Untersuchungshaft saß. Er beantragte die Auswechslung seines Pflichtverteidigers.
  • Beklagte: Der ursprünglich beigeordnete Pflichtverteidiger des Mannes und die Generalstaatsanwaltschaft. Sie wollten den Pflichtverteidiger nicht auswechseln lassen.

Worum ging es genau?

  • Sachverhalt: Ein inhaftierter Mann wollte seinen Pflichtverteidiger wechseln. Der Anwalt hatte ihn über zwei Monate lang nicht kontaktiert.

Welche Rechtsfrage war entscheidend?

  • Kernfrage: Durfte der Angeklagte seinen Pflichtverteidiger wechseln, weil dieser in den ersten zwei Monaten keinen Kontakt zu ihm aufgenommen hatte?

Entscheidung des Gerichts:

  • Urteil im Ergebnis: Die Beschwerde des Angeklagten war erfolgreich; er bekam einen neuen Pflichtverteidiger.
  • Zentrale Begründung: Die völlige Kontaktlosigkeit des Pflichtverteidigers über zwei Monate zerstörte das Vertrauensverhältnis zum Angeklagten nachhaltig, da dies eine sachgerechte Verteidigung unmöglich machte und die vorgebrachten Entschuldigungen nicht ausreichten.
  • Konsequenzen für die Parteien: Der Angeklagte erhielt einen neuen Pflichtverteidiger, und die Kosten des Verfahrens wurden vom Staat übernommen.

Der Fall vor Gericht


Wann kann man einen Pflichtverteidiger wechseln, wenn er sich nicht meldet?

Ein Mann sitzt in einer Zelle. Die Tür ist aus Stahl, die Zukunft ungewiss. Der Vorwurf wiegt Blei: versuchter Mord. Das Datum ist der 8. Mai 2012. Bei seiner Haftvorführung am Amtsgericht Goslar wünscht er sich einen bestimmten Anwalt als Pflichtverteidiger, Rechtsanwalt S. aus G. Das Gericht stimmt zu. Der Mann hat nun einen Verteidiger. Einen, der vom Staat bezahlt wird, um für seine Rechte zu kämpfen.

Ein Angeklagter harrt in der Isolation seiner Untersuchungshaft aus, während er vergeblich auf ein Lebenszeichen seines Pflichtverteidigers wartet.
OLG Braunschweig hob die Beiordnung eines inaktiven Pflichtverteidigers wegen monatelanger Kontaktlosigkeit auf. | Symbolbild: KI-generiertes Bild

Er wartet. Die Tage in der Untersuchungshaft schleichen dahin. Eine Woche vergeht. Dann zwei. Ein Monat. Kein Anruf. Kein Brief. Kein Besuch. Der Anwalt, der sein Fels in der Brandung sein sollte, bleibt ein Phantom. Die Stille aus der Kanzlei wird lauter als jeder Lärm in der Justizvollzugsanstalt. Zwei Monate vergehen. Nichts. Für den Mann in der Zelle ist klar: Hier stimmt etwas gewaltig nicht. Sein Vertrauen in den Anwalt, den er nie getroffen hat, ist am Nullpunkt.

Was kann ein Angeklagter tun, wenn der Pflichtverteidiger nicht erreichbar ist?

Der Angeklagte handelt. Am 6. Juli 2012, fast genau zwei Monate nach seiner Verhaftung, fasst er einen Entschluss. Er kann und will nicht länger auf einen Anwalt warten, der sich nicht für ihn zu interessieren scheint. Er beauftragt aus eigener Initiative einen neuen Juristen, Rechtsanwalt P. aus H., als seinen Wahlverteidiger.

Der Unterschied ist wie Tag und Nacht. Rechtsanwalt P. fackelt nicht lange. Schon drei Tage später, am 9. Juli, sitzt er seinem neuen Mandanten in der JVA gegenüber. Er hört sich die Geschichte der monatelangen Funkstille an. Dann stellt er für seinen Mandanten einen Antrag beim Landgericht Braunschweig. Die Forderung ist eindeutig: Die Beiordnung von Rechtsanwalt S. soll aufgehoben werden. Stattdessen soll er, der neue, aktive Anwalt P., zum Pflichtverteidiger bestellt werden. Die Begründung ist ebenso kurz wie einleuchtend: Das Vertrauensverhältnis ist durch die komplette Untätigkeit des ersten Anwalts nachhaltig zerstört.

Welche Gründe rechtfertigen einen Wechsel des Pflichtverteidigers?

Die Maschinerie der Justiz reagiert. Das Gericht fordert eine Stellungnahme von Rechtsanwalt S., dem Anwalt, der so lange geschwiegen hatte. Und plötzlich kann er sich erklären. Mit einem Schreiben vom 23. Juli – mehr als zweieinhalb Monate nach seiner Bestellung – teilt er mit, warum er sich nicht gemeldet habe. Er listet eine Reihe von Hindernissen auf.

Erstens, die Sprachprobleme. Sein Mandant spreche kaum Deutsch, weshalb er einen Dolmetscher habe organisieren müssen. Das dauere. Zweitens, die Akten. Er habe erst Einsicht in die Ermittlungsakten nehmen wollen, doch diese seien ihm nur unvollständig zugeschickt worden. Drittens, die Gesundheit des Mandanten. Dieser sei zwischenzeitlich auf die Krankenstation verlegt worden, was den Kontakt erschwert habe. Er selbst habe den Angeklagten dann übrigens am 11. Juli besucht – zwei Tage, nachdem der neue Anwalt P. bereits da war.

Das Landgericht Braunschweig wägt ab. Der zuständige Kammervorsitzende sieht die Sache nüchtern. Am 10. August 2012 lehnt er den Antrag auf Auswechslung ab. Die vorgebrachten Gründe des Angeklagten überzeugen ihn nicht. Rechtsanwalt S. bleibt der Pflichtverteidiger. Aus die Maus.

Doch der Angeklagte und sein neuer Anwalt P. geben nicht auf. Sie legen Beschwerde beim Oberlandesgericht Braunschweig ein. Sie pochen weiter darauf: Wer zwei Monate in einer so ernsten Lage ignoriert wird, kann seinem Anwalt nicht mehr vertrauen. Punkt. Um dem Gericht die Entscheidung zu erleichtern, erklärt Anwalt P. sogar, dass durch den Wechsel keine Verzögerung im Verfahren entstehe. Er stehe für alle geplanten Prozesstermine bereit. Auf mögliche Mehrkosten, die durch den Wechsel entstehen könnten, verzichte er. Die Generalstaatsanwaltschaft sieht das anders. Sie beantragt, die Beschwerde abzulehnen.

Wie entschied das Oberlandesgericht über die Beschwerde gegen den Pflichtverteidiger?

Die Akte landet auf dem Tisch des 2. Strafsenats am Oberlandesgericht Braunschweig. Die Richter dort müssen nun eine grundlegende Frage klären: Wann ist das Vertrauen zwischen einem Beschuldigten und seinem Pflichtverteidiger so kaputt, dass ein Wechsel unumgänglich ist?

Die Richter stellen einen klaren Maßstab auf. Es geht nicht darum, ob sich der Mandant bloß über seinen Anwalt ärgert. Der entscheidende Punkt ist, ob das Vertrauensverhältnis nachhaltig zerstört ist. So zerstört, dass ein vernünftiger Mensch an der Stelle des Angeklagten ernsthaft befürchten müsste, seine Verteidigung sei nicht mehr sachgerecht gewährleistet.

Und genau das sehen die Richter hier als gegeben an.
Sie sagen: Bei einem so schweren Vorwurf wie versuchtem Mord ist die Anfangsphase des Ermittlungsverfahrens kritisch. Hier werden die Weichen für den gesamten Prozess gestellt. Wenn ein Pflichtverteidiger in genau dieser Phase – den ersten zwei Monaten – überhaupt keinen Kontakt aufnimmt, dann ist das mehr als nur ein kleines Versäumnis. Es ist ein schwerwiegender Grund, an seiner Eignung und seinem Engagement zu zweifeln.

Anschließend nehmen sich die Richter die Entschuldigungen von Rechtsanwalt S. vor. Eine nach der anderen.

Das Dolmetscher-Argument? Die Richter winken ab. Aus eigener Erfahrung wissen sie, dass es in Braunschweig kein Problem ist, kurzfristig einen türkischen Dolmetscher zu finden. Das kann keine zweimonatige Funkstille rechtfertigen.

Die Verlegung auf die Krankenstation? Ein Blick in die Akten entlarvt auch diese Ausrede. Die Verlegung fand erst am 5. Juli statt. Zu diesem Zeitpunkt waren die zwei Monate des Schweigens bereits um. Dieser Grund war also für die entscheidende Zeitspanne schlicht irrelevant.

Und die unvollständigen Akten? Der Senat prüft diesen Punkt genau. Er kann zwar nicht mehr exakt nachvollziehen, wann welche Aktenteile beim Anwalt eingegangen sind. Doch die Richter machen einen viel wichtigeren Punkt. Selbst wenn die Aktenlage schwierig war, wäre es die verdammte Pflicht des Anwalts gewesen, seinen Mandanten darüber zu informieren. Ein Verteidiger muss sich aktiv um die Akten bemühen. Und er muss seinen Mandanten, der in U-Haft auf ein Lebenszeichen wartet, auf dem Laufenden halten. Ein kurzer Anruf, eine knappe Notiz hätte genügt. Die Richter verweisen auf einen Vermerk einer Oberstaatsanwältin, der bescheinigt, dass die Deutschkenntnisse des Angeklagten für eine solche kurze Information ausgereicht hätten. Das Schweigen war also durch nichts zu rechtfertigen.

Was war der entscheidende Grund für die Aufhebung der Pflichtverteidiger-Beiordnung?

Das Oberlandesgericht kommt zu einem klaren Ergebnis. Das Verhalten von Rechtsanwalt S. hat das Vertrauen seines Mandanten objektiv und nachhaltig zerstört. Ein vernünftiger Beschuldigter in dieser Lage muss davon ausgehen, dass seine Verteidigung nicht mehr richtig geführt werden kann. Die vorgebrachten Rechtfertigungsgründe des Anwalts waren nicht stichhaltig. Sie konnten das wochenlange Schweigen nicht entschuldigen.

Deshalb heben die Braunschweiger Richter den Beschluss des Landgerichts auf. Die Geschichte nimmt eine Wende. Rechtsanwalt S. wird als Pflichtverteidiger abberufen. Rechtsanwalt P., der engagierte Wahlverteidiger, wird an seiner Stelle zum neuen Pflichtverteidiger bestellt. Da Anwalt P. zugesichert hatte, dass es weder zu Verzögerungen noch zu Mehrkosten kommen würde, stand dem Wechsel auch aus praktischer Sicht nichts im Wege.

Die Kosten des gesamten Beschwerdeverfahrens, inklusive der notwendigen Auslagen des Angeklagten, muss die Staatskasse tragen. Für den Mann in der Zelle war es ein Sieg. Er hatte nun einen Anwalt, dem er vertrauen konnte. Einen, der nicht nur auf dem Papier existierte.

Die Urteilslogik

Das Vertrauen zwischen Angeklagtem und Pflichtverteidiger bildet das Fundament einer sachgerechten Verteidigung und kann einen Wechsel des Rechtsbeistands erzwingen.

  • Vertrauensverhältnis ist entscheidend: Ein Wechsel des Pflichtverteidigers ist geboten, wenn ein vernünftiger Angeklagter bei objektiver Betrachtung befürchten muss, dass seine Verteidigung nicht mehr angemessen erfolgt.
  • Kommunikation ist Pflicht: Die Verteidigung in schwerwiegenden Fällen erfordert von Beginn an aktiven Kontakt und umfassende Information durch den Pflichtverteidiger.
  • Keine Entschuldigung für Funkstille: Sprachbarrieren, unvollständige Akten oder organisatorische Schwierigkeiten entbinden den Pflichtverteidiger nicht von seiner Pflicht, den inhaftierten Mandanten zu kontaktieren und zu informieren.

Eine effektive Verteidigung ruht auf gegenseitigem Vertrauen und erfordert die aktive und fortwährende Kommunikation des Rechtsbeistands.


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Das Urteil in der Praxis

Wie viel Untätigkeit darf sich ein Pflichtverteidiger erlauben, bevor das Vertrauen zerbricht? Die Antwort des OLG Braunschweig ist knallhart und setzt einen klaren Maßstab für die anwaltliche Betreuung in U-Haft. Das Gericht stellt unmissverständlich klar, dass wochenlange Funkstille in einer derart kritischen Phase objektiv das Vertrauensverhältnis zerstört, und wischte gängige Ausflüchte beiseite. Für Anwälte bedeutet dies: Der Pflicht zur unverzüglichen Kontaktaufnahme kommt eine existentielle Bedeutung zu. Mandanten wiederum erhalten ein starkes Werkzeug gegen träge Verteidiger, um ihr Recht auf effektive Verteidigung wirklich durchzusetzen.


Symbolische Grafik zu FAQ - Häufig gestellte Fragen aus dem Strafrecht" mit Waage der Gerechtigkeit und Gesetzbüchern im Hintergrund

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was bedeutet ein Pflichtverteidiger in meinem Strafverfahren?

Ein Pflichtverteidiger ist ein vom Gericht zugewiesener Anwalt, der Ihre Rechte in einem Strafverfahren sichert und dessen Honorar vom Staat getragen wird. Diese Beiordnung stellt sicher, dass Sie, selbst ohne eigene finanzielle Mittel, eine kompetente und faire Verteidigung erhalten. Das Gericht bestellt ihn, wenn die Rechtslage komplex ist oder eine Haft droht, um Waffengleichheit vor Gericht zu gewährleisten.

Warum gibt es diese Anwälte überhaupt? Der Grund liegt in einem Kernprinzip unseres Rechtsstaats: Jeder Angeklagte hat das Recht auf eine effektive Verteidigung. Besonders bei schweren Vorwürfen oder wenn eine Untersuchungshaft droht, macht das Gesetz klare Vorgaben zur Pflichtverteidigung. Gerichte wissen, dass Laien dem komplexen juristischen Apparat allein nicht gewachsen sind.

Stellen Sie sich vor, ein Mann sitzt wegen versuchten Mordes in U-Haft, wartet zwei Monate auf ein Lebenszeichen seines Pflichtverteidigers – nichts. Kein Anruf, kein Besuch, keine Information. Für einen Angeklagten in solch einer existenzbedrohenden Lage ist Funkstille mehr als ärgerlich; sie zerstört das Vertrauen nachhaltig. Genau das zeigte ein Fall vor dem Oberlandesgericht Braunschweig, wo die Richter einem Angeklagten Recht gaben, der seinen untätigen Pflichtverteidiger wechseln wollte. Die Anfangsphase eines Ermittlungsverfahrens ist oft entscheidend. Hier werden die Weichen gestellt.

Ihr Pflichtverteidiger sollte Ihr aktivster Verbündeter sein; erwartet er keine professionelle Arbeit, ist schnelles Handeln unerlässlich, um Ihre Verteidigung zu sichern.


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Kann ich meinen Pflichtverteidiger eigenständig wechseln lassen?

Ja, Sie können Ihren Pflichtverteidiger wechseln lassen, selbst wenn er gerichtlich bestellt wurde. Gerichte erlauben dies, besonders wenn das Vertrauensverhältnis nachhaltig zerstört ist – etwa durch monatelange Funkstille oder mangelnde Aktivität. Ein solcher Wechsel erfordert einen klaren Antrag mit überzeugenden Gründen.

Stellen Sie sich vor, Ihr Arzt meldet sich monatelang nicht, obwohl Sie eine schwere Operation vor sich haben. Ähnlich fatal ist die Situation bei einem Strafverteidiger. Gerade bei ernsten Vorwürfen, wo die Weichen früh gestellt werden, muss Kommunikation oberste Priorität haben. Ein Angeklagter in Untersuchungshaft ist auf seinen Anwalt angewiesen.

Das Oberlandesgericht Braunschweig bestätigte genau dies. Einem Mann in U-Haft war sein bestellter Anwalt zwei Monate lang ein Phantom: keine Besuche, keine Akteneinsicht, keine Informationen. Trotz nachträglicher Ausreden des Anwalts – wie Sprachbarrieren oder unvollständige Akten – sahen die Richter ein klares Vertrauensversagen. Das Gericht war überzeugt: Wer so lange schweigt, zerstört die Basis jeder Verteidigung.

Dokumentieren Sie daher jeden Mangel akribisch und stellen Sie unverzüglich einen begründeten Antrag auf Wechsel des Pflichtverteidigers beim zuständigen Gericht.


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Muss mein Pflichtverteidiger mich regelmäßig über mein Verfahren informieren?

Ja, Ihr Pflichtverteidiger hat die Pflicht, Sie regelmäßig über Ihr Verfahren zu informieren. Gerade in der kritischen Anfangsphase eines schwerwiegenden Vorwurfs ist eine aktive Kommunikation unverzichtbar, um das notwendige Vertrauen zu wahren und eine effektive Verteidigung sicherzustellen. Das Oberlandesgericht Braunschweig hat hier klare Maßstäbe gesetzt.

Die Regel lautet: Ein Verteidiger ist wie ein Lotse in stürmischer See. Er muss wissen, wo das Schiff steht. Vertrauen ist hier der Anker. Ohne regelmäßige Information, besonders am Beginn einer U-Haft, bricht dieses Vertrauen schnell. Juristen nennen das die „Nachhaltige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses“.

Gerichte entscheiden hier streng. Ein Mandant, der zwei Monate lang ohne ein Lebenszeichen seines Pflichtverteidigers in Untersuchungshaft sitzt, kann nicht auf eine sachgerechte Verteidigung vertrauen. Das Oberlandesgericht Braunschweig machte deutlich: Ausreden wie Sprachprobleme oder unvollständige Akten zählen nicht, wenn der Anwalt seinen Mandanten nicht einmal darüber informiert. Ein kurzer Anruf hätte genügt. Selbst die Kenntnis von Schwierigkeiten muss weitergegeben werden.

Fordern Sie Ihren Pflichtverteidiger zum Handeln auf, dokumentieren Sie Kommunikationsprobleme und suchen Sie bei anhaltender Funkstille rechtlichen Rat; Ihre Verteidigung hängt davon ab.


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Wie beantrage ich den Wechsel meines Pflichtverteidigers offiziell?

Um Ihren Pflichtverteidiger offiziell zu wechseln, müssen Sie einen formellen Antrag beim zuständigen Landgericht stellen. Darin beantragen Sie die Aufhebung der Beiordnung des bisherigen Anwalts und gleichzeitig die Bestellung eines neuen. Wird dieser Antrag von der Kammer abgelehnt, bleibt Ihnen der Weg zum Oberlandesgericht offen – dort kann gegen die Entscheidung Beschwerde eingelegt werden.

Der Grund: Ein bloßes Unbehagen oder eine Meinungsverschiedenheit reichen nicht aus. Gerichte verlangen den Nachweis, dass das Vertrauensverhältnis zum aktuellen Pflichtverteidiger nachhaltig und objektiv zerstört ist. Das Gesetz macht klare Vorgaben für diese Hürde.

Stellen Sie sich vor, Ihr Pflichtverteidiger meldet sich monatelang nicht. Genau das passierte einem Angeklagten in U-Haft. Sein vom Gericht bestellter Anwalt blieb zwei Monate lang untätig – kein Besuch, keine Information. Die Richter des Oberlandesgerichts Braunschweig entschieden: Dieses komplette Schweigen zerstört das Vertrauen objektiv und unwiderruflich. In solchen Fällen besteht der Anspruch auf einen Wechsel.

Sobald Sie einen neuen Anwalt ins Boot holen, übernimmt dieser die komplette Abwicklung. Er formuliert den Antrag, begründet wasserdicht den Vertrauensverlust und kümmert sich um die Kommunikation mit den Gerichten. Das minimiert mögliche Verzögerungen im Verfahren.

Ihr Recht auf eine effektive Verteidigung ist unantastbar – dokumentieren Sie jeden Vertrauensbruch akribisch.


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Was kann ich tun, wenn mein Pflichtverteidiger untätig bleibt?

Wenn Ihr Pflichtverteidiger untätig bleibt, haben Sie Anspruch auf einen Wechsel, besonders wenn das Vertrauensverhältnis nachhaltig zerstört ist. Das Oberlandesgericht Braunschweig hat klargestellt: Monatelange Funkstille in einer entscheidenden Verfahrensphase kann genau das bedeuten. Beauftragen Sie umgehend einen neuen Juristen als Wahlverteidiger; dieser kann dann den Antrag auf Auswechslung des Pflichtverteidigers stellen.

Der Grund: Eine Strafverteidigung lebt vom Vertrauen. Besonders in der sensiblen Anfangsphase eines Ermittlungsverfahrens, wenn die Weichen für den Prozess gestellt werden. Bleibt der bestellte Pflichtverteidiger hier wochenlang untätig, ohne Kontakt oder Information, erschüttert das jede Grundlage für eine wirksame Verteidigung. Juristen nennen das „nachhaltige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses“. Ein Angeklagter in Untersuchungshaft darf erwarten, dass sein Anwalt sich kümmert.

Stellen Sie sich vor, ein Mandant wartet zwei Monate in U-Haft – kein Anruf, kein Brief. Das Oberlandesgericht Braunschweig sah in so einem Fall die Pflichtverteidiger-Bestellung als aufhebbar an. Die Richter prüften die Ausreden des Anwalts genau. Sprachprobleme, unvollständige Akten oder eine Verlegung auf die Krankenstation – keine dieser Entschuldigungen rechtfertigte die Funkstille. Der Anwalt hatte die Pflicht, den Mandanten zu informieren, egal wie die Umstände waren. Ein kurzer Anruf hätte gereicht.

Warten Sie nicht. Suchen Sie umgehend einen neuen erfahrenen Strafverteidiger; er wird die Abberufung des untätigen Pflichtverteidigers einleiten.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


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Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Beiordnung

Juristen verwenden den Begriff Beiordnung, wenn das Gericht einen Rechtsanwalt offiziell zum Pflichtverteidiger für einen Beschuldigten bestellt. Durch diese gerichtliche Entscheidung wird der Anwalt formell dem Verfahren zugeordnet, wodurch dessen Kosten bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen vorläufig vom Staat getragen werden.
Beispiel: Das Oberlandesgericht hob die ursprüngliche Beiordnung von Rechtsanwalt S. auf und ordnete stattdessen Rechtsanwalt P. zum Pflichtverteidiger bei.

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Nachhaltige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses

Wenn die Beziehung zwischen einem Angeklagten und seinem Verteidiger so massiv beschädigt ist, dass eine sachgerechte Verteidigung nicht mehr gewährleistet erscheint, spricht man von einer nachhaltigen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses. Das Gesetz erlaubt in solchen Ausnahmefällen den Wechsel des Pflichtverteidigers, weil eine wirksame Verteidigung ohne gegenseitiges Vertrauen unmöglich ist und die Rechte des Angeklagten gewahrt bleiben müssen.
Beispiel: Das Oberlandesgericht sah die nachhaltige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses als gegeben an, da der Pflichtverteidiger über zwei Monate keinerlei Kontakt zum Mandanten in U-Haft aufgenommen hatte.

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Pflichtverteidiger

Juristen nennen einen vom Gericht bestellten Anwalt, dessen Honorar zunächst vom Staat übernommen wird, einen Pflichtverteidiger. Diese Regelung gewährleistet, dass jeder Angeklagte, besonders bei schweren Vorwürfen oder drohender Haft, eine professionelle und faire Verteidigung erhält, um die Waffengleichheit vor Gericht sicherzustellen.
Beispiel: Der Angeklagte wünschte sich Rechtsanwalt S. als seinen Pflichtverteidiger, nachdem ihm versuchter Mord vorgeworfen wurde.

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Untersuchungshaft (U-Haft)

Wenn die Justiz einen Beschuldigten in Gewahrsam nimmt, noch bevor ein Urteil gesprochen wurde, spricht man von Untersuchungshaft. Diese einschneidende Maßnahme dient dazu, die Aufklärung einer Straftat zu sichern oder zu verhindern, dass der Beschuldigte flieht, Beweise vernichtet oder weitere Straftaten begeht.
Beispiel: Der Mann saß über zwei Monate in Untersuchungshaft und wartete dort vergeblich auf ein Lebenszeichen seines Pflichtverteidigers.

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Wahlverteidiger

Ein Wahlverteidiger ist ein Rechtsanwalt, den der Beschuldigte selbst aussucht und direkt beauftragt, um seine Verteidigung zu führen. Diese Art der Verteidigung bietet dem Angeklagten die freie Wahl seines Vertreters und ermöglicht es ihm, einen Anwalt zu engagieren, dem er persönlich vertraut und der seine Interessen optimal vertreten kann.
Beispiel: Nachdem Rechtsanwalt S. sich nicht meldete, beauftragte der Mandant aus eigener Initiative Rechtsanwalt P. als seinen Wahlverteidiger.

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Wichtige Rechtsgrundlagen


  • Das nachhaltig zerstörte Vertrauensverhältnis (Grundsatz)
    Dies ist das entscheidende Kriterium dafür, ob ein Pflichtverteidiger gewechselt werden kann.
    Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Oberlandesgericht legte fest, dass das Vertrauen als objektiv und nachhaltig zerstört galt, weil der erste Anwalt in einer so wichtigen Phase der Ermittlungen keinerlei Kontakt zum inhaftierten Mandanten aufnahm, was eine sachgerechte Verteidigung objektiv in Frage stellte.
  • Pflichtverteidigung (Strafprozessordnung – StPO)
    In bestimmten Fällen, insbesondere bei schweren Straftaten oder Untersuchungshaft, muss dem Angeklagten ein Verteidiger staatlich bestellt werden, um seine Rechte zu wahren.
    Bedeutung im vorliegenden Fall: Da dem Mann versuchter Mord vorgeworfen wurde und er in Untersuchungshaft saß, hatte er von Gesetzes wegen Anspruch auf einen Pflichtverteidiger, der ihm vom Gericht zugewiesen wurde.
  • Aufhebung der Beiordnung eines Pflichtverteidigers (§ 143 StPO)
    Die Bestellung eines Pflichtverteidigers kann unter bestimmten Voraussetzungen durch das Gericht aufgehoben werden.
    Bedeutung im vorliegenden Fall: Diese Vorschrift bildete die rechtliche Grundlage dafür, dass der ursprünglich bestellte Pflichtverteidiger Rechtsanwalt S. von seiner Aufgabe entbunden und durch den neuen Anwalt P. ersetzt werden konnte, nachdem das Gericht das Vertrauensverhältnis als zerstört ansah.
  • Recht auf effektive Verteidigung (Grundsatz des fairen Verfahrens)
    Jeder Angeklagte hat das Recht, dass seine Verteidigung ausreichend und wirksam durchgeführt wird, um ein gerechtes Gerichtsverfahren zu gewährleisten.
    Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Untätigkeit des ersten Pflichtverteidigers über zwei Monate hinweg wurde vom Gericht als Verstoß gegen dieses Recht angesehen, da sie die wirksame Wahrnehmung der Verteidigung in einer entscheidenden Phase des Verfahrens unmöglich machte.

Das vorliegende Urteil


OLG Braunschweig – Az.: Ws 268/12 – Beschluss vom 06.09.2012


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