OLG Braunschweig – Az.: Ws 268/12 – Beschluss vom 06.09.2012
Auf die Beschwerde des Angeschuldigten wird der Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 10. August 2012 aufgehoben.
Dem Angeschuldigten wird Rechtsanwalt P. aus H. als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Die Beiordnung des Rechtsanwalts S. aus G. wird aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeschuldigten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Goslar nahm den Angeschuldigten am 8. Mai 2012 wegen des Vorwurfs des versuchten Mordes (in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) in Untersuchungshaft. Anlässlich der Haftvorführung ordnete das Gericht dem Angeschuldigten auf dessen Wunsch Rechtsanwalt S. als Pflichtverteidiger bei. In der Folgezeit nahm Rechtsanwalt S. keinen Kontakt mit dem Angeschuldigten auf. Der Angeschuldigte wandte sich deshalb an Rechtsanwalt P. und beauftragte diesen am 6. Juli 2012 als Wahlverteidiger. Nachdem Rechtsanwalt P. den Angeschuldigten am 9. Juli 2012 in der JVA aufgesucht hatte, beantragte er – gestützt auf die unterlassene Kontaktpflege – die Auswechselung des Pflichtverteidigers und seine Beiordnung.
Mit Schriftsatz vom 23. Juli 2012 trat Rechtsanwaltschaft S. dem Antrag entgegen. Es treffe zwar zu, dass er den Angeschuldigten erstmals am 11. Juli 2012 in der JVA aufgesucht habe. Die unterlassene Kontaktpflege beruhe jedoch auf dem Umstand, dass sein Mandant kaum deutsch spreche und deshalb eine Terminabsprache mit einem Dolmetscher erforderlich gewesen sei. Er habe vor einem Besprechungstermin außerdem Akteneinsicht nehmen müssen und die Ermittlungsakten zunächst unvollständig erhalten. Schließlich sei der Angeschuldigte zwischenzeitlich in W. auf der Krankenstation gewesen, was die Kontaktaufnahme weiter erschwert habe.
Durch den angefochten Beschluss hat der nach Anklageerhebung zuständige Kammervorsitzende den Antrag auf Auswechselung des Pflichtverteidigers abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Angeschuldigte mit der Beschwerde, der die Kammer nicht abgeholfen hat.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die gemäß § 304 StPO statthafte Beschwerde gegen die Entscheidung des Strafkammervorsitzenden ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Beiordnung von Rechtsanwalt P.. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist aufzuheben, wenn das Vertrauensverhältnis zu dem Verteidiger nachhaltig zerstört ist und deshalb aus Sicht eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann (Meyer-Goßner, SPO, 55. Aufl, § 143 Rn. 5 m. w. N.).Ob eine solche nachhaltige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses vorliegt, ist im Einzelfall zu prüfen. Sie ist aber jedenfalls anzunehmen, wenn der Verteidiger zu einem Beschuldigter, der dem schwerwiegenden Vorwurf des versuchten Mordes ausgesetzt ist, in den ersten zwei Monaten des Ermittlungsverfahrens überhaupt keinen Kontakt aufnimmt. Denn gerade in dieser Zeit, in der bedeutsame Weichen für das spätere Ermittlungsverfahren gestellt werden können, ist die intensive Betreuung durch einen Verteidiger besonders wichtig.
Die Gründe, mit denen Rechtsanwalt S. das Unterlassen einer frühzeitigen Kontaktaufnahme gerechtfertigt hat, tragen aus Sicht des Senats nicht. So stehen Dolmetscher der türkischen Sprache – wie der Senat aus eigener Sachkunde weiß – kurzfristig zur Verfügung. Auch die Verlegung in die Krankenstation, die ohnehin erst am 5. Juli 2012 erfolgte, hinderte die Kontaktaufnahme nicht, zumal der Angeschuldigte dort sowohl von Rechtsanwalt P. (am 9. Juli) als auch von Rechtsanwalt S. (am 11. Juli) aufgesucht wurde.
Ob und ggf. wann dem Verteidiger die Ermittlungsakten vollständig zur Verfügung gestellt wurden, kann der Senat anhand des vorliegenden Beschwerdeheftes nicht überprüfen. Es kann jedoch dahinstehen, ob der Ermittlungsbehörde insoweit ein Vorwurf zu machen ist und ob der Verteidiger mit dem gebotenen Nachdruck sein Recht zur Einsicht in die für die Freiheitsentziehung maßgeblichen Unterlagen (vgl. dazu: Meyer-Goßner, SPO, 55. Aufl, § 147 Rn. 25a m. w. N.) verfolgt hat. Denn auch ein verständiger Beschuldigter darf erwarten, dass er von seinem Verteidiger über solche Schwierigkeiten informiert wird. Nach dem Vermerk der Oberstaatsanwältin C. vom 2. August 2012 reichen die Deutschkenntnisse des Angeschuldigten zumindest aus, um ihn knapp über den Verfahrensstand zu informieren.
Der Wechsel des Pflichtverteidigers führt schließlich weder zu Mehrkosten noch zu einer Verfahrensverzögerung. Rechtsanwalt P. hat gegenüber dem Senat erneut bestätigt, dass er an den abgesprochenen Hauptverhandlungsterminen zur Verfügung stehe und auf die Mehrkosten, die durch den Verteidigerwechsel entstehen, verzichte.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung der § 467 StPO.