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Pflichtverteidiger – Entpflichtung wegen gestörtem Vertrauensverhältnis

OLG Karlsruhe – Az.: 3 Ws 200/21 – Beschluss vom 17.06.2021

Die Beschwerde der Angeklagten gegen die Beschlüsse des Landgericht Konstanz vom 28. April 2021 und 3. Mai 2021 wird kostenpflichtig (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO) verworfen.

Gründe

I.

Die Angeklagte begehrt mit ihrem Rechtsmittel weiterhin die Entbindung ihres derzeitigen Pflichtverteidigers, Rechtsanwalt U-G. H., und die Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. A.Sch.

Das Amtsgericht Konstanz hat die Angeklagte, die sich seit dem 16.7.2020 ununterbrochen in Untersuchungshaft befindet, am 7.1.2021 wegen Betrugs in 21 Fällen – unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Mannheim vom 5.5.2020 (Geldstrafe wegen Erschleichens von Leistungen) zu der ersten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten sowie wegen Betrugs in zwei weiteren Fällen – unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Oberndorf vom 28.7.2020 (Geldstrafe wegen Erschleichens von Leistungen) – zu der zweiten Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt; überdies wurde die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 17.215,22 Euro angeordnet. Die Angeklagte und die Staatsanwaltschaft haben Berufung gegen dieses Urteil eingelegt. Die Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht Konstanz findet seit dem 4.5.2021 in Gegenwart eines psychiatrischen Sachverständigen statt, der zu den medizinischen Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB in der Person der Angeklagten gehört werden soll.

Der Angeklagten war am 16.7.2020 zunächst Rechtsanwalt J. D. als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Zuvor hatte Rechtsanwalt U.-G. H. auf die telefonische Anfrage des Gerichts während des laufenden Termins zur Haftbefehlseröffnung, ob er bereit sei, wunschgemäß die Verteidigung der Angeklagten zu übernehmen, mitgeteilt, er kenne die Angeklagte und lehne eine Mandatsübernahme ab. Trotz dieser ihr bekannten Haltung von Rechtsanwalt H. beantragte die Angeklagte noch mit Schreiben vom selben Tag, diesen zu ihrem Verteidiger zu bestellen und Rechtsanwalt D. zu entpflichten. Bevor und nachdem das Amtsgericht Konstanz mit Beschluss vom 27.7.2020 eine Auswechslung des Pflichtverteidigers abgelehnte hatte, verfolgte sie dieses Ziel mit unzähligen, zum Teil täglich mehrfach in inhaltlichen Varianten eingereichten Anträgen, Beschwerden und sonstigen schriftlichen Eingaben, in denen sie Rechtsanwalt D. u.a. als inkompetent bezeichnete und gegen ihn Strafantrag wegen Rechtsbeugung, Nötigung und Erpressung stellte. Rechtsanwalt H. sei demgegenüber – so die Angeklagte – zuverlässig und äußerst befähigt, wie ihr aus einem Verfahren vor dem Landgericht Tübingen (9 Qs 10/20) bekannt sei, in welchem er sie vertreten habe.

Das Landgericht Konstanz wies als Beschwerdegericht mit Verfügung vom 17.8.2020 Rechtsanwalt H. darauf hin, dass er bereits Pflichtverteidiger in einem gegen die Angeklagte geführten Verfahren der Staatsanwaltschaft Tübingen (18 Js 24942/19) sei, dieses zum vorliegenden Verfahren verbunden werden solle und daher auch vorliegend seine Bestellung zum Verteidiger erwogen werde. Dazu führte Rechtsanwalt H. mit Schriftsatz vom 18.8.2020 u.a. aus, er habe die Angeklagte bereits früher in einem Verfahren vor dem Amtsgericht Tübingen (9 Ds 11 Js 20636/16) verteidigt. Es bestünden durchgreifende Bedenken hinsichtlich des Bestehens eines Vertrauensverhältnisses, da die Angeklagte in jenem Verfahren dem Gericht umfangreiche Beweisanträge direkt unterbreitet und ihm – unzutreffend Versäumnisse vorgeworfen habe. Die Vorstellungen zu Ziel und Vorgehensweisen seien „stark“ auseinandergelaufen. Er sehe u.a. darin einen wichtigen Grund, der seiner Beiordnung entgegenstehe und beantrage, seine im Verfahren der Staatsanwaltschaft Tübingen erfolgte Bestellung zum Pflichtverteidiger aufzuheben.

Mit Beschluss vom 19.10.2020 hob das Landgericht Konstanz den Beschluss des Amtsgerichts Konstanz vom 27.7.2020 auf und bestellte Rechtsanwalt H. zum Verteidiger der Angeklagten, da sie auch unter Berücksichtigung der von diesem geäußerten Vorbehalte an ihm festgehalten habe.

Nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils erhob die Angeklagte mit Schreiben vom 28.1.2021 „Dienstaufsichtsbeschwerde“ gegen Rechtsanwalt H., weil dieser nach der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht und anschließenden Berufungseinlegung keinen Kontakt zu ihr halte. Im Nachgang verfolgte die Angeklagte mit unzähligen umfänglichen Anträgen, Beschwerden und sonstigen Eingaben (u.a. einer „Kündigung des Mandatsverhältnisses“) die Entbindung von Rechtsanwalt H. als Pflichtverteidiger sowie die Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. A. Sch., der auf Anfrage der Angeklagten allerdings eine Mandatsübernahme im Januar 2021 schriftlich abgelehnt hatte. Zur Begründung ihres Wunsches nach erneuter Auswechslung des Pflichtverteidigers gab die Angeklagte (sinngemäß) an, Rechtsanwalt H. habe bereits in zurückliegenden gegen sie gerichteten Verfahren vor dem Amtsgericht und Landgericht Tübingen keine Beweisanträge gestellt. Auch in vorliegender Sache habe er nicht die von ihr für notwendig gehaltenen prozessrelevanten (Beweis-)Anträge gestellt und jenseits der Berufung keine Rechtsmittel (z.B. gegen den Vollzug der Untersuchungshaft) eingelegt und/oder (ergänzend) begründet, sondern ihr lediglich anheimgestellt dies selbst zu tun, wenn er keine Erfolgsaussichten gesehen habe. Zudem habe er ihr – trotz zahlreich wiederholter Aufforderungen – nicht die gewünschten Kopien aus der Akte zur Verfügung gestellt bzw. dies nur bewusst unvollständig in Nachteilszufügungsabsicht getan. Der Sache nach habe er (u.a. durch den Schriftsatz vom 18.8.2020 und durch „Aktenunterdrückung“) bewusst auf die Fortdauer der Untersuchungshaft hingewirkt. Er sei ihr gegenüber befangen sowie unfähig und unwillig zu einer sachgemäßen, ihren Interessen dienenden Verteidigung. Es bestehe unwiederbringlich kein Vertrauensverhältnis mehr zu ihm. Die Angeklagte stellte Strafantrag wegen Rechtsbeugung, Beihilfe zur Freiheitsberaubung, Urkundenunterdrückung und Parteiverrat gegen den Verteidiger.

Rechtsanwalt H. nahm zu den Eingaben mit Schriftsatz vom 28.4.2021 Stellung. Er führte aus, die Vorwürfe seien objektiv unzutreffend, auch wenn die Angeklagte subjektiv anderer Auffassung sei. Er habe ihr stets alle Unterlagen zukommen lassen, die objektiv für die Durchführung der Verteidigung notwendig seien, zuletzt am 15.4.2021 die aus seiner Sicht wesentlichen Bestandteile der Schweizer Ermittlungsakten. Er weigere sich zudem nicht, auch nur ansatzweise erfolgversprechende Beweisanträge in das Berufungsverfahren einzubringen, wie er sie zuletzt mit Schreiben vom 14.4.2021 gegenüber dem Gericht angekündigt habe. Im Übrigen habe er die diesbezüglich ersichtlich befähigte Angeklagte darauf hingewiesen, dass auch sie selbst zur Stellung ihr nützlich erscheinender Anträge berechtigt sei. Er unterstütze die Angeklagte generell bei jeder auch nur ansatzweise erkennbar sinnvollen und zielführenden Prozesshandlung, sei aber nicht ihr „Mietmaul“, sondern erlaube sich, Anträgen etc., denen er keinerlei Relevanz oder Erfolgsaussicht beimesse, nicht aktiv weiterzuverfolgen. Aus der von der Angeklagten selbst angeführten Sicht eines „vernünftigen und verständigen Beschuldigten“ sei das Vertrauensverhältnis zu ihr nicht zerstört. Dass ein Verteidiger, dem der Mandant Unfähigkeit und grobe Versäumnisse vorwerfe und ihn zudem mit einer „Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung, Parteiverrat und Urkundenunterdrückung“ überziehe, wenig Lust auf die Fortführung der Verteidigung verspüre, liege auf der Hand. Ob die Angeklagte „verteidigbar“ sei, möge dahinstehen. Da sie zudem augenscheinlich willens sei, die durch einen Verteidigerwechsel zwangläufig verursachte Verfahrensverzögerung hinzunehmen, sei er bereit, einer Entpflichtung zuzustimmen; er beantrage sie sogar.

Das Landgericht lehnte als Berufungsgericht am 28.4.2021 den Antrag der Angeklagten (wie auch den von Rechtsanwalt H.) auf Auswechslung des Pflichtverteidigers ab. Mit weiterem Beschluss vom 3.5.2021 hielt es – angesichts weiterer entsprechender, zwischenzeitlich eingegangener Anträge der Angeklagten – an dieser Entscheidung fest. Der Beschluss vom 28.4.2021 wurde der Angeklagten – mit Rechtsmittelbelehrung – am 4.5.2021 zugestellt, der Beschluss vom 3.5.2021 – mit Rechtsmittelbelehrung – am 4.5.2021 (vor der an diesem Tag stattfindenden Hauptverhandlung) ausgehändigt.

Mit Schreiben vom 8.5.2021, welches am 17.5.2021 beim Landgericht einging, legte die Angeklagte „wiederholt die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 26.4.2021“ betreffend die Auswechslung des Pflichtverteidigers ein und trug vor, die sofortige Beschwerde gegen den ihr am 4.5.2021 ausgehändigten Beschluss sei dem Landgericht „form- und fristgerecht zugestellt“ worden. Inhaltlich machte sie erneut aus den o.g. Gründen ein zerstörtes Vertrauensverhältnis zu Rechtsanwalt H. geltend. Mit weiterem Schreiben vom 13.5.2021 (Eingang: 20.5.2021) beantragte sie die Beziehung der auf ihren Strafanträgen beruhenden „strafrechtlichen Ermittlungsakten gegen Rechtsanwalt U.-G. H.“ und der von ihr gegen ihn eingereichten Dienstaufsichtsbeschwerden „im Wege der Überwachung der Verteidigertätigkeit“. Die Angeklagte führte u.a. aus, sie vertrete die Auffassung, dass Rechtsanwalt H. die Werte der „Nationalsozialistischen Regierung“ vertrete sowie freundschaftliche Beziehungen zu „rechtsextremistischen Kreisen in Tübingen und Baden-Württemberg“ unterhalte und ihnen diene. Nach der Hauptverhandlung am 4.5.2021 habe er darüber hinaus eine „Drohung ausgesprochen“. Am 21.5.2021 ging ein weiteres, vom 5.5.2021 datierendes Schreiben der Angeklagten beim Landgericht ein, mit dem sie insbesondere nochmals beanstandet, dass der Pflichtverteidiger ihr keine „vollständige Akteneinsicht“ vermittelt habe.

Mit Verfügung vom 4.6.2021 übersandte der Senat der Angeklagten den Schriftsatz ihres Verteidigers vom 28.4.2021 und gab ihr Gelegenheit zur Stellungnahme im Hinblick darauf, dass mit Übergabe der Beschlüsse am 4.5.2021 die einwöchige Beschwerdefrist zu laufen begann und deshalb bei Eingang ihres Beschwerdeschreibens am 17.5.2021 abgelaufen war.

Mit Schreiben vom 7.6.2021, eingegangen am 14.6.2021, wiederholte die Angeklagte – ohne auf die Fristversäumung einzugehen – ihre Vorwürfe (u.a. unzureichende Akteneinsicht, Zurückweisung von dem Verteidiger gestellten Beweisanträgen) gegen Rechtsanwalt H..

II.

1. Die sofortige Beschwerde der Angeklagten gegen die Beschlüsse vom 28.4. und 3.5.2021 ist unzulässig, da sie nicht fristgerecht eingelegt wurde. Die Beschlüsse wurden der Angeklagten am 4.5.2021 zugestellt bzw. ausgehändigt. Die einwöchige Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde (§ 143a Abs. 4, § 311 Abs. 1 StPO) lief daher am 11.5.2021 ab. Das Rechtsmittelschreiben der Angeklagten kam jedoch erst am 17.5.2021 bei Gericht ein. Anders als in diesem, vom 8.5.2021 datierenden Schreiben vorgetragen, ist nicht bereits zuvor eine Rechtsmittelschrift bei Gericht eingekommen.

2. Der Senat weist daher nur ergänzend darauf hin, dass die sofortige Beschwerde auch unbegründet wäre. Die Voraussetzungen des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung von Rechtsanwalt H. liegen nicht vor.

a) Nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ist die Beiordnung des Pflichtverteidigers aufzuheben und ein neuer Verteidiger zu bestellen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist. Der Gesetzgeber verfolgt mit dieser Vorschrift, die am 13. Dezember 2019 in Kraft getreten ist (BGBl. I S. 2128, 2130, 2134), das Ziel, zwei von der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannte Fälle des Rechts auf Verteidigerwechsel zu normieren.

Insofern kann für die Frage, wann im Einzelnen eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu bejahen ist, auf die in dieser Rechtsprechung dargelegten Grundsätze zurückgegriffen werden (s. BT-Drucks. 19/13829 S. 48). Danach ist insoweit die Sicht eines verständigen Angeklagten ausschlaggebend und eine solche Störung von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen ist (vgl. BGH, NStZ 2021, 60, m.w.N.)

Differenzen zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten über die Verteidigungsstrategie rechtfertigen eine Entpflichtung grundsätzlich nicht. Etwas Anderes kann mit der Folge einer endgültigen und nachhaltigen Erschütterung des Vertrauensverhältnisses allenfalls gelten, wenn solche Meinungsverschiedenheiten über das grundlegende Verteidigungskonzept nicht behoben werden können und der Verteidiger sich etwa wegen der Ablehnung seines Rats außerstande erklärt, die Verteidigung des Angeklagten sachgemäß zu führen (vgl. BGH, NStZ 2020, 434).

b) Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Eine angemessene Verteidigung der Angeklagten steht auch aus einem sonstigen Grund im Sinne der § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO nicht in Frage.

Die Angeklagte hat – nachdrücklich und ungeachtet der von Rechtsanwalt H. offen angesprochenen zurückliegenden Konflikte über die Verteidigungsstrategie in einem anderen Verfahren und entgegen seinem ausdrücklichen Wunsch – auf der Beiordnung des ihr als besonders kompetent aufgefallenen Anwaltes bestanden. Wenn Rechtsanwalt H. nunmehr in vorliegender Sache – aus Sicht der Angeklagten erwartungsgemäß – in eigenverantwortlicher Einschätzung der Sach- und Rechtslage von ihm als aussichtslos oder sachfremd erachtete Anträge und Rechtsbehelfe nicht stellt bzw. einlegt und entsprechende Eingaben der Angeklagten nicht unterstützt, wird er damit seinen Pflichten als bestellter Verteidiger gerecht. Er ist Beistand, nicht Vertreter der Angeklagten und an deren Weisungen nicht gebunden. Seine Aufgabe verlangt von ihm, sich allseitig unabhängig zu halten und das Verfahren in eigener Verantwortung und unabhängig von der Angeklagten zu deren Schutz mitzugestalten (vgl. BGH, NStZ 1995, 296, m.w.N.).

Soweit die Angeklagte geltend macht, sie habe nach der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht und der Berufungseinlegung durch Rechtsanwalt H. keinen Kontakt zu diesem herstellen können, fehlt es an konkreten Darlegungen, wann, über welchen Zeitraum und auf welche Weise vergebliche Kontaktversuche stattfanden. Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass es z.B. nicht zu den Aufgaben eines Pflichtverteidigers gehört, (ständig) für einen Beschuldigten/Angeklagten telefonisch erreichbar zu sein. Er entscheidet vielmehr unabhängig und nach pflichtgemäßem Ermessen, in welchem Umfang und auf welche Weise er Kontakt zu seinem Mandanten hält (vgl. KG Berlin, B. v. 9.8.2017 – 4 Ws 101/17 -, juris).

Die von der Angeklagten vorgetragenen weiteren Schwierigkeiten im Mandatsverhältnis, vor allem die Meinungsverschiedenheiten über die Art und den Umfang der Weiterleitung von Verfahrensakten, können eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses oder einen sonstigen Grund im Sinne des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ebenfalls nicht begründen. Rechtsanwalt H. entscheidet auch insoweit selbständig darüber, wie er seinen Informationspflichten gegenüber der Angeklagten nachkommt. Dafür, dass er sie über für die Verteidigung wesentliche Umstände bewusst im Unklaren lässt, ist nichts ersichtlich.

Schließlich sind auch die von der Angeklagten gestellten Strafanzeigen und die zuletzt von ihr erhobenen pauschalen Vorwürfe angeblich rechtsextremistischer Umtriebe des Verteidigers und einer ihr gegenüber erfolgten Drohung nicht geeignet, eine Entpflichtung von Rechtsanwalt H. zu rechtfertigen. Die Strafanzeigen entbehren, soweit ersichtlich, jeglicher Substanz. Die Angeklagte selbst hat Mitteilungen über Verfügungen zu den Akten gereicht, mit denen die Staatsanwaltschaft Tübingen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Rechtsanwalt H. wegen Rechtsbeugung bzw. Beihilfe zur Freiheitsberaubung gemäß § 152 Abs. 2 StPO abgesehen hat. Die weiteren Behauptungen der Angeklagten sind gänzlich unsubstantiiert. Es kann nicht in der Hand der Angeklagten liegen, durch Strafanzeigen und Verunglimpfungen einen objektiv nicht gerechtfertigten Verteidigerwechsel zu erzwingen, denn sonst könnte sie ohne sachlichen Grund ein Verfahren nahezu beliebig verzögern und blockieren (vgl. BGH, B. v. 29.6.2020 – 4 StR 654/19 – juris).

Rechtsanwalt H. sieht sich trotz der gravierenden Vorwürfe und Strafanzeigen der Angeklagten nach wie vor in der Lage, sie sachgerecht zu verteidigen, auch wenn er nachvollziehbar einräumt, dass sein Engagement durch das Verhalten der Angeklagten belastet ist. Aufgrund der psychiatrisch auffälligen Persönlichkeitsstruktur der Angeklagten, die der forensisch-psychiatrische Sachverständige in seinem vorläufigen schriftlichen Gutachten vom 28.10.2020 nach Aktenlage nur skizzieren konnte, ist zur Überzeugung des Senats jedoch davon auszugehen, dass jeder Pflichtverteidiger, der seine Aufgabe als unabhängiger Beistand ernst nimmt, sich mit einem solchen Verhalten der Angeklagten konfrontiert sehen würde. Als Fachanwalt für Strafrecht steht die fachliche Kompetenz von Rechtsanwalt H. zudem außer Frage. Wenn er zuletzt mit Schriftsatz vom 28.4.2021 seine Entpflichtung selbst beantragt hat, um damit dem Wunsch der Angeklagten zu entsprechen, kann auch daraus der Schluss auf eine endgültige Zerstörung der Vertrauensbasis nicht gezogen werden (vgl. BGH, StV 1997, 565).

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