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Ermessensfehlerhafte Ablehnung bzw. Nichtbescheidung eines Terminverlegungsantrags

OLG Oldenburg – Az.: 1 Ss 139/14 – Beschluss vom 24.06.2014

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Norden vom 22. Januar 2014 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Norden zurückverweisen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Norden hat die Angeklagte am 22. Januar 2014 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt. Die Strafvollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Mit ihrer Revision rügt die Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Gericht habe durch seine Weigerung, den Hauptverhandlungstermin zu verlegen, die Verteidigung im Sinne des § 338 Nr. 8 StPO unzulässig beschränkt und das Recht auf wirksame Verteidigung nach Art. 6c Abs. 3c MRK sowie den Grundsatz der Verfahrensfairness verletzt. Ferner habe ein im Sinne des § 338 Nr. 3 StPO wegen Befangenheit abgelehnter Richter mitgewirkt. In sachlich-rechtlicher Hinsicht sei zu beanstanden, dass der erforderliche Strafantrag im Urteil nicht erörtert worden sei. Zudem weise die Strafzumessung Rechtsfehler auf.

Das als Sprungrevision zulässige Rechtsmittel hat Erfolg.

II.

Die Angeklagte dringt schon mit der (Verfahrens-)Rüge durch, das Amtsgericht habe ihr Recht auf eine wirksame Verteidigung (Art. 6 Abs. 3c MRK) durch ermessensfehlerhafte Ablehnung bzw. Nichtbescheidung eines Terminverlegungsgesuchs verletzt.

1.

Der Rüge liegt im Wesentlichen folgendes Prozessgeschehen zugrunde:

Am 29. November 2013 hat das Amtsgericht die Anklage der Staatsanwaltschaft Aurich vom 24. Juli 2013, mit der der Angeklagten vorgeworfen worden war, in einem Einkaufsmarkt eine Tagescreme zum Preis von 3,79 Euro gestohlen zu haben, zugelassen und hat – ohne Zeugen zu laden – Termin zur Hauptverhandlung am 22. Januar 2014 um 8.45 Uhr anberaumt. Die Ladung ist der Angeklagten am 3. Dezember 2013 zugestellt worden, dem Verteidiger am 5. Dezember 2013. Mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2013 hat der Verteidiger darum gebeten, den Termin zu verlegen, da er am 22. Januar 2014 ganztägig vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten auftrete.

Das Gericht hat sich mit dem Verlegungsgesuch zunächst nicht befasst. Erst auf einen am 15. Januar 2014 gegen den Amtsrichter gestellten Befangenheitsantrag hat dieser in seiner dazu abgegebenen dienstlichen Stellungnahme vom 15. Januar 2014 ausgeführt, dass kein Fall notwendiger Verteidigung vorliege und angesichts der angespannten Terminlage beim Amtsgericht Norden der Termin nicht verschoben werden könne. Ein neuer Termin könne erst etliche Wochen später bestimmt werden, was dem Beschleunigungsgebot in Strafsachen nicht entspreche.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Angeklagten vom 17. Januar 2014 beantwortete der Amtsrichter mit Schreiben vom 21. Januar 2014 dahin, dass die dienstliche Erklärung keinen Beschluss darstelle und daher nicht mit der Beschwerde angegriffen werden könne. Im Übrigen gelte § 305 S. 1 StPO.

Das Amtsgericht hat am 22. Januar 2014 von 8.45 Uhr bis 9.15 Uhr ohne den Verteidiger der Angeklagten, die ihrerseits erst um 8.58 Uhr zur Sitzung erschienen war, verhandelt und das angefochtene Urteil verkündet.

2.

a) Die Verfahrensrüge ist in zulässiger Weise erhoben.

Gemäß § 344 Abs. 2 S. 2 StPO muss der Revisionsführer, der eine Verletzung des Verfahrensrechts geltend machen will, im Rahmen seiner Revisionsbegründung die den Mangel begründenden Tatsachen so vollständig und genau angeben, dass das Gericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (Meyer-Goßner, StPO, 57. Aufl., § 344 Rn. 20 ff.). Diesen Anforderungen wird die Rüge gerecht.

Sie teilt umfassend und ohne Auslassungen mit, wie der Verteidiger sein Terminsverlegungsgesuch und wie das Gericht seine ablehnende Haltung dazu begründet hat. Dass die Revision hierbei im Wesentlichen mit (eingescannten) Kopien von Aktenbestandteilen arbeitet, führt in vorliegendem Fall nicht zu einer völligen Unübersichtlichkeit der Rüge (vgl. demgegenüber BGH, Beschluss vom 2. November 2010 – 1 StR 544/09 -, juris Rn. 21). Vielmehr ist die Revisionsführerin ihrer sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Pflicht gerecht geworden, die (und nur die) auf die jeweilige Angriffsrichtung bezogenen Verfahrenstatsachen so vorzutragen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung die einzelnen Rügen darauf überprüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegen würde, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären.

b) Die Revision ist auch begründet.

Durch die Ablehnung bzw. Nichtbescheidung des Terminverlegungsgesuchs ist der Angeklagten das Recht auf wirksame Verteidigung (Art. 6 Abs. 3c MRK) genommen worden, sich in der Hauptverhandlung von dem zu diesem Zeitpunkt verhinderten Rechtsanwalt S … als Anwalt ihres Vertrauens verteidigen zu lassen. Die damit rechtsfehlerhafte Verfahrensweise verstieß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens.

In einer Strafsache hat der Angeklagte das – auch in § 137 Abs. 1 S. 1 StPO normierte – Recht, sich durch einen Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, auch wenn ihm dabei kein bestimmter Verteidiger garantiert ist. Dieses Recht ist Ausdruck des vom Grundgesetz geschützten Anspruchs auf ein faires Verfahren (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 4. Mai 2004 – 1 Ss 5/04 -, juris Rn. 8; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, Art. 6 MRK Rn. 20 mwN). Der Vorsitzende ist deshalb gehalten, über Terminverlegungsanträge nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu entscheiden. Das ist hier in nicht ausreichender Weise geschehen.

Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass das – im Übrigen unverzüglich nach Zugang der Ladung auf den Weg gebrachte – anwaltliche Schreiben vom 6. Dezember 2013 als (unbedingtes) Terminverlegungsgesuch und nicht nur als bloße Verlegungsanregung auszulegen ist. Dafür ist entscheidend, dass der Verteidiger mit seinem Hinweis auf einen Termin vor dem Amtsgericht Tiergarten unmissverständlich deutlich gemacht hat, am 22. Januar 2014 ganztägig verhindert zu sein.

Mit dem damit unbedingt geäußerten Wunsch auf Verlegung des Termins hätte sich das Gericht zeitnah und ernsthaft – und nicht erst im Rahmen der Ablehnung wegen Befangenheit – befassen müssen. Demgegenüber ist nicht erkennbar, dass das Gericht bei Eingang des Verlegungsgesuchs am 6. Dezember 2013 überhaupt versucht hat, dem Recht der Angeklagten, sich von einem Rechtsanwalt ihres Vertrauens verteidigen zu lassen, durch eine Verlegung des Termins Geltung zu verschaffen. Jenes Recht verbietet es aber, Terminsnöte eines Wahlverteidigers einfach zu übergehen, zumal nichts dafür ersichtlich ist, dass zur Zeit des Verlegungsgesuchs am 6. Dezember 2013 eine nahe dem Ursprungstermin liegende Terminierung nicht möglich gewesen wäre.

Aber auch die später im Rahmen des Ablehnungsverfahrens zur Terminverlegung getroffene Entscheidung des Amtsgerichts leidet an Ermessensfehlern. So kann der Hinweis, es läge kein Fall notwendiger Verteidigung vor, im Hinblick auf das aus § 137 StPO folgende Recht auf einen Verteidiger nicht herangezogen werden. Jenes Recht ist vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 140 StPO unabhängig (vgl. OLG Braunschweig, aaO, Rn. 9). Ungeachtet dessen steht immerhin eine Freiheitsstrafe im Raum. Die besonderen Anforderungen an die Verhängung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe lassen – selbst wenn sie keine notwendige Verteidigung begründen mögen – die Sache aus Sicht der Angeklagten durchaus als schwierig erscheinen und rechtfertigen in objektiver Hinsicht auch ihre Sorge, die eigenen Interessen nicht ausreichend ohne rechtsanwaltlichen Beistand selbst vertreten zu können.

Ferner durfte der allgemeine Hinweis auf die „angespannte Terminlage“ beim Amtsgericht Norden in dieser Allgemeinheit bei der Ermessensentscheidung keine Berücksichtigung finden. Die (abstrakte) Geschäftslage des erkennenden Gerichts – mag sie noch so besorgniserregend sein – kann eine Abweichung vom Grundsatz des fairen Verfahrens schon unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht rechtfertigen (OLG Braunschweig, aaO, Rn. 10). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass sich das Amtsgericht offenbar auch nach dem 15. Januar 2014 nicht ernsthaft bemüht hat, die Terminkollision zu überwinden. Der Hinweis darauf, dass ein neuer Termin erst „etliche Wochen später“ bestimmt werden könne, reicht – auch im Blick auf die hier zu erwartenden kurze Dauer der Hauptverhandlung – jedenfalls nicht aus. Ob es der Angeklagten zuzumuten war, sich von einem anderen Mitglied der Kanzlei ihres Wahlverteidigers, nämlich der ebenfalls (jedenfalls formal) bevollmächtigten Rechtsanwältin N … oder von einem anderen Anwalt verteidigen zu lassen, wird vom Gericht nicht erwogen.

Auf dieser insgesamt rechtsfehlerhaften Verfahrensweise beruht das Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO), ohne das dazu Ausführungen in der Revisionsbegründung erforderlich waren (vgl. Meyer-Goßner, aaO, § 344 Rn. 27). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Hauptverhandlung in Anwesenheit des Verteidigers zu einem für die Angeklagte günstigeren Ergebnis geführt hätte, und zwar nicht nur mit Blick auf die Rechtsfolgen, sondern auch zum Schuldspruch. Gegebenenfalls hätte die Angeklagte in der Hauptverhandlung geschwiegen, weshalb eine Überführung nur mit weiteren Beweismitteln möglich gewesen wäre. Deshalb kann auch nicht wenigstens der Schuldspruch bestehen bleiben.

Die Revisionsführerin kann mit der erhobenen Rüge auch noch gehört werden, selbst wenn sie in der Hauptverhandlung keinen Aussetzungsantrag gestellt hat. Es ist ausgeschlossen, das die Angeklagte in ausreichendem Maße um ihre Rechte wusste oder vom Vorsitzenden auf diese in der Verhandlung hingewiesen worden ist, weshalb sie durch ihre Untätigkeit in der Hauptverhandlung – der Nichtherbeiführung eines Gerichtsbeschlusses im Hinblick auf die unzulässige Beschränkung der Verteidigung – keinen Rügeverlust erlitten hat.

Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Norden zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).

Auf die weitere Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 3 StPO und die erhobene Sachrüge kam es nicht mehr an.

Hingewiesen sei nur darauf, dass Zweifel am wirksamen Strafantrag zu keiner Zeit hervorgetreten sind und schon deshalb nicht zu beanstanden ist, wenn das Gericht – was es bei Prozessvoraussetzungen darf – im Urteil zum Strafantrag schweigt (vgl. Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 28. Aufl., Rn. 403).

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