LG Hildesheim – Az.: 13 Ns 32 Js 24643/18 – Urteil vom 11.09.2020
Auf die Berufung der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Lehrte vom 16.01.2020 – 4 Cs 32 Js 24643/18 – im Rechtsfolgenausspruch dahin aufgehoben, dass die Höhe eines Tagessatzes auf 20,00 € reduziert wird.
Die Kosten der Berufung und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Angeklagten trägt die Staatskasse mit Ausnahme der Kosten, die durch die nachträgliche Beschränkung der Berufung entstanden sind.
Gründe
(abgekürzt gem. §§ 332, 267 Abs. 4 StPO)
I.
Das Amtsgericht Lehrte – Strafrichter – hat die Angeklagte mit Urteil vom 16.01.2020 wegen Nötigung in Tateinheit mit Beleidigung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 30,00 € verurteilt.
Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte am 16.01.2020 Berufung eingelegt, die sie mit Schriftsatz Ihres Verteidigers vom 07.09.2020 auf die Höhe eines Tagessatzes beschränkt hat. Die daraufhin zur Hauptverhandlung absprachegemäß nicht erschienene Angeklagte war durch ihren Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht vertreten. Da ihre Anwesenheit nach Beschränkung der Berufung auf die Tagessatzhöhe nicht mehr erforderlich war, konnte die Hauptverhandlung gem. § 329 Abs. 2 StPO ohne sie stattfinden.
Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache dahin Erfolg, dass die Höhe eines Tagessatzes auf 20,00 € zu reduzieren war.
II.
Da die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen den Schuldspruch tragen, ist die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch wirksam. Innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs ist bei der Geldstrafe eine Beschränkung auf die Höhe eines Tagessatzes möglich (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 318 Rn. 19 m. w. N.). Die Kammer hatte daher allein noch die Frage der Tagessatzhöhe zu prüfen.
Gem. § 40 Abs. 2 StPO bestimmt das Gericht die Höhe eines Tagessatzes unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters. Dabei geht es in der Regel vom Nettoeinkommen aus, das der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte.
Der Verteidiger hat durch Vorlage des Bewilligungsbescheides des Jobcenters Region Hannover vom 17.05.2020 in der Hauptverhandlung belegt, dass die Angeklagte mindestens seit Anfang 2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bezieht. Der im Bewilligungsbescheid für die Zeit vom 01.06.2020 bis zum 31.05.2021 ausgewiesene Regelbedarf beträgt monatlich 432,00 €. Ausgehend davon würde sich eine Tagessatzhöhe von – abgerundet – 14,00 € errechnen.
Bei der Ermittlung des Nettoeinkommens von einkommensschwachen Personen kommt es jedoch auf die Gesamtheit der Unterstützungs- oder Versorgungsleistungen einschließlich der Sachbezüge an. Zu den Sachbezügen gehören auch solche für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl., § 40 Rn. 11 m. w. N.). Zugrunde zu legen ist somit grundsätzlich der volle im Bewilligungsbescheid ausgewiesene Gesamtbetrag der monatlichen Leistungen in Höhe von hier 812,00 €. Dies ergäbe eine Tagessatzhöhe von – abgerundet – 27,00 €.
Da nahe am Existenzminimum Lebende durch die Auswirkungen der am Nettoeinkommensprinzip ausgerichteten Geldstrafe systembedingt härter betroffen sind als Normalverdienende, kann dem – außer oder neben der Frage von Zahlungserleichterungen nach § 42 StGB – durch die Senkung der Tagessatzhöhe Rechnung getragen werden (vgl. Fischer, a. a. O., Rn. 11a m. w. N.). Zur Ermittlung einer Bemessungsobergrenze für die Geldstrafe bei besonders einkommensschwachen Personen unter Einbeziehung von nach § 42 StGB möglichen Zahlungserleichterungen werden in der Rechtsprechung zwei unterschiedliche Rechenmodelle diskutiert: Während nach einer Ansicht das Vierfache der Differenz zwischen dem soziokulturellen Existenzminimum (70 % des für den Leistungsberechtigten maßgeblichen Regelbedarfs = unerlässlicher Lebensbedarf) und dem Regelbedarf die Bemessungsobergrenze für die Geldstrafe darstellen soll (so OLG Stuttgart, Beschluss vom 05.03.1993 – 2 Ss 60/93 – juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.02.2010 – 1 Ss 425/08 -, juris Rn. 11), sieht die Gegenmeinung eine Geldstrafe bei Hartz IV-Empfängern regelmäßig dann als unverhältnismäßig an, wenn der Angeklagte sie nicht innerhalb von drei Jahren begleichen kann, ohne auf den unerlässlichen Regelbedarf zugreifen zu müssen (so OLG Braunschweig, Beschluss vom 19.05.2014 – 1 Ss 18/14 – juris Rn. 11; Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 27.10.2017 – 1 OLG 161 Ss 53/17 -, juris Rn. 18). Beiden Rechenmodellen ist jedoch gemein, dass sie für den amtsgerichtlichen Alltag wenig praktikabel erscheinen, zumal sie sich durch die vorausgesetzte Mitberücksichtigung von Zahlungserleichterungen nach § 42 StGB zusätzlich verkomplizieren.
Die Kammer vertritt vor diesem Hintergrund einen anderen, praxistauglicheren Ansatz, der die Bestimmung der Tagessatzhöhe gem. § 40 Abs. 2 StGB nicht mit der – auch gesetzlich getrennt geregelten – Bewilligung von Zahlungserleichterungen nach § 42 StGB vermischt, zumal Letztere auch noch im Vollstreckungsverfahren von der Staatsanwaltschaft gewährt werden können (§ 459a Abs. 1 StPO). Um eine angemessene, zugleich aber einfach zu berechnende Absenkung der Tagessatzhöhe bei Empfängern von Leistungen nach dem SGB II zu erreichen, orientiert sich die Kammer vielmehr am arithmetischen Mittel zwischen der sich aus dem jeweiligen Regelbedarf ergebenden Höhe eines Tagessatzes (hier: 14,00 €) und der sich aus dem Gesamtbetrag der Leistungen ergebenden Tagessatzhöhe (hier: 27,00 €). Im vorliegenden Fall ergibt dies die Höhe eines Tagessatzes von – abgerundet – 20,00 €, wie sie die Kammer – dem Antrag der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft folgend – auch bestimmt hat.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 473 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 StPO.