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Kommentar „Kleben lassen und mit Flugzeug drüber rollen“ als Störung des öffentlichen Friedens

Kleben lassen und überrollen‘: Tweet gegen Klimaaktivisten nicht strafbar

Das Landgericht Potsdam hat die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Cottbus gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Potsdam abgelehnt, einen Strafbefehl gegen eine Person zu erlassen, die einen umstrittenen Kommentar auf Twitter veröffentlicht hatte. Der Kommentar, der sich auf das Überrollen von Klimaaktivisten mit einem Flugzeug bezog, wurde nicht als hinreichend konkrete Billigung einer Straftat angesehen, um den öffentlichen Frieden zu stören. Dabei spielte die Interpretation der Meinungsfreiheit und die geringe Reichweite des Tweets eine wesentliche Rolle.

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Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Ablehnung der Beschwerde: Das LG Potsdam bestätigt die Ablehnung des Strafbefehls durch das AG Potsdam.
  2. Inhalt des Tweets: Der Angeklagte kommentierte auf Twitter, Klimaaktivisten sollten „kleben gelassen und mit einem Flugzeug überrollt“ werden.
  3. Billigung von Straftaten: Die Staatsanwaltschaft sah in dem Kommentar eine Billigung von Straftaten gemäß § 140 StGB.
  4. Meinungsfreiheit: Das Gericht berücksichtigte die Meinungsfreiheit und die satirische Natur der Äußerung.
  5. Geringe Reichweite: Der Tweet hatte nur wenig Aufmerksamkeit erregt, was bei der Beurteilung eine Rolle spielte.
  6. Keine konkrete Gefährdung: Es fehlte an einer hinreichend konkreten Gefährdung des öffentlichen Friedens.
  7. Aktueller politischer Kontext: Der Tweet bezog sich auf ein aktuelles Ereignis, eine Flughafenblockade durch Klimaaktivisten.
  8. Fazit: Das Gericht entschied, dass der Tatbestand der Billigung von Straftaten nicht erfüllt war.

Meinungsfreiheit und öffentlicher Frieden: Ein juristisches Spannungsfeld

In unserer modernen Gesellschaft nimmt die Debatte um die Grenzen der Meinungsfreiheit und die Wahrung des öffentlichen Friedens eine zentrale Rolle ein. Diese Thematik gewinnt insbesondere dann an Bedeutung, wenn es um Äußerungen in sozialen Medien geht. Hierbei steht die Frage im Raum, inwieweit kontroverse oder provokative Kommentare als Ausdruck der persönlichen Meinungsfreiheit gelten können und ab wann sie eine potentielle Störung des öffentlichen Friedens darstellen. Diese juristische Herausforderung wird oft noch komplexer, wenn es um Äußerungen gegen spezifische Gruppen wie Klimaaktivisten geht, die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Beleidigender Tweet
(Symbolfoto: In Green /Shutterstock.com)

Das Spannungsverhältnis zwischen individueller Freiheit und kollektiver Sicherheit ist dabei ein wesentlicher Aspekt, der in der Rechtsprechung immer wieder zu interessanten Interpretationen und Urteilen führt. Dabei spielen nicht nur die inhaltliche Bewertung der Äußerungen eine Rolle, sondern auch der Kontext, in dem sie getätigt wurden, wie beispielsweise in öffentlichen-rechtlichen Medien oder auf Twitter-Accounts. Wie ein solches juristisches Dilemma in der Praxis gehandhabt wird, offenbart der folgende Fall, der die Entscheidung eines Gerichts in einem aktuellen und prägnanten Fallbeispiel beleuchtet. Tauchen Sie ein in die Details dieses spannenden Urteils, das die feinen Linien zwischen freier Meinungsäußerung und der Sicherung des öffentlichen Friedens erkundet.

Kontroverse Twitter-Äußerungen und die Rechtsprechung

Das Landgericht Potsdam hat kürzlich in einem bemerkenswerten Fall geurteilt, bei dem es um die Äußerungen eines Twitter-Nutzers ging. Der Angeklagte, dessen Identität nicht öffentlich gemacht wurde, veröffentlichte am 25. November 2022 über seinen Twitter-Account einen Kommentar, in dem er vorschlug, Klimaaktivisten, die sich festkleben, „einfach kleben [zu] lassen und mit dem Flugzeug drüber [zu] rollen“. Diese Äußerung zog die Aufmerksamkeit der Staatsanwaltschaft Cottbus auf sich, die daraufhin Ermittlungen wegen der Billigung von Straftaten gemäß § 140 Nr. 2, § 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB einleitete.

Der juristische Konflikt: Meinungsfreiheit vs. öffentlicher Frieden

Die Staatsanwaltschaft beantragte nach Abschluss der Ermittlungen die Verurteilung des Angeklagten durch einen Strafbefehl zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 15,00 Euro. Das Amtsgericht Potsdam lehnte jedoch den Erlass des Strafbefehls aus rechtlichen Gründen ab. Die Begründung des Gerichts beruhte darauf, dass die gutgeheißene Tat weder versucht noch vollendet worden sei. Zudem wurde angeführt, dass eine derart überspitzte Äußerung auch in satirischer Weise in öffentlich-rechtlichen Medien geäußert worden sei. Dieser Sachverhalt stellt eine zentrale rechtliche Herausforderung dar: Wie werden die Grenzen der Meinungsfreiheit im Kontext digitaler Kommunikation, insbesondere auf Plattformen wie Twitter, definiert und abgewogen gegen die Notwendigkeit, den öffentlichen Frieden zu wahren?

Die Argumentation der Staatsanwaltschaft und das Urteil des Gerichts

In ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts argumentierte die Staatsanwaltschaft, dass durch die Gesetzesnovelle vom 30. März 2023 auch die Billigung zukünftiger Straftaten unter Strafe gestellt wurde, womit eine vollendete oder versuchte Straftat nicht mehr Voraussetzung sei. Sie wies darauf hin, dass vermehrt Aggressionen und Straftaten gegen Klimaaktivisten zu beobachten seien und dass derartige Äußerungen in einem aggressiven öffentlichen Diskurs an abstrakter Gefährlichkeit gewinnen. Das Landgericht Potsdam jedoch stellte fest, dass die Äußerung des Angeklagten zwar auf eine konkrete Katalogtat Bezug nahm, aber in ihrer Gesamtheit nicht geeignet war, den öffentlichen Frieden zu stören. Es wurde hervorgehoben, dass die Äußerung realitätsfern, flapsig formuliert und überzogen war, und dass sie kaum ein Klima schaffen würde, das gleichartige Taten begünstigt.

Schlussfolgerungen und Ausblick

Das Landgericht Potsdam bestätigte somit die Entscheidung des Amtsgerichts und wies die Beschwerde der Staatsanwaltschaft als unbegründet zurück. Diese Entscheidung wirft ein Schlaglicht auf die schwierige Balance zwischen Meinungsfreiheit und dem Schutz des öffentlichen Friedens in einer zunehmend digitalisierten Welt. Sie zeigt auf, dass jede Äußerung im Kontext ihrer Verbreitung und ihres potentiellen Einflusses auf die Gesellschaft bewertet werden muss. Der Fall betont die Wichtigkeit einer differenzierten Betrachtung von Äußerungen in sozialen Medien und stellt einen Präzedenzfall dar, der in zukünftigen Auseinandersetzungen um die Grenzen der Meinungsfreiheit möglicherweise eine Rolle spielen wird.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was bedeutet die „Störung des öffentlichen Friedens“ im juristischen Kontext?

Die „Störung des öffentlichen Friedens“ ist ein juristischer Begriff, der in verschiedenen Kontexten des deutschen Strafrechts verwendet wird. Im Allgemeinen bezieht er sich auf Handlungen, die geeignet sind, den allgemeinen Zustand der Rechtssicherheit und das subjektive Bewusstsein der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden zu leben, zu stören.

Ein Beispiel für einen Straftatbestand, der die Störung des öffentlichen Friedens beinhaltet, ist die „Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten“ gemäß § 126 des Strafgesetzbuches (StGB). Hierbei handelt es sich um eine abstrakte Gefährdung des öffentlichen Friedens, bei der es nicht auf das Vorliegen einer tatsächlichen Störung oder einer konkreten Gefährdung ankommt. Die Gefährdung wird in der Regel bereits als eingetreten angesehen, wenn die Androhung einer Straftat öffentlich gemacht wird, beispielsweise in Internetforen oder Chaträumen.

Ein weiterer Kontext, in dem die Störung des öffentlichen Friedens relevant ist, ist die Volksverhetzung gemäß § 130 StGB. Hierbei handelt es sich um Handlungen, die geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören, indem sie gegen bestimmte Gruppen Hass aufstacheln, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen aufrufen oder die Menschenwürde anderer angreifen.

Es ist zu betonen, dass die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens ein wesentliches Element dieser Straftatbestände ist. Ohne diese Eignung wäre die Handlung strafrechtlich irrelevant und könnte straffrei begangen werden.

Wie wird die „Billigung von Straftaten“ rechtlich definiert und bewertet?

Die Billigung von Straftaten ist in Deutschland gemäß § 140 des Strafgesetzbuches (StGB) strafbar. Dieser Paragraph verbietet die Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung von bestimmten schweren Straftaten in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Zu diesen Straftaten zählen unter anderem Mord, Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Unter „Billigung“ versteht man grundsätzlich ein nachträgliches Gutheißen der Tat. Dazu ist es erforderlich, dass sich der Billigende moralisch hinter den Täter stellt. Die Billigung solcher Taten kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe bestraft werden.

Es ist jedoch zu beachten, dass der Straftatbestand der Belohnung und Billigung von Straftaten im engen Gegensatz zur Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) steht. In Deutschland ist die Meinungsfreiheit jedoch nicht grenzenlos und findet ihre Grenzen in den allgemeinen Gesetzen. Diese Grenzen sollen dem Schutz des Gemeinwohls, des öffentlichen Friedens oder anderer schützenswerten Interessen dienen.

Seit 2021 ist auch die Billigung noch nicht begangener Straftaten strafbar. Dies soll Äußerungen erfassen, die nicht den Grad einer öffentlichen Aufforderung zu Straftaten erreichen.

In welchem Verhältnis steht die „Meinungsfreiheit“ zur rechtlichen Beurteilung von Äußerungen in sozialen Medien?

Die Meinungsfreiheit ist ein grundlegendes Recht, das in Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes verankert ist. Sie erlaubt es jedem, seine Meinung zu vertreten, auch im Internet und auf sozialen Medien. Allerdings gibt es Grenzen für die Meinungsfreiheit, die durch andere Gesetze, den Jugendschutz und das Recht auf persönliche Ehre definiert sind.

Äußerungen, die gegen das Strafrecht verstoßen, sind nicht durch die Meinungsfreiheit geschützt. Beispielsweise ist die Leugnung des Holocausts eine Straftat und nicht durch die Meinungsfreiheit abgedeckt. Auch Hassreden, die ausländerfeindliche, sexistische oder rassistische Meinungsäußerungen beinhalten, sind nur in gewissen Grenzen durch die Meinungsfreiheit geschützt.

In Bezug auf soziale Medien ist der Betreiber eines Social Media Profils grundsätzlich für seine eigenen Inhalte verantwortlich. Wenn durch eine persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerung oder durch die Veröffentlichung eines urheberrechtlich geschützten Fotos Rechte Dritter verletzt werden, haftet der Betreiber.

Es ist auch wichtig zu beachten, dass Unternehmen für Äußerungen und sonstige Inhalte ihrer Mitarbeiter haften können, auch wenn diese über einen privaten Social Media-Kanal des Mitarbeiters verbreitet werden.

Die rechtliche Beurteilung von Äußerungen in sozialen Medien ist komplex und hängt von vielen Faktoren ab, einschließlich des Inhalts der Äußerung, des Kontexts, in dem sie gemacht wurde, und der spezifischen Gesetze, die in dem jeweiligen Land gelten, in dem die Äußerung gemacht wurde.

Daher ist es ratsam, bei der Veröffentlichung von Inhalten in sozialen Medien immer zu prüfen, ob diese Rechte Dritter verletzen könnten.

Welche Rolle spielen die „Reichweite und Wirkung“ einer Äußerung bei der juristischen Bewertung ihrer Folgen?

Die „Reichweite und Wirkung“ einer Äußerung spielen bei der juristischen Bewertung ihrer Folgen eine wichtige Rolle, insbesondere im Kontext von Meinungsfreiheit und strafrechtlichen Konsequenzen. Die Reichweite bezieht sich auf die Anzahl der Personen, die von der Äußerung betroffen sind oder sie wahrnehmen, während die Wirkung die potenziellen Auswirkungen der Äußerung auf die betroffenen Personen oder die Gesellschaft insgesamt beschreibt.

In sozialen Medien kann die Reichweite einer Äußerung besonders groß sein, da Inhalte schnell und weit verbreitet werden können. Die Wirkung einer Äußerung kann ebenfalls erheblich sein, wenn sie beispielsweise Hass schürt, zu Gewalt aufruft oder die Menschenwürde anderer angreift. In solchen Fällen kann die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden, um den öffentlichen Frieden und die Rechte anderer zu schützen.

Bei der Beurteilung, ob eine Äußerung strafrechtlich relevant ist, müssen Gerichte die Reichweite und Wirkung der Äußerung berücksichtigen und abwägen, ob die Meinungsfreiheit des Äußernden gegenüber den Rechten anderer, wie dem Schutz der persönlichen Ehre, überwiegt. Dabei spielen auch der Kontext der Äußerung, die konkreten Umstände und die spezifischen Gesetze, die in dem jeweiligen Land gelten, eine Rolle.


Das vorliegende Urteil

LG Potsdam – Az.: 25 Qs 39/23 – Beschluss vom 21.08.2023

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Cottbus gegen den Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 5. Juli 2023, Az. 82 Cs 66/23, wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Cottbus ermittelte gegen den Angeschuldigten wegen der Billigung von Straftaten gemäß § 140 Nr. 2, § 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Der Angeschuldigte soll am 25. November 2022 über seinen Twitter-Account den folgenden Kommentar veröffentlicht haben: „Einfach kleben lassen und mit dem Flugzeug drüber rollen. Dann sind wir eine Sorge los! Ich hoffe ihr seid wirklich die letzte Generation!“

Nach Abschluss der Ermittlungen beantragte die Staatsanwaltschaft am 15. Juni 2023, den Angeschuldigten durch Erlass eines Strafbefehls zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 15,00 Euro zu verurteilen.

Das zuständige Amtsgericht Potsdam lehnte den Erlass des Strafbefehls aus rechtlichen Gründen ab. Die Vorschrift des § 140 StGB setze voraus, dass die gutgeheißene Tat versucht oder vollendet worden sei, was hier nicht der Fall sei. Weiterhin sei eine derart überspitzte Äußerung auch in satirischer Weise in den öffentlich-rechtlichen Medien geäußert worden.

Gegen den ablehnenden Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 05. Juli 2023, zugestellt am 13. Juli 2023, hat die Staatsanwaltschaft Cottbus am 14. Juli 2023 sofortige Beschwerde eingelegt. In der Beschwerdebegründung weist die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass durch die Gesetzesnovelle vom 30. März 2023 auch die Billigung zukünftiger Straftaten unter Strafe gestellt wurde. Eine vollendete oder versuchte Straftat sei daher nicht Voraussetzung. Die Grenzen der Meinungsfreiheit und nicht strafbaren Satire seien hier zudem überschritten, insbesondere da vermehrt Aggressionen und Straftaten gegen Klimaaktivisten zu beobachten seien.

II.

Die sofortige Beschwerde ist statthaft gemäß § 408 Abs. 2, § 210 Abs. 2, § 311 StPO und zulässig, insbesondere innerhalb der Wochenfrist erhoben.

In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

Zunächst stellt die Staatsanwaltschaft zutreffend fest, dass die Neufassung des § 140 StGB auch die Billigung zukünftiger Straftaten unter Strafe stellt. Es ist damit verfehlt, den Erlass des Strafbefehls abzulehnen, weil ein Tötungsdelikt an Klimaaktivisten durch Überrollen mit einem Flugzeug weder stattgefunden hat noch versucht wurde.

Das Billigen muss sich jedoch auf eine konkrete Katalogtat beziehen. Das ist hier der Fall. Aus dem sozialpolitischen Kontext der Äußerung und dem Inhalt des Kommentars selbst wird deutlich, dass sich der Verfasser auf die Tötung von Aktivisten der „Letzten Generation“, die Flughäfen blockieren, bezieht und diese gutheißt. Mitglieder der „Letzten Generation“ hatten eine solche Blockade des Flugbetriebes am Hauptstadtflughafen BER am 24. November 2022, einen Tag vor der vorgeworfenen Tat, durchgeführt. Die gebilligte (fiktive/zukünftige) Tat ist damit hinreichend konkret umschrieben. Eine Konkretisierung der Tat durch Zeit und Ort ist nicht erforderlich (BeckOK StGB/Heuchemer StGB, Stand 1.5.2023, § 140 Rn. 11).

Äußerungen im Internet sind auch grundsätzlich für eine öffentliche Erklärung geeignet, Tatbestandsvoraussetzung ist jedoch darüber hinaus, dass die Erklärung geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Diese Friedensschutzklausel soll es ermöglichen, den abstrakten Gefährdungsstraftatbestand des § 140 StGB restriktiv auszulegen (vgl. Fischer, StGB, 70. Auflage 2023, § 140 Rn. 8a). Die herrschende Kommentarliteratur weist weiter auf die Erforderlichkeit einer solchen engen Auslegung in Hinblick auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG hin (vgl. Fischer, aaO.; BeckOK/Heuchemer aaO). „Rohe Äußerungen der fiktiven Zustimmung zu (nicht begangenen, aber angeblich erwünschten) Taten“ allein sollen demnach die Eignung zur Gefährdung des öffentlichen Friedens in der Regel nicht aufweisen, zumal „das ausdrückliche Wünschen, jemandem solle etwas Schlimmes angetan werden, meist Ausdruck von Herabsetzung und nicht wörtlich gemeint“ sei (so Fischer, aaO, Rn. 8, 8a). Dieser Auffassung ist zuzustimmen.

Bei der Gesamtwürdigung des Tatbestandsmerkmals der Gefährdung des öffentlichen Friedens sind neben dem Inhalt auch Art, Umfang der Verbreitung und weitere Umstände – wie das aktuelle politische Klima – von Bedeutung. Nur dann, wenn – unter Berücksichtigung dieser Aspekte – die Billigung der Tat die Gefahr begründet, das Vertrauen der Bevölkerung in den Bestand der Rechtsgüter zu stören bzw. ein die Begehung gleichartiger Straftaten begünstigendes Klima zu schaffen, kann eine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens angenommen werden (vgl. MüKoStGB/Hohmann StGB § 140 Rn. 29).

Bei dem hier gegenständlichen Tweet handelt es sich um eine Äußerung im gesellschaftlichen Meinungsdiskurs, der einen zeitlich und inhaltlich eindeutigen Bezug zu einem (zum Zeitpunkt der Äußerung) sehr aktuellen politischen Thema aufweist, da erst einen Tag zuvor eine medienwirksame Flughafenblockade stattgefunden hatte. Zum Zeitpunkt der Erfassung durch die zuständigen Behörden hatten den Tweet lediglich zwei Nutzer positiv (mit „Daumen hoch“/ „Like“) bewertet. Dem Account des Angeschuldigten folgten nach Recherche des Bundeskriminalamtes fünf Personen auf Twitter. Trotz der theoretischen Wahrnehmbarkeit für eine unbestimmte Anzahl an Twitter-Nutzern, ist die Öffentlichkeitswirksamkeit und der Verbreitungsumfang der in Frage stehenden Äußerung daher als gering zu betrachten.

Zwar ist der Staatsanwaltschaft in ihrer Wertung Recht zu geben, dass die sich mehrenden Übergriffe auf Klimaaktivisten in die Beurteilung des Tatbestandsmerkmals der Gefährdung des öffentlichen Friedens einfließen muss. In einem zunehmend aggressiven öffentlichen Diskurs steigt zwingend auch die abstrakte Gefährlichkeit derartiger Äußerungen.

Die Äußerung ist hier jedoch derart realitätsfern, flapsig formuliert und überzogen („mit dem Flugzeug drüber rollen“), dass durch sie wohl kaum ein Klima geschaffen wird, das gleichartige Taten der gescheiterten Art begünstigt. Anders zu beurteilen wäre unter Umständen die Äußerung, man möge die Aktivisten auf den innerstädtischen Kreuzungen doch mal mit dem Auto anfahren. Solch eine fiktive Tat ist weitaus lebensnaher, praktisch umsetzbar und daher auch vorstellbar geeignet, die abstrakte Bereitschaft zu derartigen Übergriffen auf Protestierende zu fördern.

Die hier in den Raum gestellte Begehungsweise der fiktiven Tat (kleben lassen und überrollen) greift direkt die kritisierte Protestform (nämlich das Festkleben auf dem Rollfeld) auf. Eine derartige (wenngleich geschmacklose und polemische) inhaltliche Auseinandersetzung mit einem konkreten und aktuellen politischen Thema ist hinzunehmen.

Es ist in der Gesamtschau der Umstände daher nicht ersichtlich, dass die augenscheinlich überzogene Äußerung einer Privatperson mit äußerst geringer Reichweite geeignet ist, das „psychische Klima aufzuhetzen“.

Der objektive Tatbestand des § 140 Nr. 2 StGB ist damit nicht erfüllt.

Das Amtsgericht Potsdam hat den Erlass des Strafbefehls daher im Ergebnis zutreffend gemäß § 408 Abs. 2 Satz 1 StPO, mangels hinreichenden Tatverdachts, abgelehnt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

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