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Fahrverbot entfällt bei wirtschaftlicher Härte: Doppeltes Bußgeld, Zeuge per WhatsApp

Ein Handwerker aus Dortmund kämpfte nach einem Rotlichtverstoß um die Abwendung des Fahrverbots wegen wirtschaftlicher Härte. Dabei akzeptierte das Amtsgericht eine Zeugenvernehmung, die auf ungewöhnliche Weise per WhatsApp-Videoanruf stattfand.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 729 OWi – 268 Js 298/25 – 30/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Amtsgericht Dortmund
  • Datum: 27.03.2025
  • Aktenzeichen: 729 OWi – 268 Js 298/25 – 30/25
  • Verfahren: Ordnungswidrigkeitenverfahren
  • Rechtsbereiche: Verkehrsrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht, Prozessrecht

  • Das Problem: Ein Autofahrer wurde beschuldigt, ein rotes Ampellicht missachtet zu haben. Er akzeptierte die Tat, forderte aber, wegen wirtschaftlicher Not auf ein Fahrverbot zu verzichten und eine Zeugenvernehmung per WhatsApp zuzulassen.
  • Die Rechtsfrage: Kann ein Autofahrer trotz eines schweren Rotlichtverstoßes ein Fahrverbot vermeiden, wenn ihm dadurch die Existenz bedroht wäre? Und darf ein Gericht einen Zeugen über WhatsApp per Video befragen?
  • Die Antwort: Ja, das Gericht verzichtete auf das Fahrverbot, da dem Fahrer sonst die wirtschaftliche Existenz bedroht gewesen wäre. Auch eine Zeugenvernehmung per WhatsApp war in diesem Fall ausnahmsweise erlaubt, da Zeuge und Betroffener einwilligten und ein richterlicher Beschluss vorlag.
  • Die Bedeutung: Ein Fahrverbot kann auch bei schwereren Verkehrsverstößen ausnahmsweise entfallen, wenn es zu unzumutbaren wirtschaftlichen Härten führt, oft gegen eine höhere Geldstrafe. Gerichte können unter bestimmten Voraussetzungen auch moderne Kommunikationsmittel wie WhatsApp für Zeugenvernehmungen nutzen, wenn alle Beteiligten zustimmen.

Der Fall vor Gericht


Wie kann eine Zeugenaussage per WhatsApp vor Gericht landen?

Ein alltäglicher Rotlichtverstoß landete vor dem Amtsgericht Dortmund. Nichts Besonderes, sollte man meinen. Doch der entscheidende Zeuge saß nicht im Gerichtssaal. Er wurde live per WhatsApp-Videoanruf in die Verhandlung geschaltet – eine unkonventionelle Methode, die eine entscheidende Frage aufwarf. Durfte das Gericht das überhaupt? Diese Zeugenaussage entschied am Ende darüber, ob ein Handwerker seinen Führerschein und damit seine Existenzgrundlage verlor.

Ein Transporterfahrer kämpft nach Rotlichtverstoß gegen ein Fahrverbot, das seine Existenz bedroht.
Das Gericht ließ eine WhatsApp-Zeugenvernehmung zu, hob das Fahrverbot wegen wirtschaftlicher Härte auf und verdoppelte das Bußgeld auf 400 Euro. | Symbolbild: KI-generiertes Bild

Der Fall war simpel: Ein Elektriker hatte eine rote Ampel überfahren. Die Rotphase dauerte bereits sechs Sekunden. Das Messfoto der Anlage ließ keinen Zweifel. Der Mann gestand den Fehler sofort ein und beschränkte seinen Einspruch auf die Strafe. Er argumentierte, ein Fahrverbot würde ihn wirtschaftlich ruinieren. Um das zu beweisen, musste sein Arbeitgeber aussagen. Der Vorschlag, dies unkompliziert per WhatsApp-Anruf zu erledigen, kam vom Handwerker selbst.

Das Gericht stand vor einer Wahl. Es erkannte die datenschutzrechtlichen Bedenken. WhatsApp ist kein offizieller Kanal für gerichtliche Vernehmungen. Doch der Richter wies den Zeugen ausdrücklich darauf hin, und sowohl der Handwerker als auch sein Chef willigten ein. Mit dieser Zustimmung erließ das Gericht einen formellen Beschluss, der die Audiovisuelle Vernehmung erlaubte. Die Technik diente hier der Praxis. Die Aussage wurde so zu einem gültigen Beweismittel.

Wann entfällt ein Fahrverbot wegen wirtschaftlicher Härte?

Der Kern des Prozesses war nicht die Schuld, sondern die Konsequenz. Ein Rotlichtverstoß nach mehr als einer Sekunde zieht normalerweise ein Fahrverbot nach sich. Für den Elektriker wäre das eine Katastrophe gewesen. Er arbeitete nicht nur angestellt, sondern führte nebenberuflich ein eigenes Garten- und Landschaftsbau-Unternehmen. Beide Tätigkeiten hingen vollständig vom Führerschein ab.

Seine Argumentation vor Gericht war detailliert und nachvollziehbar. Als Ein-Mann-Unternehmer im Nebenerwerb müsse er schwere Werkzeuge und einen Anhänger transportieren. Seine Aufträge lägen in einem Umkreis von bis zu 100 Kilometern. Öffentliche Verkehrsmittel waren keine Option. Einen Ersatzfahrer einzustellen, hätte den kleinen Betrieb unrentabel gemacht. Ihm drohte der Verlust von Aufträgen und schlimmstenfalls sogar die Kündigung im Hauptjob, da er auch dort mobil sein musste.

Sein Arbeitgeber bestätigte diese Darstellung in der ungewöhnlichen WhatsApp-Vernehmung. Seine Aussage wirkte auf das Gericht glaubhaft und nicht übertrieben. Er schilderte die betrieblichen Notwendigkeiten ohne Ausschmückungen. Das Gericht sah die drohenden Folgen als echt an. Es handelte sich nicht um bloße Unannehmlichkeiten, sondern um eine existenzbedrohende Härte.

Warum wurde das Bußgeld verdoppelt, obwohl das Fahrverbot wegfiel?

Das Gericht stand nun vor einem Balanceakt. Auf der einen Seite die erwiesene, erhebliche Gefährdung durch den Rotlichtverstoß. Sechs Sekunden sind eine lange Zeit. Auf der anderen Seite die drohende Zerstörung einer beruflichen Existenz. Das Gesetz bietet für solche Fälle eine Lösung: Es kann ausnahmsweise von einem Fahrverbot abgesehen werden, wenn es eine Unzumutbare Härte darstellt.

Genau diesen Weg wählte das Gericht. Es befand, dass die wirtschaftlichen Folgen für den Handwerker das Interesse an der Verhängung eines Fahrverbots überwogen. Seine Kooperationsbereitschaft im Verfahren – das sofortige Geständnis – floss mildernd in die Bewertung ein.

Doch ein Freifahrtschein war das nicht. Um den Sanktionscharakter der Strafe zu erhalten und die Schwere des Verstoßes zu ahnden, nutzte das Gericht eine andere Möglichkeit. Es hob das Fahrverbot auf, verdoppelte im Gegenzug aber die Regelgeldbuße von 200 auf 400 Euro. Dieser Schritt stellt sicher, dass der Verkehrsverstoß eine spürbare Konsequenz hat. Der erzieherische Gedanke bleibt gewahrt, ohne den Betroffenen in den Ruin zu treiben. Zusätzlich gestattete das Gericht dem Mann, die Summe in monatlichen Raten von 100 Euro zu zahlen – eine letzte Anerkennung seiner angespannten finanziellen Lage.

Die Urteilslogik

Gerichte passen ihre Verfahren an und wägen konsequent ab, um Gerechtigkeit im Einzelfall zu sichern, ohne die Prinzipien der Sanktionierung zu untergraben.

  • Digitale Zeugenvernehmung: Gerichte ermöglichen Zeugen, digital auszusagen, wenn alle Beteiligten zustimmen und ein förmlicher Beschluss die ordnungsgemäße Beweisaufnahme sicherstellt.
  • Existenzschutz vor Fahrverbot: Ein Gericht setzt ein Fahrverbot aus, wenn es die berufliche Existenz der betroffenen Person unzumutbar gefährdet und andere Verkehrsmittel keine praktikable Lösung bieten.
  • Kompensation bei Fahrverbotserlass: Entfällt ein Fahrverbot aufgrund besonderer Härte, erhöht das Gericht die Geldbuße deutlich, um den Erziehungs- und Sanktionszweck des Verfahrens zu gewährleisten.

Die Justiz wägt stets zwischen individuellen Umständen und dem Schutz der Allgemeinheit ab, um gerechte und wirksame Entscheidungen zu treffen.


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Droht Ihnen ein Fahrverbot trotz Rotlichtverstoß mit existenzbedrohenden Folgen? Erhalten Sie eine unverbindliche Ersteinschätzung Ihrer Situation.


Experten Kommentar

Ein Rotlichtverstoß bedeutet nicht automatisch das berufliche Aus. Das Urteil zeigt, dass Gerichte die persönliche Situation genau prüfen, bevor ein Fahrverbot verhängt wird. Für Betroffene, deren Existenz am Führerschein hängt, ist das eine klare Ansage: Mit einer überzeugenden Darlegung der existenzbedrohenden Folgen lässt sich ein Fahrverbot unter Umständen abwenden. Ein Freifahrtschein ist das aber nicht: Wer das Fahrverbot vermeidet, muss mit einem deutlich höheren Bußgeld die Schwere des Verstoßes büßen.


Symbolische Grafik zu FAQ - Häufig gestellte Fragen aus dem Strafrecht" mit Waage der Gerechtigkeit und Gesetzbüchern im Hintergrund

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Wann gilt ein Rotlichtverstoß als qualifiziert und welche Strafen drohen mir dann?

Ein Rotlichtverstoß gilt als qualifiziert, sobald die Ampel bereits länger als eine Sekunde rot war, als Sie sie überfahren haben. In solchen Fällen drohen üblicherweise ein Fahrverbot von mindestens einem Monat, 2 Punkte in Flensburg und ein Bußgeld von mindestens 200 Euro. Bei besonders langen Rotphasen, wie sechs Sekunden, kann das Bußgeld drastisch auf 400 Euro erhöht werden, selbst wenn das Fahrverbot aufgrund besonderer Härte wegfällt.

Juristen unterscheiden beim Rotlichtverstoß zwischen einem einfachen und einem qualifizierten Vergehen. Entscheidend ist dabei die Dauer der Rotphase zum Zeitpunkt der Überfahrt. War die Ampel noch keine volle Sekunde rot, handelt es sich um einen einfachen Verstoß. Hierfür kassieren Sie in der Regel ein Bußgeld von 90 bis 120 Euro und einen Punkt in Flensburg, aber kein Fahrverbot.

Ein qualifizierter Rotlichtverstoß liegt hingegen vor, wenn die Ampel bereits länger als eine Sekunde rot war. Hier sprechen wir von einer erheblichen Gefährdung des Straßenverkehrs. Die Standardstrafe beläuft sich dann auf ein Bußgeld von 200 Euro, zwei Punkte und ein Fahrverbot von einem Monat. Werden dabei andere Verkehrsteilnehmer gefährdet oder kommt es gar zu einem Sachschaden, erhöhen sich die Bußgelder weiter auf 320 beziehungsweise 360 Euro, das Fahrverbot und die Punkte bleiben bestehen. Eine extrem lange Rotphase, wie die sechs Sekunden im Beispiel des Handwerkers, kann das Bußgeld sogar auf bis zu 400 Euro ansteigen lassen.

Ein passender Vergleich ist der Blick auf eine Stoppuhr: War die Ampel nur kurz rot, bevor Sie fuhren, ähneln die Konsequenzen einem Fehlstart. Läuft die Stoppuhr aber bereits länger als eine Sekunde, signalisiert dies eine viel größere Gefahr, da der Querverkehr bereits Grün haben könnte. Dieses längere Zeitfenster macht den Verstoß so gravierend.

Haben Sie den Verdacht, einen qualifizierten Rotlichtverstoß begangen zu haben, prüfen Sie umgehend Ihren Bußgeldbescheid. Dort ist häufig die genaue Dauer der Rotphase auf dem Messfoto vermerkt. Notieren Sie sich den Zeitpunkt des Verstoßes. Konsultieren Sie einen Anwalt, um Ihre Möglichkeiten abzuwägen und gegebenenfalls Einspruch einzulegen. Das kann besonders wichtig sein, wenn ein Fahrverbot Ihre berufliche Existenz bedroht.


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Welche Rechte habe ich bei einer Zeugenvernehmung per Videoanruf vor Gericht?

Bei einer Zeugenvernehmung per Videoanruf vor Gericht haben Sie wichtige Rechte, um die Gültigkeit und Fairness des Verfahrens zu sichern. Eine solche audiovisuelle Vernehmung, insbesondere über informelle Kanäle wie WhatsApp, ist nur dann gültig, wenn alle Beteiligten ausdrücklich zustimmen und das Gericht einen formellen Beschluss erlässt. Es ist zudem entscheidend, dass auf mögliche Datenschutzbedenken hingewiesen wird, damit Ihre Einwilligung eine informierte Entscheidung ist.

Eine Vernehmung vor Gericht via Videoanruf, besonders über informelle Kanäle wie WhatsApp, mag auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen. Juristen nennen das eine audiovisuelle Vernehmung. Damit eine solche Aussage rechtlich Bestand hat, braucht es die unmissverständliche Zustimmung von allen Seiten: Sie als Zeuge, der Angeklagte, dessen Anwalt und natürlich das Gericht selbst müssen einverstanden sein.

Diese allseitige Zustimmung ist essenziell. Sie stellt sicher, dass die Integrität des Verfahrens gewahrt bleibt und die Aussage später als verlässliches Beweismittel dienen kann. Selbst bei voller Einigkeit muss das Gericht zudem einen formellen Beschluss erlassen. Dieser Beschluss regelt die exakten Rahmenbedingungen der Vernehmung und legitimiert die unkonventionelle Methode. Obendrein muss das Gericht Sie klar und deutlich auf mögliche datenschutzrechtliche Bedenken hinweisen, die bei der Nutzung privater Apps wie WhatsApp entstehen können. Ihre Einwilligung ist somit eine informierte Entscheidung.

Denken Sie an die Situation eines Notartermins, der nicht im Büro, sondern digital stattfindet. Auch hier braucht es besondere Vorkehrungen, klare Regeln und die Zustimmung aller Beteiligten, damit das Ergebnis am Ende rechtlich bindend ist und nicht nur als informelles Gespräch gilt.

Sollte Ihnen eine Zeugenvernehmung per Videoanruf über einen informellen Kanal vorgeschlagen werden, fragen Sie aktiv nach: Liegt ein formeller Gerichtsbeschluss vor? Wurde meine explizite Zustimmung bereits eingeholt? Zögern Sie nicht, diese Klarheit einzufordern, bevor Sie sich auf eine solche Vernehmung einlassen.


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Wie lege ich Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid wegen Rotlichtverstoß ein?

Einen Bußgeldbescheid wegen Rotlichtverstoß fechten Sie am effektivsten schriftlich an. Konzentrieren Sie sich dabei, ähnlich dem Handwerker aus unserem Fall, nicht primär auf das Bestreiten der Schuld, sondern auf die Konsequenz der drohenden Strafe. Belegen Sie eine unzumutbare wirtschaftliche Härte, sollte Ihnen ein Fahrverbot drohen. Dies maximiert Ihre Chancen auf Milderung.

Viele Menschen erhalten Bußgeldbescheide mit klaren Beweisen. Eine Strategie, bei der Sie den Rotlichtverstoß direkt abstreiten, ist oft nicht zielführend. Juristen nennen das, seinen Einspruch strategisch auszurichten. Fokussieren Sie sich stattdessen darauf, die Auswirkungen des drohenden Fahrverbots darzulegen. Hier ist entscheidend, wie stark die Strafe Sie persönlich treffen würde.

Legen Sie detailliert und nachvollziehbar dar, warum ein Fahrverbot eine „unzumutbare Härte“ für Sie darstellt. Ist Ihre berufliche Existenz als Selbstständiger oder Pendler ohne Alternativen gefährdet? Genau hier liegt der Hebel. Sammeln Sie alle Belege: Aufträge, Arbeitsvertrag, Nachweise, dass öffentliche Verkehrsmittel keine Option sind. Ziel ist es, dem Gericht zu verdeutlichen, dass ein Fahrverbot Sie existenziell bedrohen würde.

Denken Sie an die Situation eines Chirurgen: Ein Beinbruch verhindert nicht seine Arbeit, aber eine Lähmung der Hände macht sie unmöglich. Genauso kann ein Fahrverbot für einen Büroangestellten lediglich unpraktisch sein, für einen Vertriebler oder Handwerker mit Montagejob bedeutet es jedoch das berufliche Aus.

Bevor Sie Ihren Einspruch formulieren, sammeln Sie alle Unterlagen, die Ihre berufliche Abhängigkeit vom Führerschein belegen. Dazu gehören Arbeitsvertrag, Gewerbeanmeldung, Lieferscheine oder Nachweise für Ihren Transportbedarf. Lassen Sie Ihre Argumentation von Dritten – wie Ihrem Arbeitgeber – bestätigen, um maximale Glaubwürdigkeit zu schaffen. Ein gut vorbereiteter Einspruch, der die wirtschaftliche Härte belegt, hat deutlich bessere Erfolgsaussichten als bloßes Abstreiten der Schuld.


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Kann mein verhängtes Fahrverbot noch nachträglich verkürzt oder verschoben werden?

Ein bereits verhängtes Fahrverbot nachträglich zu verkürzen ist extrem schwierig, da die Dauer feststeht. Für Ersttäter besteht jedoch die Möglichkeit, den Antritt des Fahrverbots innerhalb von vier Monaten selbst zu wählen. Die vollständige Abwendung eines Fahrverbots ist nur im Rahmen des Einspruchsverfahrens bei existenzbedrohender Härte möglich, typischerweise mit erhöhter Geldstrafe als Ausgleich.

Juristen unterscheiden klar: Eine Verkürzung eines einmal rechtskräftig gewordenen Fahrverbots ist im Prinzip ausgeschlossen. Das Gesetz sieht eine feste Dauer vor. Anders sieht es mit der zeitlichen Flexibilität aus. Wer in den letzten zwei Jahren kein Fahrverbot hatte, gilt als Ersttäter. Diese Personen dürfen den Beginn ihres Fahrverbots innerhalb von vier Monaten ab Rechtskraft des Bußgeldbescheids selbst bestimmen. Dies ermöglicht eine Anpassung an wichtige Termine, beispielsweise Urlaube oder berufliche Projekte.

Die vollständige Umgehung, also die Abwendung des Fahrverbots, ist jedoch ein Sonderfall. Sie kommt nur bei einer sogenannten „unzumutbaren Härte“ in Betracht, die Ihre berufliche oder private Existenz ernsthaft bedroht. Diese Entscheidung trifft das Gericht im Rahmen des Einspruchsverfahrens, also bevor das Fahrverbot rechtskräftig wird und Sie es antreten müssen. Das Gericht wägt dabei Ihr individuelles Interesse gegen das öffentliche Interesse an der Ahndung des Verstoßes ab. Oft wird die Abwendung des Fahrverbots durch eine spürbar höhere Geldbuße kompensiert, um den Sanktionscharakter der Strafe aufrechtzuerhalten.

Ein passender Vergleich ist ein fester Konzerttermin: Sie können das Konzert nicht verkürzen oder absagen, nachdem Sie das Ticket gekauft haben (das Fahrverbot ist verhängt). Sie können aber, wenn es Ihr erstes Konzert ist, den Saal erst später betreten (den Antrittstermin verschieben). Die einzige Möglichkeit, gar nicht hingehen zu müssen, wäre, wenn Sie vor dem Kauf des Tickets beweisen könnten, dass der Besuch Ihre Existenz ruiniert – dann würde das Ticket vielleicht storniert, aber mit einer Stornogebühr.

Prüfen Sie umgehend, ob Sie als Ersttäter die Viermonatsfrist zur Antrittswahl nutzen können. Sollten Sie ein Fahrverbot gänzlich abwenden wollen, müssen Sie schnell handeln: Sammeln Sie alle Dokumente, die belegen, dass ein Fahrverbot Ihre wirtschaftliche Existenz akut gefährdet. Dazu gehören Arbeitsverträge, Gewerbeanmeldungen, Auftragsbestätigungen oder Nachweise über fehlende öffentliche Verkehrsanbindungen. Diese Belege sind entscheidend, um vor Gericht eine unzumutbare Härte glaubhaft darzulegen und so die Chance auf eine Abwendung des Fahrverbots zu wahren – typischerweise vor Rechtskraft des Bußgeldbescheids.


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Was passiert, wenn ich nach einem abgewendeten Fahrverbot erneut die rote Ampel überfahre?

Ein erneuter Rotlichtverstoß, nachdem bereits ein Fahrverbot wegen wirtschaftlicher Härte abgewendet wurde, hat gravierende Folgen. Das Gericht würde dies als klare Missachtung der Verkehrsregeln und der zuvor gewährten Milde werten. Ihre Chancen auf erneute Nachsicht sind dann extrem gering, und Sie müssen mit deutlich härteren Strafen rechnen, da die „erzieherische Wirkung“ der Erststrafe als gescheitert gilt.

Das Gericht hat einmal ein Auge zugedrückt, weil Ihre Existenz auf dem Spiel stand. Diese Nachsicht basierte auf der Annahme, dass Sie aus diesem schwerwiegenden Fehler lernen und Ihr Verhalten ändern. Ein weiterer Qualifizierter Rotlichtverstoß würde jedoch unmissverständlich zeigen, dass diese Annahme trügerisch war. Juristen nennen das den Verlust der erzieherischen Wirkung.
Dann wäre ein erneutes Fahrverbot nahezu unvermeidlich. Die ursprünglich verdoppelte Geldbuße, die Ihr Fahrverbot ersetzte, diente als letzte, eindringliche Warnung. Nun würden die Bußgelder voraussichtlich noch einmal deutlich höher ausfallen und die damals festgesetzten 400 Euro weit übersteigen. Bei wiederholten Verstößen kann sogar die Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs in Frage gestellt werden, was im schlimmsten Fall zum Entzug Ihrer Fahrerlaubnis führen könnte.

Denken Sie an die Situation eines Schülers, der nach einer ernsten Verwarnung für einen schwerwiegenden Regelverstoß sofort wieder dieselbe Regel bricht. Seine Chance auf Milde ist dahin. Das Vertrauen ist verspielt. Genau so würde das Gericht Ihre Situation sehen.

Nutzen Sie die damals gewährte Gnade als ernste Mahnung, nicht als Freifahrtschein. Überprüfen Sie Ihre Fahrweise kritisch. Planen Sie ausreichend Pufferzeiten ein, fahren Sie defensiver und vermeiden Sie jegliche Ablenkung. Nur so schützen Sie Ihre Fahrerlaubnis langfristig und vermeiden noch drastischere Konsequenzen.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


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Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Audiovisuelle Vernehmung

Eine audiovisuelle Vernehmung gestattet es dem Gericht, Zeugen per Video- oder Audioübertragung zu hören, selbst wenn diese nicht körperlich im Gerichtssaal anwesend sind. Diese Art der Beweiserhebung fördert die Flexibilität von Gerichtsverfahren und vermeidet unnötige Reisekosten oder Hürden für die Zeugen. Das Gericht kann so trotzdem auf die wichtigen Aussagen zugreifen.

Beispiel: Das Amtsgericht Dortmund nutzte eine audiovisuelle Vernehmung über WhatsApp, um den Arbeitgeber des Handwerkers anzuhören und dessen Existenzgefährdung zu beurteilen.

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Formeller Beschluss

Ein formeller Beschluss ist eine schriftliche Gerichtsentscheidung, die verbindliche Regelungen für den Ablauf eines Verfahrens trifft, ohne dass es sich dabei um ein abschließendes Urteil handelt. Gerichte setzen formelle Beschlüsse ein, um Prozessabläufe zu steuern oder besondere Beweisaufnahmen zu genehmigen. Er verleiht solchen Maßnahmen eine feste Rechtsgrundlage und Transparenz.

Beispiel: Nur dank eines formellen Beschlusses konnte das Amtsgericht Dortmund die umstrittene WhatsApp-Vernehmung des Arbeitgebers als gültiges Beweismittel zulassen.

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Qualifizierter Rotlichtverstoß

Ein qualifizierter Rotlichtverstoß entsteht, wenn ein Verkehrsteilnehmer eine rote Ampel passiert, die bereits länger als eine Sekunde auf Rot geschaltet war. Der Gesetzgeber stuft diese Verstöße als besonders gefährlich ein, da nach dieser Zeitspanne üblicherweise querender Verkehr grün hat. Er zieht daher härtere Strafen nach sich, um die Sicherheit im Straßenverkehr zu gewährleisten.

Beispiel: Weil die Ampel für den Handwerker aus Dortmund bereits sechs Sekunden rot war, bevor er sie überfuhr, handelte es sich um einen qualifizierten Rotlichtverstoß mit entsprechenden Konsequenzen.

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Rechtskraft

Rechtskraft bedeutet, dass eine gerichtliche Entscheidung oder ein amtlicher Bescheid endgültig und unanfechtbar ist und nicht mehr mit regulären Rechtsmitteln wie Einspruch oder Berufung angefochten werden kann. Diese Endgültigkeit schafft sowohl Rechtssicherheit für alle Beteiligten als auch Rechtsfrieden, da Streitigkeiten damit verbindlich abgeschlossen sind. Nur so lassen sich gerichtliche Entscheidungen auch vollstrecken.

Beispiel: Nach Ablauf der Einspruchsfrist wäre der Bußgeldbescheid des Handwerkers in Rechtskraft getreten, und das Fahrverbot hätte ohne weitere Prüfung seine Gültigkeit entfaltet.

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Sanktionscharakter

Der Sanktionscharakter einer Strafe betont ihre Eigenschaft, begangenes Unrecht zu ahnden und eine abschreckende Wirkung für den Betroffenen und die Allgemeinheit zu erzielen. Der Gesetzgeber stellt damit sicher, dass jeder Rechtsverstoß eine spürbare Konsequenz nach sich zieht. Er fördert die Akzeptanz von Regeln und dient der Generalprävention, indem er andere von ähnlichen Vergehen abhält.

Beispiel: Obwohl das Fahrverbot entfiel, verdoppelte das Gericht die Geldbuße, um den Sanktionscharakter des qualifizierten Rotlichtverstoßes aufrechtzuerhalten und eine spürbare Konsequenz für den Handwerker zu sichern.

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Unzumutbare Härte

Eine unzumutbare Härte beschreibt eine Situation, in der die Folgen einer gesetzlich vorgesehenen Strafe für einen Betroffenen derart schwerwiegend sind, dass sie seine berufliche oder private Existenz unmittelbar gefährden. Das Gericht kann in solchen Ausnahmefällen von der Regelsanktion absehen, um unverhältnismäßige Auswirkungen auf das Leben des Betroffenen zu vermeiden. Der Staat achtet darauf, dass Strafen nicht die gesamte Lebensgrundlage zerstören.

Beispiel: Der Handwerker argumentierte erfolgreich, dass ein Fahrverbot für ihn eine unzumutbare Härte darstelle, da er sowohl im Haupt- als auch im Nebenerwerb dringend auf sein Auto angewiesen war.

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Wichtige Rechtsgrundlagen


Wegfall eines Fahrverbots bei unzumutbarer Härte (§ 4 Abs. 4 BKatV i.V.m. § 25 Abs. 1 StVG)

Ein Gericht kann ausnahmsweise von einem Fahrverbot absehen, wenn dessen Verhängung für den Betroffenen eine außergewöhnlich schwere und unzumutbare Belastung darstellen würde.

Bedeutung im vorliegenden Fall: Da der Handwerker nachweisen konnte, dass ein Fahrverbot seine berufliche Existenz unwiederbringlich gefährden würde, sah das Gericht von dieser sonst obligatorischen Sanktion ab.

Vernehmung über audiovisuelle Übertragung (§ 223 StPO i.V.m. § 46 OWiG)

Gerichte können Zeugen in bestimmten Fällen per Video zugeschaltet vernehmen, um die Teilnahme zu erleichtern oder Verfahren zu beschleunigen.

Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Aussage des Arbeitgebers, die für die Beurteilung der wirtschaftlichen Härte entscheidend war, konnte dank dieser Möglichkeit unkompliziert per WhatsApp-Videoanruf in das Verfahren eingebracht werden, weil beide Seiten zustimmten und das Gericht es per Beschluss erlaubte.

Grundsätze der Bußgeldbemessung (§ 17 Abs. 3 OWiG)

Das Gericht muss bei der Festsetzung eines Bußgeldes die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit, den Vorwurf an den Betroffenen und dessen wirtschaftliche Verhältnisse berücksichtigen.

Bedeutung im vorliegenden Fall: Um die Schwere des Verkehrsverstoßes trotz des wegfallenden Fahrverbots zu sanktionieren und gleichzeitig die wirtschaftliche Lage des Handwerkers zu berücksichtigen, wurde die Geldbuße verdoppelt und Ratenzahlung gewährt.

Rotlichtverstoß als Ordnungswidrigkeit (§ 37 Abs. 2 StVO i.V.m. Nr. 132.3 BKatV)

Das Überfahren einer roten Ampel stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die je nach Dauer der Rotphase mit einem Bußgeld und Punkten sowie unter Umständen einem Fahrverbot geahndet wird.

Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Handwerker hatte eine rote Ampel nach sechs Sekunden überfahren, was einen qualifizierten Rotlichtverstoß darstellt, der üblicherweise ein Fahrverbot und eine höhere Geldbuße nach sich zieht.


Das vorliegende Urteil


AG Dortmund – Az.: 729 OWi – 268 Js 298/25 – 30/25 – Urteil vom 27.03.2025


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