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Beweisverwertungsverbot wegen Verstoßes gegen Beweiserhebungsverbot

LG Köln – Az.: 157 Ns 8/20 – Beschluss vom 01.04.2021

Der Widerspruch der Verteidiger gegen die Einführung und Verwertung der Videoaufzeichnungen, auf denen die verfahrensgegenständlichen Ereignisse abgebildet sein sollten, ist begründet.

Gründe

Die Verwertung der Videoaufzeichnung unterliegt einem Beweisverwertungsverbot.

Bei der Beurteilung ist die Kammer von folgenden rechtlichen Grundsätzen ausgegangen.

Das Strafverfahrensrecht kennt keinen allgemein geltenden Grundsatz, wonach jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsverbote ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht. Ob ein solche eingreift, ist vielmehr jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Dabei ist zu beachten, dass die Annahme eines Verwertungsverbots den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind.

Deshalb handelt es sich bei einem Beweisverwertungsverbot um eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (vergleiche BGH NStZ 2019, 227, 228; ähnlich: Bundesverfassungsgericht NJW 2012, 907, 910; Ott, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl., § 261 Rn. 148).

Maßgeblich beeinflusst wird das Ergebnis der danach vorzunehmenden Abwägung einerseits durch das Ausmaß des staatlichen Aufklärungsinteresses, dessen Gewicht im konkreten Fall vor allem unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit weiterer Beweismittel, der Intensität des Tatverdachts und der Schwere der Straftat bestimmt wird. Andererseits ist das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes von Belang, das sich vor allem danach bemisst, ob der Rechtsverstoß gutgläubig, fahrlässig oder vorsätzlich begangen wurde.

Schwerwiegende, bewusste oder willkürliche Verfahrensverstöße, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen werden, verlangen von Verfassung wegen die Unverwertbarkeit dadurch gewonnener Informationen (vergleiche BGH am angegebenen Ort; ähnlich: Bundesverfassungsgericht am angegebenen Ort).

Die Kammer geht inzwischen davon aus, dass die Polizeibeamten, die die Aufnahme, worauf die streitgegenständlichen Ereignisse zu sehen und zu hören sind, angefertigt haben, gegen § 15 PolG NRW verstoßen haben. Auf der CD 1 finden sich insgesamt 15 Ton- und Filmaufnahmen. Ausweislich der Zeitstempel beginnen sie um 18:34 Uhr und enden um 19:14 Uhr. In der Berufungshauptverhandlung hat sich allerdings ergeben, dass die Zeitstempel durchgängig zeitversetzt auftauchen. Das hier in Rede stehende Fußballspiel begann nämlich nicht um 18:30 Uhr sondern um 19:30 Uhr. Die Aufnahme mit dem Zeitstempel 18:34 Uhr wurde also tatsächlich um 19:34 Uhr angefertigt. Die Aufnahme mit dem Zeitstempel 19:14 Uhr wurde tatsächlich um 20:14 Uhr, also zum Ende der ersten Halbzeit des Fußballspiels angefertigt. Die Zeitpunkte, zu denen die Aufnahmen angefertigt wurden, bzw. zu denen damit jeweils begonnen wurde, sind unter Berücksichtigung der genannten Verschiebung folgende:

19:34 Uhr, 19:36 Uhr, 19:37 Uhr, 19:39 Uhr, 19:41 Uhr, 19:43 Uhr, 19:44 Uhr, 19:50 Uhr, 19:53 Uhr, 19:56 Uhr, 19:58 Uhr, 20:00 Uhr, 20:04 Uhr, 20:05 Uhr und 20:14 Uhr. Die Dauer der jeweiligen Aufnahmen differiert erheblich. Die kürzeste dauert etwa eine Sekunde, die längste etwa sechs Minuten. Überwiegend sind die Aufnahmen zwischen einer halben und etwa zwei Minuten lang. Auf den Aufnahmen sieht bzw. hört man eine große Gruppe meist halb nackter, teilweise etwas schwabbeliger jüngerer Männer, die trommeln, brüllen und grölen. Das sind, je nach persönlicher Sichtweise, Geschmacklosigkeiten oder Besonderheiten gemeinsamer Freizeitgestaltung, in keinem Fall aber Straftaten. Strafbares bzw. möglicherweise strafbares Verhalten ist nur auf einem Film zu hören und zu sehen, nämlich dem hier streitgegenständlichen. Er trägt den Zeitstempel 19:00 Uhr, wurde also ab 20:00 Uhr in der ersten Halbzeit angefertigt.

Die Kammer war ursprünglich davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen der Eingriffsnorm des § 15 PolG NRW vorliegen. Hinsichtlich der rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen dieser Würdigung wird auf den Beschluss vom 11.03.2021 verwiesen. Die Kammer geht inzwischen davon aus, dass diese Würdigung im Ergebnis unzutreffend war. Die Zeugin H. hat sämtliche erwähnten Filme angefertigt. Sie hat unter anderem angegeben, nur sie habe die Kamera gehabt. Der Zeuge B. hat angegeben, er habe entschieden, dass und was gefilmt wird. Er wisse allerdings nicht, ob die Entscheidung zum Filmen von ihm oder von der Zeugin H. gekommen sei. Die Kammer geht davon aus, dass dies zutrifft. Sämtliche Filme sind aus derselben Perspektive und Entfernung aufgenommen. Dass andere Polizeibeamte ebenfalls gefilmt haben könnten, ist nicht ersichtlich.

Die Zeugin H. hat auch ausgesagt, während der ersten Halbzeit sei nicht gefilmt worden, jedenfalls nicht von ihr mit der Kamera. Das stimmt nach Auffassung der Kammer nicht. Es ist widerlegt durch die Videosequenzen selbst und durch die Zeitstempel. Die Kammer geht davon aus, dass die Zeugin H. – gegebenenfalls auf Anweisung des Zeugen B. – Videosequenzen aufgenommen hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 15 PolG NRW vorlagen. Die Zeugin H. hat ausgesagt, es sei aus der Fangruppe Pyrotechnik gezündet worden. Das sei auch an dem Tag gewesen. Was den Zeitpunkt angeht, hat sie indes schwankende Angaben gemacht. Zunächst hat sie angegeben, das sei am Ende der ersten Halbzeit gewesen. Im weiteren Verlauf ihrer Aussage hat sie angegeben, das Ereignis habe stattgefunden als sie auf dem Weg zum Ausgang war, zum Ende der Pause oder zu Beginn der zweiten Halbzeit. Im weiteren Verlauf ihrer Aussage hat sie angegeben, vor der Anfertigung der hier in Rede stehenden Aufnahme habe es den Vorfall mit Pyrotechnik gegeben; ihre Kamera habe sie später angeschaltet, „weil im Vorfeld Straftaten waren“.

Das alles passt nicht zu den Zeitpunkten und der Menge der angefertigten Videoaufnahmen. Schon die hier in Rede stehende Aufnahme wurde eine Viertelstunde vor Ende der ersten Halbzeit, nämlich um 20:00 Uhr (Zeitstempel 19:00 Uhr) angefertigt. Die Zeugin H. hatte schon zu Beginn der ersten Halbzeit angefangen zu filmen und dies die ganze erste Halbzeit hindurch – in Abschnitten – fortgeführt.

Die Kammer geht im Ergebnis davon aus, dass die Zeugin H. und möglicherweise auch der Zeuge B. entschieden haben, mehr oder weniger durchgängig kürzere oder längere Aufnahmen anzufertigen, ohne dass Tatsachen vorlagen, die die Annahme rechtfertigten, dass Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begangen werden. Soweit die Zeugin H. angegeben hat, auch bei früheren Spielen habe es Vorfälle im Zusammenhang mit dem Abbrennen von pyrotechnischem Material gegeben, bietet dies keine ausreichende Grundlage, um die Voraussetzungen von § 15 PolG NRW feststellen zu können. Das geht über die Grundlage nicht hinreichender (vergleiche dazu Ogorek, in: BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht NRW, 16. Edition, § 15 PolG NRW Rn. 7) Vermutungen bevorstehender Straftaten schon der Sache nach nicht hinaus. Die Aussage der Zeugin H. ist in diesem Punkt auch nicht hinreichend belastbar. Dies ergibt sich bereits aus den dargestellten Diskrepanzen zwischen dem Inhalt ihrer Aussage im Übrigen und den objektiven Umständen was die Anfertigung von Videoaufnahmen in der ersten Halbzeit des Spiels angeht. Hinzu kommt, dass der Zeuge B. ausschließlich auf die „Gesänge“ abgestellt hat, die es möglicherweise auch an den Tagen vor der Aufnahme – gemeint waren die Spieltage – gegeben habe. Von Ereignissen mit pyrotechnischen Material wusste er aus eigener Erinnerung gar nichts zu sagen.

Würde die Kammer die Videoaufnahme mit den Gesängen – eigentlich eher Gebrüll -, die den Vorwurf des vorliegenden Verfahrens bilden, als Beweismittel bei der Urteilsfindung verwerten (§ 261 StPO), läge darin ein unzulässiger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) der Angeklagten.

Die Verwertung personenbezogener Informationen in einer gerichtlichen Entscheidung greift in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein. Das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als besondere Ausprägungen unter anderem das Recht am eigenen Wort das Recht am eigenen Bild und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vergleiche Bundesverfassungsgericht am angegebenen Ort Seite 912).

Die nach den oben dargestellten Maßstäben vorzunehmende Abwägung führt hier dazu, dass das Strafverfolgungsinteresse gegenüber dem Grundrechtsschutz zurückzutreten hat. Die Kammer hat dabei allerdings durchaus erhebliche Gesichtspunkte gefunden, die gegen ein Zurücktreten des staatlichen Strafverfolgungsinteresses und damit gegen die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes sprechen. Die hier in Rede stehenden Aufnahmen sind weit davon entfernt, in den innersten Bereich des Persönlichkeitsrechts einzugreifen.

Die Veranstaltung war öffentlich. Sie fand im Freien statt. Die Angeklagten waren Teil einer großen Gruppe. Keiner der einzelnen Angeklagten stand im Fokus der Aufnahme oder wurde speziell überwacht. Betroffen war nicht die Privatsphäre der Angeklagten sondern die Sozialsphäre. Die Sozialsphäre umfasst die Teilnahme des Grundrechtsträgers am öffentlichen Leben. Er gibt darin Informationen in der Regel preis, was allerdings nicht dazu führt, dass Grundrechtseingriffe in diesem Bereich ohne weiteres und ohne Interessenabwägung zulässig wären (vergleiche Wieneck, „Fußballfans sind keine Verbrecher – oder doch?“ JA 2018, 38, 45). Die Aufnahmen erfolgten auch offen und für die Gruppe erkennbar. Andererseits bestand keine Möglichkeit, sich den Aufnahmen zu entziehen, ohne die Tribüne zu verlassen.

Dem stehen allerdings überwiegende Gesichtspunkte entgegen, die im Ergebnis die Zulassung des Beweismittels verbieten. Die Kammer sieht hier einen möglicherweise vorsätzlichen, jedenfalls aber grob fahrlässigen Verstoß gegen das Polizeirecht. Den von der Zeugin H. in ihrer Aussage erwähnten Gesetzesverstoß, nämlich das Abbrennen eines Rauchtopfs, gab es zwar möglicherweise, jedoch nicht vor Beginn der Überwachung der Gruppe mittels Video und auch nicht vor der hier in Rede stehenden Aufnahme mit den den Angeklagten vorgeworfenen Gesängen. Aufgrund der Vielzahl und der zeitlichen Verteilung der Aufnahmen über die ganze erste Halbzeit geht die Kammer von einem Verhalten aus, welches planmäßigen oder systematischen Verfahrensverstößen zumindest gleichkommt. Die Kammer sieht zwar durchaus ein staatliches Aufklärungsinteresse, da weitere Beweismittel, mit denen nicht nur nachgewiesen werden könnte, dass die streitgegenständlichen Gesänge stattgefunden haben, sondern auch eine Zuordnung zu den Angeklagten erfolgen könnte, nicht vorliegen.Es besteht durchaus auch dringender Tatverdacht. Die Kammer hätte keine Bedenken, den Verfahrensverstoß gegenüber dem staatlichen Aufklärungsinteresse zurücktreten zu lassen, wenn es sich um den Verdacht einer schwerwiegenden Straftat oder auch nur um eine Tat aus dem Bereich der mittleren Kriminalität handeln würde. Die hier in Rede stehenden Taten sind allerdings dem Bereich der Kleinkriminalität zuzuordnen.

Die Kammer erkennt an, dass es ein legitimes Interesse des Staates und auch der Polizei und ihrer Amtsträger gibt, die Polizeibeamten im täglichen Dienst nicht schutzlos den Insultationen grobschlächtiger Leute auszuliefern. Das Delikt (Beleidigung, § 185 1. Alt. StGB) ist aber nur mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bedroht. Der Grad des möglichen persönlichen Verschuldens der Angeklagten ist gering. Die Angeklagten sind strafrechtlich völlig unvorbelastet.

Der Vorgang liegt schon mehrere Jahre zurück, ohne dass sie sich wieder etwas haben zuschulden kommen lassen. Die materielle Strafbarkeit des den Angeklagten vorgeworfenen Verhaltens kommt durchaus in Betracht. Der Fall liegt allerdings in einem Grenzbereich, bei dem die Ehre der Polizeibeamten gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung abzuwägen ist. Um plumpe Schmähkritik, bei der eine Abwägung nicht erforderlich ist, um zu einer Strafbarkeit wegen Beleidigung zu kommen (vergleiche dazu Bundesverfassungsgericht NStZ-RR 2016, 277; NJW 2017, 2607), geht es nicht. Schließlich kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Zeugin H. die Gruppe über längere Zeit immer wieder gefilmt hat, ohne dass es irgendwelches strafbare Verhalten gab. Dies mag dazu geführt haben, dass sich die Gruppe irgendwann provoziert gefühlt hat und sich im Wesentlichen aus diesem Grunde entschlössen hat, die hier in Rede stehenden Gesänge anzustimmen.

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