Leitsätze:
1. In Fällen, in denen gefertigte Kopien oder eine elektronische Erfassung durch Einscannen im weiteren Verfahren nicht in gleicher Weise zu Beweiszwecken verwendet werden können wie die Originale, sind in Papierform aufgefundene (Original-) Unterlagen – insbesondere solche im Sinne der §§ 257 HGB, 140-148 AO – im Original zu beschlagnahmen.
2. Bei derartigen Unterlagen und der Prüfung einer Verdachtslage nach § 370 AO ist dieses bereits dann der Fall, wenn nur mittels der (Sach-) Gesamtheit derartiger Unterlagen und ihres – auch bildlichen – Zustandes überprüft werden kann, ob eine Befugnis zur Schätzung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO gegeben ist.
3. Dem Betroffenen ist dann die Möglichkeit einzuräumen, Kopien derartiger Unterlagen zu erhalten, wenn er diese für einen von ihm darzulegenden oder sonst allgemein nachvollziehbaren dringenden Zweck benötigt. Er hat nicht das Recht, pauschal die Fertigung und Herausgabe einer Kopie aller sichergestellter Unterlagen zu verlangen.
4. Die Fertigung von Ablichtungen durch die Ermittlungsbehörden kann und darf u. U. nicht kostenneutral für den Antragsteller erfolgen, wenn die hierfür geltenden gesetzlichen Regelungen, insbesondere der §§ 464a Abs. 1 Satz 2 StPO; 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, 3 Abs. 2 i. V. m. Nr. 9000 Kostenverzeichnis der Anlage 1 zum GKG, erfüllt sind.
1. Auf die Beschwerde der Bußgeld- und Strafsachenstelle beim Finanzamt … wird der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 14.02.2024, Az.: 57 Gs 728/24, 57 Gs 730-733/24 aufgehoben.
2. Die Beschlagnahme der nachfolgend bezeichneten Gegenstände und Unterlagen wird angeordnet:
………
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die durch dieses dem Beschuldigten entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
A.
Der Beschuldigte ist alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der unter [ ] im Handelsregister bei dem Amtsgericht [ ] eingetragenen [ ] GmbH. Ferner fungiert der Beschuldigte als Kommanditist der unter [ ] im Handelsregister bei dem Amtsgericht [ ] eingetragenen [ ] gesellschaft mbH & Co. KG, deren Komplementärin die vorgenannte [ ] GmbH ist. Schließlich sind die [ ] GmbH Komplementärin und der Beschuldigte Kommanditist der unter [ ] im Handelsregister bei dem Amtsgericht [ ] eingetragenen [ ] GmbH & Co. KG.
Die Bußgeld- und Strafsachenstelle beim Finanzamt … führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung. Gegen den Beschuldigten besteht der Verdacht, Steuern wie folgt hinterzogen zu haben:
Das Amtsgericht Nürnberg – Ermittlungsrichter – erließ am 10.05.2023 einen Durchsuchungsbeschluss gem. § 102 StPO zur Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten in der [ ] sowie seiner Arbeitsplätze in den Firmengebäuden der [ ] GmbH und der [ ] gesellschaft mbH & Co. KG. Des Weiteren erließ das Amtsgericht Nürnberg – Ermittlungsrichter – Beschlüsse gem. § 103 StPO zur Durchsuchung in den Geschäftsräumen der [ ] GmbH, der [ ] GmbH & Co.KG, der [ ] gesellschaft mbH & Co. KG sowie beim ehemaligen Steuerberater RA [ ], ehemaligen Geschäftspartnern und den Banken des Beschuldigten (Bl. 982-1108).
Die Durchsuchungen wurden am 18.07.2023 vollzogen. Der Beschuldigte wurde hierbei in seiner Wohnung angetroffen und als Beschuldigter belehrt.
Im Rahmen der Durchsuchungen wurden zahlreiche Unterlagen und elektronische Datenträger in der Wohnung des Beschuldigten ([ ]), in den Geschäftsräumen der [ ] GmbH ([ ]), in den Geschäftsräumen der [ ] gesellschaft mbH & Co. KG ([ ]) und der Steuerberaterkanzlei von RA [ ] ([ ]) aufgefunden.
Mit Schriftsatz vom 02.08.2023 zeigte sich Rechtsanwältin [ ] unter Vollmachtsvorlage als Verteidigerin des Beschuldigten an und beantragte Akteneinsicht (Bl. 1641-1642).
Mit Schriftsatz vom 17.08.2023 zeigte sich Rechtsanwalt [ ] unter Vollmachtsvorlage als weiterer Verteidiger des Beschuldigten an und beantragte ebenfalls Akteneinsicht (Bl. 1661-1663).
Verteidigerin [ ] wurde vom sachbearbeitenden Steuerfahnder am 24.08.2023 mitgeteilt, dass die im Rahmen der Durchsuchung sichergestellten IT-Geräte forensisch ausgewertet worden seien, und mit dem Beschuldigten ein Termin für die Rückgabe vereinbart werden könne (Bl. 1682).
Mit E-Mail vom 29.08.2023 forderte der sachbearbeitende Steuerfahnder von dem Obergerichtsvollzieher beim Amtsgericht [ ] Auskünfte zu Zwangsvollstreckungsverfahren der [ ] GmbH und der [ ] gesellschaft mbH & Co. KG an. Darin führte er wörtlich aus (Bl. 1684):
„Nach Durchsicht der Beweismittel ist festzustellen, dass die [ ] GmbH Forderungen zu begleichen hat, welche zum Teil im Rahmen der Zwangsvollstreckung bei Ihnen angemeldet wurden.“
Im September 2023 wurde den Verteidigern des Beschuldigten Akteneinsicht gewährt. Verteidigerin [ ] teilte am 26.09.2023 telefonisch mit, sie wolle auch in die sichergestellten Beweismittel Einsicht nehmen. Der Verteidigerin wurde vom sachbearbeitenden Steuerfahnder mitgeteilt, dass eine Einsichtnahme nur an Amtsstelle möglich sei (Bl. 1711).
Mit an das Amtsgericht Nürnberg gerichtetem Schriftsatz vom 20.11.2023 teilte Verteidiger [ ] mit, die zur Einsicht überlassene Akte sei unvollständig. Es sei eine „Vielzahl von Beweisstücken nach § 109 StPO beschlagnahmt worden, darunter 64 Leitz-Ordner“, in die er ebenfalls Einsicht nehmen wolle (Bl. 1713-1714).
Mit Schreiben vom 05.12.2023 teilte die Bußgeld- und Strafsachenstelle dem Verteidiger [ ] mit, dass die gewünschte Einsicht in die vorläufig sichergestellten und bislang nicht beschlagnahmten Asservate grundsätzlich nur an Amtsstelle erfolgen könne. Es bestehe auch kein Anspruch auf die Aushändigung von Kopien. Kopien oder Scans könnten durch das Büropersonal des Verteidigers angefertigt werden (Bl. 1715-1716).
Mit weiterem Schriftsatz vom 11.12.2023, welcher inhaltsgleich an das Amtsgericht Nürnberg und die Bußgeld- und Strafsachenstelle versandt wurde, beantragte Verteidiger [ ], die vorläufig sichergestellten Beweisstücke umgehend, spätestens jedoch bis zum 31.01.2024, entweder zu beschlagnahmen oder herauszugeben, und die dergestalt vervollständigte Akte an ihn zur Akteneinsicht zu übersenden (Bl. 1736-1739). Zur Akteneinsicht führte er aus, dass zwar ein genereller Anspruch auf Übersendung der Akte in die Kanzlei nicht bestehe, die Einsichtnahme jedoch unter zumutbaren Bedingungen erfolgen können müsse. Die angefragten Aktenstücke seien bislang erst vorläufig sichergestellt. Es sei jedoch in der E-Mail vom 29.08.2024 (Bl. 1684) festgehalten, dass zu diesem Zeitpunkt bereits die Durchsicht der Akte abgeschlossen gewesen sei.
Der Abschluss der Durchsicht der vorläufig sichergestellten Unterlagen wurde am 18.12.2023 in der Akte vermerkt (Bl. 1744).
Die Bußgeld- und Strafsachenstelle beantragte mit Verfügung vom 18.01.2024, eingegangen beim Amtsgericht Nürnberg am 22.01.2024, die Beschlagnahme von 82 näher bezeichneten sichergestellten Gegenständen als Beweismittel (Bl. 1776-1793). Zur Begründung führte sie aus, die Gegenstände gäben Aufschluss über die geschäftlichen Aktivitäten, die steuerlichen Verhältnisse, die Vermögensverhältnisse, die Geldflüsse sowie die Eingangs- und Ausgangsrechnungen des Beschuldigten. Zugleich wurde die Rückgabe von Unterlagen sowie der forensisch gesicherten IT-Beweismittel an den Beschuldigten verfügt (vgl. Bl. 1781).
Mit Verfügung des Amtsgerichts Nürnberg vom 23.01.2024 wurde den Verteidigern des Beschuldigten die Gelegenheit gegeben, sich binnen einer Frist von zwei Wochen zum beantragten Beschlagnahmebeschluss zu äußern (Bl. 1834).
Verteidiger [ ] nahm mit Schriftsatz vom 25.01.2024, eingegangen beim Amtsgericht Nürnberg am selben Tag, unter Bezugnahme auf ein vorangegangenes Telefonat mit dem zuständigen Ermittlungsrichter Stellung und führte aus, dass aufgrund der bereits erfolgten Durchsicht des sichergestellten Materials kein Beschlagnahmebedürfnis bestehe (Bl. 1836-1838). Die Verteidigung habe Anspruch auf Einsicht in die gesamte Akte unter zumutbaren Rahmenbedingungen. Zudem benötige der Beschuldigte die Unterlagen bzw. zumindest erhebliche Teile dringend für den Betrieb seiner Unternehmung.
Mit Verfügung vom 26.01.2024 teilte das Amtsgericht Nürnberg – Ermittlungsrichter – der Bußgeld- und Strafsachenstelle mit, dass eine Beschlagnahme der Unterlagen im Original nach vorläufiger Auffassung des Gerichts jedenfalls dann unverhältnismäßig sei, wenn der Beschuldigte noch nicht einmal die Möglichkeit eingeräumt bekomme, an Kopien der Unterlagen zu gelangen, um seinen Geschäftsbetrieb fortzuführen (Bl. 1860). Es werde daher um Mitteilung an das Gericht bis spätestens 01.02.2024 gebeten, bis wann eine Digitalisierung der beweisrelevanten Unterlagen zur Einsichtnahme für die Verteidiger erfolgen könne. Ohne die Aussicht einer zeitnahen Möglichkeit, zumindest an Kopien der Unterlagen zu kommen, sei der Antrag auf Beschlagnahme wohl abzulehnen.
Im Nachgang zu einem Telefonat vom selben Tag teilte Herr [ ], Steuerfahndungsstelle, dem zuständigen Ermittlungsrichter mit Schreiben vom 29.01.2024 mit, dass weder die Steuerfahndungsstelle noch die Bußgeld- und Strafsachenstelle über die Kapazitäten verfügten, sämtliche sichergestellte Beweismittel einzuscannen (Bl. 1840). Zugleich bat er um Verlängerung der Stellungnahmefrist bis 15.02.2024.
Mit Verfügung vom 29.01.2024 gewährte das Amtsgericht Nürnberg die beantragte Fristverlängerung (Bl. 1865).
Die Bußgeld- und Strafsachenstelle führte in ihrer Stellungnahme an das Amtsgericht Nürnberg vom 14.02.2024 aus, dass die Gegenstände, deren Beschlagnahme beantragt worden sei, eine potentielle Beweisbedeutung hätten (Bl. 1870-1881). Bei einem Vorhalten der Beweismittel lediglich in digitaler Form drohe ein Beweismittelverlust im Strafverfahren. Die Frage der Beschlagnahme könne auch nicht davon abhängig gemacht werden, ob dem Verteidiger die Beweismittel in digitaler Form zur Verfügung gestellt würden.
Mit weiterem Schreiben vom 14.02.2024 bot die Bußgeld- und Strafsachenstelle dem Verteidiger [ ] die Digitalisierung von Unterlagen an, deren Beschlagnahme beantragt wurde, soweit die Unterlagen für die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs erforderlich seien und eine Digitalisierung mit angemessenem Aufwand möglich sei (Bl. 1876-1878).
Mit Beschluss vom 14.02.2024 lehnte das Amtsgericht Nürnberg den Beschlagnahmeantrag ab und verfügte die Herausgabe der Unterlagen an den letzten Gewahrsamsinhaber (Bl. 1894-1895). Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, dass die Beschlagnahme der Unterlagen im Original unverhältnismäßig sei, da die Bußgeld- und Strafsachenstelle dem Gericht nicht habe nachvollziehbar machen können, weshalb nicht auch eine Beschlagnahme in Kopie für die Sicherung des Verfahrens genüge. Auch eine Digitalisierung der Unterlagen sei nicht erfolgt, um der Verteidigung hiermit ein Arbeiten und dem Beschuldigten ein Fortführen seines Geschäftsbetriebs zu ermöglichen.
Gegen diesen Beschluss legte die Bußgeld- und Strafsachenstelle unter dem 16.02.2024, eingegangen am gleichen Tage, Beschwerde ein (Bl. 1899-1900) und begründete diese mit Schreiben vom 19.02.2024 (Bl. 1901-1909). Darin führte die Bußgeld- und Strafsachenstelle umfassend aus, warum aus ihrer Sicht eine Beschlagnahme der Originalunterlagen für die Durchführung des weiteren Ermittlungsverfahrens erforderlich sei.
Das Amtsgericht Nürnberg half der Beschwerde mit Beschluss vom 19.02.2024 nicht ab, ordnete jedoch die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Beschlusses bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts gem. § 307 Abs. 2 StPO an (Bl. 1910-1911).
Die Bußgeld- und Strafsachenstelle legte die Beschwerde am 21.02.2024 dem Landgericht Nürnberg-Fürth zur Entscheidung vor.
Mit Schreiben vom 22.03.2024 wies die Bußgeld- und Strafsachenstelle die Verteidiger des Beschuldigten zum wiederholten Male darauf hin, dass die beim Beschuldigten sichergestellten IT-Geräte, auf welchen sich u.a. Buchhaltungsunterlagen der [ ] GmbH und der [ ] gesellschaft GmbH & Co. KG befänden, bei der Steuerfahndungsstelle des Finanzamts … abgeholt werden könnten.
Mit Verfügung des Beschwerdegerichts vom 02.04.2024 wurde die Bußgeld- und Strafsachenstelle um Stellungnahme gebeten, ob aus ihrer Sicht Bedenken gegen eine Mitteilung der Beschwerde zur Gegenerklärung an den Beschuldigten bestünden.
Mit Schreiben vom 11.04.2024 teilte die Bußgeld- und Strafsachenstelle mit, dass keine Bedenken gegen die Mitteilung an den Beschuldigten bestünden.
Mit Verfügung vom 15.04.2024 wurde den Verteidigern des Beschuldigten Gelegenheit zur Abgabe einer Gegenerklärung bis spätestens 29.04.2024 gegeben.
Mit Schriftsatz vom 23.04.2024 nahm Verteidiger [ ] Stellung und führte aus, dass ein Beschlagnahmebedürfnis der Bußgeld- und Strafsachenstelle nicht nachvollziehbar sei.
Eine Stellungnahme von Verteidigerin [ ] ging nicht ein.
B.
Die Beschwerde ist zulässig gemäß § 304 Abs. 1 StPO. Die Beschwerde ist auch begründet, da die Ablehnung der Beschlagnahme rechtswidrig ist. Die Beschlagnahme ist in dem von der Beschwerdeführerin beantragten Umfang anzuordnen.
1. a) Die Staatsanwaltschaft und auf deren Anordnung ihre Ermittlungspersonen sind gemäß § 110 StPO bei Durchsuchungen zur Durchsicht von Papieren und elektronischen Daten befugt. Die Durchsicht stellt noch keine formelle Sicherstellung oder Beschlagnahme dar (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 110 Rn. 2). Vielmehr dient sie der Prüfung, ob eine richterliche Beschlagnahme zu beantragen oder eine Rückgabe notwendig ist (BGH, Beschluss vom 05.06.2019 – StB 6/19; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 23.10.1996 – 3 VAs 4/96; OLG Jena, Beschluss vom 20.11.2000 – 1 Ws 313/00; LG Köln, Beschluss vom 31. Januar 2024 – 118 Qs 12/23). Im Rahmen der Durchsicht ist eine Auswertung von Beweismitteln nicht gestattet; diese darf erst nach richterlicher Anordnung der Beschlagnahme gem. § 94 Abs. 2 i.V.m. § 98 Abs. 1 S. 1 StPO erfolgen (BVerfG, Beschluss vom 17.11.2022 – 2 BvR 827/21). Werden im Rahmen einer Durchsuchung Unterlagen zur Durchsicht sichergestellt, ist grundsätzlich eine richterliche Beschlagnahme oder jedenfalls eine richterliche Bestätigung der Sicherstellung erforderlich, bevor die Unterlagen ausgewertet werden (vgl. LG Stralsund, Beschluss vom 26. Juli 2022 – 26 Qs 45/21). Dieses Zwischenstadium ist der endgültigen Entscheidung über die Beschlagnahme vorgelagert (vgl. BGH, Beschluss vom 18.05.2022 – StB 17/22). Zu Beweisstücken im Sinne des § 147 Abs. 1 StPO werden die im Rahmen der Durchsuchung vorläufig sichergestellten Datenträger im Übrigen auch erst, wenn die Durchsicht gem. § 110 Abs. 1 StPO erfolgt und eine Beschlagnahmeanordnung ergangen ist (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 30.03.2021 – 5 Ws 16/21).
b) Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, sind in Verwahrung zu nehmen oder in anderer Weise sicherzustellen (§ 94 Abs. 1 StPO). Befinden sich die Gegenstände in dem Gewahrsam einer Person und werden sie nicht freiwillig herausgegeben, so bedarf es der Beschlagnahme (§ 94 Abs. 2 StPO). Beschlagnahmen dürfen nur durch das Gericht, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) angeordnet werden (§ 98 Abs. 1 Satz 1 StPO). Der Beamte, der einen Gegenstand ohne gerichtliche Anordnung beschlagnahmt hat, soll binnen drei Tagen die gerichtliche Bestätigung beantragen, wenn der Betroffene gegen die Beschlagnahme ausdrücklichen Widerspruch erhoben hat (§ 98 Abs. 2 Satz 1 StPO). Ein Verstoß gegen diese Frist hat keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Beschlagnahme, es sei denn, die Fristüberschreitung dient der bewussten Ausschaltung der richterlichen Kontrolle (MüKoStPO/Hauschild, 2. Aufl. 2023, StPO § 98 Rn. 23; KK-StPO/Greven, 9. Aufl. 2023, StPO § 98 Rn. 16).
aa) Beweismittel sind alle Gegenstände, die mittelbar oder unmittelbar für die Tat oder die Umstände ihrer Begehung Beweis erbringen (OLG Hamm, Beschluss vom 18.08.2020 – 2 Ws 108/20) oder für den Straffolgenausspruch Beweisbedeutung haben (OLG München, Beschluss vom 05.12.1977 – 1 Ws 1309/77; OLG Hamm (2. Strafsenat), Beschluss vom 18.08.2020 – 2 Ws 107/20, 2 Ws 108/20, 2 Ws 109/20; BeckOK StPO/Gerhold, 52. Ed. 1.7.2024, StPO § 94 Rn. 5). Untersuchung im Sinne des § 94 StPO meint das Strafverfahren von seiner Einleitung bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss (OLG Hamm, Beschluss vom 18.08.2020 – 2 Ws 108/20; BeckOK StPO/Gerhold, 52. Ed. 1.7.2024, StPO § 94 Rn. 6). Das Vorliegen eines einfachen Anfangsverdachts genügt, ein bestimmter Verdachtsgrad wird nicht vorausgesetzt (BGH, Beschluss vom 23.08.2023 – StB 47/23). Dass zumindest der einfache Anfangsverdacht vorliegen muss, heißt, dass konkrete Tatsachen die Annahme belegen, es sei eine verfolgbare Straftat begangen worden, bloße Vermutungen genügen nicht (BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 23.01.2004 – 2 BvR 766/03).
bb) Für die Bejahung der Bedeutung als Beweismittel für die Untersuchung ist es sowohl erforderlich als auch ausreichend, dass bei einer ex ante-Betrachtung die – nicht völlig fernliegende – Möglichkeit bejaht wird, dass der Gegenstand im weiteren Verfahren in irgendeiner Weise zu Beweiszwecken verwendet werden kann (BVerfG, Beschluss vom 01.10.1987 – 2 BvR 1178/86; BGH, Beschluss vom 11.01.2024 – StB 75/23; Beschluss vom 05.01.1979 – 1 BJs 226/78/StB 246/78; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.09.1993 – 3 Ws 466/93; OLG München, Beschluss vom 05.12.1977 – 1 Ws 1309/77; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 15.05.2019 – 18 Qs 51/18). Einer (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit bedarf es ebenfalls nicht. Vielmehr genügt schon die Erwartung, dass der Gegenstand oder dessen Untersuchung Schlüsse auf verfahrensrelevante Tatsachen zulässt. Für welche Beweisführung er im Ergebnis in Betracht kommt, braucht noch nicht festzustehen (BGH, Beschluss vom 14.06.2018 – StB 13/18; LG Hamburg, Beschluss vom 23.04.2020 – 620 Qs 1/20). Es kommt auch nicht darauf an, ob der Gegenstand später tatsächlich als Beweismittel verwendet wird (BeckOK StPO/Gerhold, 52. Ed. 1.7.2024, StPO § 94 Rn. 11).
cc) Die freiwillige Herausgabe schließt die Möglichkeit einer förmlichen Beschlagnahme grundsätzlich nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 07.09.1956 – 1 BJs 182/55, StB 28/56; Beschluss vom 18.03.1992 – 1 BGs 90/92 – 2 BJs 186/91-5; MüKoStPO/Hauschild, 2. Aufl. 2023, StPO § 94 Rn. 45; KK-StPO/Greven, 9. Aufl. 2023, StPO § 94 Rn. 16; Menges in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage 2019, § 94 StPO Rn. 41).
c) aa) Nach diesen Vorgaben besteht eine ausreichende Verdachtsgrundlage dafür, der Beschuldigte sei verdächtig, verkürzt zu haben. Insoweit ist auf die – nachvollziehbaren – Ausführungen im Verdachtsprüfungsvermerk der Steuerfahndungsstelle bei dem Finanzamt … vom 27.04.2023 (Blatt 878 bis 925) Bezug zu nehmen.
bb) Bei einer ex ante-Betrachtung besteht die – nicht völlig fernliegende – Möglichkeit, dass die im Tenor genannten Gegenstände, deren Beschlagnahme die Beschwerdeführerin begehrt, im weiteren Verfahren in irgendeiner Weise zu Beweiszwecken verwendet werden können. Hierbei bedarf es keiner ins Einzelne gehenden und detaillierten gerichtlichen Überprüfung und Auswertung, was jeweils auf welche Weise und mit welchen Unterlagen bewiesen werden kann. Bereits die – im Tenor wiedergegebene – Bezeichnung der Beweismittel rechtfertigt die Annahme, dass es sich um Unterlagen im Sinne der §§ 257 HGB, 140-148 AO handelt, die die Erwartung rechtfertigen, dass sie Schlüsse auf verfahrensrelevante Tatsachen – insbesondere hinsichtlich Tatbestandsmerkmalen des § 370 AO – zulassen. Aus den Unterlagen können sich Aufschlüsse über geschäftliche Aktivitäten, Geldflüsse und Vermögensverhältnisse ergeben.
2. Die Beschlagnahme ist verhältnismäßig.
Berücksichtigt wurde, dass teilweise lediglich die [ ] GmbH (bzw. [ ] gesellschaft mbH & Co KG, [ ] GmbH & Co KG) als betroffen angesehen werden können und nicht der Beschuldigte selbst, der deren Geschäftsführer ist.
a) aa) Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, kommt auch im Beschlagnahmerecht erhebliche Bedeutung zu. Die Sicherstellung (und Beschlagnahme) muss zur Erreichung ihres Zwecks, insbesondere der Beweissicherung, geeignet und erforderlich sein; sie darf ferner – insbesondere unter Berücksichtigung der Beweisbedeutung des Gegenstands und des Gewichts des strafrechtlichen Vorwurfes, der damit bewiesen werden soll – nicht außer Verhältnis zu den mit ihr verbundenen Nachteilen für den Gewahrsamsinhaber stehen (vgl. Menges in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage 2019, § 94 StPO Rn. 51; MüKoStPO/Hauschild, 2. Aufl. 2023, StPO § 94 Rn. 23; BeckOK StPO/Gerhold, 52. Ed. 1.7.2024, StPO § 94 Rn. 18). Die Sicherstellung (Beschlagnahme) muss in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Tat und zur Stärke des Tatverdachts stehen und für die Ermittlungen notwendig sein (BVerfG, Teilurteil vom 05.08.1966 – 1 BvR 586/62, 610/63, 512/64; OLG Hamm (2. Strafsenat), Beschluss vom 18.08.2020 – 2 Ws 107/20, 2 Ws 108/20, 2 Ws 109/20). Es ist stets zu prüfen, ob mildere Maßnahmen ausreichen (BeckOK StPO/Gerhold, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 94 Rn. 18).
bb) Im Einzelfall ist das Interesse der Allgemeinheit an einer leistungsfähigen Strafjustiz, die zum Gewährleistungsbereich des Rechtsstaatsprinzips gehört und deshalb ebenfalls Verfassungsrang hat, gegen das Grundrecht der störungsfreien Ausübung des Eigentumsrechts, hilfsweise der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, aber auch gegen das Recht auf Achtung der Privatsphäre des Einzelnen aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, abzuwägen (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 28.07.2020 – 8 St ObWs 5/20; Menges in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage 2019, § 94 StPO Rn. 51). Eine im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit einzustellende Alternative ist nicht gleichwertig, wenn zwar der Regelungsadressat weniger belastet wird, aber Dritte oder die Allgemeinheit stärker belastet werden (Dürig/Herzog/Scholz/Grzeszick, 103. EL Januar 2024, GG Art. 20 VII Rn. 116; Jarass/Pieroth/Jarass, 18. Aufl. 2024, GG Art. 20 Rn. 119a, jeweils m. w. N.). Die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, eine funktionstüchtige Rechtspflege zu gewährleisten, umfasst regelmäßig auch die Pflicht, die Einleitung und Durchführung des Strafverfahrens sicherzustellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Juni 1979 – 2 BvR 1060/78).
cc) Bei der Prüfung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in diesem Sinne bei der Beschlagnahme von Schriftstücken in Papierform werden allgemein folgende Leitlinien vertreten:
(A) Als Wahl des erforderlichen, aber zugleich mildesten Mittels kann unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in diesen Fällen die dem Betroffenen eingeräumte Möglichkeit angesehen werden, von dringend benötigten Geschäftsunterlagen Kopien anzufertigen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 18.02.2008 – 2 BvR 2697/07; Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vom 28.06.2001 – 100/00). Dem Begehren eines Gewerbetreibenden, anhand der Buchhaltungsunterlagen noch fehlende Jahresabschlüsse erstellen zu wollen, werde hinreichend durch die Möglichkeit der Herstellung von Fotokopien dieser Unterlagen Rechnung getragen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 27.09.1999 – 2 AR 38/98 – 4 Ws 203/99). Ferner wird vertreten, im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der Beschlagnahme sei zumindest zu bedenken, ob gegebenenfalls Originalurkunden durch beglaubigte Fotokopien ersetzt werden könnten oder ob dem Betroffenen Gelegenheit zu geben sei, Ablichtungen fertigen zu lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 09.01.1989 – StB 49/88; LG Magdeburg, Beschluss vom 18.03.1996 – 24 Qs 3/96). Ihre Grenze fänden derartige Erwägungen jedoch, wenn die noch nicht abgeschlossene inhaltliche Auswertung der sichergestellten Unterlagen besonders schwierig sei und nach der Sachlage die nicht bloß abstrakte, fernliegende Möglichkeit bestehe, dass sich weitere kriminaltechnische Untersuchungen im weiteren Verfahren als notwendig erweisen würden. Dann reiche es nicht aus, von den beschlagnahmten Gegenständen Fotografien oder Kopien zu fertigen (vgl. BGH, Beschluss vom 20.10.1995 – StB 81/95). Differenzierend wird Folgendes vertreten: In Fällen, in denen beglaubigte Fotokopien den Beweiszweck ebenso wie die Originalurkunden erfüllten, seien die Originale nach Herstellung von Fotokopien, die beschlagnahmt würden, an den früheren Inhaber zurückzugeben. Komme es auf das Original an, so könne der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz es gebieten, dem Betroffenen Ablichtungen der beschlagnahmten Schriftstücke zur Verfügung zu stellen. Aus Gründen der Praktikabilität könnten dabei in beiden Fällen die in Frage stehenden Urkunden selbst zunächst mit der Maßgabe beschlagnahmt werden, dass dem früheren Inhaber gestattet werde, Ablichtungen zu fertigen, die dann entweder anstelle der Originale beschlagnahmt oder dem Inhaber zur Verfügung gestellt würden (vgl. LG Aachen, Beschluss vom 31.05.1989 – 63 Qs 131/89).
Teilweise wird sogar die Auffassung vertreten, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebiete es (stets), dass Unterlagen, die zur Fortführung des Geschäftsbetriebes und insbesondere für die Bearbeitung von Steuererklärungen erforderlich seien, nach der Ausfertigung von Kopien der Schriftstücke und Datenträger im Original dem Betroffenen alsbald – jedenfalls ohne unzumutbare Behinderung des Geschäftsbetriebes – wieder zur Verfügung zu stellen seien (vgl. LG München I, Beschluss vom 22. November 2002 – 14 Qs 200/02).
(B) Bei der Prüfung der Angemessenheit einer Beschlagnahme könnten eine Bagatellstraftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Objekte sowie die Vagheit des Anfangsverdachts, der auf konkreten Tatsachen beruhen muss, im Einzelfall der Verhältnismäßigkeit entgegenstehen (vgl. MüKoStPO/Hauschild, 2. Aufl. 2023, StPO § 94 Rn. 24). Zu berücksichtigen sei hier auch der Zeitfaktor: Würden umfangreiche Aktenbestände beschlagnahmt, könne der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine zeitnahe Durchsicht und die Aussonderung der sichergestellten Akten erfordern, denen offensichtlich keine Beweisbedeutung zukomme (vgl. MüKoStPO/Hauschild, 2. Aufl. 2023, StPO § 94 Rn. 29)
dd) Die Frage, ob sich die Anordnung der Beschlagnahme insbesondere von in Papierform aufgefundenen (Original-) Unterlagen im Sinne der §§ 257 HGB, 140-148 AO als verhältnismäßig erweist und ob und ggf. welche Ersatzmaßnahmen im Rahmen der ‚Erforderlichkeit‘ als milderes Mittel zu wählen sind, um das Gebot der Verhältnismäßigkeit zu wahren, kann nur unter Würdigung und Abwägung aller – auch oben beschriebenen – Umstände und Interessenlagen des Einzelfalles insbesondere anhand der Merkmale „Erforderlichkeit“ und „Angemessenheit“ erfolgen. Grundsätze dergestalt, insbesondere bei (Original-) Unterlagen im Sinne der §§ 257 HGB, 140-148 AO hätten stets nur Kopien bei den Ermittlungsbehörden zu verbleiben, während die Originale herauszugeben seien, oder aber es sei vom umgekehrten Ansatz auszugehen, verbieten sich.
In Fällen, in denen gefertigte Kopien oder eine elektronische Erfassung durch Einscannen im weiteren Verfahren nicht in gleicher Weise zu Beweiszwecken verwendet werden können wie die Originale, sind in Papierform aufgefundene (Original-) Unterlagen – insbesondere solche im Sinne der §§ 257 HGB, 140-148 AO – im Original zu beschlagnahmen. Benötigt der Betroffene allerdings Kopien jeweils von ihm zu bezeichnender Beweismittel für einen von ihm darzulegenden oder sonst allgemein nachvollziehbaren dringenden Zweck, beispielsweise zur Erfüllung der sich aus den §§ 238 ff., 242 ff. HGB ergebenden oder auch steuerlichen Verpflichtungen, ist ihm die Möglichkeit zu eröffnen, solche selbst zu fertigen, oder ihm sind solche zur Verfügung zu stellen (im Folgenden (A)).
In allen anderen Fällen jedoch – insbesondere wenn keine Echtheitsprüfung erforderlich ist – ist es aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten, Papierbeweismittel lediglich in Kopie zu beschlagnahmen (im Folgenden (B)). Im Rahmen der Durchsicht nach § 110 StPO ist der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen die rechtlich zulässige Möglichkeit zuzugestehen, bereits Kopien von Unterlagen zu fertigen, bei denen bei einer ex ante-Betrachtung die – nicht völlig fernliegende – Möglichkeit bejaht werden kann, dass sie im weiteren Verfahren in irgendeiner Weise zu Beweiszwecken verwendet werden können (im Folgenden (C)). Das Interesse der Allgemeinheit an einer leistungsfähigen Strafjustiz und die Pflicht des Staates, eine funktionstüchtige Rechtspflege zu gewährleisten, sind im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit zu berücksichtigen (im Folgenden (D)). Die Fertigung von Ablichtungen durch die Ermittlungsbehörden kann und darf u. U. nicht kostenneutral für den Antragsteller erfolgen (im Folgenden (E)).
(A) (1) Eingangs besteht ein Bedürfnis und die Erforderlichkeit der Beschlagnahme von Originalen derartiger Unterlagen bereits dann, wenn gefertigte Kopien oder eine elektronische Erfassung durch Einscannen im weiteren Verfahren nicht in gleicher Weise zu Beweiszwecken verwendet werden können wie die Originale. Die Beschlagnahme von Kopien wäre hier ein nicht in gleicher Weise geeignetes Mittel.
Jedenfalls bei Unterlagen im Sinne der §§ 257 HGB, 140-148 AO und im Rahmen der Prüfung einer Verdachtslage nach § 370 AO ist dieses bereits dann der Fall, wenn nur mittels der (Sach-) Gesamtheit derartiger Unterlagen und ihres – auch bildlichen – Zustandes eine Tataufklärung erfolgen kann. In diesen Fällen ist bspw. eine Befugnis zur Schätzung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO gegeben, wenn die Vorschriften der §§ 140-148 AO nicht erfüllende Bücher und sonstige Aufzeichnungen nach § 158 Abs. 2 AO der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden können. So darf auch eine Buchung oder eine Aufzeichnung nicht in einer Weise verändert werden, dass der ursprüngliche Inhalt nicht mehr feststellbar ist. Auch solche Veränderungen dürfen nicht vorgenommen werden, deren Beschaffenheit es ungewiss lässt, ob sie ursprünglich oder erst später gemacht worden sind (§ 146 Abs. 4 AO). Eine (Beweis-) Lage – insbesondere – in diesem Sinne kann – bei in Papierform aufgefundenen (Original-) Unterlagen im Sinne der §§ 257 HGB, 140-148 AO – nur mittels der Original(-papier-) Unterlagen geführt werden, welche (auch optisch) Auskunft darüber geben, an welcher Stelle, in welcher Form und wie einzelne Belege erfasst sind. Weil noch nicht feststehen muss, für welche Beweisführung die Unterlagen im Ergebnis in Betracht kommen werden, und weil – wie dargelegt – im Rahmen der Prüfung einer Verdachtslage nach § 370 AO gemäß § 146 Abs. 4 AO auch Manipulationen relevant werden können, kann eine Echtheitsprüfung erforderlich sein, deren Notwendigkeit sich möglicherweise erst später ergibt und die mittels Kopien oder durch Einscannen hergestellter Dateien nicht durchgeführt werden kann. Die Annahme, Kopien von (Original-) Unterlagen im Sinne der §§ 257 HGB, 140-148 AO oder deren elektronische Erfassung könnten ein mit ihnen identisches Abbild darstellen, widerspricht jeder Lebenserfahrung. Derartige Papiere zeichnen sich durch unterschiedliche Papierformate aus, häufig sind sie beidseitig beschriftet und geklammert, oder in Sichtfolien abgelegt, haben unterschiedliche Schriftstärken und Farben und befinden sich teilweise in Briefumschlägen und (Papier-) Tüten oder in Form ungeöffneter Briefe. Dieser Zustand (im Sinne des § 158 Abs. 2 Nr. 1 AO) lässt sich nicht „kopieren“ und auch nicht „einscannen“, ungeachtet der Tatsache, dass auch bei Einsatz modernster Vervielfältigungstechnologie die Gefahr besteht, dass bei schwacher Schriftstärke und/oder farbigem (Original-) Papier mit der Folge einer schwarzen Kopie Zahlen, Symbole oder Buchstaben nicht lesbar sind. Letztlich wäre bei Unterlagen in diesem Sinne die Gefahr gegenwärtig, dass der Betroffene – in diesem Fall meist der Beschuldigte – nach Rückerhalt der Originale weitere – ihm günstige – Papierbeweismittel erstellen und mit der schwer zu widerlegenden Behauptung vorlegen könnte, diese hätten sich bei den aufgefundenen Unterlagen befunden und seien nur lediglich nicht kopiert worden. Bei (Original-) Unterlagen im Sinne der §§ 257 HGB, 140-148 AO vorstehend beschriebenen Phänotyps und deren Erfassung mittels Scanvorgangs oder Kopie bestünde im Übrigen die Gefahr dass der ihre Herausgabe Begehrende aufgrund des dadurch hervorgerufenen Zustandes nichts mehr mit ihnen anfangen kann.
Diese für die Prüfung einer Verdachtslage nach § 370 AO aufgestellten Grundsätze lassen sich entsprechend auf alle Sachverhalte übertragen, bei denen nur mittels der (Sach-) Gesamtheit derartiger Unterlagen und ihres – auch bildlichen – Zustandes eine Tataufklärung erfolgen kann und in gleicher Weise durch Kopieren oder Einscannen kein identisches Abbild erstellt werden oder aber die Notwendigkeit einer Echtheitsprüfung im Rahmen der weiteren Ermittlungen erforderlich werden kann.
(2) Soweit danach die Erforderlichkeit der Beschlagnahme von Originalen derartiger Unterlagen – insbesondere solcher im Sinne der §§ 257 HGB, 140-148 AO – besteht, ist es zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips geboten, dem Betroffenen die Möglichkeit einzuräumen, Kopien derartiger Unterlagen fertigen zu können. Dieses gilt nach den obigen Leitlinien aber nur mit der Maßgabe, dass der Betroffene Kopien jeweils von ihm zu bezeichnender Beweismittel für einen von ihm darzulegenden oder sonst allgemein nachvollziehbaren dringenden Zweck benötigt, beispielsweise zur Erfüllung der sich aus den §§ 238 ff., 242 ff. HGB ergebenden oder auch steuerlichen Verpflichtungen. Keinesfalls ist dem Betroffenen das Recht zuzubilligen, pauschal die Fertigung und Herausgabe einer Kopie aller sichergestellter Unterlagen zu verlangen. Eine damit korrespondierende Verpflichtung der Ermittlungsbehörden würde dem Interesse der Allgemeinheit an einer leistungsfähigen Strafjustiz und der Pflicht des Staates, eine funktionstüchtige Rechtspflege zu gewährleisten, zuwiderlaufen. Die insoweit erforderliche gesonderte Vorhaltung von Personal und Betriebsmitteln für Kopierarbeiten würde die Befassung der Ermittlungsbehörden mit den Beweismitteln und mit der Aufklärung des Tatverdachts als solchem verzögern und behindern, ohne dass damit im Gegenzug für den Betroffenen angesichts kopierter und nicht dringend benötigter Unterlagen eine messbare Verbesserung einherginge.
In allen Fällen besteht die Möglichkeit, von den in öffentlich-rechtlicher Verwahrung (vgl. BGH, Urteil vom 03.02.2005 – III ZR 271/04; Urteil vom 16.05.2019 – III ZR 6/18; LG Hamburg, Urteil vom 20.02.2004 – 303 S 16/03) befindlichen Unterlagen durch Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (§§ 152 GVG; 404 Satz 2 2. Hs. AO) Kopien fertigen zu lassen. Im Übrigen wird sich die mit einer Einsichtnahme in Beweismittel verbundene Eigenfertigung von Kopien insbesondere an den Vorgaben der §§ 147 Abs. 1-3, 406e Abs. 1 und 3, 475 Abs. 2 und 3 StPO zu orientieren haben.
(B) In allen anderen Fällen jedoch – insbesondere wenn keine Echtheitsprüfung erforderlich ist – ist es aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten, Papierbeweismittel lediglich in Kopie zu beschlagnahmen, wobei anzumerken ist, dass in einer Vielzahl der Fälle, die Delikte im Sinne des § 74c Abs. 1 Satz 1 GVG zum Gegenstand haben, vorstehende Erwägungen unter B 2 a) dd) (A) (1) die Beschlagnahme von Kopien ausschließen dürften.
(C) Zwar ist im Rahmen der – u. U. zulässigerweise auch lang andauernden – Durchsicht nach § 110 StPO eine Auswertung von Beweismitteln nach den obigen Vorgaben noch nicht gestattet. Der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen (§§ 152 GVG; 404 Satz 2 2. Hs. AO) ist aber zumindest die rechtlich zulässige Möglichkeit zuzugestehen, bereits Kopien von Unterlagen zu fertigen, bei denen bei einer ex ante-Betrachtung die – nicht völlig fernliegende – Möglichkeit bejaht werden kann, dass sie im weiteren Verfahren in irgendeiner Weise zu Beweiszwecken verwendet werden können und hinsichtlich derer u. U. eine Beschlagnahme (ggf. in Kopie) zu beantragen ist. Gegebenenfalls können die Originale dann ohnehin an den Betroffenen zurückgegeben werden, der hernach gegen die Sicherstellung der Kopien nach § 94 Abs. 1 StPO keine Einwände erhebt, was eine Vorgehensweise nach den §§ 94 Abs. 2, 98 Abs. 1 Satz 1 StPO von vorneherein entbehrlich macht. Sollte sich der Ermittlungsrichter (§ 162 StPO) – nicht vorhersehbar – dem Antrag der Strafverfolgungsbehörde verschließen, Originale zu beschlagnahmen, lägen zu diesem Zeitpunkt wenigstens bereits Kopien vor, ohne dass diese erst noch hergestellt werden müssten.
(D) Im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit einer Beschlagnahme der Original(-papier-)Beweismittel sind neben den oben unter B 2 a) cc) (B) genannten Aspekten insbesondere folgende zu würdigen: Hinsichtlich des in die Abwägung einzustellenden Zeitfaktors ist bei einer der Beschlagnahme vorgelagerten vorläufigen Sicherstellung zum Zwecke der Durchsicht nach § 110 StPO lediglich die ab dem – zu dokumentierenden Ende – laufende Zeitspanne zu berücksichtigen, weil im Rahmen der Durchsicht eine Auswertung von Beweismitteln noch nicht gestattet ist. Das Interesse der Allgemeinheit an einer leistungsfähigen Strafjustiz und die Pflicht des Staates, eine funktionstüchtige Rechtspflege zu gewährleisten, ist insofern in die Abwägung mit den beeinträchtigten Rechten des Betroffenen mit einzustellen, als gewürdigt werden muss, ob und inwieweit Personal, welches für Kopier- und Scanarbeiten eingesetzt wird, mit der ihm obliegenden und im Interesse der Allgemeinheit (und u. U. auch des Betroffenen) liegenden Aufklärung der Tatvorwürfe in Verzug geraten könnte.
(E) Die Fertigung von Ablichtungen durch die Ermittlungsbehörden kann und darf u. U. nicht kostenneutral für den Antragsteller erfolgen, wenn die hierfür geltenden gesetzlichen Regelungen erfüllt sind.
Überwiegend wird eine entsprechende Kostenpflicht angenommen (LG Magdeburg, Beschluss vom 18.03.1996 – 24 Qs 3/96; LG Aachen, Beschluss vom 31.05.1989 – 63 Qs 131/89; Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Auflage 2023, § 94 StPO Rn. 18; MüKoStPO/Hauschild, 2. Aufl. 2023, StPO § 94 Rn. 29).
Teilweise wird insoweit von Kostenneutralität ausgegangen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 18.02.2008 – 2 BvR 2697/07). Die Ermittlungsbehörden hätten auf ihre Kosten die entsprechenden Kopien zu fertigen. Der Betroffene trage diese nicht, die überwiegende gegenteilige Meinung verkenne die Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. Menges in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage 2019, § 94 StPO Rn. 65; Gercke in: Gercke/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 7. Auflage 2023, § 94 StPO, Rn. 50). Die für die Herstellung von Ablichtungen und Abschriften entstehenden Personal- und Sachkosten seien nicht erstattungsfähig. Das JVEG sei nicht einschlägig, andere Rechtsgrundlagen seien nicht vorhanden (vgl. KK-StPO/Greven, 9. Aufl. 2023, StPO § 94 Rn. 13).
Mit der überwiegenden Meinung ist die Kostenpflicht nicht generell abzulehnen, sofern die – vorhandenen – gesetzlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt sind. Angesichts der – tatsächlich vorhandenen – gesetzlichen Regelung in den §§ 464a Abs. 1 Satz 2 StPO; 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, 3 Abs. 2 i. V. m. Nr. 9000 Kostenverzeichnis der Anlage 1 zum GKG besteht für die Ermittlungsbehörden kein Spielraum, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit oder Aufwandes für die Erfassung von einer Kostenerstattung pauschal abzusehen. Vielmehr ist nach den zitierten gesetzlichen Regelungen zu entscheiden, wobei auf § 8 Satz 1 GKG hinzuweisen ist, und entsprechende Auslagen in den Akten lediglich vorzumerken sein dürften.
b) Nach den unter B 2 a) dd) beschriebenen Vorgaben ist die Beschlagnahme der im Tenor genannten Unterlagen im Original verhältnismäßig. Dass die angeordnete Maßnahme geeignet ist, ihren Zweck – nämlich die Aufklärung von Sachverhalten nach § 370 AO – zu erfüllen, bedarf dabei keiner gesonderten Betrachtung.
aa) Die Beschlagnahme der Originale ist erforderlich, ihre Anordnung lediglich auf Kopien zu beziehen, ist kein in gleicher Weise geeignetes Mittel, weil gefertigte Kopien oder eine elektronische Erfassung durch Einscannen im weiteren Verfahren nicht in gleicher Weise zu Beweiszwecken verwendet werden könnten wie die Originale.
Es handelt sich um Unterlagen im Sinne der §§ 257 HGB, 140-148 AO. Wie sich aus den – nachvollziehbaren – Ausführungen der Steuerfahndungsstelle vom 09.02.2024 (Blatt 1868-1869) ergibt, haben die Unterlagen unterschiedliche Papierformate, auch Kassenzettel befinden sich darunter, die teilweise geklammert sind, sich in Umschlägen befinden oder in einer Klarsichthülle in Ordnern abgeheftet sind. Manche Beweismittel sind lose aufgefunden worden, andere sind in Ordnern mit den Buchhaltungsbelegen abgelegt. Ferner befinden sich einige Schreiben noch in Original-Briefumschlägen. Dieser Gesamtzustand einer nur rudimentär vorhandenen Buchhaltung kann nur mit den Originalunterlagen bewiesen werden. Dass – auch – eine Echtheitsprüfung erforderlich werden kann, ist nicht auszuschließen, insbesondere bei der Frage, ob Unterschriften oder Durchschriften echt sind und/oder es sich um Abdeckrechnungen handelt. Der Verdachtsprüfungsvermerk vom 27.04.2023 (Blatt 878 ff.) verweist insbesondere auf verdeckte Gewinnausschüttungen (§§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG; 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG), welche in eine Steuerberechnung einfließen könnten. Insbesondere deren Aufklärung erfordert ein genaues Bild der sichergestellten Unterlagen im Sinne der §§ 257 HGB, 140-148 AO, das durch Kopien nicht in gleicher Weise gespiegelt werden kann. Soweit von ‚rudimentär vorhandener Buchhaltung‘ gesprochen wird, wird die Befugnis zur Schätzung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO angesprochen, welche erfordert, dass die Vorschriften der §§ 140-148 AO nicht erfüllende Bücher und sonstige Aufzeichnungen nach § 158 Abs. 2 AO der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden können. Das kann aber nur mittels der (Sach-) Gesamtheit derartiger Unterlagen und ihres – auch bildlichen – Zustandes aufgeklärt werden, aber nicht mit Kopien, welche auch bei Einsatz modernster Vervielfältigungstechnologie die Gefahr in sich tragen, dass bei schwacher Schriftstärke und/oder farbigem (Original-) Papier mit der Folge einer schwarzen Kopie Zahlen, Symbole oder Buchstaben nicht lesbar wären. Letztlich besteht im gegenwärtigen Ermittlungsstadium bei Rückgabe der Original-Beweismittel die Gefahr, dass der nicht geständige Beschuldigte ihm günstige Papierbeweismittel erstellen und mit der schwer zu widerlegenden Behauptung vorlegen könnte, diese hätten sich bei den aufgefundenen Unterlagen befunden und seien nur lediglich nicht kopiert worden.
bb) Dem Beschuldigten wurde unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips die Möglichkeit nicht verwehrt, Kopien dieser Unterlagen anzufertigen. Zunächst wurde dem Verteidiger Rechtsanwalt [ ] – wie dieser selbst ausführt – am 27.11.2023 durch die Bußgeld- und Strafsachenstelle bei dem Finanzamt … mündlich mitgeteilt, er könne die Unterlagen an Amtsstelle einsehen. Die Steuerfahndungsstelle bei dem Finanzamt … teilte dem Amtsgericht Nürnberg am 29.01.2024 mit, der Verteidiger habe die Möglichkeit, die Unterlagen bei dem Finanzamt einzusehen und entweder selbst Kopien herzustellen oder solche kostenpflichtig von der Steuerfahndung herstellen zu lassen (Blatt 1839). Wiederholt wurde dieses in einem an das Amtsgericht gerichteten Schreiben der Bußgeld- und Strafsachenstelle vom 14.02.2024 (Blatt 1870 ff. (1875)), desgleichen in einem an den Verteidiger Rechtsanwalt [ ] gerichteten Schreiben derselben Behörde vom gleichen Datum (Blatt 1876 ff. (1877)).
Anlässlich einer Besprechung zwischen der Verteidigerin Rechtsanwältin [ ] mit der Steuerfahndung vom 24.08.2023 (Blatt 1682) wurde dieser mitgeteilt, dass die sichergestellten IT-Geräte, auf denen sich die zum 18.07.2023 aktuellen Buchhaltungsunterlagen und weitere betriebliche Unterlagen befinden, forensisch gesichert seien und zurückgegeben werden könnten. Bis zum 22.03.2024 waren diese nicht abgeholt.
Der Beschuldigte verlangte seinerseits weder selbst noch über seine Verteidiger Kopien jeweils von ihm genau bezeichnender Beweismittel für einen von ihm dargelegten oder sonst allgemein nachvollziehbaren dringenden Zweck, beispielsweise zur Erfüllung der sich aus den §§ 238 ff., 242 ff. HGB ergebenden oder auch steuerlichen Verpflichtungen. Mit Schriftsätzen seiner Verteidiger Rechtsanwältin [ ] vom 02.08.2023 (Blatt 1641/1642) und Rechtsanwalt [ ] vom 17.08.2023 wurde lediglich Akteneinsicht beantragt. Am 26.09.2023 teilte Rechtsanwältin [ ] lediglich mit, sie beabsichtige in die sichergestellten Beweismittel Einsicht zu nehmen (Blatt 1711). Mit Schriftsatz vom 20.11.2023 beanstandete Rechtsanwalt [ ] nach gewährter Akteneinsicht, die ihm überlassene Akte sei unvollständig, da die Akteneinsicht „sämtliche amtlich verwahrten Beweisstücke“ umfasse (Blatt 1713/1714). Auch der Schriftsatz des Rechtsanwaltes [ ] vom 11.12.2023 (Blatt 1738/1739) befasst sich lediglich mit der Frage der Art der Gewährung von Akteneinsicht mit der Forderung,
„die vorläufig sichergestellten Beweisstücke umgehend, spätestens jedoch bis zum 31.01.2024 entweder zu beschlagnahmen oder herauszugeben und – ebenfalls umgehend, spätestens jedoch bis 31.01.2024 – im Anschluss die dergestalt vervollständigte Akte nach hier zu übersenden oder die Akteneinsicht am Gericht des Kanzleiortes zu ermöglichen.“
Auch dem Schriftsatz des Rechtsanwaltes [ ] vom 25.01.2024 (Blatt 1843 ff.) ist nicht die Bitte um Fertigung von Kopien von ihm genau bezeichnender Beweismittel für einen von ihm dargelegten oder sonst allgemein nachvollziehbaren dringenden Zweck zu entnehmen. Es heißt dort lediglich
„Weiterhin benötigt der Beschuldigte die Unterlagen bzw. zumindest erheblicher Teile davon DRINGEND für den Betrieb seiner Unternehmung.“
cc) Die Beschlagnahme ist angemessen, weil sie nicht außer Verhältnis zum Zweck bzw. Ziel der Maßnahme steht. Der Betroffene bzw. die im Sachverhalt genannten Unternehmen verfügen einerseits derzeit nicht über die im Tenor genannten Geschäftsunterlagen im Original. Andererseits – und dieses überwiegend – besteht ausweislich des Verdachtsprüfungsvermerks vom 31.03.2023 (Blatt 802 ff.) gegen den Beschuldigten der Verdacht einer Vielzahl von Steuerstraftaten mit verdachtsweise nicht unerheblicher Steuerverkürzung. Es besteht ein Interesse der Allgemeinheit an deren zügiger Aufklärung. Der Beschuldigte selbst hat zu keinem Zeitpunkt ausgeführt, wofür er jeweils welche Geschäftsunterlagen benötigt, was die Annahme rechtfertigt, dass sein Interesse am Rückerhalt bzw. die Beeinträchtigung der Geschäftsbetriebe nur geringfügig sind, anderenfalls er sich anders verhalten, insbesondere er auch die Offerte der Ermittlungsbehörde, Kopien anzufertigen, angenommen hätte. Die Auswertung der Unterlagen dauert erst vergleichsweise kurze Zeit an, seit dem 18.12.2023 (Blatt 1891) sind gegenwärtig etwas mehr als 7 Monate vergangen. Die Zeitspanne der Sichtung nach § 110 StPO war überschaubar vom 18.07.2023 bis zum 18.12.2023 mit 5 Monaten.
dd) Die durch den Beschuldigten und durch das Amtsgericht vorgetragenen Argumente rechtfertigen keine andere Betrachtung.
(A) Das Amtsgericht führt in dem angefochtenen Beschluss vom 14.02.2024 (Blatt 1895) aus, die Beschlagnahme der Unterlagen im Original erweise sich als unverhältnismäßig, weil weder nachvollziehbar gemacht worden sei, weshalb nicht auch eine Beschlagnahme in Kopie für die Sicherung des Verfahrens genüge, noch wenigstens eine Digitalisierung der Unterlagen erfolgt sei, um der Verteidigung hiermit ein Arbeiten zu ermöglichen, aber auch dem Beschuldigten ein Fortführen seines Geschäftsbetriebes zu erlauben. Diese Erwägung erweist sich insofern als unzutreffend, als die Bußgeld- und Strafsachenstelle in ihrem Schreiben an das Amtsgericht vom 14.02.2024, per Fax eingegangen am gleichen Tag um 07:13 Uhr, ausführlich, nachvollziehbar und detailliert unter Beifügung einer Stellungnahme der Steuerfahndung vom 09.02.2024 begründet hat, warum und inwiefern die Beschlagnahme der Originale erforderlich ist. Das Amtsgericht nimmt überdies „ein wesentliches, nachvollziehbares Bedürfnis des Beschuldigten“ an, „ein Fortführen des Geschäftsbetriebs zu erlauben“. Außer dem Satz
„Weiterhin benötigt der Beschuldigte die Unterlagen bzw. zumindest erheblicher Teile davon DRINGEND für den Betrieb seiner Unternehmung.“
hat der Beschuldigte dieses Bedürfnis aber an keiner Stelle nachvollziehbar geltend gemacht. Betroffen sind Geschäftsunterlagen von 3 Unternehmen, einer Privatperson und eines Steuerberaters für 5 Jahre, woraus resultiert, dass es auch dem Beschuldigten zumutbar sein muss, genauere Ausführungen zu machen. Dieses gilt umso mehr, als er jedenfalls vom 24.08.2023 bis zum 22.03.2024 keinen Anlass sah, die sichergestellten IT-Geräte abzuholen, auf denen sich die zum 18.07.2023 aktuellen Buchhaltungsunterlagen und weitere betriebliche Unterlagen befinden.
Die Erwartung und Annahme des Amtsgerichts
„zumal im Jahr 2024 von einer Dienststelle, die in Steuerstrafverfahren des vorliegenden Umfangs selbständig ermittelt, erwartet werden muss, dass sie zu einer Digitalisierung von Unterlagen dieses Umfanges in der Lage ist.“
trägt im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nichts zur Sache bei.
Letztlich wird durch den Satz
„Weiterhin benötigt der Beschuldigte die Unterlagen bzw. zumindest erheblicher Teile davon DRINGEND für den Betrieb seiner Unternehmung.“
auch nicht deutlich, als Geschäftsführer welches Unternehmens ([ ] GmbH, bzw. [ ] gesellschaft mbH & Co KG, [ ] GmbH & Co KG) er bei seinem Herausgabebegehren handelte.
(B) Die Schriftsätze der Verteidiger vom 11.12.2023 und 23.04.2024 befassen sich lediglich mit der Frage, ob und wie Akteneinsicht zu gewähren ist. Im Schriftsatz vom 25.01.2024 wird insoweit lediglich (rechtlich unzutreffend) ausgeführt, es bestehe „an sich kein rechtlich beachtliches Bedürfnis für eine Beschlagnahme“, weil „eine Durchsicht des sichergestellten Materials bereits erfolgt“ sei.
3. Eine Beschlagnahme der bei Steuerberater RA [ ] vorläufig sichergestellten Daten wäre nicht zwingend, da diese zwischenzeitlich freiwillig herausgegeben wurden und das Einverständnis mit der freiwilligen Herausgabe auch nicht widerrufen wurde. Zwar wurden die Daten im Rahmen der Durchsuchung am 18.07.2023 zunächst nicht freiwillig übergeben. Jedoch übersandte RA [ ] dem sachbearbeitenden Steuerfahnder die Daten freiwillig mit E-Mail vom 19.09.2023 nochmals in einem anderen Dateiformat. Nach den obigen Vorgaben steht die freiwillige Herausgabe einer Beschlagnahme nicht entgegen.
Eine Einordnung der Daten dahingehend, ob diese einem Beschlagnahmeverbot gemäß § 97 StPO unterliegen, ist nicht veranlasst. Die Beschlagnahmefreiheit entfällt, wenn der Zeugnisverweigerungsberechtigte einen an sich beschlagnahmefreien Gegenstand an die Strafverfolgungsorgane freiwillig herausgegeben hat, weil damit auf das Beschlagnahme- und Verwertungsverbot verzichtet worden ist (vgl. MüKoStPO/Hauschild, 2. Aufl. 2023, StPO § 97 Rn. 51 m. w. N.; KK-StPO/Greven, 9. Aufl. 2023, StPO § 97 Rn. 4).
4. Verfahrensablauf und Inhalt des gewechselten Schriftverkehrs geben Anlass zu folgender Bemerkung:
Nach § 147 Abs. 1 StPO ist der Verteidiger berechtigt, amtlich verwahrte Beweisstücke zu besichtigen. Im Falle einer Vorgehensweise gemäß § 110 StPO entsteht dieses Recht erst ab Abschluss der Durchsicht und Ergehen einer Beschlagnahmeanordnung (OLG Koblenz, Beschluss vom 30.03.2021 – 5 Ws 16/21; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 20.11.2000 – 1 Ws 313/00). Zwar können als Beweismittel verwahrte Schriftstücke, die einer unkomplizierten Vervielfältigung zugänglich sind, bei einer derartigen Besichtigung nach § 147 Abs. 1 an Amtsstelle in Kopie mitgegeben werden, u. U. kann auch ein Anspruch auf Überlassung von Kopien oder die Zulassung von deren Eigenfertigung durch die Verteidigung an Amtsstelle bestehen (vgl. MüKoStPO/Kämpfer/Travers, 2. Aufl. 2023, StPO § 147 Rn. 37 und 38; BeckOK StPO/Wessing, 52. Ed. 1.7.2024, StPO § 147 Rn. 27; Jahn in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage 2021, § 147 StPO, Rn. 126, 131). Ein pauschaler Anspruch auf Vervielfältigung sämtlicher sichergestellter bzw. beschlagnahmter (Papier-) Beweismittel durch die Ermittlungsbehörden, unabhängig davon, ob diese im weiteren Verfahren in irgendeiner Weise zu Beweiszwecken verwendet und Aktenbestandteil werden sollen, besteht jedoch nicht. Über die Gewährung der Akteneinsicht und deren Modalitäten entscheidet im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft (§ 147 Abs. 5 Satz 1 StPO), das nach § 162 StPO zuständige Gericht nur in den Fällen des § 147 Abs. 5 Satz 2 StPO auf Antrag.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 StPO in entsprechender Anwendung.