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Auslegung einer Kostenentscheidung im Strafurteil mit Teilfreispruch

LG Braunschweig – Az.: 7 Qs 326/11 – Beschluss vom 13.03.2012

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 28.11.2011 wird auf Kosten des Verurteilten mit der Maßgabe verworfen, dass die Kostenfestsetzung insgesamt abgelehnt wird.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat mit Anklage vom 7.9.2010 dem Verurteilten zur Last gelegt, seine Ehefrau … beleidigt und gewürgt zu haben; als die Zeugin … habe schlichten wollen, habe der Verurteilte sie weiter beleidigt und gegen den Türrahmen geschleudert, wodurch sie eine Platzwunde erlitten habe.

Im Hauptverhandlungstermin vom 21.6.2011 ist der Verurteilte von den Tatvorwürfen zum Nachteil seiner Ehefrau freigesprochen worden. Er ist aber wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 25,00 Euro verurteilt worden, wobei dem zugrunde gelegen hat, dass der Angeklagte die Zeugin … weggerissen und weggestoßen habe.

Das Urteil einschließlich der Kosten- und Auslagenentscheidung wurde im Beisein des anwaltlich vertretenen Verurteilten verkündet. Es wurde eine Rechtsmittelbelehrung mündlich erteilt. In der Kostenentscheidung heißt es wörtlich:

„Er trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen, soweit er verurteilt wurde“

Einen weiteren Ausspruch über die Kosten und Auslagen enthält die Entscheidung nicht.

Das Urteil wurde nicht angegriffen; es wurde auch keine ausdrückliche sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung eingelegt.

Unter dem 1.8.2011, beim Amtsgericht eingegangen am 3.8.2011, stellte der Verurteilte über seinen Verteidiger einen Kostenfestsetzungsantrag, wobei er die vollen Auslagen für den Verteidiger geltend machte.

Aufgrund von Bedenken des Bezirksrevisors setzte das Amtsgericht Braunschweig nach der Differenzmethode lediglich die Auslagen fest, die nicht entstanden wären, wenn allein die zur Verurteilung führende Tat Gegenstand des Verfahrens gewesen wäre. Ausscheidbar seien danach lediglich 105,00 Euro nebst Umsatzsteuer in Höhe von 19,95 Euro.

Auf dieser Grundlage hat das Amtsgericht Braunschweig mit dem angefochtenen Beschluss die zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 124,95 Euro festgesetzt.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde, mit der er im Wesentlichen geltend macht, es sei auch die Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 angefallen und anrechenbar und im Übrigen sei nicht eine Auslagenerstattung nach der Differenzmethode vorzunehmen, sondern nach einer Quotierung, wobei davon auszugehen sei, dass der Verurteilte zum überwiegenden Teil von den Anklagevorwürfen freigesprochen worden sei.

II.

Die sofortige Beschwerde nach § 464b Satz 3 StPO, § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist rechtzeitig innerhalb der (maßgeblichen, Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 464b Rn. 7) Frist des § 311 Abs. 2 Satz 1 StPO eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch in der Sache unbegründet. Es fehlt bereits an einer Grundlage für eine Erstattung von Auslagen, so dass die Auslagenerstattung insgesamt abzulehnen war. Auf die Anwendung der Differenzmethode kommt es danach nicht mehr an.

1.

Das Urteil enthält keine ausdrückliche Auferlegung der Auslagen des Verurteilten auf die Staatskasse. Der Tenor lässt zwar erahnen, dass eine solche gewollt war. Er ist aber unvollständig, weil nur über den von dem Verurteilten zu tragenden Teil der Kosten und Auslagen entschieden worden ist. In einem solchen Fall verbleiben die notwendigen Auslagen bei demjenigen, dem sie entstanden sind (vgl. Meyer-Goßner, aaO, § 464 Rn. 12). Dies ist hier der Verurteilte.

a)

Eine Auslegung der getroffenen Kosten- und Auslagenentscheidung dahin, dass die Auslagen der Staatskasse auferlegt worden sind, ist unzulässig. Werden der Staatskasse nur die Verfahrenskosten auferlegt, so darf das, auch wenn es sich zweifelsfrei um einen Fall des § 467 Abs. 1 StPO (Freispruch etc.) handelt, nicht dahin ausgelegt werden, dass auch die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten gemeint sind (vgl. Meyer-Goßner, aaO, § 467 Rn. 20). Dies gilt insbesondere, wenn der Angeklagte „auf Kosten der Landeskasse“ freigesprochen wird (vgl. Meyer-Goßner, aaO). Im vorliegenden Fall ist nicht einmal eine Überbürdung der Kosten auf die Staatskasse ausgesprochen, sondern es ist nur der Teil der Kosten und Auslagen tenoriert worden, der von dem Verurteilten zu tragen ist.

Es scheidet auch aus – wie vom Bezirksrevisor in seiner letzten Stellungnahme vom 28.2.2012 erwogen -, den letzten Satz der schriftlichen Urteilsgründe, wo die §§ 465 und 467 StPO genannt sind, als eine Auslagenüberbürdung auf die Staatskasse auszulegen. Denn maßgeblich ist nicht das schriftliche Urteil, sondern der Urteilstenor, wo eine entsprechende Entscheidung eben fehlt. Das würde der Sache nach auch eine Ergänzung der einmal in dem verkündeten Urteil getroffenen Kostenentscheidung in den Urteilsgründen hinauslaufen, welche aber nicht möglich ist (vgl. Meyer-Goßner, aaO Rn. 12). So treffen etwa im Falle der Verurteilung, bei der sich die Kostenentscheidung zwanglos aus § 465 Abs. 1 StPO ergibt, den Angeklagten dann nicht die Kosten des Verfahrens, wenn versehentlich eine Kostenentscheidung zu seinen Lasten unterbleibt. Das gleiche gilt bei Verwerfung der Berufung des Angeklagten, wo sich gleichfalls die Kostenentscheidung zwanglos und völlig eindeutig aus dem Gesetz (§ 473 Abs. 1 StPO) ergibt. In allen diesen Fällen ist eine nachträgliche Ergänzung der Kostenentscheidung durch die schriftlichen Urteilsgründe nicht möglich. Das gleiche muss aber auch zu Lasten des Angeklagten gelten, wenn eine entsprechende Entscheidung zu seinen Gunsten – wahrscheinlich versehentlich – unterblieben ist. In einem solchen Fall kann die unzutreffende Auslagenentscheidung nicht in dem schriftlichen Urteil, sondern nur im Wege der sofortigen Beschwerde korrigiert werden.

b)

Es scheidet auch aus, den Kostenfestsetzungsantrag als sofortige Beschwerde gegen die Kostengrundentscheidung auszulegen. Diese wäre nach § 311 Abs. 2 StPO binnen einer Woche nach Bekanntmachung der Entscheidung einzulegen gewesen. Zum Zeitpunkt des Eingangs des Kostenfestsetzungsantrags war die Wochenfrist, welche sich ab der Verkündung des Urteilstenors berechnet, längst abgelaufen.

c)

Die Kammer hat zudem erwogen, den Kostenfestsetzungsantrag zugleich als Wiedereinsetzungsantrag wegen der versäumten Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde auszulegen. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 24 Satz 1 StPO liegen aber nicht vor. Der Verurteilte war nicht ohne sein Verschulden verhindert, die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde einzulegen.

Die inhaltlich unzutreffende Kosten- und Auslagenentscheidung ist in seiner Gegenwart verkündet worden. Der Verurteilte war zudem anwaltlich vertreten. Es ist eine Rechtsmittelbelehrung, welche die Rechtsmittel der Berufung und der Sprungrevision sowie die der sofortigen Beschwerde gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung umfasste, erteilt worden.

Hätten der Verurteilte und/oder sein Verteidiger darauf geachtet, dass eine Auslagenentscheidung nicht getroffen war, so hätten sie sofortige Beschwerde einlegen oder auf eine noch während der Urteilsbegründung mögliche Ergänzung des Ausspruchs hinwirken können. Dass sie auf den Inhalt der Auslagenentscheidung nicht geachtet haben, führt jedenfalls nicht dazu, dass sie ohne Verschulden verhindert gewesen wären, die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde einzuhalten.

2.

Mangels einer Auslagengrundentscheidung war die Festsetzung der Auslagen insgesamt abzulehnen. Im Verfahren der sofortigen Beschwerde gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss besteht kein Verbot der Schlechterstellung (vgl. Meyer-Goßner, aaO, § 464b Rn. 8).

Das in §§ 331 Abs. 1, 358 Abs. 2 und 373 Abs. 2 StPO normierte Verschlechterungsverbot bezieht sich ausdrücklich nur auf die Rechtsfolgen der Tat. Hierbei geht es in der Auslagenfestsetzung nicht. Die genannten Vorschriften sind auch nicht etwa Ausdruck eines allgemeinen, durch das Rechtsstaatsprinzip gebotenen Rechtsgrundsatzes des Inhalts, dass eine Entscheidung nicht zum Nachteil eines Rechtsmittelführers abgeändert werden dürfe, sondern es handelt sich um eine besondere, dem Angeklagten vom Gesetzgeber gewährte Rechtswohltat (Meyer-Goßner, aaO, § 331 Rn. 1 mwN). Auch § 308 Abs. 1 ZPO ist nicht anwendbar, weil sich das Beschwerdeverfahren nicht nach den Grundsätzen der Zivilprozessordnung, sondern nach denen der Strafprozessordnung richtet (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 464b Rn. 6, 8).

Entgegen der Auffassung des Verurteilten kann die Kostenfestsetzung auch nicht in den Grund und in die Höhe aufgeteilt werden, sondern es ist – wenn das Verbot der Schlechterstellung nicht gilt – die der Sache nach gebotene Entscheidung zu treffen. Mangels einer Auslagengrundentscheidung war danach die Auslagenfestsetzung insgesamt abzulehnen.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

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