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Berufung verwerfen trotz Anwesenheit des Angeklagten: Zählt Störung als Ausbleiben?

Das Landgericht wollte die Berufung verwerfen trotz Anwesenheit des Angeklagten, da dieser durch störende Monologe jede Mitwirkung in der Hauptverhandlung verweigerte. Diese Entscheidung wurde jedoch gekippt, weil die physische Präsenz juristisch kein Ausbleiben ist und die bekannte psychische Störung hätte geprüft werden müssen.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 203 StRR 234/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
  • Datum: 23.06.2025
  • Aktenzeichen: 203 StRR 234/25
  • Verfahren: Revision im Strafverfahren (Beschluss)
  • Rechtsbereiche: Strafprozessrecht

  • Das Problem: Ein verurteilter Angeklagter erschien zwar vor Gericht, weigerte sich aber, mitzuwirken und störte die Verhandlung massiv. Das Landgericht lehnte seine Berufung deshalb sofort ab, weil es sein Verhalten als Nichterscheinen wertete.
  • Die Rechtsfrage: Darf ein Gericht die Berufung eines Angeklagten einfach ablehnen, nur weil dieser im Gerichtssaal stört und sich weigert, ordentlich an der Verhandlung teilzunehmen?
  • Die Antwort: Nein. Das Gericht darf die Berufung nicht allein wegen störenden Verhaltens ablehnen. Körperliche Anwesenheit und das Sich-zu-erkennen-Geben schließen ein „Ausbleiben“ rechtlich aus.
  • Die Bedeutung: Ist ein Angeklagter anwesend, muss das Gericht vor einer Verwerfung stattdessen prüfen, ob er verhandlungsunfähig ist oder ob andere prozessuale Maßnahmen gegen die Störung nötig sind.

Der Fall vor Gericht


Darf ein Gericht eine Berufung verwerfen, wenn der Angeklagte zwar da ist, aber nicht mitmacht?

Ein Mann sitzt im Gerichtssaal. Er ist der Grund, warum alle hier sind. Und doch ist der Stuhl des Angeklagten leer.

Der Richter prüft die Verwerfung der Berufung, weil der anwesende Angeklagte durch störendes Verhalten die Mitwirkung verweigert.
Störendes Verhalten ist kein Fall von Nichterscheinen; Berufung nicht verwerfbar. | Symbolbild: KI

Der Mann läuft umher, hält Monologe, ignoriert die Richter. Für das Landgericht Ansbach war die Sache klar: Wer sich weigert, die Rolle des Angeklagten einzunehmen, ist praktisch nicht da. Seine Berufung gegen eine Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wurde kurzerhand verworfen. Doch das Bayerische Oberste Landesgericht sah in diesem Chaos ein fundamentales juristisches Detail, das alles veränderte. Es musste die Frage beantworten: Kann ein Mensch, der körperlich anwesend ist, rechtlich als „abwesend“ gelten?

Warum wertete das Landgericht den anwesenden Störer als abwesend?

Die Logik des Landgerichts war pragmatisch. Ein Berufungsverfahren erfordert die Mitwirkung des Angeklagten. Der Mann im Saal verweigerte diese Mitwirkung aber total. Er nahm nicht auf dem für ihn vorgesehenen Platz Platz. Er stellte die Ladung infrage, hielt „wirre“ Monologe und störte die Verhandlung permanent. Aus Sicht der Kammer war seine körperliche Anwesenheit eine leere Hülle. Er war physisch da, aber als prozessuale Figur – als Angeklagter – fehlte er.

Für solche Fälle gibt es in der Strafprozessordnung einen scharfen Paragraphen. Der § 329 Abs. 1 StPO erlaubt es einem Gericht, die Berufung eines Angeklagten ohne weitere Verhandlung zu verwerfen, wenn dieser zum Termin nicht erscheint. Das Gericht zog einen direkten Vergleich: Ein Angeklagter, der sich weigert, am Prozess teilzunehmen, ist rechtlich genauso zu behandeln wie einer, der gar nicht erst kommt. Das Verhalten des Mannes sei eine hartnäckige Weigerung, die Verhandlung zu führen. Die Konsequenz war die prozessuale Höchststrafe – die Verwerfung seiner Berufung. Das erstinstanzliche Urteil wurde damit rechtskräftig, ohne dass die Argumente des Mannes erneut geprüft wurden.

War dieses störende Verhalten wirklich mit Nichterscheinen gleichzusetzen?

Nein, entschied das Bayerische Oberste Landesgericht. Es pulverisierte die Argumentation des Landgerichts. Der Senat stellte klar, dass der Begriff des „Ausbleibens“ im Sinne des § 329 StPO streng und wörtlich zu verstehen ist. Er meint ausschließlich die körperliche Abwesenheit.

Der entscheidende Punkt war das Protokoll der Verhandlung. Es belegte unzweifelhaft: Der Mann war im Sitzungssaal. Er hatte sich dem Gericht zu erkennen gegeben. Er kommunizierte sogar mit der Kammer – wenn auch auf störende Weise – und übergab Unterlagen, die offiziell zu den Akten genommen wurden. Wer mit einem Gericht interagiert, kann nicht gleichzeitig „ausgeblieben“ sein.

Das höhere Gericht erklärte den Denkfehler des Landgerichts. Der § 329 StPO ist eine Ausnahmevorschrift. Der Grundsatz im deutschen Strafrecht lautet, dass gegen einen Abwesenden nicht verhandelt werden darf (§ 230 Abs. 1 StPO). Die Verwerfung einer Berufung ist die schärfste Konsequenz aus einem Fernbleiben. Sie darf nicht auf Situationen ausgedehnt werden, die das Gesetz nicht meint. Störendes Verhalten ist ein Problem der Prozessführung. Es ist kein Fall von Abwesenheit.

Welche Pflichten hatte das Gericht stattdessen?

Das Landgericht hätte andere Werkzeuge nutzen müssen. Die Weigerung, am Prozess teilzunehmen, und das wirre Verhalten hätten bei den Richtern andere Fragen aufwerfen müssen. Die erste und wichtigste Frage: Ist dieser Mann überhaupt verhandlungsfähig? Kann er dem Prozess folgen, seine Rechte verstehen und sich verteidigen?

Seine bekannte psychische Störung war ein deutliches Warnsignal. Anstatt die Berufung zu verwerfen, hätte das Gericht die Möglichkeit einer Verhandlungsunfähigkeit prüfen müssen. Das Gesetz schreibt für solche Zweifel einen klaren Weg vor: Die Anhörung eines ärztlichen Sachverständigen, wie es § 329 Abs. 1 Satz 3 StPO vorsieht. Diese Prüfung fand nicht statt.

Wäre der Mann als verhandlungsfähig eingestuft worden, hätte das Gericht immer noch prozessleitende Mittel gehabt. Es hätte Ordnungsgelder verhängen oder ihn nach § 177 GVG (Gerichtsverfassungsgesetz) aus dem Saal entfernen lassen können. Selbst dann wäre eine Verwerfung der Berufung unzulässig gewesen. Das Gesetz schützt den Angeklagten davor, für ordnungswidriges Benehmen doppelt bestraft zu werden.

Das Bayerische Oberste Landesgericht hob das Urteil des Landgerichts Ansbach auf. Die Sache wurde an eine andere Kammer zurückverwiesen. Diese muss nun eine neue Hauptverhandlung durchführen und dabei zuerst klären, ob der Mann psychisch in der Lage ist, einem Prozess beizuwohnen.

Die Urteilslogik

Die prozessuale Definition der Anwesenheit im Gerichtssaal priorisiert die körperliche Präsenz des Angeklagten und schützt diesen Anspruch selbst bei hartnäckiger Verweigerung der Mitwirkung.

  • [Definition des Ausbleibens ist wörtlich zu nehmen]: Der Tatbestand des Ausbleibens, der es ermöglicht, eine Berufung ohne Sachprüfung zu verwerfen, setzt ausschließlich die physische Abwesenheit des Angeklagten voraus.
  • [Priorität der Prüfung der Verhandlungsfähigkeit]: Zeigt ein Angeklagter massiv störendes oder irrationales Verhalten, muss das Gericht vorrangig die psychische Eignung zur Teilnahme am Verfahren durch einen ärztlichen Sachverständigen feststellen lassen.
  • [Störung ist kein Nichterscheinen]: Gerichte begegnen der Verweigerung der Mitwirkung und prozessualen Störungen mit spezifischen Ordnungsmitteln oder der Entfernung aus dem Sitzungssaal; sie dürfen störendes Benehmen niemals fiktiv mit dem Ausbleiben gleichsetzen, um eine Verwerfung der Berufung zu erzwingen.

Das Gesetz schützt den fundamentalen Anspruch auf die sachliche Überprüfung eines erstinstanzlichen Urteils, selbst wenn der Angeklagte die Verhandlungsführung massiv behindert.


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Experten Kommentar

Die Frage, ob ein Gericht einen wütenden, störenden Angeklagten einfach ignorieren darf, ist eine harte Probe für die Prozessordnung. Dieses Urteil zieht eine klare rote Linie: Wer körperlich im Gerichtssaal anwesend ist, kann rechtlich nicht als „ausgeblieben“ gelten, selbst wenn die Mitwirkung total verweigert wird. Die Richter am Landgericht haben hier einen fatalen Fehler gemacht, denn Störungen erfordern Ordnungsmittel oder die Prüfung der Verhandlungsfähigkeit, aber niemals die summarische Verwerfung der Berufung. Damit wird klargestellt: Der Schutz des Angeklagten vor pragmatischen Abkürzungen der Kammer ist wichtiger als der Wunsch nach einer schnellen Lösung.


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Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Kann meine Berufung verworfen werden, wenn ich körperlich anwesend bin, aber nicht mitmache?

Die Regel ist klar: Nein, Ihre Berufung kann nicht verworfen werden, wenn Sie körperlich anwesend sind – selbst wenn Sie die Verhandlung massiv stören oder die Mitwirkung verweigern. Der entscheidende Paragraph in der Strafprozessordnung, § 329 Abs. 1 StPO, erlaubt die Verwerfung nur beim physischen Ausbleiben des Angeklagten. Das Gericht darf das Ausbleiben nicht auf bloß störendes oder wirres Verhalten ausweiten.

Der juristische Begriff des „Ausbleibens“ wird von den Gerichten sehr strikt und wörtlich ausgelegt. Wenn Sie den Gerichtssaal betreten, Dokumente übergeben oder nur störende Monologe halten, sind Sie für das Gesetz nicht abwesend. Die Verwerfung der Berufung ist die prozessuale Höchststrafe und eine Ausnahmevorschrift. Gerichte dürfen diese scharfe Konsequenz nicht auf Situationen ausdehnen, die das Gesetz nicht direkt meint.

Störendes Verhalten ist ein Problem der Prozessführung und muss mit Ordnungsmitteln gelöst werden. Statt die Berufung zu verwerfen, kann das Gericht Ordnungsgelder verhängen. Als schärfstes Mittel erlaubt das Gerichtsverfassungsgesetz (§ 177 GVG) die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal. Die unzulässige Verwerfung der Berufung wegen eines Verhaltensproblems würde stets einen schweren, revisionsfähigen Verfahrensfehler darstellen.

Um eine fälschliche Verwerfung zu verhindern, dokumentieren Sie lückenlos, wer Ihre körperliche Anwesenheit im Sitzungssaal (Datum, Uhrzeit) genau bestätigt hat.


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Wann darf eine Berufung trotz Anwesenheit nach § 329 StPO verworfen werden?

Die kurze Antwort lautet: Eine Verwerfung der Berufung wegen Nichterscheinens nach § 329 StPO ist kategorisch ausgeschlossen, wenn Sie körperlich anwesend sind. Diese Vorschrift dient ausschließlich dazu, das physische Fehlen des Angeklagten zu sanktionieren. Juristisch gibt es keine Gleichsetzung von störendem Verhalten und Abwesenheit, selbst wenn Gerichte dies fälschlicherweise annehmen.

Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) stellte klar, dass der Begriff des „Ausbleibens“ streng wörtlich auszulegen ist. Landgerichte versuchten zwar, den Standpunkt zu vertreten, der Angeklagte fehle als „prozessuale Figur,“ wenn er die Mitwirkung total verweigert. Das BayObLG wies diesen Versuch einer juristischen Äquivalenz jedoch als fundamentales Fehlurteil zurück. § 329 StPO gilt als Ausnahmevorschrift, die nicht unzulässig auf Fälle von Prozessverweigerung oder Fehlverhalten ausgeweitet werden darf.

Das Gesetz schützt den Angeklagten vor doppelter Bestrafung. Stört ein Angeklagter die Verhandlung, stehen dem Gericht andere prozessuale Mittel zur Verfügung, etwa Ordnungsgelder oder die Entfernung aus dem Saal gemäß § 177 GVG. Eine zusätzliche Verwerfung der Berufung, die das erstinstanzliche Urteil sofort rechtskräftig macht, stellt eine unzulässige Sanktionierung dar. Konkret: Wer mit dem Gericht interagiert – und sei es auf wirre oder unhöfliche Weise – besitzt die notwendige körperliche Anwesenheit.

Sollte das Gericht versuchen, Ihre Berufung wegen störenden Verhaltens zu verwerfen, legen Sie über Ihren Anwalt sofort Beweise für Ihre Anwesenheit vor und verweisen auf die restriktive Auslegung des § 329 StPO.


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Welche Pflichten hat das Gericht bei Anzeichen einer psychischen Störung des Angeklagten?

Wenn ein Angeklagter deutliche Anzeichen einer psychischen Störung oder extrem wirres Verhalten zeigt, darf das Gericht diese Probleme nicht ignorieren. Es besteht die juristische Pflicht, die Verhandlungsfähigkeit von Amts wegen zu prüfen. Diese Prüfung muss sofort erfolgen, bevor das Gericht juristische Härte zeigt oder die Berufung verwirft. Das Prozessrecht verlangt, dass das Gericht die psychische Situation des Angeklagten aktiv berücksichtigt.

Die wichtigste Frage für das Gericht ist, ob der Angeklagte dem Prozess überhaupt folgen kann. Er muss in der Lage sein, seine Rechte zu verstehen und sich adäquat zu verteidigen. Liegen Zweifel an dieser Fähigkeit vor, schreibt das Gesetz einen klaren Weg vor. Die Strafprozessordnung verlangt in § 329 Abs. 1 Satz 3 StPO ausdrücklich die Hinzuziehung eines ärztlichen Sachverständigen. Nur so lässt sich feststellen, ob eine krankheitsbedingte Unfähigkeit vorliegt.

Wirre Monologe, lautes Stören oder die Weigerung, auf dem zugewiesenen Platz Platz zu nehmen, sind deutliche Warnsignale. Solche Verhaltensweisen zwingen das Gericht, die Prozessfähigkeit zu klären. Gerichte dürfen psychische Probleme nicht als reines Mittel zur Prozessbehinderung werten. Wird die Verhandlungsfähigkeit festgestellt, kann das Gericht zwar Ordnungsmittel wie Ordnungsgelder verhängen. Die Pflicht zur fachgerechten Prüfung bleibt jedoch immer bestehen, um ein faires Verfahren zu gewährleisten.

Fordern Sie das Gericht sofort und schriftlich auf, gemäß § 329 Abs. 1 Satz 3 StPO einen ärztlichen Sachverständigen zur Klärung der Verhandlungsfähigkeit zu bestellen.


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Was tun, wenn das Gericht meine Verhandlungsfähigkeit nicht durch einen Sachverständigen prüft?

Wenn das Gericht trotz klarer Anzeichen auf psychische Probleme keinen Sachverständigen zur Prüfung der Verhandlungsfähigkeit hinzuzieht, liegt ein schwerwiegender Verfahrensfehler vor. Dieser Mangel kann das gesamte ergangene Urteil revisionsfähig machen. Die unterbliebene Prüfung verletzt Ihr fundamentales Recht auf ein faires Verfahren, das die Berücksichtigung Ihrer gesundheitlichen Situation einschließt.

Dieser juristische Fehler entsteht, weil die Pflicht zur Sachverständigenanhörung zwingend ist, sobald ernsthafte Zweifel an Ihrer Fähigkeit bestehen, dem Prozess zu folgen. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift lässt sich nicht nachträglich durch prozessleitende Entscheidungen heilen, wie beispielsweise die Verwerfung der Berufung. Richter dürfen diesen schweren Mangel nicht ignorieren, da er einen fundamentalen Verfahrensverstoß darstellt. Das Gericht ist verpflichtet, der Frage nachzugehen, ob Sie Ihre Rechte verstehen und sich verteidigen können.

Konkret muss die nächsthöhere Instanz das Urteil aufgrund dieses Verstoßes kassieren. Das Bayerische Oberste Landesgericht hob beispielsweise ein Urteil des Landgerichts Ansbach aus genau diesem Grund auf. Die Sache wird zur erneuten Hauptverhandlung an eine andere Kammer zurückverwiesen. Diese neue Kammer ist dann verpflichtet, die Prüfung der Verhandlungsfähigkeit durch einen Sachverständigen obligatorisch nachzuholen.

Beauftragen Sie Ihren Anwalt umgehend, den Verfahrensfehler und Ihr störendes Verhalten im Sitzungsprotokoll explizit zu rügen und festzuhalten, um die Basis für eine erfolgreiche Revision zu schaffen.


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Welche prozessualen Mittel dürfen Richter bei einer Störung der Hauptverhandlung anwenden?

Die Gerichtsleitung muss die Ordnung im Sitzungssaal gewährleisten. Richter verfügen daher über klare prozessleitende Werkzeuge, um auf störendes Verhalten zu reagieren. Die Regel: Sie wenden sogenannte Ordnungsmittel an, um die Autorität des Gerichts zu wahren, ohne den Angeklagten prozessual unzulässig zu bestrafen. Diese Maßnahmen grenzen sich strikt von der endgültigen Verwerfung der Berufung ab.

Die zulässigen Sanktionen sind in erster Linie Ordnungsmaßnahmen nach dem Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Dazu zählen die Verhängung eines Ordnungsgeldes oder, bei Uneinbringlichkeit, die Ordnungshaft. Bei massiver und anhaltender Störung, die eine Fortsetzung der Verhandlung unmöglich macht, erlaubt § 177 GVG auch die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal. Diese Mittel dienen dazu, die störungsfreie Durchführung des Verfahrens zu sichern. Das Gericht nutzt sie als Reaktion auf das akute Fehlverhalten der Beteiligten.

Selbst wenn der Angeklagte den Saal verlassen muss, bleibt die Berufungsverhandlung bestehen. Es wäre eine unzulässige Überreaktion, die Berufung nach § 329 StPO zu verwerfen, nur weil der Angeklagte entfernt wurde. Die Verwerfung ist nur bei physischem Ausbleiben statthaft. Konkret: Hat der Angeklagte bereits am Termin teilgenommen, muss das Gericht die Verhandlung fortsetzen. Die Entfernung nach § 177 GVG ist ein prozessleitender Akt, keine prozessuale Höchststrafe für das gesamte Verfahren.

Droht das Gericht mit der Verwerfung Ihrer Berufung wegen Störung, fordern Sie die Anwendung der rechtmäßigen prozessleitenden Mittel nach § 177 GVG.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


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Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Ausbleiben

Das juristische Ausbleiben meint im Kontext des § 329 StPO ausschließlich die physische Abwesenheit des Angeklagten beim anberaumten Gerichtstermin.
Dieser Begriff wird von den höheren Gerichten restriktiv ausgelegt, denn er ist die Voraussetzung für die schärfste prozessuale Konsequenz – die Verwerfung der Berufung.

Beispiel: Obwohl der Mann im Gerichtssaal störende Monologe hielt, konnte er nicht als ausgeblieben im Sinne der Strafprozessordnung gelten, weil er körperlich anwesend war und mit der Kammer interagierte.

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Ausnahmevorschrift

Eine Ausnahmevorschrift ist eine gesetzliche Regelung, die nur in eng definierten Sonderfällen Anwendung findet und vom eigentlichen juristischen Grundsatz abweicht.
Der Gesetzgeber schafft diese Vorschriften, um Härtefälle zu regulieren oder spezifische prozessuale Effizienz zu ermöglichen, hält ihren Anwendungsbereich aber strikt begrenzt.

Beispiel: Juristen bezeichnen den § 329 Abs. 1 StPO, der eine Verwerfung der Berufung ohne Verhandlung erlaubt, als Ausnahmevorschrift, weil er vom Grundsatz des rechtlichen Gehörs abweicht.

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Ordnungsmittel

Ordnungsmittel sind Sanktionen, die ein Gericht nach dem Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) verhängt, um die Disziplin und Ruhe während einer laufenden Verhandlung zu gewährleisten.
Richter nutzen diese Maßnahmen wie Ordnungsgelder oder die Entfernung aus dem Saal, um akute Störungen zu beseitigen, ohne dabei das eigentliche Verfahren oder die Rechtsmittel des Angeklagten zu beeinträchtigen.

Beispiel: Statt die Berufung zu verwerfen, hätte das Landgericht gegen den Angeklagten ein Ordnungsgeld verhängen oder ihn nach § 177 GVG mithilfe von Ordnungsmitteln aus dem Sitzungssaal entfernen lassen müssen.

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Verhandlungsfähigkeit

Verhandlungsfähigkeit beschreibt die juristische und tatsächliche Fähigkeit eines Angeklagten, den Verhandlungsinhalt zu verstehen, seinen Rechten zu folgen und sich adäquat selbst verteidigen zu können.
Das Gericht muss diese Fähigkeit von Amts wegen prüfen, insbesondere wenn es Anzeichen für psychische Störungen oder wirres Verhalten gibt, da ein faires Verfahren andernfalls nicht garantiert ist.

Beispiel: Aufgrund der bekannten psychischen Störung des Angeklagten musste die Kammer zuerst die Verhandlungsfähigkeit durch die Anhörung eines ärztlichen Sachverständigen klären, bevor sie die Hauptverhandlung fortsetzte.

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Verwerfung der Berufung

Die Verwerfung der Berufung ist die formelle gerichtliche Entscheidung, das eingelegte Rechtsmittel ohne inhaltliche Prüfung zurückzuweisen, wodurch das Urteil der ersten Instanz sofort rechtskräftig wird.
Dieser scharfe Eingriff ist primär vorgesehen, um Prozesse zu beschleunigen und Angeklagte zu sanktionieren, die unentschuldigt nicht zur notwendigen Berufungsverhandlung erscheinen.

Beispiel: Das Bayerische Oberste Landesgericht hob die Verwerfung der Berufung auf, weil das Landgericht fälschlicherweise annahm, der anwesende, aber störende Angeklagte sei prozessual abwesend gewesen.

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Wörtliche Auslegung

Juristen sprechen von Wörtlicher Auslegung, wenn die Bedeutung eines Gesetzesbegriffs ausschließlich anhand seines Wortlauts bestimmt wird, ohne dabei den Sinn oder Zweck der Vorschrift übermäßig zu berücksichtigen.
Diese Methode dient dazu, Rechtsklarheit und Vorhersehbarkeit zu schaffen, weshalb Gerichte bei sogenannten Ausnahmevorschriften oft zu dieser restriktiven Auslegung neigen.

Beispiel: Das höhere Gericht bestand auf der wörtlichen Auslegung des Begriffs „Ausbleiben“ im § 329 StPO und lehnte es ab, ihn auf die bloße Weigerung zur Mitwirkung auszuweiten.

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Das vorliegende Urteil


BayObLG – Az.: 203 StRR 234/25 – Beschluss vom 23.06.2025


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