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Erlass EU Haftbefehl wegen versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahl in 2 Fällen

AG Dortmund, Az.: 730 AR 11/19. Beschuss vom 09.07.2019

Der Antrag der Staatsanwaltschaft Dortmund auf Erlass eines europäischen Haftbefehls wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Dortmund begehrt den Erlass eines sogenannten europäischen Haftbefehls gegen den Verurteilten. Dieser wurde durch Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 08.03.2017 wegen versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Dieses Urteil wird derzeit durch die bulgarischen Justizbehörden seit dem 10.07.2018 in C vollstreckt. Dort sitzt der Verurteilte ein. Die Staatsanwaltschaft begehrt nun die Auslieferung des Verurteilten nach Deutschland. Sie selbst hat am 18.10.2018 einen Vollstreckungshaftbefehl erlassen.

II.

Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines sogenannten europäischen Haftbefehls ist unzulässig, weil eine Zuständigkeit des Amtsgerichts hierfür nicht besteht. Insbesondere besteht eine solche Zuständigkeit entgegen der Rechtsansicht der Staatsanwaltschaft nicht nach § 457 Abs.3 S.3 StPO. Weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift ergibt sich eine Zuständigkeit des Amtsgerichts als „Gericht des ersten Rechtszuges“ zum Erlass eines europäischen Haftbefehls.

Die unmittelbare Anwendung der Vorschrift scheidet aus, weil es sich bei der Vorschrift um eine nationale Rechtsgrundlage für notwendig werdende gerichtliche Entscheidungen zur Vollstreckung eines nationalen Vollstreckungshaftbefehls handelt. Gemeint sind dabei solche Maßnahmen, welche die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde aufgrund eines bestehenden gesetzlichen Richtervorbehaltes nicht selbst umsetzen darf (z.B. die körperliche Untersuchung des Verurteilten nach § 81a StPO oder die Durchsuchung von Wohnungen oder Personen nach §§ 102, 103 StPO (vgl. MüKoStPO/Nestler, 1. Aufl. 2019, StPO § 457 Rn. 38). Für derartige „Fahndungsmaßnahmen“ statuiert die Vorschrift eine Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtzuges. Die Zuständigkeit zum Erlass eines europäischen Haftbefehls ergibt sich dagegen aus der Umsetzung des europäischen Rahmenbeschlusses 2002/584 des Rates vom 13.06.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten (Rahmenbeschluss 2002/584) . Der nationale Gesetzgeber hat diesen Rahmenschluss im Achten Teil des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) umgesetzt. Aus dem IRG ergibt sich durch die Umsetzung des Rahmenbeschlusses auch eine spezielle Zuständigkeitsregelung für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls, die einen Rückgriff auf nationale Zuständigkeitsregelungen und Ermächtigungsgrundlagen z.B. aus der StPO, die dem Rechtsinstitut des europäischen Haftbefehls vergleichbare Regelungen enthalten, nicht zulässt.

Im Einzelnen:

Erlass eines europäischen Haftbefehls wegen wegen versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls in zwei Fällen
Symbolfoto: Pamela Au/Bigstock

Nach Artikel 6 Abs.1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 ist ausstellende Justizbehörde eines europäischen Haftbefehls diejenige Justizbehörde des Mitgliedsstaates, die nach dem Recht dieses Staates für die Ausstellung eines europäischen Haftbefehls zuständig ist. Nach Art. 6 Abs. 2 dieses Rahmenbeschlusses ist die vollstreckende Justizbehörde die Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaates, die nach dem Recht dieses Staates zuständig für die Vollstreckung des europäischen Haftbefehls ist, wobei nach Art. 6 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584 jeder Mitgliedstaat das Generalsekretariat des Rates über die nach seinem Recht zuständigen Justizbehörden unterrichtet. Sodann findet sich zwar findet sich im achten Teil des IRG (Auslieferung- und Auslieferungsverkehr mit Mitgliedstaaten der Europäischen Union), welcher zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2002/584 neu gefasst wurde (vgl. Hackner, in Schomurg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2012 vor § 78 Rn.1) keine unmittelbare Zuständigkeitsregelung für den Erlass eines Haftbefehls. Die Zuständigkeitsvorschrift des Artikel 6 Abs.1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 hat der nationale Gesetzgeber in der Neufassung des Achten Teils des IRG schlicht nicht umgesetzt und somit dort keine Zuständigkeitsregelung getroffen (eine vergleichende Übersicht der umgesetzten Artikel findet sich bei Hackner ebenda, vor § 78 Rn. 16). Dennoch besteht aber keine Regelungslücke für die Zuständigkeit für den Erlass eines europäischen Haftbefehls. Eine solche wäre aber Voraussetzung, um eine entsprechende bzw. analoge Anwendung von Vorschriften der StPO zur Begründung einer Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszuges für europäische Haftbefehle zur Durchsetzung von nationalen Vollstreckungshaftbefehlen oder eine Zuständigkeit des Ermittlungsrichters für den Erlass eines europäischen Haftbefehls auf der Grundlage sonstiger nationaler Haftbefehle nach der StPO zu rechtfertigen. Denn im Siebten Teil „Gemeinsame Vorschriften“ hat der Gesetzgeber in § 74 IRG eine spezielle Zuständigkeitsvorschrift für die Stellung von Rechtshilfeersuchen an ausländische Staaten und für die Bewilligung von ausländischen Rechtshilfeersuchen geschaffen, die auch für den im Achten Teil des IRG geregelten „Auslieferungs- und Durchlieferungsverkehr“ mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union Anwendung findet. Denn nach § 78 Abs.1 IRG haben die besonderen Regelungen des Achten Teils des IRG über den Auslieferungsverkehr zwar Vorrang. Dies aber nur soweit, als dort keine besonderen Regelungen bestehen. Im Übrigen finden nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Norm ausdrücklich „die übrigen Bestimmungen dieses Gesetzes auf den Auslieferungs- und Durchlieferungsverkehr mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union Anwendung“. Damit gilt auch § 74 IRG für den Europäischen Haftbefehl, der eine Maßnahme des „Auslieferungs- und Durchlieferungsverkehrs“ ist. Denn auch wenn der nationale Gesetzgeber den europäischen Haftbefehl nicht definiert hat, handelt es sich bei dem Instrument um ein Fahndungsinstrument, mit welchem der Auslieferungsverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten erleichtert werden sollte. Entsprechend hat der nationale Gesetzgeber in § 83a Abs.1 IRG immerhin geregelt, dass die Ausschreibung zur Festnahme zwecks Überstellung oder Auslieferung im Schengener Informationssystem als Europäischer Haftbefehl gilt. Gegen die unmittelbare und analoge Anwendung von Vorschriften der StPO oder anderer Vorschriften zur Begründung der Zuständigkeit des Gerichts spricht damit letztlich auch § 77 Abs.1 IRG. Danach gelten andere Vorschriften aus dem GVG oder der StPO nur, „soweit dieses Gesetz keine besondere n Verfahrensvorschriften“ enthält. Die zuständige Stelle für Rechtshilfeangelegenheiten ist im IRG aber in § 74 IRG geregelt.

Die nach § 74 Abs.1 IRG auch für Auslieferungsersuchen und damit den europäischen Haftbefehl grundsätzlich zuständige Bundesregierung hat von der ihr nach § 74 Abs.2 IRG bestehenden Delegationsmöglichkeit Gebrauch gemacht und durch eine Zuständigkeitsvereinbarung vom 28.04.2004 mit den Bundesländern (BAnz. S 11 494) in Nummer 3 lit.a dieser Vereinbarung den Landesregierungen auch die Ausübung ihrer Befugnisse zur Stellung von ausgehenden Auslieferungsersuchen übertragen. Gleichzeitig hat die Bundesregierung den Ländern in dieser Vereinbarung entsprechend § 74 Abs.2 S.2 IRG die Möglichkeit zur weiteren Delegation dieser Befugnis überlassen. Von dieser Regelung hat auch Nordrhein-Westfalen Gebrauch gemacht und zwar in Form eines Gemeinsamen Runderlasses des Justizministeriums, des Ministeriums für Inneres und Kommunales und des Finanzministeriums vom 16.12.2016 (JMBl. NRW Ausgabe 2017 Nr.5 vom 17.02.2017, S.71-94). Nach der Nummer 1.2.1.7 dieses Erlasses entscheidet über ausgehende Ersuchen betreffend die Aus- und Durchlieferung an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union, also die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls, die Leitende Oberstaatsanwältin oder der Leitende Oberstaasanwalt. Diese Zuständigkeitsregelung ist auch nicht durch den Anwendungserlass des Landesministeriums der Justiz NRW vom 29.05.2019 außer Kraft gesetzt worden bzw. begründet dieser Anwendungserlass nicht die Zuständigkeit des Amtsgerichts für den Erlass eines europäischen Haftbefehls. Denn bei diesem Anwendungserlass handelt es sich nicht um eine in Anwendung der Delegationsbefugnis aus § 74 Abs.2 S.2 IRG getroffene Zuständigkeitsregelung. Vielmehr handelt es sich dabei lediglich um eine an die nachgeordneten Behörden gerichtete Anweisung, wie diese im Lichte der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 27.05.2019 (C-508/18 und C-82/19) zu verfahren haben. Nach Nummer 1 dieses Anwendungserlasses sollen die Leitende Oberstaatsanwältin oder der Leitende Oberstaasanwalt zwar künftige ausgehende Überstellungsersuchen an einen Mitgliedsstaat dem Amtsgericht vorlegen. Eine solche Handlungsanweisung kann aber eine Zuständigkeit für den Erlass eines europäischen Haftbefehls nicht begründen, die ansonsten nur über eine Regelung im Rahmen des § 74 Abs.2 S.2 IRG getroffen werde könnte. Dies gilt umso mehr als es sich bei dem europäischen Haftbefehl um einem Eingriff in das Recht auf Freiheit aus Artikel 6 der Grundrechtscharta der Europäischen Union handelt. Die Grundrechtscharta ist über Art. 6 EUV Teil des Primärrechts der Union geworden und gilt gem. Art. 51 Grundrechtscharta auch für die Mitgliedsstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union. Die Durchführung des Rechts der Union betrifft dabei auch die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2002/584 zum Europäischen Haftbefehl. Da gemäß Art. 52 der Grundrechtscharta ausdrücklich ein Gesetzesvorbehalt für Eingriffe auch in Art. 6 der Grundrechtscharta vorgesehen ist, kann eine bloße Handlungsanweisung des Justizministeriums eine Zuständigkeit der Gerichte für den europäischen Haftbefehl nicht begründen. Vor diesem Hintergrund überzeugt aus Sicht des Gerichts heute auch die bisherige Rechtsprechung nicht mehr, die unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1981 (BVerfG NJW 1981, 154) den Europäischen Haftbefehl als eine Maßnahme betrachtet, die nicht in Grundrechte des Einzelnen eingreife (vgl. OLG Celle, BeckRS 2009, 27936). Vielmehr bedarf es auch im Lichte der aktuellen Rechtsprechung des EuGH (C-508/18 und C-82/19), die ebenfalls den Eingriff in Art. 6 Grundrechtscharta durch Erlass eines europäischen Haftbefehls betont, einer eindeutigen gesetzlichen Grundlage für dessen Erlass, die auch die Zuständigkeit für den Erlass regelt. Obn es insoweit ausreichend wäre, den Gemeinsamen Runderlasses des Justizministeriums, des Ministeriums für Inneres und Kommunales und des Finanzministeriums vom 16.12.2016 dahingehend zu ändern, dass dort nun eine gerichtliche Zuständigkeit begründet wird, erscheint fraglich. Denn ohne Schaffung einer neuen Rechtsgrundlage und Beschränkung des Gesetzgebers auf die Änderung der Zuständigkeiten für den Eingriff in das Freiheitsrecht aus Art.6 der Grundrechtscharta könnte der Eingriff aus Sicht des Gerichts nur über eine entsprechende bzw. analoge Anwendung der StPO-Vorschriften aus §§ 131, 162 StPO zu rechtfertigen sein. Dies wird dem Gesetzesvorbehalt jedoch nicht gerecht. Insoweit gilt grundsätzlich, dass Grundrechte nach der Grundrechtscharta zwar auch durch nationales Recht eingeschränkt werden können. In diesem Fall richtet es sich auch nach nationalem Recht, welche Regelungen dem Gesetzesvorbehalt aus Art. 52 der Grundrechtscharta gerecht werden. Dies kann auch Gewohnheitsrecht oder Richterrecht sein (vgl. dazu Jarass GrCh, 3. Aufl. 2016, EU-Grundrechte-Charta Art. 52 Rn.26 unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH in GA Cruz Villalón, C-518/13). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht jedoch Art 104 Abs. 1 S 1 GG einer analogen Heranziehung materiell-rechtlicher Ermächtigungsgrundlagen für Freiheitsentziehungen entgegen (BVerfG, FamRZ 2007, 1874). Auch der auf Grundlage von Art. 31, 34 EUV gefasste Rahmenbeschluss 2002/584 zum Europäischen Haftbefehl wird dem Gesetzesvorbehalt aus Art. 52 Grundrechtscharta nicht gerecht, da er nicht unmittelbar wirksam ist, sondern der Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten bedarf und nur Zielvorgaben enthält. Insoweit bedürfte es aus Sicht des Gerichts einer neuen Rechtsgrundlage für den Erlass des europäischen Haftbefehls oder zumindest einer Streichung des § 146 GVG bei Beibehaltung der bisherigen Zuständigkeiten für dessen Erlass.

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