OLG Celle – Az.: 32 Ss 96/11 – Beschluss vom 21.09.2011
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts – Strafrichterin – Springe vom 28.01.2010 verworfen, das den Angeklagten wegen Nachstellung mit einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 15,- € belegt hatte.
Zur Person des 32-jährigen, ledigen Angeklagten hat die Kammer u.a. festgestellt, dass dieser bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Zuletzt hat das Amtsgericht Springe mit Strafbefehl vom 24.04.2009 gegen ihn eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 15,- € wegen Verstoßes gegen das GewSchG verhängt. Dem liegt zugrunde, dass der Angeklagte am 03.01.2009 mit der Nebenklägerin vor deren Wohnhaus in S. eine verbale Auseinandersetzung begann, obwohl es ihm durch gerichtlichen Beschluss untersagt war, sich der Nebenklägerin zu nähern.
Zur Sache hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Vorgeschichte:
In den Jahren 2007 und 2008 führten der Angeklagte und die Nebenklägerin eine Beziehung, aus der eine gemeinsame am 29.10.2007 geborene Tochter hervorging. Im November 2008 trennte sich das Paar, nachdem es bereits einige Monate zuvor zu körperlichen und verbalen Auseinandersetzungen gekommen war. In der Zeit nach der Trennung geschah Folgendes:
– Am 13.11.2008 erstattete die Nebenklägerin Strafanzeige gegen den Angeklagten mit der Angabe, dieser habe sie mit einer Tür an die Schulter gestoßen, sie angespuckt und damit gedroht, ihr das gemeinsame Kind zu entziehen. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren mangels öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein.
– „Nachdem es immer wieder zu verbalen und tätlichen Angriffen des Angeklagten“ gegen die Nebenklägerin gekommen war, erließ das Amtsgericht Springe am 17.11.2008 auf Antrag der Nebenklägerin eine einstweilige Anordnung, mit der es dem Angeklagten untersagte, sich der Wohnung der Nebenklägerin auf weniger als 50 m zu nähern. Diese Anordnung war befristet bis zum 17.02.2009.
– Am 22.11.2008 erstattete die Nebenklägerin erneut Strafanzeige, weil der Angeklagte sich entgegen der gerichtlichen Anordnung in dem von ihr bewohnten Mehrfamilienhaus aufgehalten habe. Dieses Verfahren stellte die Staatsanwaltschaft nach § 153 Abs. 1 StPO ein.
– Am 03.01.2009 erstattete die Nebenklägerin Anzeige wegen des Vorfalls, der Gegenstand des Strafbefehls des Amtsgerichts Springe vom 24.04.2009 ist.
– „Nachdem es wiederum zu Angriffen des Angeklagten“ gegen die Nebenklägerin gekommen war, untersagte das Amtsgericht Springe dem Angeklagten mit Beschluss vom 14.01.2009 weiterhin, sich der Wohnung der Nebenklägerin auf weniger als 50 m zu nähern. Ferner verbot es ihm, Verbindung mit ihr aufzunehmen. Diese Entscheidung galt bis zum 30.05.2009.
– Am 29.01.2009 schließlich erstattete die Nebenklägerin erneut Anzeige, weil der Angeklagte sich ihr an diesem Tag auf dem Parkplatz eines Supermarktes auf weniger als 50 m genähert habe. Dieses Verfahren stellte die Staatsanwaltschaft ebenfalls gem. § 153 Abs. 1 StPO ein.
Tatgeschehen:
Am 29.07.2009 war die Nebenklägerin in S. zu Fuß unterwegs. Sie hatte ihre damals 1 Jahr und 9 Monate alte Tochter in der Kinderkarre dabei. Der Angeklagte – der wusste, dass die Nebenklägerin Angst vor ihm hatte – hielt mit seinem Pkw neben ihr, stieg aus und näherte sich ihr bis auf 2 m, wobei er äußerte, dass er lediglich seiner Tochter „Hallo“ sagen wolle. Daraufhin erlitt die Nebenklägerin eine Panikattacke mit Herzbeschwerden und Atemnot. Sie entfernte sich fluchtartig in Richtung ihrer Wohnung. Der Angeklagte stieg in seinen Wagen und folgte ihr bis vor das Mehrfamilienhaus, in dem sie wohnte. Noch bevor die Nebenklägerin die Haustür erreicht hatte, hielt der Angeklagte an und lief auf sie zu. Dabei machte er mit seinem Mobiltelefon Videoaufnahmen von ihr und rief ihr zu, dass er sie filme, damit das Gericht sehen könne, was für eine tolle Mutter sie sei. Darauf reagierte die Nebenklägerin nicht, sondern schloss die Haustür auf, betrat den Flur und versuchte, die Tür von innen zu schließen. Dies gelang ihr erst nach mehrmaligem Ansatz, weil der Angeklagte von draußen versuchte, die Tür wieder aufzudrücken. Dann ging die Nebenklägerin zum Fahrstuhl, um damit zu ihrer im fünften Obergeschoss gelegenen Wohnung zu gelangen. Der Angeklagte, dem es zwischenzeitlich gelungen war, ebenfalls den Hausflur zu betreten, folgte ihr zum Fahrstuhl. Noch bevor er sie erreicht hatte, betrat sie samt Kinderwagen den Lift und schloss die Tür. Daraufhin rief der Angeklagte ihr zu, dass er ihre Wohnung auch zu Fuß erreichen könne. Er verließ das Mehrfamilienhaus dann jedoch.
Die Nebenklägerin begab sich noch am selben Tag wegen Atembeschwerden und Halsschmerzen in ärztliche Behandlung. Diagnostiziert wurde bei ihr eine akute Angststörung und Panik mit psychovegetativer Dekompensation, begleitet mit Herzrasen. Aus diesem Grund wurde ihr ein Beruhigungsmittel verordnet.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Er begehrt, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt dies ebenfalls.
II.
Das zulässige Rechtsmittel führt mit der Sachrüge zum Erfolg. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen zur Sache tragen den Schuldspruch nicht. Angesichts dessen kommt es auf die ausgeführte Rüge der Verletzung formellen Rechts nicht an.
Wegen Nachstellung wird nach § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB bestraft wer einem Menschen unbefugt nachstellt, indem er beharrlich seine räumliche Nähe aufsucht und dadurch seine Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt.
Zur Sachrüge hat die Generalstaatsanwaltschaft wie folgt Stellung genommen:
„Die vom Gericht festgestellten Tatsachen (…) sind in mehrfacher Hinsicht nicht geeignet, ein beharrliches Handeln im Sinne des § 238 Abs. 1 StGB zu belegen.
1.
Beharrlichkeit setzt zunächst wiederholtes Tätigwerden voraus (BGH, Beschluss vom 19.11.2009, 3 StR 244/09, Juris [Anm. des Senats = NStZ 2010, 277]). Dies bedeutet, dass zumindest zwei Nachstellungshandlungen im Sinne des § 238 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 StGB vorliegen müssen, wobei auf schon früher abgeurteilte Handlungen wegen des eingetretenen Strafklageverbrauchs nicht abgestellt werden kann (vgl. OLG Zweibrücken, Urteil vom 15.01.2010, 1 Ss 10/09, Rn. 30, Juris [Anm. des Senats = NStZ-RR 2010, 145]; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 238 Rn. 18 m. w. N.).
Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Lediglich die Feststellungen zur Tathandlung am 29.07.2009 erfüllen die Voraussetzungen einer Nachstellungshandlung im Sinne des § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB, denn danach näherte sich der Angeklagte der Zeugin A. G. [Anm. des Senats: der Nebenklägerin] zielgerichtet auf 2 Meter, sprach sie an, verfolgte sie sodann mit seinem Pkw, hielt an, lief auf sie zu, filmte sie mit seinem Handy und verfolgte sie so hinein in das Mehrfamilienhaus, in dem sie wohnte.
Weitere Nachstellungshandlungen wurden hingegen nicht festgestellt.
Die durch das Gericht für den 03.01.2009 festgestellte Handlung unterliegt dem Strafklageverbrauch, weil der Angeklagte insoweit wegen eines Verstoßes gegen § 4 Gewaltschutzgesetz seit Rücknahme seines Einspruches gegen den Strafbefehl am 16.06.2009 rechtskräftig verurteilt ist (4 C 304/09 Amtsgericht Springe).
Hinsichtlich der Handlung am 29.01.2009 hat das Gericht keine Feststellungen dazu getroffen, was der Angeklagte tatsächlich getan hat. Das Gericht hat lediglich festgestellt, dass die Zeugin A. G. Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz erstattet hat, weil der Angeklagte sich ihr auf dem Parkplatz des L. Markts in S. in einer Entfernung von weniger als 50 m genähert habe. Das Urteil teilt hierzu weiter nur mit, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren gem. § 153 Abs. 1 StPO eingestellt habe, woraus kein zwingender Schluss gezogen werden kann, dass das Anzeigevorbringen der Zeugin den Tatsachen entsprach.
Entsprechendes gilt für die Handlung am 22.11.2008. Auch hierzu hat das Gericht lediglich das Anzeigevorbringen der Zeugin festgestellt, wonach sich der Angeklagte trotz gerichtlicher Verfügung nach dem Gewaltschutzgesetz in dem Mehrfamilienhaus aufgehalten habe, in dem auch die Zeugin wohnte. Auch insoweit teilt das Urteil weiter lediglich mit, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren gem. § 153 Abs. 1 StPO eingestellt habe.
Hinsichtlich der Handlung am 13.11.2008 gilt ebenfalls Entsprechendes. (…)
Soweit das Gericht weiter festgestellt hat, dass es zwischen dem 13. und dem 17.11.2008 zu verbalen und tätlichen Angriffen des Angeklagten auf die Zeugin gekommen ist, sind diese Feststellungen nicht hinreichend konkret, um das Vorliegen einer Nachstellungshandlung nach § 238 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 StGB überprüfen zu können.
2.
(…)
Eine Beharrlichkeit ist als wiederholtes Handeln oder andauerndes Verhalten zu interpretieren, das nicht schon bei bloßer Wiederholung gegeben ist, sondern darüber hinaus eine in der Tatbegehung zum Ausdruck kommende besondere Hartnäckigkeit und eine gesteigerte Gleichgültigkeit des Täters gegenüber dem gesetzlichen Verbot kennzeichnet. Zusätzlich zur wiederholten Tatbegehung ist daher erforderlich, dass aus Missachtung des entgegenstehenden Willens oder aus Gleichgültigkeit gegenüber den Wünschen des Opfers mit dem Willen gehandelt wird, sich auch in Zukunft immer wieder entsprechend zu verhalten. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung sind der zeitliche Abstand zwischen den einzelnen Handlungen und deren innerer Zusammenhang von Bedeutung (OLG Zweibrücken, a. a. O. Rn. 29).
Nach den Urteilsfeststellungen ist es vor der Nachstellungshandlung am 29.07.2009 über einen Zeitraum von 6 Monaten zu keinen weiteren Nachstellungshandlungen gekommen. Zur Handlung am 29.07.2009 hat das Gericht zudem festgestellt, dass sich der Angeklagte darauf berief, dass die gegen ihn ergangene – bis zum 30.05.2009 befristete – Gewaltschutzverfügung abgelaufen war. Eine derart lange Zäsur hindert gerade auch deshalb die Feststellung der Beharrlichkeit, weil der Angeklagte sich in diesem relativ langen Zeitraum gerade nicht hartnäckig über das bestehende Verbot durch die Gewaltschutzverfügung gleichgültig hinwegsetzte.“
Dem tritt der Senat mit folgender Maßgabe bei: Aus den Erwägungen, mit denen die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend die Beharrlichkeit verneint, ist bereits das Tatbestandsmerkmal des Nachstellens im Sinne des § 238 Abs. 1 StGB nicht erfüllt. Kennzeichnend hierfür ist ein Gesamtverhalten des Täters, das durch die Summe einzelner Nachstellungshandlungen die Beeinträchtigung beim Opfer herbeiführt (S/S-Eisele, StGB, 28. Aufl., 2010, § 238, Rdnr. 6). Diese Beeinträchtigung entsteht vielfach gerade erst durch die Kombination und Wiederholung einzelner Handlungen. Dem Begriff des Nachstellens ist daher ein gewisses Maß an Dauerhaftigkeit immanent (Fischer, a.a.O., § 238, Rdnr. 9).
Die festgestellte Handlung des Angeklagten vom 29.07.2009 erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Aufgrund der von der Generalstaatsanwaltschaft aufgezeigten erheblichen zeitlichen Zäsur zwischen diesem Verhalten und der letzten davor in Betracht kommenden Nachstellungshandlung vom 29.01.2009 steht das jetzige Tatverhalten normativ betrachtet isoliert da.
III.
Für die neue Hauptverhandlung weist die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme auf Folgendes hin:
„Das neue Tatgericht wird sich zudem damit auseinandersetzen müssen, ob der Angeklagte durch die ihm zur Last gelegte Handlung vom 29.07.2009 eine Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB begangen hat. Der Angeklagte wusste, dass jede Begegnung mit der Zeugin G. bei ihr Angst auslöste. Sie hat durch das Verhalten des Angeklagten eine akute Angststörung und Panik mit psychovegetativer Dekompensation begleitend mit Tachykardie [Anm. des Senats: Herzrasen] erlitten. Sie musste deshalb die Notaufnahme eines Krankenhauses aufsuchen, wo ihr die Einnahme eines Beruhigungsmittels verordnet wurde. Damit könnte durch die psychische Belastung somatisch objektivierbar ein pathologischer Zustand hervorgerufen worden sein, was eine Gesundheitsschädigung im Sinne des § 223 StGB darstellen könnte (vgl. Fischer, a. a. O., § 223 Rn. 6e m. w. N.).“
Auch dem tritt der Senat bei und ergänzt, dass der Angeklagte aus diesem Grund auch nicht im Revisionsrechtszug freizusprechen war.