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Anklageschrift bei Diebstahlshandlung  – Anforderungen

AG Tiergarten – Az.: (422 Ds) 266 Js 5857/16 (361/16) Jug – Beschluss vom 30.01.2017

In der Strafsache wegen Diebstahls wird die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt.

Die Verfahrenskosten und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

Gründe

Unter dem 17. November 2016 reichte die Staatsanwaltschaft Berlin gegen den Angeschuldigten eine Anklageschrift beim Jugendrichter des AG Tiergarten ein, deren konkreter Anklagesatz wie folgt lautete:

Der Angeschuldigte entwendete aus den Geschäftsräumen der Firma K. Warenhandel …GmbH & Co. KG, XXX, Bt. Set vom Power Ring und eine Handyhülle im Wert von 34,98 €, um die Ware für sich zu verwenden.

Als Tatzeit wurde der 05.07.2016 angegeben. Auf die Beanstandung des Gerichts, dieser Anklagesatz sei teilweise unverständlich, darüber hinaus werde keine Tathandlung beschrieben, fasste die Staatsanwaltschaft den Anklagesatz nunmehr wie folgt:

Der Angeschuldigte entwendete aus den Geschäftsräumen der Firma K. Warenhandel … GmbH & Co. KG, XXX, eine Powerwerking Bluetooth-Freisprecheinrichtung und eine Handyhülle im Wert von 34,98 €, um die Ware für sich zu verwenden.

Im Übrigen lehnte sie eine Änderung ab und führte insoweit aus:

Die Formulierung “entwendete“ mag nicht gerade von juristischer Eleganz geprägt sein, es ist allerdings die Formulierung die dem hiesigen standardisierten Formular für einfache Diebstahlsanklagen zugrunde gelegt ist. Diese Formulierung ist von den Behördenleitungen der Generalstaatsanwaltschaft, Staatsanwaltschaft und der Amtsanwaltschaft so gebilligt worden und wird seit mehreren Jahren so verwendet, wobei es jedenfalls in meinem Dezernat bisher noch von keinem Richter insoweit zu Beanstandungen gekommen ist.

Die von der Staatsanwaltschaft Berlin unter dem 28. Dezember 2016 verfasste Anklageschrift genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen und kann daher nicht Grundlage einer Hauptverhandlung sein. Gemäß § 200 StPO hat die Anklageschrift die Tat, die dem Angeschuldigten zur Last gelegt wird, zu bezeichnen. Es ist mithin ein Lebenssachverhalt zu schildern, der die gesetzlichen Merkmale des Tatbestands erfüllt (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 58. Aufl., § 200 Rnr. 7f). Üblicherweise wird hierbei unterschieden zwischen tatindividualisierenden Angaben (sog. Umgrenzungsfunktion), die die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Tat so genau bezeichnen, dass sie die Identität des geschichtlichen Vorgangs klarstellen und erkennbar machen, welche bestimmte Tat gemeint ist (vgl. etwa BGH NStZ 2010, S. 159, 160), und solchen Angaben, die den Angeschuldigten und die übrigen Verfahrensbeteiligten über weitere Einzelheiten des Vorwurfs unterrichten, um ihnen Gelegenheit zu geben, ihr Prozessverhalten auf den mit der Anklage erhobenen Vorwurf einzustellen (sog. Informationsfunktion, vgl. hierzu BGH a. a. O. m. w. N.). Allgemeiner Auffassung entspricht es, dass jedenfalls Mängel, die die Umgrenzungsfunktion betreffen, die Anklage unwirksam machen (BGH a. a. O.).

Zur Erfüllung der Umgrenzungsfunktion muss ein Anklagesatz den Anklagevorwurf als Lebensvorgang derart genau beschreiben, dass er sich von anderen, gleichartigen Handlungen desselben Täters unterscheidet und unverwechselbar festlegt, welches historische Geschehen Gegenstand der Aburteilung sein soll. Erforderlich hierfür sind in aller Regel Angaben zu Tatort, Tatzeit und Tatobjekt sowie die Bestimmung der Art des vorgeworfenen Verhaltens und dessen konkreter Angriffsrichtung (vgl. hierzu MünchKomm-Wenske § 200 StPO Rn. 16 m. w. N.). Die schlichte Wiederholung des Wortlauts des angewendeten Strafgesetzes unter Ergänzung von Tatzeit und Tatort ist unzureichend (Wenske a. a. O. Rn. 17 m. w. N.). Nichts anderes kann richtigerweise gelten, wenn die Staatsanwaltschaft den Wortlaut des angewendeten Strafgesetzes wie hier durch ein Synonym für das Wort „stehlen“, nämlich „entwenden“ ersetzt. Dies verkennt der Beschluss des Landgerichts Berlin (509 Qs 42/16 v. 01.11.2016), der die Verwendung des Begriffs „entwenden“ (= stehlen) für die hinreichende Umschreibung der nach dem Tatbestand des Diebstahls erforderlichen Wegnahme fremder beweglicher Sachen in der Absicht rechtswidriger Zueignung hält. Wenn und soweit damit der Diebstahl als rechtlicher Tatbestand erfasst sein soll, ist dies ebenso zutreffend wie banal und überflüssig. Soweit die Kammer der Auffassung ist, es werde damit auch ein Lebenssachverhalt beschrieben, so geht sie fehl. Ob es sich, wie die Kammer meint, um einen „einfachen Lebenssachverhalt“ handelt oder nicht, lässt sich dem Wort „entwendete“ überhaupt nicht ansehen, da eben gar kein konkreter Lebenssachverhalt beschrieben wird.

Ob der Täter zunächst den Laden betritt, die Ware in die eigene Tasche steckt, dann von Gewissensbissen geplagt oder aus Angst vor dem Entdeckt werden oder weil er sich bereits entdeckt glaubt wieder aus der Tasche herausnimmt und zurücklegt, einige Minuten wartet oder auch eine halbe Stunde, den Laden zwischendurch verlässt und sich nun ermannt und die Sache schließlich doch einsteckt (in einen Rucksack, in die Hose, in die Jacke oder sonst wie) oder aber die Sache offen aus dem Laden herausträgt oder gar sich möglicherweise nun doch zum Kauf entschlossen hat und dann durch ein Telefongespräch abgelenkt beim Herumwandern durch das Geschäft in die Nähe des Ausgangs gerät und dort vom Ladendetektiv angesprochen wird, all dies kann man der Vokabel „entwendete“ gar nicht ansehen. Wenn dann wie im vorliegenden Fall auch nur ein Tattag und keine genaue Uhrzeit angegeben ist, dann bleibt vollends unklar, welche möglicherweise vom Täter konkret ausgeführte Handlung eigentlich Gegenstand des von der Staatsanwaltschaft erhobenen Anklagevorwurfs sein soll. Diesen Gegenstand hat die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift zu beschreiben. Ob es sich um einen „einfachen Lebenssachverhalt“ (LG Berlin a. a. O.) handelt, hat sich aus dieser und nicht erst aus dem Akteninhalt zu ergeben. Sowenig die Staatsanwaltschaft sich also auf eine lediglich den Rechtsbegriff des Diebstahls verkürzt wiedergebende Floskel zurückziehen darf, sowenig dürfte sie sich bei anderen Tatvorwürfen darauf beschränken, einem Angeklagten etwa vorzuwerfen, er habe „am Tage X den Y beschimpft“, ohne hierbei anzugeben, welche möglicherweise im Verlaufe eines längeren Streitgesprächs getätigte Äußerung sie zum Gegenstand des Anklagevorwurfs wegen Beleidigung machen will.

Selbst wenn man im vorliegenden Fall die im Anklagesatz mitgeteilten Angaben für ausreichend halten wollte, die Umgrenzungsfunktion zu wahren, so änderte dies im Ergebnis nach Auffassung des Gerichts hier nichts. Um dem Angeschuldigten eine sachgerechte Verteidigung gegen den Tatvorwurf zu ermöglichen, muss die Anklageschrift diesem mitteilen, welches konkrete Verhalten sie dem Angeschuldigten zur Last legt, woran sich der strafrechtliche Vorwurf anknüpft (ausführlich hierzu Krause/Thon, StV 1985, S. 252 ff., 256). Nur dann kann der Angeschuldigte einschätzen, ob er unter Umständen der Hilfe eines Verteidigers bedarf oder ob aus seiner Sicht noch weitere Beweiserhebungen notwendig sind, nur durch die Mitteilung einer inhaltlich hinreichend bestimmten Anklageschrift wird der Grundsatz des rechtlichen Gehörs ausreichend gewahrt (so mit Recht LG Dresden v. 20.12.1995 – 3 Qs 116/95 = NStZ-RR 1996, 208, 209). Mit Recht weist das Landgericht Dresden (a. a. O.) in diesem Zusammenhang auf Art. 6 Abs. 3a MRK hin, worin es u. a. heißt: „Jeder Angeklagte hat … folgende Rechte: unverzüglich in einer für ihn verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden“. Diesen Anforderungen genügt die hier vorliegende Anklageschrift nicht.

Im Übrigen „funktioniert“ eine derartige Anklageschrift auch nicht in einer Hauptverhandlung. Die etwa anwesende Öffentlichkeit weiß ebenso wenig, was der Angeklagte eigentlich konkret getan haben soll, wie es häufig genug der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft wissen wird, der über die Anklageschrift hinaus nichts in seiner Handakte mit sich führt und auf die Frage eines Angeklagten nach Verlesung der Anklageschrift, was genau ihm denn eigentlich vorgeworfen werde, keine Antwort hätte. Selbst der Richter etwa, dem ein Angeklagter antwortete: „Das stimmt so. Darüber hinaus will ich aber nichts sagen.“, könnte eigentlich auf dieser Grundlage kein Urteil verfassen, weil er außerstande wäre, in seinem Urteil einen dem Strafgesetz unterfallenden Lebenssachverhalt zu schildern.

Danach war hier die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen. Gründe bloßer Bequemlichkeit oder mangelhafter Voreinstellungen der elektronischen Datenverarbeitung bei der Anklagebehörde sind keine Umstände, die ein Abgehen von den gesetzlichen Minimalanforderungen an das Abfassen einer Anklageschrift rechtfertigen könnten. Die gelegentlich vertretene Auffassung, wonach in solchen Fällen das Gericht im Beschlusswege die Mitteilung der Anklageschrift abzulehnen habe, findet im Gesetz keine Stütze und ist daher verfehlt. Überdies bleibt auch nach dieser Auffassung (vgl. etwa Meyer-Goßner, StPO, 58. Aufl., § 201 Rn. 27) am Ende nur die Nichteröffnung, wenn die Staatsanwaltschaft die Nachbesserung der Anklageschrift verweigert. Für eine derartige Verfahrensweise ist zudem kein Bedürfnis erkennbar, da hier die Sperrwirkung der Nichteröffnung einer neuerlichen Anklageerhebung durch Einreichung einer dem Gesetz entsprechenden Anklageschrift nicht entgegensteht (vgl. Löwe-Rosenberg-Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 200 Rn. 98).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.

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