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Akteneinsichtsversagung in Aussage-gegen-Aussage Konstellationen

Landgericht Köln lehnt Akteneinsicht in Aussage-gegen-Aussage-Konstellation ab

Das Landgericht Köln hat in einem wegweisenden Beschluss über die Gewährung von Akteneinsicht in einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation entschieden. Der Angeklagte hatte gegen den ablehnenden Beschluss des Amtsgerichts Köln Beschwerde eingelegt, und das Landgericht Köln hat den Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 113 Qs 35/20 >>>

Akteneinsicht gefährdet den Untersuchungszweck

Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Akteneinsicht den Untersuchungszweck gefährden könnte. In einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation sei es von entscheidender Bedeutung, eine größtmögliche Qualität der Bekundungen der Nebenklägerin im Rahmen der Hauptverhandlung zu gewährleisten. Daher wurde der Antrag auf Akteneinsicht vor der Hauptverhandlung abgelehnt.

Vorschlag des Amtsgerichts und Entscheidung des Landgerichts

Das Amtsgericht hatte vorgeschlagen, dass der Beistand der Nebenklägerin versichern solle, den Akteninhalt nicht der Nebenklägerin zugänglich zu machen. Obwohl dieser Vorschlag vom Beistand unterbreitet wurde, hielt das Landgericht diese Versicherung nicht für ausreichend, um den Untersuchungszweck zu gewährleisten. Es bestehe die Gefahr, dass die Nebenklägerin indirekt durch den Beistand beeinflusst werde.

Keine teilweise Akteneinsicht möglich

Das Landgericht betonte zudem, dass eine Akteneinsicht auch dann nicht gewährt werden könne, wenn sie nur teilweise erfolgen würde. Die Vorwürfe seien untrennbar mit dem übrigen Geschehen verbunden, weshalb eine teilweise Akteneinsicht nicht praktikabel sei.

Entscheidung zum Schutz der Glaubhaftigkeit der Aussagen

Das Landgericht Köln entschied, dass in einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation die Akteneinsicht vor der Hauptverhandlung abgelehnt wird, um den Untersuchungszweck und die Glaubhaftigkeit der Aussagen zu schützen. Es bestehe die Gefahr, dass die Kenntnis des Verletzten vom Akteninhalt die Unbefangenheit, Zuverlässigkeit oder den Wahrheitsgehalt seiner Zeugenaussage beeinträchtigen könnte. Das Gericht sah in diesem Fall eine konkrete Gefahr einer Beeinflussung der Aussage der Nebenklägerin und lehnte daher die Akteneinsicht ab.


Das vorliegende Urteil

LG Köln – Az.: 113 Qs 35/20 – Beschluss vom 29.09.2020

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 09.09.2020 wird der Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 07.09.2020 aufgehoben.

Der Antrag des Beistands der Nebenklägerin vom 12.08.2020 auf Gewährung von Akteneinsicht wird abgelehnt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Angeklagten hierin entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Köln erhob unter dem 18.06.2020 gegen den Beschwerdeführer Anklage zum Amtsgericht Köln – Schöffengericht (Bl. 187 ff. d. A.). Sie wirft ihm vor, sich am 14.06.2019 zulasten der Zeugin A, seiner Ehefrau, der Bedrohung, der vorsätzlichen Körperverletzung in zwei Fällen sowie der Vergewaltigung schuldig gemacht zu haben. Als unmittelbare Tatzeugin benennt die Anklageschrift ausschließlich die Zeugin A selbst. Der Zeuge B, der nunmehrige Lebensgefährte der Zeugin, soll aus eigener Anschauung lediglich über an Kopf und Hals der Zeugin sichtbare Verletzungen Bekundungen machen können. Der Beschwerdeführer hat sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen bislang nicht eingelassen.

Mit Beschluss vom 04.08.2020 (Bl. 205 d. A.) ließ das Amtsgericht die Anklage zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren gegen den Angeklagten vor dem Schöffengericht.

Mit Schriftsatz vom 12.08.2020 (Bl. 219 f. d. A.) bestellte sich Herr Rechtsanwalt C, tätig in der Kanzlei des Zeugen B, für die Zeugin A und beantragte die Zulassung der Nebenklage, seine Beiordnung als Beistand sowie Aktensicht.

Die Staatsanwaltschaft teilte unter dem 27.08.2020 mit (Bl. 233 d. A.), dass sie der Gewährung von Akteneinsicht an den Rechtsanwalt der Nebenklägerin entgegentrete. Die begehrte Akteneinsicht gefährde den Untersuchungszweck. Vorliegend handele es sich um eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation, weshalb im Hinblick auf den Erhalt einer größtmöglichen Qualität der Bekundungen der Nebenklägerin im Rahmen der Hauptverhandlung keine Akteneinsicht gewährt werden solle.

Mit Beschluss vom 31.08.2020 (Bl. 236 d. A.) ließ das Amtsgericht die Nebenklage zu und bestellte der Nebenklägerin Herrn Rechtsanwalt C als Beistand. In dem Beschluss regte das Amtsgericht weiterhin an, dass der Beistand der Nebenklägerin versichern möge, im Rahmen der begehrten Akteneinsicht den Akteninhalt nicht der Nebenklägerin zugänglich zu machen. Dieser Anregung kam der Beistand der Nebenklägerin unter dem 03.09.2020 nach (Bl. 241 d. A.).

Mit Schriftsatz vom 04.09.2020 (Bl. 243 ff. d. A.) erklärte der Verteidiger des Angeklagten, dass er der Gewährung von Akteneinsicht an den Beistand der Nebenklägerin wegen einer Gefährdung des Untersuchungszwecks entgegentrete. Daran ändere auch die Zusicherung des Beistands der Nebenklägerin nichts, den Akteninhalt nicht seiner Mandantin zugänglich zu machen. Die Einhaltung einer solchen Zusage könne nicht bloß nicht erzwungen oder sanktioniert werden, es bestehe im Gegenteil die Verpflichtung des Beistands zur Weitergabe des Akteninhalts.

Unter dem 07.09.2020 (Bl. 248 d. A.) beschloss das Amtsgericht, dem Beistand der Nebenklägerin Akteneinsicht zu gewähren.

Mit Schriftsatz vom 09.09.2020 (Bl. 251 ff. d. A.) legte sein Verteidiger für den Angeklagten Beschwerde gegen den vorgenannten Beschluss ein.

Das Amtsgericht half der Beschwerde nicht ab (Bl. 256R d. A.) und legte die Sache dem Landgericht zur Entscheidung vor.

Die Staatsanwaltschaft führte innerhalb der ihr von der Kammer eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme unter dem 16.09.2020 (Bl. 260 d. A.) aus, dass dem Nebenklagevertreter als Organ der Rechtspflege nicht unterstellt werden könne, einer anwaltlichen Zusicherung zuwiderzuhandeln. Zudem könne die – zur Wahrheit verpflichtete – Nebenklägerin zu Beginn ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung befragt werden, ob sie Einsicht in die Akte hatte. Vor diesem Hintergrund – und entgegen ihrer Erklärung vom 27.08.2020 (Bl. 233 d. A.), der Gewährung von Akteneinsicht entgegenzutreten – beantragte die Staatsanwaltschaft nunmehr, die Beschwerde gegen den Akteneinsicht gewährenden Beschluss als unbegründet zu verwerfen.

Der Beistand der Nebenklägerin erklärte im Rahmen der ihm von der Kammer eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme unter dem 23.09.2020 (Bl. 264 f. d. A.), er sichere ergänzend zu, die Akte auf der Geschäftsstelle des Gerichts eigenhändig abzuholen und zu kopieren und die kopierte Akte in seinem „Privatarchiv“ zu verwahren, so dass es der Nebenklägerin nicht möglich wäre, Einsicht zu nehmen. Die Nebenklägerin habe selbst im Übrigen kein Interesse an einer Einsichtnahme.

Die Gewährung der Akteneinsicht wurde bislang nicht durchgeführt.

II.

Die Beschwerde des Angeklagten vom 09.09.2020 gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 07.09.2020 ist nach §§ 304 Abs. 1, 406e Abs. 4 S. 4 StPO zulässig.

Insbesondere ist die Beschwerde statthaft, denn nach § 406e Abs. 4 S. 4 StPO sind gerichtliche Entscheidungen über die Gewährung von Akteneinsicht an den Verletzten nur unanfechtbar, solange die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass gegen solche Entscheidungen, die wie hier nach Abschluss der Ermittlungen durch das Gericht getroffen werden, die Beschwerde statthaft ist (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 02.04.2020, 2 Ws 651/19, Rn. 11 f. – juris).

Der Angeklagte ist auch beschwerdebefugt. Ein Angeklagter kann in seinen Rechten durch eine den Untersuchungszweck gefährdende Akteneinsicht des Verletzten betroffen sein und mithin den Versagungsgrund des § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO für sich reklamieren, da die Akteneinsicht des Verletzten im Einzelfall mit den Grundsätzen der Beweiswürdigung, die sich aus der freiheitssichernden Funktion der Art. 2 Abs. 2 S. 2, Art. 20 Abs. 3 und Art. 104 Abs. 1 GG ergeben, unvereinbar sein und sich als mögliche Verletzung von Rechten des Angeklagten darstellen kann (vgl. Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 24.10.2014, 1 Ws 110/14, Rn. 7 – juris).

Die Beschwerde ist auch begründet, weshalb der angegriffene Beschluss aufzuheben und gemäß § 309 Abs. 2 StPO der Antrag des Beistands der Nebenklägerin auf Akteneisicht abzulehnen war.

Zwar steht der Nebenklägerin über ihren Beistand gemäß § 406e Abs. 1 S. 1 StPO auch ohne Darlegung eines berechtigten Interesses (vgl. § 406e Abs. 1 S. 2 StPO) ein Recht auf Akteneinsicht zu, das sich dem Umfang nach grundsätzlich auf den gesamten Akteninhalt erstreckt. Eine Einschränkung erfährt das Akteneinsichtsrecht jedoch gemäß § 406e Abs. 2 StPO, wonach die Akteneinsicht aus überwiegend schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten zwingend zu versagen ist (Abs. 2 S. 1) bzw. aufgrund einer Gefährdung des Untersuchungszwecks (Abs. 2 S. 2) oder drohender erheblicher Verfahrensverzögerung (Abs. 2 S. 3) versagt werden kann.

Vorliegend war die Akteneinsicht aufgrund des fakultativen Versagungsgrunds des § 406e Abs. 2. S. 2 StPO abzulehnen. Hiernach kann die Akteneinsicht auch noch nach Erhebung der öffentlichen Klage nach pflichtgemäßem Ermessen versagt werden, soweit der Untersuchungszweck gefährdet erscheint.

Eine Gefährdung des Untersuchungszwecks, der sich als Erforschung der Wahrheit mit den von der Strafprozessordnung zur Verfügung gestellten Mitteln definieren lässt, kann dann vorliegen, wenn die Sachaufklärung und Wahrheitsfindung beeinträchtigt werden könnte, insbesondere dann, wenn die Kenntnis des Verletzten vom Akteninhalt die Unbefangenheit, die Zuverlässigkeit oder den Wahrheitsgehalt einer von ihm zu erwartenden Zeugenaussage beeinträchtigen könnte. Dabei wird – wie der Wortlaut der Norm „erscheint“ verdeutlicht – eine konkrete Gefahr für den Untersuchungszweck nicht vorausgesetzt und dem erkennenden Gericht insoweit ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt. Allein die durch das Akteneinsichtsrecht des Verletzten stets begründete Gefahr einer anhand des Akteninhalts präparierten Zeugenaussage reicht nicht aus, um eine Gefährdung des Untersuchungszwecks zu begründen. Es ist vielmehr stets eine Würdigung der Verfahrens- und Rechtslage im Einzelfall vorzunehmen, da mit der Wahrnehmung eines gesetzlich eingeräumten Verletztenrechts nicht typischerweise eine Entwertung des Realitätskriteriums der Aussagekonstanz einhergeht (vgl. zum Ganzen OLG Köln, Beschluss vom 06.05.2020, 2 Ws 211/20).

Eine diesen Maßgaben verpflichtete Entscheidung führt hier wegen einer Reduzierung des gerichtlichen Ermessens auf Null zu einer Versagung der begehrten Akteneinsicht. Eine Einsicht in die Verfahrensakten ist dem Verletzten in aller Regel in solchen Konstellationen zu versagen, in denen seine Angaben zum Kerngeschehen von der Einlassung des Angeklagten abweichen und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt.

Die Beweiskonstellation Aussage-gegen-Aussage erfährt ihr Gepräge durch eine Abweichung der Tatschilderung des Zeugen von der des Angeklagten, ohne dass ergänzend auf weitere unmittelbar tatbezogene Beweismittel zurückgegriffen werden kann. Dieselbe Verfahrenskonstellation ist allerdings auch gegeben, wenn der Angeklagte selbst keine eigenen Angaben zum Tatvorwurf macht, sondern sich durch Schweigen verteidigt (vgl. Hanseatisches OLG, Beschluss vom 22.07.2015, 1 Ws 88/15, Rn. 6 – juris).

In dieser Konstellation, die vorliegend gegeben ist, ist eine Akteneinsicht des Zeugen vor dessen Aussage in der Hauptverhandlung in der letzten Tatsacheninstanz mit der gerichtlichen Pflicht zur bestmöglichen Sachaufklärung unvereinbar (so auch Hanseatisches OLG, Beschluss vom 24.10.2014, 1 Ws 110/14, Rn. 12 ff. – juris; Hanseatisches OLG, Beschluss vom 22.07.2015, 1 Ws 88/15, Rn. 8 – juris; Hanseatisches OLG, Beschluss vom 21.03.2016, 1 Ws 40/16, Rn. 13; in diese Richtung zudem OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.05.2014, 1 Ws 196/14; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 19.02.2016, 1 Ws 59/16).

Aus Art. 2 Abs. 2 S. 2, Art. 20 Abs. 3 und Art. 104 Abs. 1 GG ergibt sich für den Tatrichter – gerade auch mit Blick auf die eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten – die Verpflichtung, die Aussagen des Belastungszeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen sind und eine lückenlose Gesamtwürdigung der Indizien vorzunehmen. Dabei kommt der inhaltlichen Konstanz aufeinander folgender Vernehmungen desselben Zeugen als eines von zahlreichen Realitätskriterien wesentliche Bedeutung zu. Die Aussagekraft des für die Beweiswürdigung wesentlichen Realitätskriteriums der Aussagekonstanz wird indes durch die Akteneinsicht des einzigen Zeugen zum Kerngeschehen entwertet und gefährdet daher eine den vorstehenden Maßgaben entsprechende gerichtliche Beweiswürdigung. Anhand der Aussage in der Hauptverhandlung wäre eine sichere Unterscheidung zwischen der Wiedergabe real erlebten Geschehens und Referieren ihrer zuvor im Wege der Einsicht in die Verfahrensakten zur Kenntnis genommenen Inhalte früherer Vernehmungen nicht mehr möglich. Überdies wäre bei umfassender Aktenkenntnis eine Anpassung des Aussageverhaltens an die jeweils aktuelle Verfahrenslage nicht auszuschließen (vgl. Hanseatisches OLG, Beschluss vom 24.10.2014, 1 Ws 110/14, Rn. 16 ff. – juris; anders OLG Braunschweig, Beschluss vom 03.12.2015, 1 Ws 309/15, Rn. 10 – juris und Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 06.07.2020, 1 Ws 81/20, Rn. 11 – juris, wonach der Aussagekonstanz keine derart hohe Bedeutung beizumessen sei, das Gericht aber jedenfalls in der Lage sei, zu prüfen, ob eine Aussage auf eigenem Erleben beruhe und erfahrene Nebenklagevertreter in dem Wissen um die Bedeutung der Aussagekonstanz ihren Mandanten den Akteninhalt ohnehin nicht zur Kenntnis brächten).

Die Versagung der Akteneinsicht an ihren Beistand gereicht dabei vor allem der Nebenklägerin selbst zum Vorteil. Etwaigen Zweifeln an der Erlebnisbasiertheit ihrer Aussage in der Hauptverhandlung aufgrund der bloßen Möglichkeit, dass sie vor der Aussage von Akteninhalten Kenntnis genommen haben könnte, wird nämlich auf diese Weise von vornherein der Boden entzogen.

Insoweit teilweise vertreten wird, dass auch im Falle einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation der Gefährdung der Beeinträchtigung des Untersuchungszwecks dadurch begegnet werden könne, dass der Beistand des Nebenklägers versichert, seinem Mandanten den Akteninhalt nicht zur Kenntnis zu bringen (so OLG Braunschweig, Beschluss vom 03.12.2015, 1 Ws 309/15, Rn. 12 – juris; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 06.07.2020, 1 Ws 81/20, Rn. 11 – juris), ist dem nicht zu folgen. Eine derartige Versicherung ist rechtlich nicht bindend und ihre Einhaltung ist nicht überprüfbar (so auch Hanseatisches OLG, Beschluss vom 24.10.2014, 1 Ws 110/14, Rn. 24 – juris; Hanseatisches OLG, Beschluss vom 24.11.2014, 1 Ws 120/14, Rn. 13 – juris). Eine entsprechende Versicherung steht zudem im Spannungsverhältnis mit der gemäß § 11 Abs. 1 BORA bestehenden Verpflichtung des Rechtsanwalts, seinen Mandanten über alle für den Fortgang der Sache wesentlichen Vorgänge und Maßnahmen unverzüglich zu unterrichten und ihm insbesondere von allen wesentlichen erhaltenen oder versandten Schriftstücken Kenntnis zu geben. Die Versicherung des Beistands vermag zudem auch nicht einen nach einem etwaigen Mandatswechsel für den Nebenkläger tätigen Beistand zu binden. Indes ist der zunächst tätige Beistand im Falle des Mandatswechsels zur Herausgabe seiner Handakte verpflichtet (vgl. BGH, Urteil vom 03.11.2014, AnwSt (R) 5/14, Rn. 6 ff. – juris), so dass durch die Akteneinsicht gewonnene Informationen auf diesem Weg an den neuen Beistand und gegebenenfalls den Nebenkläger gelangen könnten.

Etwas anderes gilt auch nicht angesichts der weitergehenden Versicherung des Beistands der Nebenklägerin in dem Schriftsatz vom 23.09.2020, er werde die Akte auf der Geschäftsstelle des Gerichts kopieren und die Kopie in seinem „Privatarchiv“ aufbewahren, so dass die Nebenklägerin keine Gelegenheit zur Akteneinsicht haben werde. Eine den Untersuchungszweck gefährdende Kenntnis der Nebenklägerin von Akteninhalten kann nicht bloß durch die unmittelbare Lektüre der Akte entstehen. Naheliegend ist etwa, dass ihr Beistand, der Aktenkenntnis hat, der Nebenklägerin im Gespräch zur Vorbereitung der Hauptverhandlung – möglicherweise auch unbeabsichtigt – Informationen vermittelt, die er der Akte entnommen hat.

Der von der Kammer vertretenen Auffassung liegt dabei nicht – wie es in der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vom 16.09.2020 anklingt – ein generelles Misstrauen gegenüber Rechtsanwälten zugrunde. Vielmehr ist es bereits der schiere Anschein einer möglichen Beeinflussung der Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung, die geeignet ist, den Beweiswert der Aussage zu trüben und damit den Untersuchungszweck zu gefährden.

Ohne dass dies für die Entscheidung maßgeblich wäre, spricht vorliegend gegen die Gewährung von Akteneinsicht darüber hinaus, dass der Beistand der Nebenklägerin als Rechtsanwalt in der Kanzlei des Zeugen B tätig ist, in der die Nebenklägerin, dessen Lebensgefährtin, zudem eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten absolviert (Bl. 117 d. A.). Eine Gefährdung des Untersuchungszwecks ist damit nicht bloß durch Weitergabe von Informationen aus der Akte an die Nebenklägerin, sondern auch an den Zeugen B zu befürchten.

Über das allgemeine Informationsinteresse der Nebenklägerin hinausgehende Gründe, die eine sofortige Akteneinsicht geböten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Zuletzt ist vor einer umfassenden Versagung der Akteneinsicht zu prüfen, ob eine teilweise Akteneinsicht gewährt werden kann (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 06.05.2020, 2 Ws 211/20). Dies wäre vorliegend lediglich hinsichtlich der dem Angeklagten vorgeworfenen Körperverletzungen denkbar, weil diesbezüglich angesichts der Bekundungen des Zeugen B zu von ihm wahrgenommenen Verletzungen keine reine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation gegeben ist. Die Körperverletzungsvorwürfe sind jedoch untrennbar mit dem übrigen der Anklage zugrunde liegenden Geschehen verbunden, so dass eine teilweise Akteneinsicht nicht praktikabel ist. Die Körperverletzungen sollen in der gleichen Nacht wie die dem Angeklagten vorgeworfene Bedrohung und die Vergewaltigung, teilweise tateinheitlich zu letzterer, stattgefunden haben.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.

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