Eine Putzkraft nutzte jahrelang die ihr zur Verfügung gestellte Debitkarte und PIN der hochbetagten Arbeitgeberin, um unberechtigt Bargeld abzuheben. Obwohl die Seniorin der Putzhilfe die Karte dauerhaft freiwillig überlassen hatte, musste gerichtlich geklärt werden, ob dies nun Unterschlagung oder Untreue war.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Untreue oder Unterschlagung? Warum der Missbrauch einer Debitkarte durch eine Putzkraft neu verhandelt werden muss
- Was war der Auslöser für das Verfahren?
- Welche Straftatbestände standen im Raum?
- Warum hob das Obergericht das Urteil auf?
- Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil ziehen?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann macht sich eine Hilfskraft wegen Untreue strafbar, wenn ich ihr die EC-Karte überlasse?
- Welche rechtlichen Risiken gehe ich ein, wenn ich meine EC-Karte und PIN an meine Putzhilfe weitergebe?
- Was passiert nach der Aufhebung eines Urteils wegen Unterschlagung und wie geht das Verfahren weiter?
- Wann genau liegt eine strafbare Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht vor?
- Wie kann ich Vollmachten für Bargeldabhebungen juristisch sicher erteilen, um Untreue zu verhindern?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 206 StRR 289/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
- Datum: 21.10.2025
- Aktenzeichen: 206 StRR 289/25
- Verfahren: Revision
- Rechtsbereiche: Strafrecht, Verfahrensrecht
- Das Problem: Eine langjährige Putzkraft nutzte die Bankkarte und PIN einer gehbehinderten Kundin, um mehr Geld abzuheben, als sie durfte, und behielt es für sich. Sie wurde von der Vorinstanz wegen Unterschlagung verurteilt.
- Die Rechtsfrage: Hat die Putzkraft durch das unerlaubte Behalten des Geldes Unterschlagung begangen, oder handelt es sich wegen des Vertrauensverhältnisses eher um Untreue?
- Die Antwort: Das Gericht hob das Urteil wegen Verfahrensfehlern und mangelnder Prüfung auf. Das Amtsgericht muss in einer neuen Verhandlung klären, ob das Verhalten Untreue war.
- Die Bedeutung: Gerichte müssen genau prüfen, ob ein besonderes Vertrauensverhältnis bei der Nutzung überlassener Bankkarten vorliegt. Fehlen im Urteil wichtige Feststellungen zur genauen Zahl der Taten oder zum Eigentumsübergang, muss der Fall neu verhandelt werden.
Untreue oder Unterschlagung? Warum der Missbrauch einer Debitkarte durch eine Putzkraft neu verhandelt werden muss
Eine über Jahrzehnte vertraute Putzkraft, eine hochbetagte, ans Haus gefesselte Dame und eine Debitkarte mit PIN – das sind die Zutaten eines Falles, der auf den ersten Blick einfach erscheint, juristisch aber tief in die Grundfesten des Strafrechts führt. Es ist die Geschichte eines missbrauchten Vertrauens, das die Justiz vor eine entscheidende Frage stellt: Wann ist das unberechtigte Abheben von Geld eine simple Unterschlagung und wann eine weitaus gravierendere Untreue?

In einer bemerkenswerten Entscheidung vom 21. Oktober 2025 (Az.: 206 StRR 289/25) hat das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) ein Urteil des Amtsgerichts München aufgehoben und damit einen wichtigen juristischen Kompass für ähnliche Fälle justiert. Die Entscheidung legt schonungslos offen, wie schnell ein Strafverfahren an formalen Fehlern und einer unzureichenden rechtlichen Analyse scheitern kann.
Was war der Auslöser für das Verfahren?
Die Angeklagte arbeitete seit vielen Jahren als Putzkraft für die 1937 geborene Geschädigte. Da die ältere Dame ihre Wohnung seit rund einem Jahrzehnt nicht mehr verlassen konnte, übernahm die Putzkraft alltägliche Aufgaben. Dazu gehörten auch Einkäufe und das Abheben von Bargeld am Automaten. Um diese Besorgungen zu erleichtern, überließ die Geschädigte ihrer Angestellten vor Jahren ihre Debitkarte samt der zugehörigen PIN.
Die Abmachung, so stellte es das erstinstanzliche Gericht fest, war klar definiert: Die Putzkraft durfte jeweils bis zu 250 Euro abheben. Von diesem Betrag sollte sie 100 Euro ihrer Arbeitgeberin aushändigen und 150 Euro für sich selbst behalten. Doch über einen Zeitraum von mehr als dreieinhalb Jahren, zwischen Januar 2020 und September 2023, hielt sich die Angeklagte nicht an diese Vereinbarung. In insgesamt 126 Fällen hob sie mehr Geld ab als vereinbart und behielt die Differenz für sich. So kam eine Summe von 17.150 Euro zusammen.
Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen Unterschlagung in ursprünglich 176 Fällen. Das Amtsgericht München folgte dieser Einschätzung und verurteilte die Frau wegen Unterschlagung in 126 Fällen zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten. Doch die Angeklagte legte gegen dieses Urteil Revision ein. Ihr zentrales Argument war ebenso simpel wie juristisch spitzfindig: Eine Unterschlagung sei gar nicht möglich gewesen. Denn als sie mit der ihr anvertrauten Karte und PIN Geld am Automaten abhob, habe die Bank ihr das Bargeld übereignet. Man könne aber nicht unterschlagen, was einem in diesem Moment bereits rechtmäßig gehört.
Welche Straftatbestände standen im Raum?
Dieser Fall bewegt sich im Spannungsfeld zweier zentraler Vermögensdelikte des Strafgesetzbuches, deren Abgrenzung oft eine Herausforderung darstellt.
Die Anklage und das erste Urteil basierten auf dem Tatbestand der Unterschlagung gemäß § 246 StGB. Eine Unterschlagung begeht, wer sich eine fremde bewegliche Sache rechtswidrig zueignet. Das klassische Beispiel ist der Finder, der eine gefundene Geldbörse nicht zurückgibt, sondern das Geld für sich behält. Entscheidend ist hierbei das Merkmal „fremd“: Die Sache muss im Moment der Zueignung noch im Eigentum eines anderen stehen.
Demgegenüber steht der Vorwurf der Untreue nach § 266 StGB. Dieser Tatbestand schützt nicht primär das Eigentum, sondern das Vermögen als Ganzes vor dem Missbrauch anvertrauter Verfügungsmacht. Bestraft wird, wer eine ihm eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, missbraucht und dem Vermögensinhaber dadurch einen Nachteil zufügt. Voraussetzung ist eine sogenannte Vermögensbetreuungspflicht. Dies ist mehr als eine alltägliche Sorgfaltspflicht. Es handelt sich um eine qualifizierte Pflicht, die fremde Vermögensinteressen als eine ihrer Hauptaufgaben wahrnehmen muss und dabei einen gewissen Spielraum für eigenverantwortliche Entscheidungen hat.
Warum hob das Obergericht das Urteil auf?
Das BayObLG kassierte das Urteil des Amtsgerichts nicht nur wegen eines einzigen Fehlers, sondern aufgrund einer ganzen Kette von Mängeln – sowohl im Verfahrensrecht als auch in der materiellen Rechtsanwendung. Die Entscheidung ist ein Lehrstück darüber, wie sorgfältig ein Gericht arbeiten muss, um zu einem haltbaren Ergebnis zu kommen.
Ein Fall von Formfehlern und unklarer Zählweise
Zunächst stolperte das Urteil über fundamentale Verfahrensfehler. Die Richter des BayObLG stellten fest, dass das Amtsgericht seiner Kognitionspflicht nicht nachgekommen war. Das bedeutet, ein Gericht muss über den gesamten angeklagten Sachverhalt, so wie er durch Anklageschrift und Eröffnungsbeschluss festgelegt ist, entscheiden. Die Anklage umfasste ursprünglich 176 Taten. 39 davon wurden eingestellt, sodass 137 Taten zur Verhandlung standen. Verurteilt wurde die Angeklagte jedoch nur für 126 Taten, während in den schriftlichen Urteilsgründen sogar nur 122 Einzeltaten aufgeführt waren. Dieser unauflösbare Widerspruch und die fehlende Abhandlung aller angeklagten Taten machten das Urteil bereits aus formalen Gründen rechtsfehlerhaft und aufhebungsreif.
Die falsche Weiche gestellt: Warum Untreue der naheliegendere Vorwurf ist
Der entscheidende inhaltliche Fehler lag jedoch in der rechtlichen Bewertung. Das BayObLG machte deutlich, dass die vom Amtsgericht selbst festgestellten Tatsachen viel stärker für eine Verurteilung wegen Untreue (§ 266 StGB) als für eine wegen Unterschlagung sprachen. Die Richter argumentierten, dass hier eine qualifizierte Vermögensbetreuungspflicht vorlag.
Diese leitete das Gericht aus dem Gesamtbild der Umstände ab: die jahrzehntelange Vertrauensbeziehung, die körperliche Hilflosigkeit der Geschädigten und vor allem die Art der erteilten Befugnis. Die Putzkraft sollte nicht nur einen einmaligen Botengang erledigen. Ihr wurde dauerhaft die Debitkarte samt PIN überlassen, um eigenständig Bargeld zu beschaffen und Einkäufe zu tätigen. Zwar gab es eine Obergrenze (250 Euro), doch innerhalb dieses Rahmens hatte sie einen erheblichen Ermessensspielraum. Genau diese Kombination aus einer wesentlichen Vermögensangelegenheit und eigenverantwortlichem Handlungsspielraum begründet eine solche Treuepflicht, deren Verletzung den Tatbestand der Untreue erfüllen kann. Das Amtsgericht hatte es versäumt, diese naheliegende rechtliche Möglichkeit ernsthaft zu prüfen.
Die ungeklärte Frage des Eigentums: Ein Hindernis für die Unterschlagung
Gleichzeitig legte das Obergericht den Finger in die Wunde der Argumentation der Vorinstanz zur Unterschlagung. Um wegen Unterschlagung verurteilt zu werden, hätte das Bargeld im Moment der Entnahme aus dem Automaten noch „fremd“, also Eigentum der Kontoinhaberin oder der Bank sein müssen. Die Verteidigung argumentierte jedoch, dass die Bank das Geld an die Putzkraft als Nutzerin der Karte übereignet habe.
Diese zivilrechtliche Frage nach dem Eigentumsübergang am Geldautomaten (§ 929 BGB) ist komplex und wurde vom Amtsgericht nicht ausreichend geklärt. Es hätte prüfen müssen, wie die konkreten Vertragsbedingungen zwischen der Seniorin und ihrer Sparkasse aussahen. Verbieten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) eine Weitergabe von Karte und PIN? Und wenn ja, welche rechtliche Folge hätte das für den Eigentumsübergang? Das BayObLG betonte, dass solche AGB-Klauseln selbst rechtlich fragwürdig sein könnten (§§ 305c, 307 BGB). Ohne eine saubere Klärung dieser zivilrechtlichen Vorfrage fehlte dem Schuldspruch wegen Unterschlagung eine tragfähige Grundlage.
Kein Freispruch, sondern eine zweite Chance unter fairen Bedingungen
Obwohl das BayObLG die Verurteilung wegen Unterschlagung für fehlerhaft hielt und eine Strafbarkeit wegen Untreue für wahrscheinlich, sprach es die Angeklagte nicht frei oder änderte den Schuldspruch. Der Grund dafür liegt im Grundsatz des fairen Verfahrens. Die Angeklagte war ausschließlich wegen Unterschlagung angeklagt und hatte ihre Verteidigung darauf ausgerichtet. Sie musste zu keinem Zeitpunkt damit rechnen, wegen des rechtlich anders gelagerten Vorwurfs der Untreue verurteilt zu werden.
Eine solche überraschende Änderung des rechtlichen Gesichtspunktes ohne vorherigen Hinweis durch das Gericht (§ 265 StPO) ist unzulässig. Deshalb wurde der Fall zur Neuverhandlung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen. Dort muss der Vorwurf der Untreue nun von Grund auf geprüft werden, und die Angeklagte erhält die Möglichkeit, sich gezielt dagegen zu verteidigen. Eine höhere Strafe muss sie dabei nicht fürchten: Das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) stellt sicher, dass das Strafmaß aus dem ersten Urteil nicht überschritten werden darf.
Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil ziehen?
Dieses Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts bietet über den konkreten Fall hinaus wichtige Erkenntnisse für den Umgang mit finanziellen Vollmachten im Alltag. Es schärft den Blick für die juristischen Fallstricke, die selbst in scheinbar klaren Situationen lauern.
Die zentrale Lehre ist die Unterscheidung zwischen bloßem Besitz und einer echten Vertrauensstellung. Wenn Sie jemandem Ihre Debitkarte anvertrauen, übergeben Sie nicht nur ein Stück Plastik, sondern potenziell auch eine rechtlich bedeutsame Verantwortung. Je mehr Autonomie und Dauerhaftigkeit mit dieser Überlassung verbunden sind, desto wahrscheinlicher entsteht eine strafrechtlich geschützte Vermögensbetreuungspflicht. Der Missbrauch dieser Stellung ist dann keine einfache Unterschlagung mehr, sondern eine Untreue – ein Delikt, das die Verletzung eines besonderen Vertrauensverhältnisses unter Strafe stellt.
Zweitens macht die Entscheidung die enorme Bedeutung prozessualer Fairness im Rechtsstaat sichtbar. Selbst wenn ein Täter auf frischer Tat ertappt zu sein scheint, kann eine Verurteilung an formalen Fehlern scheitern. Die ungenaue Zählung der Taten oder das Versäumnis, einen Angeklagten über den wahren rechtlichen Vorwurf zu informieren, sind keine juristischen Spitzfindigkeiten. Sie sind Garanten dafür, dass jeder ein faires Verfahren erhält, in dem er genau weiß, wogegen er sich verteidigen muss. Gerechtigkeit erfordert nicht nur ein materiell richtiges Ergebnis, sondern auch einen formell einwandfreien Weg dorthin.
Schließlich zeigt der Fall, wie eng Strafrecht und Zivilrecht miteinander verwoben sind. Ob eine Handlung eine strafbare Unterschlagung darstellt, kann von der komplexen zivilrechtlichen Frage abhängen, wem das Geld aus dem Automaten in der Sekunde der Ausgabe gehörte. Ein Strafgericht kann diese Fragen nicht einfach übergehen, sondern muss sie sorgfältig prüfen. Dies verdeutlicht, dass rechtliche Bewertungen selten schwarz-weiß sind und eine fundierte Entscheidung eine tiefgehende Analyse aller beteiligten Rechtsgebiete erfordert.
Die Urteilslogik
Formelle Fehler und die unzureichende juristische Abgrenzung der Delikte Untreue und Unterschlagung machen ein erstinstanzliches Urteil unhaltbar und erfordern eine umfassende Neuverhandlung.
- Begründung der Vermögensbetreuungspflicht: Wer Dritten dauerhaft Verfügungsmacht über wesentliche Teile seines Vermögens und einen Entscheidungsspielraum für finanzielle Angelegenheiten einräumt, schafft ein strafrechtlich geschütztes Vertrauensverhältnis, dessen Missbrauch den Tatbestand der Untreue erfüllt.
- Nachweis des Eigentums: Eine Verurteilung wegen Unterschlagung setzt die zivilrechtliche Klärung voraus, ob das betreffende Gut, beispielsweise Bargeld aus einem Automaten, im Moment der unrechtmäßigen Zueignung noch im Eigentum des Geschädigten stand.
- Garantie des fairen Verfahrens: Ein Gericht darf den rechtlichen Vorwurf gegen den Angeklagten nicht überraschend ändern, sondern muss rechtzeitig auf die Möglichkeit einer Verurteilung wegen eines anderen, schwerwiegenderen Delikts (wie Untreue anstelle von Unterschlagung) hinweisen.
Gerechtigkeit verlangt stets eine prozessual einwandfreie Grundlage und die strikte Wahrung des Prinzips, dass Angeklagte sich zielgerichtet gegen den tatsächlichen rechtlichen Vorwurf verteidigen können.
Benötigen Sie Hilfe?
Bestehen in Ihrem Fall Unklarheiten zwischen Untreue und Unterschlagung? Kontaktieren Sie uns für eine unverbindliche rechtliche Ersteinschätzung Ihres Sachverhalts.
Experten Kommentar
Vertrauen ist gut, aber man muss wissen, wann es im Strafrecht eine eigene Kategorie wird. Einmal kurz Geld abheben ist ein Botengang, aber wenn man jemandem über Jahre hinweg Karte und PIN zur autonomen Nutzung überlässt, entsteht eine strafrechtlich relevante Vermögensbetreuungspflicht. Genau diese langjährige Vertrauensstellung ist der entscheidende Knackpunkt: Der Missbrauch wandelt die Tat von einer einfachen Unterschlagung in eine weitaus ernstere Untreue. Für Menschen, die auf solche Hilfen angewiesen sind, bedeutet das Urteil eine klare rote Linie: Der Gesetzgeber schützt das besondere Treueverhältnis konsequent.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann macht sich eine Hilfskraft wegen Untreue strafbar, wenn ich ihr die EC-Karte überlasse?
Strafbarkeit wegen Untreue tritt ein, sobald die Hilfskraft durch die dauerhafte und eigenverantwortliche Überlassung der Karte und PIN eine sogenannte qualifizierte Vermögensbetreuungspflicht übernimmt. Diese Pflicht wird missbraucht, wenn die Hilfskraft über die vereinbarte Grenze hinaus handelt und Ihnen dadurch ein finanzieller Nachteil entsteht. Die reine mündliche Vereinbarung einer Obergrenze schließt diese Pflicht nicht automatisch aus, da das Vertrauen in die dauerhafte und autonome Nutzung entscheidend ist.
Die Untreue schützt das Vermögen als Ganzes vor dem Missbrauch einer anvertrauten Verfügungsmacht. Dieser Straftatbestand setzt voraus, dass die Hilfskraft in einer wesentlichen Vermögensangelegenheit eigenverantwortlich handeln darf. Bei einem simplen Botengang, wo die Karte einmalig für eine feste Summe übergeben wird, entsteht diese qualifizierte Pflicht in der Regel nicht. Eine Verurteilung wegen Untreue wird wahrscheinlich, wenn eine längere Vertrauensbeziehung besteht und die Hilfskraft die Liquiditätsbeschaffung für eine hilflose Person als Hauptaufgabe wahrnimmt.
Ein Gericht leitet diese Betreuungspflicht oft aus dem Gesamtbild der Umstände ab. Nehmen wir an: Die ältere Person ist körperlich hilflos und hat die Karte jahrelang überlassen, damit die Hilfskraft flexibel Einkäufe tätigen kann. Selbst wenn eine Höchstgrenze pro Abhebung vereinbart war, gilt dies als erheblicher Ermessensspielraum. Ein Missbrauch dieses Vertrauensverhältnisses, beispielsweise das Abheben von überhöhten Beträgen, erfüllt den Tatbestand der Untreue nach § 266 StGB.
Dokumentieren Sie sofort lückenlos alle relevanten Details, die das Vertrauensverhältnis belegen: Wie lange wurde die Karte überlassen, wie oft wurde abgehoben und welche Notwendigkeit bestand für die Überlassung.
Welche rechtlichen Risiken gehe ich ein, wenn ich meine EC-Karte und PIN an meine Putzhilfe weitergebe?
Die Weitergabe von Karte und PIN birgt erhebliche zivil- und strafrechtliche Risiken, da Sie dadurch gleich mehrere juristische Minenfelder betreten. Sie gefährden nicht nur den Verlust Ihres Geldes, sondern setzen sich auch dem schwerwiegenderen Vorwurf der Untreue aus. Zusätzlich droht eine zivilrechtliche Auseinandersetzung mit Ihrer Bank, weil die Überlassung der Zugangsdaten meist gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) verstößt.
Strafrechtlich stellen Sie eine Vertrauensposition her, die über einen einfachen Botengang hinausgeht. Gerichte könnten dies als qualifizierte Vermögensbetreuungspflicht einstufen, deren Missbrauch den Tatbestand der Untreue (§ 266 StGB) begründet. Gleichzeitig erschwert die Weitergabe paradoxerweise eine mögliche Verurteilung wegen Unterschlagung. Die zivilrechtliche Frage nach dem Eigentumsübergang am Geldautomaten muss erst geklärt werden, da das Geld im Moment der Entnahme möglicherweise bereits in den Besitz der Putzhilfe übergegangen ist. Ohne diese Klärung fehlt dem Schuldspruch wegen Unterschlagung eine tragfähige Grundlage.
Das größte unmittelbare finanzielle Risiko entsteht jedoch im Verhältnis zu Ihrem Kreditinstitut. Die meisten Banken untersagen in ihren AGBs explizit die Weitergabe von Geheimzahlen. Bei unberechtigten Abhebungen kann die Bank Ihnen grobe Fahrlässigkeit vorwerfen, wodurch Sie Ihren Anspruch auf Haftung verlieren und den gesamten finanziellen Schaden selbst tragen. Beachten Sie, dass AGB-Klauseln, die eine Weitergabe kategorisch verbieten, nicht immer rechtmäßig sind und gegebenenfalls gerichtlich auf ihre Wirksamkeit geprüft werden müssen.
Kontaktieren Sie vor der Übergabe Ihre Bank und fragen Sie explizit nach, ob eine Vollmacht für eine Vertrauensperson zur Bargeldabhebung eingerichtet werden kann.
Was passiert nach der Aufhebung eines Urteils wegen Unterschlagung und wie geht das Verfahren weiter?
Die Aufhebung eines Urteils durch das Obergericht in einem Revisionsverfahren bedeutet keinen Freispruch für die Angeklagte. Stattdessen wird der Fall an eine andere Abteilung der ersten Instanz zurückverwiesen. Das Gericht hat festgestellt, dass das ursprüngliche Urteil fehlerhaft war – oft wegen Verfahrensmängeln oder einer falschen rechtlichen Einordnung der Faktenlage.
Die Zurückverweisung gibt dem Gericht erster Instanz die Chance, die prozessualen oder materiellen Mängel zu beheben. Im vorliegenden Fall wurde das Gericht angewiesen, nicht nur formelle Fehler bei der Tatzählung zu korrigieren, sondern auch den naheliegenden Tatbestand der Untreue (§ 266 StGB) zu prüfen. Bevor die neue Hauptverhandlung beginnen kann, muss das Gericht die Angeklagte jedoch zwingend über den geänderten rechtlichen Gesichtspunkt informieren. Dies wahrt die Hinweispflicht (§ 265 StPO) und gewährleistet ein faires Verfahren.
Die Angeklagte erhält in der Neuverhandlung eine zweite Chance, ihre Verteidigung gezielt gegen den Vorwurf der Untreue auszurichten. Gleichzeitig ist sie vor einer härteren Sanktion geschützt: Das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) stellt sicher, dass die neue Strafe das ursprüngliche Strafmaß nicht übersteigen darf.
Als Angeklagter sollten Sie mit Ihrem Verteidiger unverzüglich eine neue Strategie entwickeln, die spezifisch auf den nun wahrscheinlichen Vorwurf der Untreue zugeschnitten ist.
Wann genau liegt eine strafbare Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht vor?
Die strafbare Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht ist der zentrale Baustein des Straftatbestandes der Untreue (§ 266 StGB). Sie liegt vor, wenn der Beauftragte eine qualifizierte Vermögensbetreuungspflicht durch zweckentfremdendes Handeln missbraucht und dem Vermögensinhaber dadurch ein Schaden entsteht. Diese Pflicht muss die Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen als Hauptaufgabe beinhalten und geht über die reine Einhaltung alltäglicher Sorgfaltsstandards hinaus.
Gerichte prüfen maßgeblich, ob dem Täter ein gewisser eigenverantwortlicher Handlungsspielraum bei der Erfüllung der Aufgabe eingeräumt wurde. Dieser Spielraum muss über eine strikte Ausführung von Befehlen hinausgehen, denn ein einfacher Botengang begründet in der Regel keine Vermögensbetreuungspflicht. Zudem muss die betroffene Angelegenheit für das Gesamtvermögen des Geschädigten von wesentlicher Bedeutung sein, etwa die dauerhafte Organisation der Liquidität für eine körperlich hilflose Person.
Ein Beispiel: Die Pflicht entsteht, wenn die Vertrauensperson über einen längeren Zeitraum die Debitkarte und PIN dauerhaft zur Verfügung gestellt bekommt, um eigenständig sämtliche Besorgungen und Bargeldbeschaffungen zu erledigen. Obwohl eine Obergrenze für Abhebungen existiert, behält die Putzkraft innerhalb dieses Rahmens ein Entscheidungsermessen. Missbraucht sie diesen autonomen Spielraum, indem sie mehr Geld abhebt als vereinbart, erfüllt sie den Tatbestand der Untreue.
Die juristische Beurteilung hängt somit stark von der Dauerhaftigkeit der Überlassung und dem Umfang des dem Täter gewährten autonomen Entscheidungsspielraums ab.
Wie kann ich Vollmachten für Bargeldabhebungen juristisch sicher erteilen, um Untreue zu verhindern?
Um eine strafbare Untreue zu verhindern, müssen Sie vermeiden, dass Ihre Hilfskraft eine qualifizierte Vermögensbetreuungspflicht übernimmt. Geben Sie der Person weder dauerhaft Karte und PIN noch einen eigenverantwortlichen Spielraum. Beschränken Sie die Beauftragung auf einen engen, einmaligen Botengang. Die zentrale Lehre aus der Rechtsprechung ist die klare Abgrenzung zwischen bloßem Besitz und einer echten Vertrauensstellung.
Die Regel: Je mehr Autonomie und Dauerhaftigkeit Sie einräumen, desto wahrscheinlicher entsteht die strafrechtlich relevante Vertrauensstellung. Erteilen Sie daher nur eine schriftliche, widerrufliche Einzelvollmacht. Dieses Dokument muss exakt die Höhe, den Zeitpunkt und den Zweck der Abhebung festlegen. Die wichtigste Präventionsmaßnahme ist die strikte Vermeidung der dauerhaften Überlassung von Karte und PIN. Denn das Einräumen eines Ermessensspielraums ist das Hauptindiz für eine Betreuungspflicht.
Übergeben Sie die Debitkarte und die PIN nur für den spezifischen, einmaligen Vorgang und nehmen Sie sie sofort zurück. Dadurch unterbinden Sie den eigenverantwortlichen Spielraum, der eine Untreue erst ermöglicht. Eine Generalvollmacht ist hier kontraproduktiv, da sie das Risiko einer Vertrauensstellung exponentiell erhöht. Nutzen Sie Banklösungen wie spezielle Abhebevollmachten oder Partnerkarten mit streng limitierten Limits, anstatt die eigene PIN zu offenbaren.
Erstellen Sie sofort ein juristisch geprüftes, schriftliches Dokument, das Ihre Hilfskraft als reinen „Geld-Boten“ deklariert und die Befugnis auf einen exakten Betrag beschränkt.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Eigentumsübergang am Geldautomaten
Der Eigentumsübergang am Geldautomaten bezeichnet den zivilrechtlichen Zeitpunkt, in dem das aus dem Automaten entnommene Bargeld rechtlich vom Eigentum der Bank in das Eigentum des Abhebenden übergeht. Dieses Prinzip ist entscheidend für die strafrechtliche Beurteilung, da nur dann eine Unterschlagung möglich ist, wenn das Geld im Moment der Zueignung noch „fremd“ war. Die Klärung dieser zivilrechtlichen Vorfrage ist unerlässlich, um die materielle Richtigkeit des Schuldspruchs sicherzustellen.
Beispiel: Das Bayerische Oberste Landesgericht forderte die Klärung des Eigentumsübergangs am Geldautomaten, da die Verteidigung argumentierte, die Bank habe das Geld bereits an die Putzkraft als Nutzerin der Karte übereignet.
Hinweispflicht
Die Hinweispflicht (§ 265 StPO) verpflichtet das Gericht im Strafverfahren dazu, die Angeklagten und ihre Verteidiger frühzeitig zu informieren, falls es den juristischen Vorwurf von dem in der Anklage genannten Tatbestand ändern möchte. Dieses Gebot sichert den Grundsatz des fairen Verfahrens ab; der Angeklagte muss zu jedem Zeitpunkt genau wissen, wogegen er sich verteidigen soll.
Beispiel: Weil die Putzkraft ausschließlich wegen Unterschlagung angeklagt war, muss das Gericht vor der Neuverhandlung wegen Untreue seine Hinweispflicht erfüllen, um die strategische Verteidigung zu ermöglichen.
Kognitionspflicht
Juristen verstehen unter der Kognitionspflicht, dass ein Gericht den gesamten angeklagten Sachverhalt, der durch die Anklageschrift und den Eröffnungsbeschluss festgelegt wurde, inhaltlich prüfen und in seinem Urteil vollständig behandeln muss. Richter müssen die angeklagten Taten lückenlos abarbeiten und dürfen keine Teile des Sachverhalts unentschieden lassen, damit die Rechtssicherheit für alle Beteiligten gewährleistet ist.
Beispiel: Das BayObLG rügte die Verletzung der Kognitionspflicht, weil das Amtsgericht zwar 137 Taten verhandelte, aber in seinem Urteil nur 126 Taten verurteilte und in den schriftlichen Gründen sogar nur 122 Taten auflistete.
Unterschlagung
Unterschlagung (§ 246 StGB) liegt vor, wenn jemand eine fremde bewegliche Sache, die er bereits besitzt oder in Gewahrsam hat, rechtswidrig und gegen den Willen des Eigentümers für sich selbst beansprucht. Dieses Vermögensdelikt schützt das Eigentum an konkreten Gegenständen vor der unrechtmäßigen Zueignung; entscheidend ist hier, dass die Sache im Moment des Einsteckens noch einem anderen gehört.
Beispiel: Die Staatsanwaltschaft erhob ursprünglich Anklage wegen Unterschlagung, da die Putzkraft die ihr zum Abheben überlassenen Geldbeträge über die vereinbarte Obergrenze hinaus für sich selbst behielt.
Untreue
Untreue (§ 266 StGB) bestraft den Missbrauch einer dem Täter eingeräumten Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, wenn dadurch dem Vermögensinhaber ein erheblicher finanzieller Nachteil entsteht. Im Gegensatz zur Unterschlagung schützt dieser Tatbestand das gesamte Vermögen des Opfers vor der Verletzung eines besonderen Vertrauensverhältnisses, insbesondere wenn die Vertrauensperson eigenverantwortlich handeln darf.
Beispiel: Das Obergericht sah im Fall der dauerhaft überlassenen Debitkarte und PIN stärkere Anzeichen für eine Untreue, weil die Putzkraft ihre qualifizierte Stellung missbraucht hatte.
Vermögensbetreuungspflicht
Eine Vermögensbetreuungspflicht ist eine qualifizierte Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, die nur dann entsteht, wenn der Beauftragte einen erheblichen eigenverantwortlichen Handlungsspielraum bei einer wesentlichen Vermögensangelegenheit besitzt. Das Gesetz etabliert diese hohe Schwelle, weil die Betreuungspflicht die strafrechtliche Grundlage für den Tatbestand der Untreue bildet und über die reine Einhaltung alltäglicher Sorgfaltsstandards hinausgeht.
Beispiel: Das Gericht leitete die qualifizierte Vermögensbetreuungspflicht aus dem Gesamtbild der Umstände ab, nämlich der jahrzehntelangen Vertrauensbeziehung und der körperlichen Hilflosigkeit der Geschädigten.
Verschlechterungsverbot
Das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) garantiert dem Angeklagten, der ein Rechtsmittel wie die Revision eingelegt hat, dass das Gericht in der neuen Verhandlung keine härtere Strafe verhängen darf als im aufgehobenen Urteil. Dieses Verfahrensrecht schützt den Angeklagten davor, aus Angst vor einer höheren Strafe darauf zu verzichten, ein fehlerhaftes Urteil anzufechten und somit seine Rechte wahrzunehmen.
Beispiel: Trotz der Neuverhandlung wegen des möglicherweise schwerwiegenderen Vorwurfs der Untreue, stellt das Verschlechterungsverbot sicher, dass die neue Strafe die ursprüngliche Bewährungsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten nicht überschreiten darf.
Das vorliegende Urteil
BayObLG – Az.: 206 StRR 289/25 – Beschluss vom 21.10.2025
* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.


