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Wohnungsdurchsuchung wegen des Vorwurfs der Beleidigung

Wohnungsdurchsuchung wegen Beleidigung: Einschreitende Maßnahme oder überzogene Reaktion?

Das Landgericht Hamburg stellte fest, dass die Wohnungsdurchsuchung bei dem Beschuldigten P. rechtswidrig war. Trotz eines Anfangsverdachts auf Beleidigung und einer Auffindevermutung von Beweismitteln, wurde die Maßnahme aufgrund fehlender Verhältnismäßigkeit als unangemessen betrachtet. Die Kosten des Verfahrens fallen der Staatskasse zur Last.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 631 Qs 17/22  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Rechtswidrigkeit der Wohnungsdurchsuchung bei P. wurde bestätigt.
  2. Trotz Anfangsverdacht auf Beleidigung und Vermutung zum Auffinden von Beweismitteln wurde die Durchsuchung als unverhältnismäßig eingestuft.
  3. Die Beschwerde gegen die Durchsuchung war zulässig und erfolgreich.
  4. Es gab keine hinreichende Rechtfertigung für die Schwere des Eingriffs in die Grundrechte.
  5. Die Durchsuchung griff in das Grundrecht aus Art. 13 GG ein.
  6. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit war ein entscheidendes Kriterium.
  7. Die Kosten des Verfahrens gehen zu Lasten der Staatskasse.
  8. Das Gericht berücksichtigte den Gesamtkontext der Äußerungen und die früheren Vergehen des Beschuldigten.

Rechtliche Grenzen staatlicher Ermittlungsmaßnahmen

In der heutigen Zeit, in der die Balance zwischen staatlichen Eingriffen und individuellen Freiheitsrechten von großer Bedeutung ist, rückt ein spezielles Szenario in den Fokus: die Wohnungsdurchsuchung im Kontext von Strafverfahren. Diese Maßnahmen, oft aufgrund des Verdachts auf Straftaten wie Beleidigung, werfen wichtige Fragen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit staatlicher Ermittlungsarbeit auf. Hierbei spielen gerichtliche Entscheidungen, wie sie vom Landgericht Hamburg getroffen werden, eine entscheidende Rolle. Sie definieren die Grenzen und setzen Maßstäbe dafür, was im Rahmen der Strafverfolgung als rechtlich vertretbar gilt.

Gerichtsurteile, die sich mit der Frage der Rechtswidrigkeit von Durchsuchungen beschäftigen, sind nicht nur für die beteiligten Parteien von Bedeutung. Sie betreffen auch die breitere Öffentlichkeit, da sie Präzedenzfälle für ähnliche Situationen schaffen. In diesem speziellen Fall wird der Beschluss des Gerichts und die darauf folgende Beschwerde gegen die Durchsuchungsmaßnahme beleuchtet. Lesen Sie weiter, um zu erfahren, wie das Landgericht Hamburg in dieser Situation entschieden hat und welche Implikationen dies für die Ausübung staatlicher Ermittlungsbefugnisse haben könnte.

Rechtswidrigkeit einer Wohnungsdurchsuchung im Fokus

Das Landgericht Hamburg befasste sich in einem bemerkenswerten Fall mit der Rechtswidrigkeit einer Wohnungsdurchsuchung. Der Kern desFalles dreht sich um die Beschwerde der Betroffenen K., die sich gegen die Durchsuchung ihrer Wohn- und Geschäftsräume richtete. Diese Maßnahme wurde ursprünglich vom Amtsgericht Hamburg aufgrund des Vorwurfs der Beleidigung gegen den Beschuldigten P. angeordnet. Der Beschluss des Amtsgerichts datiert auf den 27. August 2021 und wurde unter dem Aktenzeichen 166 Gs 1566/21 geführt. Die Durchsuchung fand am 8. September 2021 statt, wobei die Beschwerde der Betroffenen K. erst einige Monate später, am 2. Juni 2022, eingereicht wurde.

Anfangsverdacht und Auffindevermutung versus Verhältnismäßigkeit

Der Fall nimmt eine interessante Wendung, da das Landgericht die Durchsuchung als rechtswidrig einstuft, obwohl ein Anfangsverdacht gegen den Beschuldigten bestand. Dieser Verdacht basierte auf der Äußerung „Du bist so 1 Pimmel“, die der Beschuldigte P. als Kommentar zu einem Twitter-Post des Innensenators A. G. am 4. Juni 2021 abgesetzt hatte. Trotz des Vorliegens eines Anfangsverdachts und der begründeten Vermutung, dass die Durchsuchung zum Auffinden von Beweismitteln – in diesem Fall Speichermedien – führen würde, sah das Gericht die Maßnahme als unverhältnismäßig an. Besonders hervorzuheben ist, dass der Beschuldigte die Tat nach der Durchsuchung sowohl gegenüber der Polizei als auch der Staatsanwaltschaft einräumte.

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als entscheidendes Kriterium

Die Entscheidung des Landgerichts Hamburg unterstreicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Anordnung von Durchsuchungen. Dieses Prinzip ist in den §§ 102, 105 Abs. 1 S. 1 StPO verankert und fordert, dass jede Zwangsmaßnahme in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen muss. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt als fundamentaler Bestandteil des Rechtsstaats und soll sicherstellen, dass staatliche Eingriffe in die Grundrechte der Bürger – in diesem Fall das Grundrecht aus Art. 13 GG – nicht über das notwendige Maß hinausgehen.

LG Hamburg: Beschluss und Konsequenzen für die Zukunft

Das Landgericht Hamburg erklärte die Durchsuchung für rechtswidrig, wobei die Kosten des Verfahrens der Staatskasse auferlegt wurden. Diese Entscheidung könnte weitreichende Folgen für ähnliche Fälle in der Zukunft haben. Sie betont die Notwendigkeit, dass Gerichte bei der Anordnung von Wohnungsdurchsuchungen sorgfältig abwägen müssen, ob diese Maßnahmen tatsächlich erforderlich und verhältnismäßig sind. Insbesondere in Fällen, in denen nur eine geringfügige Strafe droht, wie im vorliegenden Fall, wird die Verhältnismäßigkeit einer solch tiefgreifenden Maßnahme infrage gestellt.

Das Urteil des Landgerichts Hamburg im Fall der Wohnungsdurchsuchung wegen des Vorwurfs der Beleidigung zeigt, wie essenziell es ist, dass staatliche Ermittlungsmaßnahmen stets die Rechte der Betroffenen respektieren und sich im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen bewegen. Diese Entscheidung dient als wichtige Erinnerung und Orientierungshilfe für künftige gerichtliche Entscheidungen in ähnlich gelagerten Fällen.

Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt


Was beinhaltet das Grundrecht aus Art. 13 GG und inwiefern ist es relevant für Wohnungsdurchsuchungen?

Artikel 13 des Grundgesetzes (GG) der Bundesrepublik Deutschland gewährleistet die Unverletzlichkeit der Wohnung. Dieses Grundrecht ist in mehrere Absätze gegliedert, wobei der erste Absatz die grundsätzliche Unverletzlichkeit der Wohnung festlegt. Der Schutzbereich umfasst dabei nicht nur Wohnungen im engeren Sinne, sondern auch Nebenräume, Hotelzimmer, Krankenhauszimmer, Häftlingszellen, Vereins- und Clubheime, Wohnmobile, Hausboote und nach überwiegender Auffassung auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume, sofern sie nicht der Allgemeinheit zugänglich sind.

Durchsuchungen dürfen gemäß Art. 13 Abs. 2 GG nur durch einen Richter angeordnet werden, bei Gefahr im Verzug auch durch andere in den Gesetzen vorgesehene Organe. Die Durchführung muss in der vorgeschriebenen Form erfolgen. Dieser Richtervorbehalt stellt sicher, dass Eingriffe in die Privatsphäre nur nach sorgfältiger Prüfung und unter bestimmten Voraussetzungen stattfinden.

Die weiteren Absätze von Art. 13 GG regeln die Voraussetzungen für verschiedene Arten von Eingriffen in die Unverletzlichkeit der Wohnung. So sind beispielsweise akustische Wohnraumüberwachungen (der sogenannte „große Lauschangriff“) nur zur Aufklärung besonders schwerer Straftaten zulässig und müssen ebenfalls richterlich angeordnet werden (Art. 13 Abs. 3 GG). Eingriffe und Beschränkungen dürfen im Übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutz gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden (Art. 13 Abs. 7 GG).

Die Relevanz von Art. 13 GG für Wohnungsdurchsuchungen liegt darin, dass das Grundrecht einen wesentlichen Aspekt des Persönlichkeitsschutzes und der Menschenwürde darstellt. Wohnungsdurchsuchungen sind ein schwerwiegender Eingriff in die Privatsphäre und bedürfen daher einer besonderen Rechtfertigung und strengen formellen Anforderungen. Die Regelungen des Art. 13 GG dienen dem Schutz des Bürgers vor staatlichen Übergriffen und stellen sicher, dass die Privatsphäre nur unter eng definierten Voraussetzungen und mit richterlicher Kontrolle durchbrochen werden darf.

Wie wird der Anfangsverdacht im Strafrecht definiert und welche Rolle spielt er bei der Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung?

Der Anfangsverdacht im Strafrecht ist definiert als Zustand, in dem konkrete tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die nach kriminalistischer Erfahrung die Beteiligung einer Person an einer verfolgbaren Straftat als möglich erscheinen lassen. Dies bedeutet, dass bereits zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorhanden sein müssen, um von einem Anfangsverdacht sprechen zu können.

Rolle des Anfangsverdachts bei Wohnungsdurchsuchungen

Bei der Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung spielt der Anfangsverdacht eine zentrale Rolle. Eine Durchsuchung darf nicht dazu dienen, erst Tatsachen zu ermitteln, die einen Anfangsverdacht begründen. Stattdessen muss der Anfangsverdacht bereits bestehen und die Durchsuchung muss verhältnismäßig zur Schwere der Straftat sein. Die Verhältnismäßigkeit ist ein wesentlicher Grundsatz, der sowohl den Grund als auch die Art der Durchführung einer Wohnungsdurchsuchung betrifft.

Die Strafverfolgungsbehörden sind verpflichtet, bei Vorliegen eines Anfangsverdachts Ermittlungen aufzunehmen (Legalitätsprinzip), und dürfen in diesem Rahmen Zwangsmaßnahmen wie Wohnungsdurchsuchungen durchführen. Ein Durchsuchungsbeschluss, der eine solche Maßnahme anordnet, muss auf einer konkreten Tatsachengrundlage beruhen und darf nicht auf bloßen Vermutungen oder vagen Anhaltspunkten fußen.

Zusammenfassend ist der Anfangsverdacht die Grundvoraussetzung für die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung und muss auf konkreten Tatsachen beruhen, die die Möglichkeit einer Straftat nahelegen.

Was versteht man unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Kontext von strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen?

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Kontext von strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen besagt, dass staatliche Eingriffe in die Rechte von Individuen nur dann zulässig sind, wenn sie geeignet, erforderlich und angemessen sind, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Dieser Grundsatz ist nicht explizit im Grundgesetz verankert, ergibt sich jedoch aus dem Rechtsstaatsprinzip und ist ein fundamentales Prinzip des deutschen Rechts.

  • Geeignetheit: Eine Maßnahme ist geeignet, wenn sie dazu beitragen kann, das angestrebte Ziel zu erreichen. Im Kontext von Ermittlungsmaßnahmen bedeutet dies, dass die Maßnahme einen Beitrag zur Aufklärung einer Straftat leisten kann.
  • Erforderlichkeit: Eine Maßnahme ist erforderlich, wenn kein milderes, aber gleich wirksames Mittel zur Verfügung steht, um das Ziel zu erreichen. Das bedeutet, dass die Behörden immer das mildeste Mittel wählen müssen, das zur Erreichung des Ermittlungsziels führt.
  • Angemessenheit: Eine Maßnahme ist angemessen, wenn die durch sie verursachten Nachteile in einem angemessenen Verhältnis zu den angestrebten Vorteilen stehen. Dabei müssen die negativen Auswirkungen der Maßnahme gegen den Stellenwert des Ermittlungsziels abgewogen werden.

Im Rahmen von Ermittlungsmaßnahmen müssen die Strafverfolgungsbehörden also stets prüfen, ob der Eingriff in die Rechte der betroffenen Person in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck der Maßnahme steht und ob es alternative, weniger eingreifende Maßnahmen gibt, die zum selben Ergebnis führen könnten.


Das vorliegende Urteil

LG Hamburg – Az.: 631 Qs 17/22 – Beschluss vom 26.07.2022

1. Auf die Beschwerde der Betroffenen K. vom 2. Juni 2022 wird festgestellt, dass die mit Beschluss des Amtsgericht Hamburg vom 27. August 2021 (Az. 166 Gs 1566/21) angeordnete Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Beschuldigten P. rechtswidrig war.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Betroffenen gegen den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 27. August 2021 hat in der Sache Erfolg, da die Anordnung der Durchsuchung rechtswidrig war.

1.

Zwar ist die angeordnete Maßnahme durch ihren zwischenzeitlichen Vollzug erledigt und damit prozessual überholt. Gegen eine erledigte richterliche Anordnung ist die Beschwerde zur Feststellung der Rechtswidrigkeit gleichwohl zulässig, wenn das Interesse des Beschwerdeführers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme auch nach deren Erledigung fortbesteht; dies ist vor allem bei tiefgreifenden, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkenden Grundrechtseingriffen, wie etwa einer aufgrund richterlicher Anordnung vorgenommenen Durchsuchung – die in das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 13 GG eingreift – regelmäßig der Fall (vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 30. April 1997, Az. 2 BvR 817/90). Die Beschwerde richtet sich dann nicht auf Aufhebung der angeordneten Maßnahme, sondern auf Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit. Letzteres hat die von der am 8. September 2021 durchgeführten Durchsuchung Betroffene K., die Ex-Partnerin des ehemals Beschuldigten P., welche zum Zeitpunkt der Durchsuchung in der betroffenen Wohnung in der B.- N.-Straße lebte und somit beschwerdeberechtigt ist, mit Schriftsatz ihrer Rechtsanwältin vom 2. Juni 2022 beantragt.

2.

Die Beschwerde der Betroffenen ist auch begründet, da zwar ein Anfangsverdacht gegen den ehemals Beschuldigten und auch eine Auffindevermutung bestand, die Durchsuchung mangels Verhältnismäßigkeit ihrer Anordnung jedoch rechtswidrig war.

a)

Die vom ehemals Beschuldigten verfasste Formulierung „Du bist so 1 Pimmel“ vom 4. Juni 2021 als Kommentar eines Posts des Innensenators A. G. vom 30. Mai 2021 auf der Plattform Twitter stellt eine Formalbeleidigung und somit eine Straftat nach § 185 StGB dar. Insbesondere findet keinerlei inhaltliche Auseinandersetzung mit dem kommentierten Tweet des Innensenators statt, mit dem dieser eine in der Schanze unter Missachtung der geltenden Corona-Regeln feiernde Menschenmenge kritisierte und der Hamburger Polizei für deren Einsatz gegen die Feiernden dankte. Der vom Amtsgericht insoweit zutreffend angenommene Anfangsverdacht gründet insbesondere auf den telefonischen Angaben der Betroffenen am 4. August 2021 gegenüber der Polizei, wonach der Beschuldigte ihr gegenüber eingeräumt habe, den Tweed verfasst zu haben, was er im Anschluss an die Durchsuchung auch gegenüber der Staatsanwaltschaft eingeräumt hat, sowie dem Screenshot des entsprechenden Tweets vom 4. Juli 2021 samt Kommentar.

b)

Auch bestand im Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung die begründete Vermutung, die Durchsuchung würde zum Auffinden von Beweismitteln führen, nämlich Speichermedien wie etwa Handy(s) oder Tablet(s) des vormals Beschuldigten, mittels derer auf den verwendeten Twitter-Account „@p.“ zugegriffen und der in Rede stehende Kommentar verfasst wurde und der den Benutzer des Accounts erkennen ließ. Im Zeitpunkt der Beschlussfassung hat das Amtsgericht auch zu Recht angenommen, der vormals Beschuldigte lebe noch in der von der Durchsuchung betroffenen Wohnung, da sich dies aus den bis dahin vorliegenden Ermittlungserkenntnissen, namentlich dem polizeilichen Vermerk vom 4. August 2021 (Bl. 19 d.A.), ergab. Schließlich musste das Amtsgericht auch nicht davon ausgehen, der vormals Beschuldigte sei aufgrund des Telefonats zwischen der Polizei und seiner ehemaligen Lebensgefährtin hinreichend gewarnt und habe sämtliche Inhalte auf den etwaigen Speichermedien nachhaltig vernichtet, da der Betroffenen ausweislich des polizeilichen Vermerks vom 4. August 2021 gerade nicht der genaue Tatvorwurf genannt worden war. Anhaltspunkte, wonach sich Zweifel an der Richtigkeit des Vermerks hätten aufdrängen müssen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

cc)

Neben diesen Voraussetzungen der §§ 102, 105 Abs. 1 S. 1 StPO ist bei jeder Anordnung einer Durchsuchung indessen aufgrund der Erheblichkeit des Eingriffs der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besonders zu berücksichtigen (vgl. u.a. BVerfG, Teilurteil vom 5. August 1966 – 1 BvR 586/62, 610/63, 512/64, NJW 1966, 1603, 1607). Die Durchsuchung muss den Erfolg versprechen, geeignete Beweismittel zu erbringen (dazu siehe oben). Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein; dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des bestehenden Tatverdachts stehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 1997 – 2 BvR 1992/92, NJW 1997, 2165, 2166; BVerfG, Beschluss vom 12. April 2005 – 2 BvR 1027/02, NJW 2005, 1917, 1920).

Zu alledem enthält der angefochtene Beschluss neben der Vermutung, die Durchsuchung werde zum Auffinden von Beweismitteln, insbesondere Speichermedien führen, keine weiteren Ausführungen. Den vorgenannten Maßstab zugrunde gelegt, hätte sich dem Amtsgericht bei seiner Entscheidung jedoch aufdrängen müssen, dass bereits Zweifel an der Erforderlichkeit der Maßnahme bestehen – welchen durch Aufnehmen einer Abwendungsbefugnis hätte begegnet werden können -, sie aber in jedem Fall unangemessen ist und somit im vorliegenden Fall das Schutzinteresse aus Art. 13 GG gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse des Staates überwiegt. Denn bereits im Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung kam im konkreten Fall nur die Verhängung einer geringen Sanktion gegen den (vormals) Beschuldigten in Betracht, was der Annahme der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme im konkreten Fall entgegenstand (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 2008 – 2 BvR 384/07).

Gegenstand des (ehemaligen) Ermittlungsverfahrens war (lediglich) der Vorwurf der Beleidigung, die durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Abs. 3 StGB) begangen wurde, wofür § 185 StGB Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren vorsieht. Der vormals Beschuldigte war zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung zwar bereits vorbestraft, jedoch weder einschlägig noch schwer; das Amtsgericht Hamburg hatte gegen ihn Anfang 2020 wegen Sachbeschädigung und vorsätzlicher Körperverletzung eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10 Euro verhängt. Zudem ist der Kommentar des ehemals Beschuldigten im Gesamtkontext zum Vorverhalten des Innensenators zu betrachten. Dieser hatte am 10. Juni 2020 selbst gegen geltende Corona-Auflagen verstoßen, indem er anlässlich seiner Wiederernennung als Senator 30 Personen in eine Bar in H. eingeladen hatte, weswegen gegen ihn ein Bußgeld in Höhe von 1000 Euro verhängt und von ihm akzeptiert wurde. Vor diesem Hintergrund war die Wortwahl des Senators in seinem Post vom 30. Mai 2021, in dem er Feiernde in der Schanze, die (ebenfalls) gegen Corona-Auflagen verstießen, als „dämlich“ und ihr Verhalten als „ignorant“ bezeichnete, bei der Beurteilung der Schwere der Beleidigung durch den Beschuldigten zu berücksichtigen und diese eher am unteren Rand der Erheblichkeitsschwelle einzustufen. Nach alledem drohte dem (vormals) Beschuldigten allenfalls eine geringfügige Geldstrafe. Die Anordnung der Durchsuchung war vor diesem Hintergrund unangemessen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

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