Ein Angeklagter verpasste seinen Termin wegen 38,7 Grad Fieber; das Gericht lehnte die notwendige Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Krankheit ab. Die Ablehnung basierte allein auf formalen Mängeln und Rechtschreibfehlern im Attest, nicht auf der Schwere der bescheinigten Gürtelrose.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Was passiert, wenn ein ärztliches Attest voller Fehler steckt?
- Warum wurde die Berufung der Frau überhaupt abgewiesen?
- Welchen neuen Beweis legte die Frau vor – und warum überzeugte er das Landgericht nicht?
- Wie bewertete das Kammergericht das Attest mit Fieber und Fehlern?
- Zählen Rechtschreibfehler in einem ärztlichen Attest als Manko?
- Ist es also egal, wie und wann das Gericht von der Krankheit erfährt?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann darf ein Gericht mein ärztliches Attest wegen Formfehlern oder Rechtschreibfehlern ablehnen?
- Bin ich bei 38,7 °C Fieber automatisch verhandlungsunfähig und entschuldigt vor Gericht?
- Wie beantrage ich die Wiedereinsetzung, wenn meine Berufung wegen Krankheit verworfen wurde?
- Was passiert, wenn ich mein ärztliches Attest zu spät an das Gericht sende?
- Welche konkreten Angaben muss mein Attest enthalten, um Verhandlungsunfähigkeit vor Gericht zu beweisen?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 3 Ws 11/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Kammergericht Berlin
- Datum: 04.04.2025
- Aktenzeichen: 3 Ws 11/25 – 161 GWs 41/25
- Verfahren: Beschwerde im Strafverfahren
- Rechtsbereiche: Strafprozessrecht, Verfahrensrecht
- Das Problem: Eine Angeklagte fehlte wegen akuter Krankheit bei ihrer Berufungsverhandlung. Das Landgericht lehnte ihren Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ab. Es hatte Zweifel an der Glaubwürdigkeit des ärztlichen Attests.
- Die Rechtsfrage: Wann muss das Gericht eine versäumte Verhandlung nachträglich zulassen, wenn Krankheit als Grund genannt wird?
- Die Antwort: Ja. Das Kammergericht gewährte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Ein zeitnah ausgestelltes Attest über Fieber und Gürtelrose reicht aus, um das Fehlen zu entschuldigen.
- Die Bedeutung: Gerichte dürfen ärztliche Atteste bei Krankheit nicht leichtfertig ablehnen. Die objektive Unmöglichkeit des Erscheinens zählt mehr als die späte Übermittlung des Attests. Formelle Mängel wie schlechte Lesbarkeit oder Tippfehler im Attest sind nicht entscheidend.
Der Fall vor Gericht
Was passiert, wenn ein ärztliches Attest voller Fehler steckt?
Am Morgen ihres Gerichtstermins wachte eine Frau mit Fieber und starken Schmerzen auf. Die Diagnose ihres Arztes: Gürtelrose. Ein eilig ausgestelltes Attest sollte ihre Abwesenheit vor dem Landgericht Berlin entschuldigen.
Doch dieses Dokument, mit Rechtschreibfehlern und unklarer Handschrift, wurde zum zentralen Beweisstück in einem unerwarteten Rechtsstreit. Das Gericht verwarf das Attest als wertlos und wies die Berufung der Frau ab. Ein klarer Fall von Formfehlern? Das Kammergericht Berlin sah in dem Zettel etwas, das die erste Instanz übersehen hatte – einen unumstößlichen Beweis.
Warum wurde die Berufung der Frau überhaupt abgewiesen?
Die Frau war vom Amtsgericht Tiergarten wegen eines tätlichen Angriffs auf Beamte zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Sie akzeptierte das Urteil nicht und legte Berufung ein. Das Landgericht Berlin setzte den Termin für die neue Verhandlung auf den 5. März um 9:30 Uhr fest. Erschien sie nicht, drohte die sofortige Verwerfung ihrer Berufung. Das ist ein scharfes Schwert des Gesetzes, verankert in § 329 der Strafprozessordnung (StPO). Die Regel ist einfach: Wer unentschuldigt fehlt, verliert seine Chance auf eine neue Verhandlung.
Am Morgen des Termins, um 6:52 Uhr, schickte ihr Verteidiger eine E-Mail an das Gericht. Er beantragte die Verlegung des Termins. Seine Mandantin leide an Gürtelrose mit Fieber und Schmerzen. Als Beweis fügte er ein ärztliches Protokoll bei. Das Landgericht sah sich das Dokument an, lehnte den Antrag ab und verwarf die Berufung wie angekündigt. Die Begründung: Das Attest sei fast zwei Wochen alt und beweise nichts über ihren Zustand am Verhandlungstag. Der Fall schien erledigt.
Welchen neuen Beweis legte die Frau vor – und warum überzeugte er das Landgericht nicht?
Die Frau gab nicht auf. Drei Tage später stellte sie über ihren Anwalt einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dies ist eine rechtliche Notbremse für jemanden, der eine Frist oder einen Termin ohne eigenes Verschulden versäumt hat (§ 44 StPO). Um ihren Antrag zu untermauern, reichte sie ein neues, entscheidendes Dokument ein: ein ärztliches Protokoll, ausgestellt am Morgen des verpassten Gerichtstermins.
Dieses Attest dokumentierte einen Arztbesuch von 7:30 Uhr bis 8:50 Uhr. Es enthielt eine klare Diagnose – „Herpes Zoster“ (Gürtelrose) – und eine gemessene Körpertemperatur von 38,7 °C. Dazu die Notiz: „Schmerzen li Lendenwirbelbereich mit blasige Ausschlag. Letzte Tage Simpotome stärker geworden.“
Das Landgericht blieb unbeeindruckt. Es wies den Antrag auf Wiedereinsetzung zurück. Die Richter hatten mehrere Kritikpunkte. Das Attest sei schlecht lesbar und voller orthographischer Fehler wie „geses[s]“, „Röttung“ oder „Simpotome“. Es enthalte keine klare Aussage zur Verhandlungsunfähigkeit. Außerdem sei der Arztbesuch um 8:50 Uhr beendet gewesen. Die Frau hätte danach noch genug Zeit gehabt, das Gericht ordentlich über ihr Fehlen zu informieren. Im digitalen Zeitalter sei eine schnelle Übermittlung an den Anwalt kein Problem. Das Versäumnis sei ihre Schuld.
Wie bewertete das Kammergericht das Attest mit Fieber und Fehlern?
Die Angeklagte legte gegen diese Entscheidung Sofortige Beschwerde beim Kammergericht ein. Dort sahen die Richter den Fall komplett anders. Sie hoben die Entscheidung des Landgerichts auf und gewährten die Wiedereinsetzung. Ihre Argumentation war eine Lektion in juristischer Prioritätensetzung.
Der entscheidende Punkt war die objektive Realität, nicht die Kommunikationskette. Das Kammergericht stellte fest: Die Frau war ohne Verschulden an der Teilnahme gehindert. Die Kombination aus der Diagnose Gürtelrose, den beschriebenen Schmerzen und vor allem dem attestierten Fieber von 38,7 °C kurz vor Verhandlungsbeginn begründete eine Verhandlungsunfähigkeit. Es war ihr schlicht nicht zuzumuten, vor Gericht zu erscheinen.
Das Attest vom 5. März war der Dreh- und Angelpunkt. Es stammte vom selben Tag und wurde nur eine knappe Stunde vor dem Termin ausgestellt. Damit war es zeitnah und aussagekräftig. Dass das Landgericht diese Information zum Zeitpunkt seines Urteils noch nicht hatte, spielte eine Rolle. Das Vorbringen der Frau war rechtlich nicht „verbraucht“, weil die entscheidende Tatsache – das hohe Fieber am Termintag – erst mit dem Wiedereinsetzungsantrag auf den Tisch kam.
Zählen Rechtschreibfehler in einem ärztlichen Attest als Manko?
Das Kammergericht zerpflückte die Argumentation des Landgerichts Punkt für Punkt. Die Zweifel wegen der schlechten Lesbarkeit und der orthographischen Fehler wischten die Richter vom Tisch. Formale Mängel in einem ärztlichen Dokument erlauben keine Rückschlüsse auf die fachliche Qualifikation des Arztes oder die Richtigkeit seiner Diagnose. Solange keine konkreten Anhaltspunkte für eine Fälschung vorliegen – und solche hatte das Landgericht nicht benannt –, sind Rechtschreibfehler irrelevant. Die materielle Aussage des Attests zählt. Und diese war klar: Fieber, Schmerzen, eine ansteckende Krankheit.
Ist es also egal, wie und wann das Gericht von der Krankheit erfährt?
Hier brachte das Kammergericht einen zentralen Rechtsgrundsatz auf den Punkt. Im Verfahren der Wiedereinsetzung lautet die Frage nicht: „Hat sich der Angeklagte ausreichend entschuldigt?“. Die korrekte Frage ist: „Ist der Angeklagte ausreichend entschuldigt?“. Der Fokus liegt auf dem objektiven Grund der Verhinderung, nicht auf der Perfektion der Krankmeldung.
Die Überlegung des Landgerichts, die Frau hätte das Attest nach dem Arztbesuch schneller übermitteln können, ging am Kern der Sache vorbei. Eine mögliche Nachlässigkeit in der Kommunikation ändert nichts an der Tatsache, dass die Frau zu diesem Zeitpunkt fieberhaft krank war. Die Pflicht, eine Verhinderung mitzuteilen, besteht. Ihre Verletzung kann im Einzelfall Zweifel an der Glaubwürdigkeit wecken. Sie hebt aber nicht die tatsächliche, durch ein Attest belegte Krankheit auf. Das Landgericht hätte konkrete Zweifel an der Echtheit des Dokuments formulieren müssen, statt bloße Vermutungen über bessere Kommunikationswege anzustellen. Da es das nicht tat, zählte allein die ärztlich bescheinigte Realität: Die Frau war krank. Ihre Berufung muss neu verhandelt werden.
Die Urteilslogik
Die juristische Beurteilung einer entschuldbaren Abwesenheit muss die objektive Realität der Krankheit über formelle oder kommunikative Mängel stellen.
- Materielle Aussage zählt: Das Gericht muss die inhaltliche Aussage eines ärztlichen Attests prüfen; formelle Mängel, wie schlechte Lesbarkeit oder Rechtschreibfehler, entwerten das Dokument nicht, solange keine konkreten Anhaltspunkte für eine Fälschung vorliegen.
- Unzumutbarkeit begründet Unfähigkeit: Eine akute Erkrankung, die mit Schmerzen, hohem Fieber (z.B. 38,7 °C) oder Ansteckungsgefahr einhergeht, begründet objektiv eine Verhandlungsunfähigkeit; dem Angeklagten kann das Erscheinen nicht zugemutet werden.
- Objektive Verhinderung Priorisieren: Bei einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist entscheidend, ob die Krankheit tatsächlich die Teilnahme verhinderte; dieses objektive Faktum übertrifft eine mögliche, geringfügige Nachlässigkeit bei der zeitnahen Übermittlung der Krankmeldung an das Gericht.
Die Justiz gewährleistet den Schutz des Angeklagten, indem sie die ärztlich bescheinigte Realität über die Perfektion des Meldevorgangs stellt.
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Experten Kommentar
Viele Gerichte neigen dazu, ein Attest lieber einmal zu viel abzulehnen, um bloße Vertröstungen zu verhindern. Dieses Urteil zieht eine klare rote Linie: Wenn die objektive Verhandlungsunfähigkeit – hier durch Fieber belegt – ärztlich nachgewiesen ist, zählt die materielle Wahrheit der Erkrankung. Das Kammergericht stellt damit klar, dass Rechtschreibfehler oder eine schlechte Lesbarkeit in einem Attest nichts über die Realität der Krankheit aussagen. Wer einen Termin unverschuldet verpasst und dies belegen kann, muss die Wiedereinsetzung erhalten. Der Fokus liegt konsequent auf dem Beweis der Krankheit, nicht auf der Perfektion des Schreibens.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann darf ein Gericht mein ärztliches Attest wegen Formfehlern oder Rechtschreibfehlern ablehnen?
Ein Gericht darf Ihr ärztliches Attest nicht allein aufgrund von Rechtschreibfehlern, unleserlicher Handschrift oder fehlerhafter Grammatik als ungültig ablehnen. Solche Formfehler sind unerheblich, solange keine konkreten Anhaltspunkte für eine Fälschung bestehen. Entscheidend ist stets die materielle Realität der attestierten Erkrankung. Das Gericht stellt die medizinisch bescheinigte Realität über die bürokratische Perfektion des Dokuments.
Das Kammergericht Berlin betonte, dass formale Mängel, wie falsch geschriebene Symptome oder unsaubere Formulierungen, keine Rückschlüsse auf die fachliche Qualifikation des Arztes zulassen. Richter müssen den Inhalt eines medizinischen Dokuments prüfen, nicht dessen Orthografie. Ein Gericht ist nur dann zur Ablehnung berechtigt, wenn konkrete Anzeichen für eine bewusste Fälschung oder eine absichtliche Irreführung vorliegen. Die Beweislast, dass ein solches Dokument unecht ist, trägt dabei das Gericht.
Der materielle Gehalt muss die Unzumutbarkeit des Erscheinens am Verhandlungstag klar belegen. Konkret bedeutet das: Wurden messbare Werte wie Fieber von 38,7 °C oder eine eindeutige, akute Diagnose festgehalten, ist der objektive Verhinderungsgrund gegeben. Die Gerichte dürfen die Tatsache der Krankheit nicht ignorieren, nur weil die orthografische Ausfertigung des Attestes mangelhaft ist.
Falls das Gericht formale Mängel kritisiert, zitieren Sie durch Ihren Anwalt die Rechtsprechung des Kammergerichts Berlin (Az. 3 Ws 24/18), um die Irrelevanz orthographischer Mängel zu belegen.
Bin ich bei 38,7 °C Fieber automatisch verhandlungsunfähig und entschuldigt vor Gericht?
Allein die messbare Temperatur von 38,7 °C führt nicht automatisch zur Entschuldigung vor Gericht. Die juristische Beurteilung hängt von der Unzumutbarkeit des Erscheinens ab. Gerichte prüfen die Gesamtbeeinträchtigung, die eine ordnungsgemäße Prozessführung verhindert. Diese kritische Schwelle wird durch die Kombination aus Fieber und weiteren akuten Symptomen erreicht.
Juristisch entscheidend ist die objektive Hinderung, nicht eine starre Gradzahl. Das Kammergericht Berlin bestätigte in einem Fall, dass 38,7 °C Fieber in Verbindung mit einer akuten und ansteckenden Diagnose wie Gürtelrose eine Verhandlungsunfähigkeit begründet. Die Richter beurteilen, ob der Gesundheitszustand die Fähigkeit zur Konzentration oder zur Reise zum Gericht unmöglich macht. Die Entschuldigung wird akzeptiert, wenn die Krankheit die Teilnahme für den Betroffenen gesundheitlich nicht vertretbar macht.
Ihr Attest muss dem Gericht zwingend mehr als nur die Temperatur belegen. Sie müssen die beeinträchtigenden Begleitsymptome und die genaue Diagnose nachweisen, um die Gesamtbeeinträchtigung sichtbar zu machen. Dokumentieren Sie unbedingt akute Beschwerden, wie starke Schmerzen oder blasigen Ausschlag, da Gerichte sonst die tatsächliche Notwendigkeit der Abwesenheit anzweifeln. Die Verhandlungsunfähigkeit muss durch das ärztliche Protokoll zweifelsfrei belegt werden.
Stellen Sie sicher, dass Ihr Arzt im Attest explizit alle akuten Symptome und die Diagnose festhält, um der kritischen Prüfung des Gerichts standzuhalten.
Wie beantrage ich die Wiedereinsetzung, wenn meine Berufung wegen Krankheit verworfen wurde?
Die juristische Notbremse, um Ihre verworfene Berufung zu retten, ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 44 StPO. Dieses Verfahren greift ausschließlich, wenn Sie den Termin unverschuldet versäumt haben, beispielsweise aufgrund einer akuten Erkrankung. Sie müssen diesen Antrag unverzüglich stellen, sobald das Hindernis entfallen ist und Sie von der Entscheidung zur Verwerfung Ihrer Berufung erfahren haben.
Die Regel: Wer eine Frist oder einen Termin in einem Strafverfahren ohne eigenes Verschulden versäumt, erhält eine zweite Chance. Die Frist „unverzüglich“ bedeutet, dass Sie den Antrag so schnell wie möglich einreichen müssen, nachdem Sie wieder handlungsfähig sind. Das Gericht prüft streng, ob die Verhinderung wirklich objektiv unzumutbar war. Zentral ist der Nachweis, dass Ihnen die Teilnahme am Gerichtstermin am konkreten Tag nicht zugemutet werden konnte.
Für eine erfolgreiche Wiedereinsetzung ist das richtige Beweismittel entscheidend. Sie dürfen kein Attest verwenden, das Tage oder Wochen alt ist. Sie benötigen ein ärztliches Protokoll, das zeitlich so nah wie möglich am verpassten Termin liegt. Wie der Fall vor dem Landgericht Berlin zeigt, muss dieses Dokument Ihren Gesundheitszustand zum Zeitpunkt der Verhandlung klar belegen, etwa durch die gemessene Körpertemperatur oder eine spezifische Diagnose. Ohne diese zeitnahe und lückenlose Belegung der Unzumutbarkeit lehnt das Gericht den Antrag ab.
Kontaktieren Sie unverzüglich Ihren Anwalt, um die exakte Frist für den Wiedereinsetzungsantrag zu berechnen und das Attest mit den präzisen Zeitangaben und Messwerten einzureichen.
Was passiert, wenn ich mein ärztliches Attest zu spät an das Gericht sende?
Die verspätete Übermittlung Ihres Attestes ändert nichts an der objektiven Tatsache Ihrer Erkrankung und der resultierenden Verhandlungsunfähigkeit. Für das Gericht ist entscheidend, ob Sie ausreichend entschuldigt sind – also, ob der objektive Verhinderungsgrund vorlag – und nicht, ob Sie sich ausreichend entschuldigt haben. Die juristische Bewertung priorisiert die tatsächliche Krankheit über die Perfektion der Benachrichtigungskette.
Diese Regelung priorisiert die körperliche Realität über mögliche Kommunikationsfehler. Wenn ein Angeklagter einen Gerichtstermin wegen akutem Fieber oder starker Schmerzen versäumt, bleibt dies ein unverschuldetes Versäumnis. Gerichte müssen die ärztlich belegte Krankheit anerkennen, selbst wenn die Übermittlung des Attestes aufgrund der akuten Symptome erst Stunden später erfolgte. Die mögliche Nachlässigkeit in der Kommunikation hebt die medizinisch festgestellte Krankheit nicht auf.
Ist die Frist zur Vorlage des Attestes verstrichen und die Berufung wurde bereits verworfen, muss der Beweis zwingend zusammen mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 44 StPO) eingereicht werden. Eine späte Einreichung kann zwar Zweifel an der Sorgfalt wecken, darf jedoch die objektive Gültigkeit des Attestes nicht untergraben, falls keine konkreten Anhaltspunkte für eine Fälschung bestehen. Die tatsächliche Krankheit ist schwerwiegender als spekulative Annahmen über eine mögliche schnellere digitale Übermittlung.
Dokumentieren Sie bei akuten Symptomen exakt den Zeitpunkt des Arztbesuchs und legen Sie detailliert dar, warum Ihnen die sofortige Weiterleitung des Attestes nicht möglich war.
Welche konkreten Angaben muss mein Attest enthalten, um Verhandlungsunfähigkeit vor Gericht zu beweisen?
Gerichte prüfen Atteste auf Angriffsflächen, da die Verhandlungsunfähigkeit ein gewichtiges Argument darstellt. Das Dokument muss primär die objektive, messbare Beeinträchtigung beweisen und absolute zeitliche Relevanz besitzen. Konkret fordern Richter harte Fakten, die belegen, dass eine Teilnahme am Gerichtstermin unzumutbar ist. Sie müssen daher zwingend über die reine Diagnose hinausgehen.
Das Gericht benötigt objektive Beweise, um eine bloße Krankmeldung auszuschließen und die Unzumutbarkeit zu bestätigen. Eine unvollständige oder allgemein gehaltene Dokumentation der Symptome kann zur Ablehnung des Attestes führen, wie im Fall vor dem Landgericht Berlin geschehen. Dieses kritisierte das Fehlen einer „klaren Aussage zur Verhandlungsunfähigkeit“ und wies darauf hin, dass die bloße ärztliche Empfehlung zur Schonung nicht ausreicht. Das Attest muss exakt die akuten Beschwerden schildern, welche die Mobilität oder die Konzentrationsfähigkeit des Angeklagten einschränken.
Ihr Attest sollte mindestens drei Kerninformationen enthalten, um juristisch wirksam zu sein. Erstens sind objektive Messwerte entscheidend: Ihr Arzt muss die genaue Körpertemperatur protokollieren, beispielsweise 38,7 °C Fieber. Zweitens ist die zeitliche Nähe zum Termin entscheidend. Das Attest muss belegen, dass der Arztbesuch kurz vor dem angesetzten Termin stattfand. Drittens müssen die akuten, verhindernden Symptome detailliert beschrieben werden, etwa „Schmerzen li Lendenwirbelbereich mit blasige Ausschlag“ bei der Diagnose Herpes Zoster (Gürtelrose).
Bitten Sie Ihren behandelnden Arzt explizit, den genauen Zeitraum des Arztbesuchs (z.B. von 7:30 Uhr bis 8:50 Uhr) sowie alle relevanten Messwerte direkt im Attest zu protokollieren.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Formfehler
Formfehler sind Mängel in der äußeren Gestaltung oder Ausfertigung eines juristischen Dokuments oder einer Erklärung, die den eigentlichen inhaltlichen Gehalt nicht beeinflussen. Richter müssen prüfen, ob formale Mängel so schwerwiegend sind, dass sie Zweifel an der Echtheit des Dokuments aufkommen lassen; andernfalls sind sie irrelevant.
Beispiel:
Rechtschreibfehler wie „Simpotome“ oder „Röttung“ im ärztlichen Attest wurden vom Kammergericht als unerhebliche Formfehler abgetan, da sie die Diagnose der Gürtelrose nicht in Frage stellten.
Materielle Realität
Die materielle Realität beschreibt den tatsächlichen, objektiven Gehalt eines Sachverhalts oder Dokuments, der im juristischen Verfahren Vorrang vor formalen oder bürokratischen Mängeln hat. Dieses Prinzip garantiert, dass die Richter die medizinisch bescheinigte Wahrheit nicht ignorieren, nur weil ein Dokument optische oder orthografische Mängel aufweist.
Beispiel:
Das Kammergericht stellte die materielle Realität der attestierten fieberhaften Erkrankung über die schlechte Lesbarkeit und die zahlreichen Rechtschreibfehler im ärztlichen Protokoll.
Sofortige Beschwerde
Die sofortige Beschwerde ist ein spezielles Rechtsmittel in der Strafprozessordnung, das sich gegen bestimmte richterliche Entscheidungen richtet, die im laufenden Verfahren getroffen wurden und die noch keine Endurteile sind. Betroffene Verfahrensparteien erhalten die Möglichkeit, bestimmte Zwischenentscheidungen schnell von einer übergeordneten Instanz überprüfen zu lassen.
Beispiel:
Gegen die Ablehnung des Antrags auf Wiedereinsetzung legte die Angeklagte sofortige Beschwerde beim Kammergericht ein, das daraufhin die Entscheidung des Landgerichts aufhob.
Verhandlungsunfähigkeit
Verhandlungsunfähigkeit ist der juristische Status, der eintritt, wenn der Angeklagte wegen seines Gesundheitszustands nicht in der Lage ist, seine Rechte wirksam im Gerichtstermin wahrzunehmen. Das Gesetz schützt die fundamentalen Verfahrensrechte des Angeklagten; niemand darf an einem Verfahren teilnehmen müssen, wenn er krankheitsbedingt weder klar denken noch sich verteidigen kann.
Beispiel:
Im vorliegenden Fall begründete das Kammergericht die Verhandlungsunfähigkeit der Frau mit der Kombination aus Gürtelrose und dem attestierten Fieber von 38,7 °C kurz vor Verhandlungsbeginn.
Verwerfung der Berufung
Die Verwerfung einer Berufung ist die sofortige gerichtliche Ablehnung eines Rechtsmittels, weil der Angeklagte unentschuldigt und schuldhaft nicht zum angesetzten Hauptverhandlungstermin erscheint. Diese strenge Regelung nach § 329 StPO dient dazu, eine zügige und verbindliche Durchführung von Strafverfahren zu gewährleisten und eine unnötige Prozessverschleppung zu verhindern.
Beispiel:
Weil die Angeklagte dem Landgerichtstermin fernblieb und das Gericht die eingereichten Atteste ablehnte, verwarf das Landgericht Berlin ihre Berufung gemäß den Vorschriften der Strafprozessordnung.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 44 StPO) fungiert als juristische Notbremse und ermöglicht es Verfahrensbeteiligten, eine Frist oder einen Gerichtstermin nachträglich zu entschuldigen, wenn sie diesen ohne eigenes Verschulden versäumt haben. Das Gesetz stellt sicher, dass formelle Fehler oder unvorhersehbare Ereignisse (wie eine akute Krankheit) nicht zu einem endgültigen Rechtsverlust führen.
Beispiel:
Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellte die Frau drei Tage nach dem Termin, um die Verwerfung ihrer Berufung rückgängig zu machen, indem sie den Nachweis ihrer Verhandlungsunfähigkeit erbrachte.
Das vorliegende Urteil
KG Berlin – Az.: 3 Ws 11/25 – 161 GWs 41/25 – Beschluss vom 04.04.2025
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