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Wegwerfen von Konsumcannabis auf der Flucht

Das Wegwerfen von Konsumcannabis auf der Flucht kann strafbar sein, wenn es die Gefahr begründet, dass Dritte die Betäubungsmittel auffinden und nutzen können. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat in einem aktuellen Fall entschieden, dass das Wegwerfen von Cannabis als Versuch des unerlaubten Inverkehrbringens strafbar ist. Diese Entscheidung hat Auswirkungen auf die Rechtspraxis, da die Gerichte künftig die konkreten Umstände des Einzelfalls berücksichtigen und die neue Gesetzeslage sowie die geänderten Anforderungen an die Einziehung zu beachten haben.

→ Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 203 StRR 39/24

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das neue Konsumcannabisgesetz (KCanG) erfasst auch das bewusste Wegwerfen von Konsumcannabis, wenn es vor dem Inkrafttreten erfolgte.
  • Die Tat ist vollendet, wenn ein Dritter Zugriff auf das weggworfene Cannabis erlangt hat.
  • Das Versuchsstadium ist erreicht, sobald der Täter die Betäubungsmittel für andere zugreifbar zurücklässt.
  • Das Wegwerfen von Cannabis erfüllt den Straftatbestand des versuchten unerlaubten Inverkehrbringens.
  • Bei der Strafzumessung sind der herabgesetzte Strafrahmen und die Versuchsstrafbarkeit zu beachten.
  • Für die Einziehung von Konsumcannabis bedarf es Ausführungen zur Ermessensausübung gemäß § 3 KCanG.
  • Die Anwendbarkeit des neuen KCanG stellt keinen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot dar.
  • Der Unrechtsgehalt des Cannabis-Straftatbestands ist trotz gesetzlicher Neuregelung im Kern unverändert.

Cannabis auf der Flucht: Wegwerfen kann strafbar sein

Strafbarkeit für das Wegwerfen von Cannabis
(Symbolfoto: Aitor Serra Martin /Shutterstock.com)

Mit dem zunehmenden gesellschaftlichen Wandel in Bezug auf den Umgang mit Drogen, insbesondere Cannabis, haben sich in den letzten Jahren auch juristisch entscheidende Änderungen ergeben. Während der Besitz geringer Mengen Konsumcannabis für den Eigengebrauch mittlerweile nicht mehr generell strafbar ist, bleibt der illegale Handel und das unerlaubte Inverkehrbringen von Cannabis weiterhin unter Strafe gestellt. Die genauen rechtlichen Konsequenzen sind jedoch nicht immer eindeutig, vor allem wenn Konsumenten versuchen, sich durch Wegwerfen von Cannabis vor Strafverfolgung zu entziehen.

Wie die Rechtsprechung in solchen Fällen entscheidet und welche Aspekte dabei zu berücksichtigen sind, zeigt ein aktuelles Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts. Der Fall veranschaulicht eindrücklich, dass auch scheinbar selbstverständliche Handlungen wie das Wegwerfen von Drogen durchaus strafrechtliche Konsequenzen haben können.

Der Fall vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht (BayObLG) im Detail

Wegwerfen von Konsumcannabis auf der Flucht: Strafbarkeit nach neuem KCanG

In einem aktuellen Fall vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht (BayObLG) stand ein Angeklagter vor Gericht, der während einer Polizeikontrolle mit seinem Fahrrad flüchtete und dabei eine Menge von 11,19 Gramm Marihuana wegwarf. Das Amtsgericht Weiden i.d.OPf. verurteilte den Angeklagten zunächst wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln. Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft legten Berufung ein, welche vom Landgericht Weiden i.d.OPf. jedoch verworfen wurde. Der Angeklagte ging in Revision und rügte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die rechtliche Herausforderung des Falles bestand darin, ob das neue Konsumcannabisgesetz (KCanG), welches den Besitz geringer Mengen Cannabis entkriminalisiert, auch auf Taten Anwendung findet, die vor seinem Inkrafttreten begangen wurden. Es stellte sich zusätzlich die Frage, ob das Wegwerfen von Cannabis als Versuch des unerlaubten Inverkehrbringens strafbar ist.

Revision führt zu Abänderung des Schuldspruchs

Das BayObLG änderte den Schuldspruch des Landgerichts ab und sprach den Angeklagten des versuchten unerlaubten Inverkehrbringens von Konsumcannabis schuldig.

Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass das neue KCanG auch auf Taten Anwendung findet, die vor seinem Inkrafttreten begangen wurden, da der Unrechtsgehalt des Cannabis-Straftatbestands im Kern unverändert geblieben ist.

Weiterhin stellte das BayObLG fest, dass das Wegwerfen von Cannabis im öffentlichen Raum den Tatbestand des Inverkehrbringens erfüllt, da es die Möglichkeit eröffnet, dass Dritte die Betäubungsmittel auffinden und nutzen können. Da das Cannabis in diesem Fall von der Polizei sichergestellt wurde, bevor ein Dritter Zugriff erlangte, liegt lediglich ein Versuch vor.

Aufhebung des Strafausspruchs und neue Verhandlung

Das BayObLG hob den Strafausspruch des Landgerichts auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück.

Die Aufhebung erfolgte, da sich der Strafrahmen für den unerlaubten Umgang mit Konsumcannabis durch das neue KCanG geändert hat und die Tat aufgrund der Sicherstellung durch die Polizei nicht vollendet wurde.

Weiterhin hob das BayObLG die Einziehungsentscheidung auf, da nach dem neuen KCanG die Einziehung von Konsumcannabis im Ermessen des Gerichts liegt und Ausführungen zur Ermessensausübung im Urteil erforderlich sind.

Auswirkungen des Urteils auf die Rechtspraxis

Dieses Urteil des BayObLG verdeutlicht die Anwendung des neuen KCanG auf Altfälle und die Strafbarkeit des Wegwerfens von Cannabis als Versuch des unerlaubten Inverkehrbringens.

Es zeigt, dass die Gerichte die konkreten Umstände des Einzelfalls berücksichtigen und prüfen müssen, ob das Wegwerfen die Gefahr begründet, dass Dritte die Betäubungsmittel auffinden und nutzen können.

Für die Rechtspraxis bedeutet das Urteil, dass bei der Beurteilung von Fällen des Wegwerfens von Cannabis sowohl die neue Gesetzeslage als auch die geänderten Anforderungen an die Einziehung zu beachten sind.

✔ FAQ zum Thema: Wegwerfen von Konsumcannabis


Was bedeutet das Wegwerfen von Cannabis im rechtlichen Sinne und wie wird es bewertet?

Das sogenannte „sonstige Inverkehrbringen“ von Cannabis, wozu auch das Wegwerfen zählt, ist nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Alt. 8 BtMG strafbar. Dabei bedeutet „sonstiges Inverkehrbringen“, dass ein anderer die tatsächliche Verfügungsmacht über das Betäubungsmittel erlangt, wie eben durch Wegwerfen, Zurücklassen oder Unterschieben.

Entscheidend ist, dass durch das Wegwerfen im öffentlichen Verkehrsraum die Möglichkeit geschaffen wird, dass Dritte das Cannabis auffinden und konsumieren könnten. Versteckt der Täter das Cannabis jedoch in einem Gulli oder ähnlichem, könnte der Vorsatz ausgeschlossen sein.

Auch das fahrlässige Inverkehrbringen von Cannabis ist gemäß § 34 Abs. 4 KCanG strafbar. Das neue Cannabisgesetz (CanG) sieht zwar eine teilweise Legalisierung des Besitzes und Erwerbs von Cannabis vor, das unkontrollierte Wegwerfen bleibt aber weiterhin verboten und strafbewehrt.


Wie beeinflusst das neue Konsumcannabisgesetz (KCanG) bereits begangene Taten?

Das neue Konsumcannabisgesetz (KCanG) hat grundsätzlich keine rückwirkende Kraft auf bereits begangene Taten. Eine echte Rückwirkung, bei der ein Gesetz nachträglich ändernd in abgeschlossene Sachverhalte der Vergangenheit eingreift, ist verfassungsrechtlich nur in engen Ausnahmefällen zulässig.

Insbesondere im Strafrecht gilt nach Art. 103 Abs. 2 GG ein striktes Rückwirkungsverbot (nulla poena sine lege). Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn ihre Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Eine rückwirkende Verschärfung des Strafrechts ist daher ausgeschlossen.

Umgekehrt sieht das KCanG aber auch keinen rückwirkenden Straferlass für Taten vor, die nach altem Recht strafbar waren. Der Bundesrat stellt in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf klar, dass eine Rechtfertigung für einen rückwirkenden Straferlass für zuvor im ungeregelten Schwarzmarktumfeld begangene Taten nicht erkennbar ist. Auch bereits verhängte Strafen und Verurteilungen sollen nicht rückwirkend aufgehoben werden.

Das KCanG enthält somit keine Regelungen, die bereits begangene Taten nachträglich anders bewerten oder die Strafbarkeit rückwirkend entfallen lassen. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Tat bleibt grundsätzlich die Gesetzeslage zum Zeitpunkt ihrer Begehung.


Was sind die möglichen rechtlichen Konsequenzen, wenn jemand Cannabis im öffentlichen Raum wegwirft?

Das unkontrollierte Wegwerfen von Cannabis im öffentlichen Raum kann als unerlaubtes Inverkehrbringen gewertet werden und ist strafbar.

Entscheidend ist, dass durch das Wegwerfen die Möglichkeit geschaffen wird, dass Dritte das Cannabis auffinden und konsumieren könnten. Allein dadurch, dass jemand anderes die tatsächliche Verfügungsmacht über das Cannabis erlangen kann, ist der Tatbestand des Inverkehrbringens erfüllt.

Das unerlaubte Inverkehrbringen von Cannabis wird nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Alt. 8 BtMG mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. Auch das fahrlässige Inverkehrbringen ist gemäß § 34 Abs. 4 des neuen Cannabisgesetzes (KCanG) strafbar.

Der Täter muss zumindest billigend in Kauf nehmen, dass sein weggeworfenes Cannabis aufgefunden und genutzt wird. Versteckt er es dagegen so, dass Dritte es nach seiner Vorstellung nicht erlangen können, könnte der Vorsatz ausgeschlossen sein.

Wirft jemand Cannabis also in einer Weise weg, die die Gefahr begründet, dass andere es finden und konsumieren oder weitergeben können, macht er sich wegen unerlaubten Inverkehrbringens strafbar. Die Strafe kann, je nach Einzelfall, von einer Geldstrafe bis zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe reichen.


§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 34 Abs. 1 Nr. 10 KCanG: Diese gesetzliche Bestimmung regelt das unerlaubte Inverkehrbringen von Konsumcannabis, einschließlich des Wegwerfens im öffentlichen Raum. Die Vorschrift ist relevant für den vorliegenden Fall, da das Gericht das Wegwerfen von Cannabis durch den Angeklagten während der Flucht vor der Polizei als versuchtes Inverkehrbringen beurteilt hat.
  • § 2 Abs. 1 Nr. 10 KCanG: Diese Norm ist insofern wichtig, als sie zusammen mit § 34 Abs. 1 Nr. 10 KCanG das strafbare Verhalten definiert, das der Angeklagte begangen hat. Im konkreten Fall wurde das Wegwerfen von Cannabis als strafrechtlich relevanter Akt angesehen.
  • §§ 22, 23 StGB (Strafgesetzbuch): Diese Paragraphen definieren den Versuch einer Straftat. Im besprochenen Fall wurde der Angeklagte des versuchten unerlaubten Inverkehrbringens für schuldig befunden, da die Cannabisprodukte zwar weggeworfen, aber von der Polizei sichergestellt wurden, bevor sie von Dritten aufgefunden werden konnten.
  • § 37 S. 1 KCanG: Diese Vorschrift gibt dem Gericht Ermessensspielraum bei der Entscheidung über die Einziehung von Konsumcannabis. Die richterliche Ermessensausübung muss im Urteil detailliert begründet werden, was im ursprünglichen Urteil versäumt wurde und zur Aufhebung des Strafausspruchs führte.
  • § 349 Abs. 4 StPO (Strafprozessordnung): Diese Regelung betrifft die erfolgreiche Revision des Angeklagten und führt zur Abänderung des Schuldspruchs. Sie zeigt, wie das Rechtsmittelverfahren genutzt wird, um Fehler in der Rechtsanwendung oder im gerichtlichen Verfahren zu korrigieren.


➜ Das vorliegende Urteil vom Bayerischen Obersten Landesgericht (BayObLG)

BayObLG – Az.: 203 StRR 39/24 -Beschluss vom 08.04.2024

Leitsätze:

1. Die neue gesetzliche Bestimmung von § 34 Abs. 1 Nr. 10 KCanG erfasst das bewusste Wegwerfen von Konsumcannabis im öffentlichen Straßenraum, auch wenn es vor dem 1. April 2024 erfolgte.

2. Die Tat ist vollendet, wenn der Dritte Zugriff erlangt hat. Das Versuchsstadium ist erreicht, sobald der Täter die Betäubungsmittel für andere zugreifbar zurücklässt.

3. Die Entscheidung über die Anordnung der Einziehung von Konsumcannabis steht nach § 37 S. 1 KCanG im Ermessen des Gerichts. Im Urteil bedarf es mit Blick auf die Regelung von § 3 KCanG Ausführungen des Tatrichters zur Ermessensausübung bei der Einziehung von sichergestelltem Konsumcannabis.


1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Weiden i.d.OPf. vom 25. August 2023

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des versuchten unerlaubten Inverkehrbringens von Konsumcannabis schuldig ist,

b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

4. Die Liste der angewandten Strafvorschriften lautet § 34 Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2, § 2 Abs. 1 Nr. 10 KCanG, §§ 22, 23 StGB.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Weiden i.d.OPf. hat den Angeklagten am 2. Februar 2023 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Weiden i.d.OPf. am 25. August 2023 verworfen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision und rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft M. beantragt die Revision kostenpflichtig als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die formelle Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht bezogen auf den Tatort ist jedenfalls unbegründet. Eines Augenscheins bedurfte es nicht. Die Strafkammer hat eine Luftbildaufnahme des Tatorts und mehrere Lichtbilder, die den S.weg zeigen, in Augenschein genommen (Urteil S. 13). Ergänzend dazu hat sie die Auffindeörtlichkeit mittels Zeugenaussagen unter Zuhilfenahme der Lichtbilder geklärt (Urteil S. 13, 14 und 15). Der Zeuge C. hat bekundet, sich zum Tatzeitpunkt nicht im Bereich des Hauseingangs aufgehalten zu haben (Urteil S. 15). Auch die Revision behauptet nicht, dass der Zeuge C. den Verbindungsweg benutzt hätte, sondern stellt diese Möglichkeit lediglich in den Raum (Revisionsbegründung S. 1). Mangels Mehrgewinn an Erkenntnis war somit die Durchführung eines Augenscheins zur weiteren Aufklärung der Tat nach § 244 Abs. 2 StPO nicht geboten. Die darüber hinaus erhobenen formellen Rügen berühren lediglich die Strafzumessung.

III.

Mit der Sachrüge hat die Revision des Angeklagten den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Die Angriffe der Revision gegen die Beweiswürdigung gehen fehl. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist eingedenk des eingeschränkten Überprüfungsmaßstabs des Revisionsgerichts nicht zu beanstanden. Die Strafkammer hat rechtsfehlerfrei begründet, weshalb sie der Einlassung des Angeklagten, er hätte in Kenntnis seiner polizeilichen Verfolgung auf seiner Flucht das vom – auch nach der Einlassung des Angeklagten – nicht verfolgten Zeugen C. angeblich zurückgelassene Marihuana nur kurz aufgehoben und dann wieder fallen lassen, mit Blick auf die Wahrnehmungen der beiden Polizeibeamten T. und F. keinen Glauben geschenkt hat.

2. Der Schuldspruch ist neu zu fassen.

a. Das Tatgericht hat – soweit für die Begründung der Revisionsentscheidung von Bedeutung – die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

Am 17. September 2022 gegen 23.00 Uhr führte der Angeklagte ohne die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis im Stadtgebiet von Weiden i.d.Opf. insgesamt 11,19 Gramm Marihuana wissentlich bei sich. Ein Teil der Betäubungsmittel war zur Übergabe an den Zeugen C. bestimmt. Als der Angeklagte auf dem Weg zum Zeugen bemerkte, dass er zwei Polizeibeamten aufgefallen war, flüchtete er und warf die Betäubungsmittel während der Flucht mit dem Fahrrad vor einem Hauseingang auf dem Boden, wo das Rauschmittel kurz darauf von den Polizeibeamten sichergestellt wurde. Wann und wie der Angeklagte in den Besitz des Marihuanas gekommen ist, hat die Strafkammer nicht feststellen können.

b. Nach der gesetzlichen Neuregelung, die zum 1. April 2024 in Kraft getreten ist, ist zwar alleine der Besitz von bis zu 30 Gramm Konsumcannabis außerhalb des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthaltsortes nicht mehr strafbar, auch wenn das Betäubungsmittel wie hier nicht ausschließlich für den Eigenkonsum besessen wird (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 2, § 3 i.V.m. § 34 Abs. 1 Nr. 1a des Gesetzes zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz – KCanG, BGBl I Nr. 109 vom 27. März 2024). Entsprechendes gilt nach § 34 Abs. 1 Nr. 12 lit a KCanG für den Erwerb oder die Entgegennahme einer Menge von bis zu 25 Gramm. Die sich zugunsten des Angeklagten auswirkende Gesetzesänderung ist nach § 354a StPO und § 2 Abs. 3 StGB in der Revision zu beachten.

c. Die Feststellungen tragen auch keine Verurteilung wegen versuchter Abgabe von Konsumcannabis. Denn die Grenze zum Versuchsstadium war hier noch nicht überschritten. Ein unmittelbares Ansetzen im Sinne des § 22 StGB besteht in einem Verhalten des Täters, das nach seinem Tatplan in ungestörtem Fortgang ohne weitere Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen soll (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2020 – 5 StR 15/20-, juris Rn. 4, und Beschluss vom 14. Januar 2020 – 4 StR 397/19-, juris jeweils mwN). Bezüglich des Tatbestands der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln wird die Schwelle zum Versuchsbeginn erst überschritten, wenn der Täter unmittelbar zur Überlassung der Betäubungsmittel ansetzt (Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak, 10. Aufl. 2022, BtMG 6. Abschnitt § 29 Rn. 812 zum Veräußern nach § 29 BtMG; Weber/Kornprobst/Maier/Weber, 6. Aufl. 2021, BtMG 6. Abschnitt § 29 Rn. 1126, 1078 zur Abgabe nach § 29 BtMG). Danach reicht der Transport der abzugebenden Betäubungsmittel zur Übergabe noch nicht aus, vielmehr liegt darin eine straflose Vorbereitungshandlung (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 30. April 1993 – 4St RR 59/93 –, juris; MüKoStGB/Oğlakcıoğlu, 4. Aufl. 2022, BtMG § 29 Rn. 856 zur Abgabe nach § 29 BtMG).

d. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich der Angeklagte jedoch wegen des versuchten unerlaubten sonstigen Inverkehrbringens von Konsumcannabis nach § 34 Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 10 KCanG, §§ 22, 23 StGB strafbar gemacht.

aa. Die neue gesetzliche Bestimmung kann bezüglich des Umgangs mit Konsumcannabis als Nachfolgeregelung von § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG angesehen werden, ohne dass ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot und das Bestimmtheitsgebot zu besorgen wäre. Das Wesen des vormals in § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 1, 3 BtMG und Anlage I a.F. zu BtMG beschriebenen und nach Abs. 2 auch als Versuch strafbaren Delikts des unerlaubten Inverkehrbringens von Cannabis als ein dem Betäubungsmittelgesetz unterfallendes Rauschmittel ist in seinem Kern auch nach der gesetzlichen Ausgestaltung der Neuregelung unberührt geblieben. Ein Fall, dass der Gesetzgeber durch die völlige Umgestaltung einer Strafvorschrift zu erkennen gegeben hätte, dass er nicht mehr das bisher verpönte, sondern ein ganz anders geartetes Verhalten als Unrecht betrachtet, mit der Folge, dass die Straftatbestände des alten und des neuen Gesetzes nicht mehr zueinander in Beziehung gesetzt werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 1975 – GSSt 1/75 –, BGHSt 26, 167, juris Rn. 14), liegt hier nicht vor. Die Kontinuität des Unrechtstyps ist auch im Rahmen der Neuregelung gewahrt, der Tatvorwurf ist im wesentlichen derselbe geblieben, so dass kein tiefgreifender Wesensunterschied zwischen der alten und der neuen Vorschrift festgestellt werden kann, mit der Folge, dass der Täter, der den neuen Straftatbestand erfüllt, wegen der Straftat verurteilt werden kann (vgl. BGH a.a.O.).

bb. Für den Anwendungsbereich des BtMG ist anerkannt, dass der Auffangtatbestand des sonstigen Inverkehrbringens nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG jedes, gleichwie geartete Eröffnen der Möglichkeit umfasst, dass ein anderer die tatsächliche Verfügung über den Stoff erlangt und ihn nach eigener Entschließung verwenden kann, also jede Verursachung eines Wechsels der Verfügungsgewalt über die Betäubungsmittel durch einen anderen (KG Berlin, Beschluss vom 3. Mai 2022 – (2) 161 Ss 52/22 (15/22) –, juris; BayObLG BayObLGSt 1960, 182 zu OpG; Patzak a.a.O. § 29 Rn. 867; Weber a.a.O. § 29 Rn. 1157; Barrot in BeckOK BtMG, 22. Ed. 15.03.2024, BtMG § 29 Rn. 377). Wirft jemand – auch anlässlich einer Polizeikontrolle – Betäubungsmittel in einer Weise weg, welche die Gefahr begründet, dass Dritte die Betäubungsmittel auffinden, konsumieren oder weitergeben, war dieses Verhalten nach der bisher geltenden Rechtslage von der Strafvorschrift von § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG als sonstiges Inverkehrbringen umfasst (vgl. KG Berlin a.a.O. Rn. 6; OLG Zweibrücken, Urteil vom 5. März 1986 – 2 Ss 320/85-, NStZ 1986, 558; Patzak a.a.O. § 29 Rn. 871; Weber a.a.O. § 29 Rn. 1170; Oğlakcıoğlu a.a.O. § 29 Rn. 899; Barrot a.a.O. § 29 Rn. 378). Die Tat ist erst vollendet, wenn der Dritte Zugriff erlangt hat. Das Versuchsstadium ist erreicht, sobald der Täter die Betäubungsmittel für andere zugreifbar zurücklässt. Finden diese die Drogen nicht, so bleibt es beim Versuch (OLG Zweibrücken a.a.O.; KG a.a.O.; Patzak a.a.O. § 29 Rn. 880, 881; Oğlakcıoğlu a.a.O. § 29 Rn. 899; Barrot a.a.O. § 29 Rn. 387, 388; Weber a.a.O. § 29 Rn. 1172 ff.).

cc. Diese Grundsätze sind auf die Strafbarkeit nach § 34 Abs. 1 Nr. 10 KCanG entsprechend zu übertragen. Denn in der Neuregelung des Umgangs mit Konsumcannabis wurden die Strafvorschriften aufgrund der strukturellen Vergleichbarkeit an das Betäubungsmittelstrafrecht angelehnt (vgl. BT-Drucks. 20/10426 S. 128). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll auch – weiterhin – die Dereliktion von Konsumcannabis der Strafbarkeit unterfallen (vgl. BT-Drucks. a.a.O. S. 128 f., S. 136 f.). Die Vorschrift von § 34 Abs. 1 Nr. 10 KCanG erfasst damit auch das bewusste Wegwerfen von Konsumcannabis im öffentlichen Straßenraum.

dd. In subjektiver Hinsicht setzt ein (bedingt) vorsätzliches Inverkehrbringen voraus, dass der Täter dabei zumindest billigend in Kauf nimmt, dass seine weggeworfenen Betäubungsmittel aufgefunden und genutzt werden (vgl. KG Berlin a.a.O. Rn. 7; OLG Zweibrücken a.a.O.; Patzak a.a.O. § 29 Rn. 875; Barrot a.a.O. § 29 Rn. 385 jeweils zu § 29 BtMG).

ee. Da nach den Feststellungen des Landgerichts angesichts der konkreten Umstände der Tat damit zu rechnen war, dass das Cannabis nach dem Wegwerfen in die Verfügungsgewalt von konsum- oder abgabebereiten Dritten gelangte, gleichwohl das Marihuana zeitnah von der Polizei sichergestellt wurde, hat sich der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts des versuchten unerlaubten Inverkehrbringens von Konsumcannabis schuldig gemacht. Dies gilt auch, falls der Angeklagte, als er sich des Marihuanas entledigte, hoffte, es nach der Kontrolle selbst wieder an sich nehmen zu können. Ein zielloses Handeln schließt ein Inverkehrbringen nicht aus (Barrot a.a.O. § 29 Rn. 378).

e. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend abgeändert. § 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da sich der Angeklagte gegen den geänderten Schuldspruch nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Das Wegwerfen der Betäubungsmittel hat der Angeklagte im übrigen eingeräumt.

3. Der Strafausspruch unterliegt der Aufhebung, nachdem der Strafrahmen für den unerlaubten Umgang mit Konsumcannabis nunmehr in § 34 Abs. 1 KCanG herabgesetzt und die Tat – unfreiwillig – nicht vollendet worden ist. Auch die Einziehungsentscheidung kann nicht bestehen bleiben (§ 2 Abs. 5 StGB). Die Entscheidung über die Anordnung der Einziehung von Konsumcannabis steht nach § 37 S. 1 KCanG im Ermessen des Gerichts. Abweichend zur früheren Rechtslage sind fehlende Ausführungen des Tatrichters zur Ermessensausübung bei der Einziehung von sichergestelltem Konsumcannabis mit Blick auf die Regelung von § 3 KCanG nicht mehr unschädlich.

IV.

Auf die Revision des Angeklagten ist daher das angefochtene Urteil im Schuldspruch abzuändern und im Strafausspruch aufzuheben (§ 349 Abs. 2 und 4 StPO). Die weitergehende Revision ist zu verwerfen.

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