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Voraussetzung für Äußerung in einer beleidigungsfreien Sphäre

KG – Az.: (4) 161 Ss 33/20 (43/20) – Beschluss vom 14.07.2020

In der Strafsache wegen Beleidigung hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 14. Juli 2020 beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 4. Dezember 2019 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Aufgehoben wird auch die Feststellung des Landgerichts, dem Angeklagten sei bewusst gewesen, dass der Zeuge S zum Zeitpunkt der Tat etwa einen Meter hinter ihm die Treppe hinunter ging, er habe billigend in Kauf genommen, dass der Zeuge S die hier verfahrensgegenständliche Beleidigung hören werde.

2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.

3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten am 2. Mai 2019 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40,- Euro verurteilt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Berlin mit der Maßgabe verworfen, dass die Tagesatzhöhe auf 15,- Euro herabgesetzt wurde.

Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.

II.

Die form- und fristgerecht sowie unbeschränkt eingelegte Revision des Angeklagten hat den aus dem Tenor ersichtlichen (vorläufigen) Teilerfolg.

Zur Tathandlung hat das Landgericht im Wesentlichen Folgendes festgestellt:

„Der Angeklagte und der mit ihm befreundete Zeuge K waren im April 2018 Polizeimeisteranwärter in der Klasse xx der Polizeiakademie Berlin; die kollegial miteinander befreundeten Zeugen Z, R, S und L waren dort Polizeimeisteranwärter in der Parallelklasse yy. Als am Freitag, dem 6. April 2018, der Unterricht an der Polizeiakademie […] um etwa 15 Uhr endete, wollten die Anwärter, die sich nach dem Sportunterricht in ihren Zimmern im „Haus 3“ umgezogen hatten, das Akademiegelände verlassen und den Heimweg antreten. Die „Männerstuben“ der genannten Klassen befanden sich im ersten Stockwerk des Gebäudes, jene der Anwärterinnen im zweiten Stockwerk.

Die Polizeimeisteranwärterinnen Z und R liefen aus dem zweiten Stockwerk kommend gemeinsam die Treppe in dem Gebäude in Richtung des Ausgangs hinunter. Ihnen folgten etwa einen Treppenabsatz dahinter aus dem ersten Stockwerk kommend der Angeklagte und dessen Kollege und Freund, der Zeuge K. In einer Entfernung von etwa einem Meter hinter dem Angeklagten und dem Zeugen K ging – wie dem Angeklagten bewusst war – der Polizeimeisteranwärter und Zeuge S, ein befreundeter Klassenkollege der beiden Zeuginnen, die Treppe hinunter; er war hinter dem Angeklagten und seinem Begleiter aus dem Bereich der „Männerstuben“ zur Treppe gegangen. Ein Stück hinter ihm folgte der Zeuge L. S und L hatten mit der Zeugin R vereinbart, dass diese beide mit ihrem Auto ein Stück des Heimwegs mitnehmen würde.

Der Angeklagte äußerte in dieser Situation gegenüber dem Zeugen K in normaler Sprechlautstärke mit Blick auf eine der beiden vor ihnen laufenden Zeuginnen: „Der würd’ ich geben, der Kahba“. Damit brachte er in jugendlicher Vulgärsprache zum Ausdruck, er würde gerne mit „der Kahba“ geschlechtlich verkehren. Das Wort „Kahba“ ist arabisch und bedeutet „Schlampe“ oder „Prostituierte“ und wird mit dieser Bedeutung in der deutschen Jugendsprache – insbesondere in der Rap-Musik – verwendet; in diesem abwertenden Sinne und mit der Zielrichtung, seine Missachtung gegenüber der von ihm gemeinten Frau auszudrücken, verwendete der Angeklagte das Wort „Kahba“. Zusätzlich wies er mit einem Nicken und einer Armbewegung in Richtung der beiden Zeuginnen. Der Zeuge S hörte die an den Zeugen K gerichtete Bemerkung des Angeklagten, wie dieser billigend in Kauf genommen hatte, und sah die Gesten in Richtung der Zeuginnen…“

1. In Bezug auf die – für die Strafzumessung möglicherweise relevante und vom Revisionsführer ausdrücklich angegriffene – Feststellung, dem Angeklagten sei bewusst gewesen, dass der Zeuge S zum Zeitpunkt der Tat etwa einen Meter hinter ihm ging, er habe billigend in Kauf genommen, dass der Zeuge S die hier verfahrensgegenständliche Beleidigung hören werde, begegnet die Beweiswürdigung nach den maßgeblichen Rechtsgrundsätzen (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 2016 – 4 StR 289/16 – [juris] m.w.N.; Senat, Beschluss vom 29. November 2019 – [4] 161 Ss 115/19 [203/19] – m.w.N.) durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat sich insoweit im Wesentlichen von folgenden Erwägungen leiten lassen:

„Die Feststellungen der Strafkammer, dass dem Angeklagten bewusst war, dass der Zeuge S direkt hinter ihm ging, und dass er billigend in Kauf nahm, dass auch der Zeuge S seine Äußerung gegenüber dem Zeugen K hören konnte, fußt insbesondere auf einer Würdigung der festgestellten Personenanordnung auf der Treppe im Zeitpunkt des Ausspruchs durch den Angeklagten in Zusammenschau mit der festgestellten Sprechlautstärke.

aa) Zwar ging der Zeuge S hinter dem Angeklagten und war dessen Augenmerk nach den Feststellungen auf die vor ihm gehenden Zeuginnen Z und R gerichtet, dennoch schließt die Strafkammer es mit Blick insbesondere auf die Wahrnehmungen der Zeuginnen Z und R, die die Personenanordnung auf der Treppe übereinstimmend mit den Zeugen S und L übereinstimmend derart beschrieben haben, dass sie beide vor dem Angeklagten und dem Zeugen K die Treppe hinunter liefen und diesen in geringem Abstand der Zeuge S und diesem der Zeuge L folgten, aus, dass dem Angeklagten nicht bewusst war, dass S nur etwa einen Meter hinter ihm lief, als er die Äußerung gegenüber K tätigte. In der Situation des Dienstschlusses an der Polizeiakademie für jedenfalls zwei Anwärterklassen war die Anwesenheit weiterer Polizeischüler auf dem Weg von den Stuben zum Ausgang selbstverständlich; es kann dem Angeklagten hier mit Blick auf den geringen Abstand, in dem S hinter ihm lief, nicht verborgen geblieben sein, dass unmittelbar hinter ihm eine weitere Person – der Zeuge S – die Treppe hinabging.

bb) Aus dem Umstand, dass sich der Angeklagte in normaler Sprechlautstärke wie festgestellt äußerte, schließt die Strafkammer, dass er billigend in Kauf nahm, dass S den Ausspruch hören würde. Denn die Hauptverhandlung hat keinen tatsächlichen Anhaltspunkt dafür ergeben, dass der Angeklagte darauf hätte vertrauen können, der unmittelbar hinter ihm gehende S höre das in normaler Sprechlautstärke Gesagte nicht. Es blieb in der festgestellten Konstellation – wie dem Angeklagten mit Blick auf die Personenanordnung und insbesondere den geringen Abstand zum Zeugen S bewusst war – dem Zufall überlassen, ob S die Äußerung hören oder aber nicht wahrnehmen würde.“

Der Revisionsführer beanstandet zu Recht, dass die Schlussfolgerung des Landgerichts in Bezug auf den bedingten Vorsatz hinsichtlich der Wahrnehmung seiner Äußerung durch den Zeugen S auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage beruhte.

Die Tatsache, dass sich der Zeuge S zum Zeitpunkt der beleidigenden Äußerung etwa einen Meter hinter dem Angeklagten befand, rechtfertigt nicht den von der Strafkammer gezogenen Schluss, dass dem Angeklagten die Anwesenheit des Zeugen S „nicht verborgen geblieben sein kann“. Es gibt keinen Erfahrungssatz, der besagt, dass man eine Person, die im Abstand von einem Meter auf einer Treppe folgt, immer wahrnimmt. Zutreffend beanstandet der Revisionsführer, dass die Feststellungen keine Anhaltspunkte dafür bieten, dass der Angeklagte den Zeugen S auf andere Weise als optisch hätte wahrnehmen können, etwa durch lautes Trampeln, vom Zeugen S geführte Gespräche oder andere sensorische Wahrnehmungen. Eine optische Wahrnehmung ließ sich jedoch gerade nicht nachweisen, weil der Blick und die Aufmerksamkeit des Angeklagten nach vorn gerichtet waren.

Soweit die Strafkammer „insbesondere mit Blick auf die Wahrnehmungen der Zeuginnen Z. und R“ ausschließt, dass dem Angeklagten nicht bewusst gewesen sei, dass der Zeuge S nur etwa einen Meter hinter ihm ging, teilt sie lediglich das Ergebnis der Wahrnehmungen der Zeuginnen (nämlich die Personenanordnung auf der Treppe) mit, ohne darzulegen, auf welche Weise die Zeuginnen ihre Wahrnehmungen gemacht haben. Nach den Feststellungen liefen die Zeuginnen etwa einen Treppenabsatz vor dem Angeklagten nach unten. Naheliegend ist, dass sich die Zeuginnen umdrehten und die Treppe nach oben blickten, weil sie Ausschau nach den Zeugen S und L hielten, mit denen sie verabredet waren. Anhaltspunkte dafür, dass die Zeuginnen die Personenanordnung auf der Treppe auf andere Weise als durch einen Blick nach oben wahrnahmen, bieten die Urteilsgründe jedenfalls nicht. Wenn jedoch die Zeuginnen die Personenanordnung auf der Treppe durch einen Blick nach oben wahrnahmen, erklärt dies nicht, weshalb der nach vorn schauende und seine Aufmerksamkeit nach vorn richtende Angeklagte gewusst haben muss, dass der Zeuge S hinter ihm lief.

Auch die Tatsache, dass der Angeklagte sich in „normaler Sprechlautstärke“ (somit keineswegs besonders laut) äußerte, trägt die Schlussfolgerung auf einen bedingten Vorsatz nicht. Denn auch insoweit argumentiert die Strafkammer damit, dass der Angeklagte schließlich wusste, dass sich der Zeuge S nur einen Meter hinter ihm befand. Dieses Wissen ist jedoch nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.

Die Argumentation, in Anbetracht des Dienstschlusses zweier Anwärterklassen sei die Anwesenheit weiterer Polizeischüler im Treppenhaus selbstverständlich gewesen, greift zu kurz. Die Feststellungen belegen nicht, dass sich zur Tatzeit so viele Personen im Treppenhaus aufhielten, dass es selbstverständlich war, dass sich andere Personen nicht nur ebenfalls im Treppenhaus aufhielten, sondern sich darüber hinaus auch in unmittelbarer Hörweite befanden. Der ebenfalls im Treppenhaus in der Nähe des Angeklagten befindliche Zeuge L hat die Äußerung gerade nicht gehört. Die Anwesenheit weiterer Personen in Treppenhaus belegt somit noch nicht, dass die Äußerung zwangsläufig für andere Personen im Treppenhaus zu hören war.

Den Feststellungen lässt sich nicht – auch nicht näherungsweise – entnehmen, wie viele Personen sich zur Tatzeit im Treppenhaus aufhielten. Die Größe der Anwärterklassen wird nicht mitgeteilt. Zudem weisen die Feststellungen gerade nicht aus, dass sich nach Beendigung der letzten Unterrichtseinheit alle Anwärter sofort ins Treppenhaus begaben, was eine gleichzeitige Anwesenheit aller Anwärter im Treppenhaus nahe legt. Vielmehr begaben sich die Anwärter nach dem Sportunterricht zurück in ihre Stuben und zogen sich um. Hierfür dürften sie nicht exakt dieselbe Zeit benötigt haben. Eher dürfte es zu einer gewissen zeitlichen Dehnung beim Verlassen der Stuben gekommen sein, so dass sich die gleichzeitige Anwesenheit aller Anwärter im Treppenhaus – und damit eine zwangsläufige Anwesenheit weiterer Personen in unmittelbarer Hörweite – nach den Feststellungen jedenfalls nicht aufdrängt.

Der Senat hebt daher die Feststellungen zur subjektiven Tatseite in Bezug auf den Zeugen S auf. Die übrigen Feststellungen sind hingegen rechtsfehlerfrei getroffen, sie können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Die neue Strafkammer ist nicht gehindert, ergänzende Feststellungen zu treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen dürfen.

2. Die Aufhebung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite in Bezug auf den Zeugen S führt nicht zu einer Aufhebung des Schuldspruchs, weil bereits die übrigen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen eine ausreichende Grundlage für eine Verurteilung wegen Beleidigung bilden.

Die Strafkammer hat zutreffend ausgeführt, dass sich der Angeklagte bereits durch die Äußerung gegenüber seinem Freund K der Beleidigung gemäß § 185 StGB schuldig gemacht hat.

Insbesondere hat der Angeklagte die hier verfahrensgegenständliche Äußerung nicht – wovon der Revisionsführer offenbar ausgeht – innerhalb einer „beleidigungsfreien Sphäre“ getätigt.

Die Rechtsprechung leitet aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG ab, dass es einen Bereich vertraulicher Kommunikation innerhalb besonders ausgestalteter Vertrauensbeziehungen gibt, in der der Äußernde ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen und ohne Sorge vor staatlicher Sanktionierung kommunizieren darf. Um den Persönlichkeitsschutz des Äußernden zu gewährleisten, muss ihm Raum gegeben werden, seine Gefühle, Wünsche und Ängste frei offenbaren zu können. Jeder Mensch braucht innerhalb seines engsten Lebenskreises Raum für eine ungezwungene, vertrauliche Aussprache und ggf. auch zum Entladen angestauter Emotionen in Bezug auf außenstehende Personen ohne Angst vor strafrechtlicher Verfolgung. In einem solchen Gespräch im engsten Lebenskreis kann der Äußernde regelmäßig darauf vertrauen, dass die Vertraulichkeit gewährleistet bleibt. Äußerungen, die gegenüber Außenstehenden oder der Öffentlichkeit wegen ihres ehrverletzenden Gehalts eigentlich nicht schutzwürdig wären, genießen in solchen privaten Vertraulichkeitsbeziehungen verfassungsrechtlichen Schutz, welcher dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgeht (vgl. BVerfG NJW 2007, 1194 und NJW 2010, 2937; OLG Frankfurt MMR 2019, 381 m.w.N.; Regge/Pegel in Münchener Kommentar, StGB 3. Auflage, § 185 Rnr. 61 ff m.w.N.; Rahmlow in Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwaltskommentar StGB 3. Auflage, § 185 Rnr. 26 m.w.N.; Eisele/Schittenheim in Schönke/Schröder, StGB 30. Auflage, Vorbem. §185 Rnr. 9a m.w.N.). Dogmatisch wird hierin überwiegend eine Tatbestandsrestriktion gesehen, teilweise wird auch argumentiert, es liege eine Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB vor (vgl. Rahmlow aaO m.w.N.; Reggel/Pegel aaO Rnr. 62 m.w.N.).

Voraussetzung für Äußerung in einer beleidigungsfreien Sphäre
Symbolfoto: Von Barbar_Studio/Shutterstock.com

Voraussetzung für eine Äußerung in einer „beleidigungsfreien Sphäre“ ist jedoch, dass es sich um eine Äußerung gegenüber einer Vertrauensperson handelt, die in einer Sphäre fällt, die gegen Wahrnehmung durch den Betroffenen oder Dritte abgeschirmt ist (vgl. BVerfG aaO).

a) Der Kreis möglicher Vertrauenspersonen ist nicht auf Ehegatten oder Eltern beschränkt, sondern erstreckt sich auf ähnlich enge Vertrauensverhältnisse (vgl. BVerfG aaO), es muss sich jedoch um eine Person aus dem engsten Lebenskreis des Äußernden handeln, zu der eine besonders ausgestaltete Vertrauensbeziehung besteht (vgl. BVerfG aaO; Regge/Pegel aaO Rnr. 61; Rahmlow aaO; Eisele/Schittenhelm aaO Rnr. 9b; Valerius in BeckOK, StGB 46. Edition, § 185 Rnr. 34; jeweils m.w.N.). Hierzu können beispielsweise auch Mitgefangene gehören, nicht jedoch der Mandant in Bezug auf Äußerungen des Rechtsanwalts (vgl. BVerfG aaO). Ob es sich vorliegend bei dem Zeugen K um eine solch enge Vertrauensperson des Angeklagten handelte, kann aufgrund der Urteilsfeststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Die Urteilsgründe teilen insoweit lediglich mit, dass der Zeuge K ungefragt mitgeteilt habe, er sei ein guter Freund des Angeklagten.

b) Dies kann jedoch dahin stehen, weil der Angeklagte sich nicht in einer Sphäre geäußert hat, die gegen die Wahrnehmung durch den Betroffenen oder Dritte abgeschirmt war. Eine beleidigungsfreie Sphäre kann nur anerkannt werden, wenn die Vertraulichkeit nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls tatsächlich gewährleistet erschien (vgl. OLG Frankfurt aaO; Valerius aaO Rnr. 35; Eisele/Schittenhelm aaO Rnr. 9b; Kühl in Lackner/Kühl, StGB 29. Auflage, § 185 Rnr. 9; jeweils m.w.N.). Vorliegend war die Kommunikation des Angeklagten nicht gegen die Wahrnehmung durch Dritte abgeschirmt. Er hat sich in einem Treppenhaus eines Gebäudes der Polizeiakademie geäußert und wusste, dass sich weitere Personen im Treppenhaus aufhielten bzw. sich jederzeit in das Treppenhaus begeben könnten. Besondere Maßnahmen, um die Vertraulichkeit zu gewährleisten, etwa dergestalt, dass er sich vor der Äußerung vergewissert hätte, dass sich niemand in Hörweite befindet, oder er dem Zeugen K ins Ohr geflüstert hätte, hat er nicht ergriffen. Entsprechend hat der Revisionsführer selbst eingeräumt, dass ihm ihn Bezug auf die Wahrnehmung durch den Zeugen S ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen ist. Dieser reicht zwar nicht aus, um die Annahme eines bedingten Vorsatzes zu begründen, hindert jedoch die Annahme einer „beleidigungsfreie“ Sphäre“.

3. Jedoch begegnet die Strafzumessung nach den insoweit geltenden Rechtsgrundsätzen (vgl. Senat aaO) durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Die Strafkammer hat – insoweit rechtsfehlerfrei – zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass dieser unbestraft ist und die Tat bereits eineinhalb Jahre zurückliegt.

b) Sie hat ferner ausgeführt, zu Gunsten des Angeklagten spreche, dass er infolge des hier verfahrensgegenständlichen Fehlverhaltens nicht in den Polizeidienst übernommen wurde und sich nun beruflich umorientieren muss. Die festgesetzte Tagessatzanzahl lässt hingegen besorgen, dass die Strafkammer diese Aspekte tatsächlich nicht (ausreichend) berücksichtigt hat. Es handelt es sich hierbei um besonders gewichtige Strafmilderungsgründe. Der Angeklagte hat infolge der Tat nicht nur seinen Arbeitsplatz verloren, sondern kann darüber hinaus in seinem erlernten Beruf gar nicht mehr arbeiten. Aus den Urteilsgründen ergibt sich, dass diese besonders gewichtigen Strafmilderungsgründe erst im September 2019, somit nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils, eingetreten sind. Anhaltpunkte dafür, dass bereits das Amtsgericht Tiergarten den Eintritt dieser gravierenden negativen Folgen erwartet und vorgreiflich in die Strafzumessung hat einfließen lassen, bestehen nicht. Strafschärfende Aspekte, die das erhebliche Gewicht dieser neu hinzugekommenen Milderungsgründe relativieren, hat die Strafkammer nicht benannt. Gleichwohl hat die Strafkammer dieselbe Tagessatzanzahl festgesetzt und auf die veränderte Lebenssituation des nun von Sozialleistungen lebenden Angeklagten nur mit einer Reduzierung der Tagessatzhöhe reagiert.

Dies ist in der vorliegenden Fallkonstellation erklärungsbedürftig. Die Bewertung der Tat und die Strafzumessung in der ersten Instanz sind zwar kein Maßstab für die Strafzumessung im Berufungsverfahren, weshalb eine Herabsetzung der Strafe im Fall der Verringerung des Schuldumfangs bzw. des Hinzutretens neuer Milderungsgründe nicht zwingend ist. Erforderlich ist aber eine Begründung. Der Angeklagte hat einen Anspruch darauf, zu erfahren, warum er trotz Hinzukommens erheblicher Strafmilderungsgründe gleich hoch bestraft wird (vgl. BGH NJW 1983, 54 und NStZ-RR 2013, 113; Kammergericht, Beschluss vom 7. Juli 1997 – [3] 1 Ss 124/97 [52/97] – [juris] m.w.N.; OLG München NJW 2009, 160; OLG Bamberg NStZ-RR 2012, 138 m.w.N.). Die besondere Begründung einer solchen Strafzumessung ist auch deshalb erforderlich, weil anderenfalls die spezialpräventive Wirkung der Verurteilung von vornherein in Frage gestellt sein kann. Wird in verschiedenen Abschnitten ein und desselben Verfahrens die Tat eines Angeklagten trotz unterschiedlicher für die Strafzumessung bedeutsamer Umstände ohne ausreichende Begründung mit der gleich hohen Strafe belegt, so kann auch bei einem verständigen Angeklagten der Eindruck entstehen, dass die Strafe nicht nach vom Gesetz vorgesehenen oder sonst allgemein gültigen objektiven Wertmaßstäben bestimmt wurde (vgl. BGH aaO; OLG München aaO). Eine Begründung der Verhängung einer identischen Strafe trotz wesentlicher Veränderung der für die Strafzumessung relevanten Gesichtspunkte ist allenfalls in Ausnahmefällen entbehrlich, in denen eine Gefährdung der spezialpräventiven Wirkung ausgeschlossen erscheint, weil etwa die durch den Vorderrichter verhängte Strafe offensichtlich im unteren Bereich des Vertretbaren gelegen hatte (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 7. April 2016 2 [6] Ss 110/16 – AK 41/16 [juris] m.w.N.; OLG Bamberg aaO m.w.N.). Eine solche Konstellation liegt hier nicht vor.

c) Weiter heißt es in den Urteilsgründen: „Im Übrigen hat die Strafkammer insbesondere das Tatbild gewürdigt.“ Diese Ausführung ist einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht zugänglich. Ihr lässt sich noch nicht einmal entnehmen, ob das Tatbild zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt wurde. Der Senat verkennt nicht, dass es Fälle geben mag, in denen das Tatbild derart außergewöhnlich oder besonders ist, dass auch ohne weitere Erläuterungen erkennbar ist, welche Gesichtspunkte in die Strafzumessung eingeflossen sind. Eine derartige Fallkonstellation liegt hier jedoch nicht vor. Es erschließt sich nicht, welche Aspekte der hier verfahrensgegenständlichen Tat vom Regelbild derart abweichen, dass sie gesondert in die Strafzumessung eingeflossen sind. Strafschärfende Gesichtspunkte drängen sich nach den Feststellungen jedenfalls nicht auf. Der Senat kann nicht ausschließen, dass im Rahmen der Würdigung des Tatbildes einzelne Aspekte zum Nachteil des Angeklagten in die Strafzumessung eingeflossen sind, die nicht hätten strafschärfend berücksichtigt werden dürfen.

d) Insbesondere kann der Senat – auch im Hinblick darauf, dass die Strafkammer lange Ausführungen zum bedingten Vorsatz des Angeklagten gemacht hat – nicht ausschließen, dass strafschärfend bewertet wurde, dass die verfahrensgegenständliche Äußerung von zwei Personen gehört und dies vom Angeklagten auch billigend in Kauf genommen wurde. Vorbehaltlich ergänzender Feststellungen durch die neue Strafkammer ist derzeit davon auszugehen, dass der Vorsatz des Angeklagten darauf gerichtet war, seine Äußerung nur einer Person, nämlich dem Zeugen K – bei dem er aufgrund der zumindest guten Freundschaft davon ausgehen konnte, dass dieser die Bemerkung für sich behalten werde – zu Gehör zu bringen.

Der Senat hebt daher auch die Rechtsfolgenentscheidung mit den zugehörigen Feststellungen gemäß § 349 Abs. 4 StPO auf und verweist die Sache auch insoweit nach § 354 Abs. 2 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück.

Der Senat weist darauf hin, dass die horizontale Teilrechtskraft des angefochtenen Urteils einer Einstellung nach §§ 153 Abs. 2, 153a Abs. 2 StPO nicht entgegen steht.

 

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